Table Of ContentEnzyklopadie der
Rechts- und Staatswissenschaft
Begriindet von
F. von Liszt und W. Kaskel
Herausgegeben von
P. Lerche· W. Mieth . D. Narr . W. Vogt
Abteilung Rechtswissenschaft
Werner Flume
Allgemeiner T eil
des Biirgerlichen Rechts
Z weiter Band
Das Rechtsgeschaft
Zweite, iiberarbeitete Auflage
Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 1975
ISBN-13 978-3-642-96233-2 e-ISBN-13 978-3-642-96232-5
DOl 10.1007/978-3-642-96232-5
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einbaren ist. © by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1965, 1975.
Softcover reprint of the hardcover 2nd edition 1975
Library of Congress Cataloging in Publication Data. Flume, Werner. Allgemeiner Teil des Burger
lichen Rechts. (Enzyklopiidie der Rechts- und Staatswissenschaft: Abteilung Rechtswissenschaft).
Bibliography: p. Includes index. Contents: - Bd. 2. Das Rechtsgeschiift. 1. Juristic acts - Ger
many (Federal Republic, 1949- ). 2. Contracts - Germany (Federal Republic, 1949- ).
I. Title. II. Series: Enzyklopiidie der Rechts- und Staatswissenschaft. Law. 340. 74-23964.
V orwort zur zweiten Auflage
Aufgabe der zweiten Auflage war es vor allem, die Rechtsprechung und
Literatur seit dem Erscheinen der ersten Auflage in das Buch einzuarbeiten
und dabei die in dem Buch vertretenen Thesen gegeniiber Knderungen der
Rechtsprechung und den in der neueren Literatur vertretenen Meinungen,
insbesondere soweit diese sich mit der Erstauflage kritisch auseinander
setzen, neu zu durchdenken. Soweit eine in der Erstauflage vertretene Mei
nung geandert worden ist, ist dies besonders vermerkt. Die Rechtsprechung
und Literatur sind bis Anfang 1974 beriicksichtigt.
Die Bearbeitung war dadurch bestimmt, daG der Umbruch moglichst
aufrechterhalten bleiben sollte. Die vorgenommenen Kiirzungen sind im all
gemeinen nur dadurch veranlaGt, daG Erganzungen ausgeglichen wurden.
Abweichend von der Erstauflage ist das - neu erstellte - Sachregister sehr
stark aufgegliedert. Ferner ist ein Verzeichnis der in dem Buch angefiihrten
Entscheidungen angefiigt.
In Rezensionen der ersten Auflage ist teilweise geriigt worden, daG die
Literatur und insbesondere Gegenmeinungen nicht geniigend beachtet seien.
Fiir die eigene Darstellung wesentliche Literatur diirfte aber nicht ungenannt
geblieben sein. Auf eine polemische Auseinandersetzung mit entgegenstehen
den Meinungen ist allerdings im allgemeinen verzichtet worden. Das Buch
ist fiir den "miindigen" Leser bestimmt, der selbst die Meinungen gegen
einander abwagen mag. Auch der Student, der noch wirklich studiert, die
cupid a legum iuventus, sollte so eingeschatzt werden.
Statt Zit ate, die in Kommentaren und Lehrbiichern leicht zu finden sind,
aneinanderzureihen, ist hinsichtlich weiterer Literaturangaben vielfach auf
Literaturzitate in anderen Werken verwiesen. Dem steht das Bemiihen
gegeniiber, Literatur, die bereits weithin vergessen war, wie z. B. die Be
griindung des Vorentwurfs des BGB von Gebhard und weiter zuriick
liegende Literatur, fiir die gegenwartige Diskussion zuriickzugewinnen. Die
seit dem Erscheinen der ersten Auflage erschienene und noch nicht allgemein
in Kommentaren und Lehrbiichern verarbeitete Literatur ist vollstandiger
als die vorangehende Literatur zitiert worden.
Eine Hauptthese des Buches ist die Abgrenzung des Rechtsgeschafts als
einer privatautonomen finalen Regelung gegeniiber dem rechtlich relevanten
Verhalten. Man hat demgegeniiber versucht, in einer "kombinatorischen
v
Vorwort zur zweiten Auflage
Theorie yom Rechtsgeschaft" die privatautonome rechtsgeschaftliche Rege
lung mit dem rechtlich relevanten Verhalten auf einen Nenner zu bringen
oder das rechtlich relevante Verhalten als "Zurechnung" einer Willenser
klarung neb en der "wirklichen" Willenserklarung einzuordnen. Es gilt
jedoch, gerade die Unterschiedlichkeit des rechtlich relevant en Verhaltens
gegeniiber der privatautonomen rechtsgeschaftlichen Regelung zu erkennen.
Die Tatbestande des rechtlich relevanten Verhaltens lassen sich nicht in einer
EinheitslOsung, auch nicht durch ein angebliches Rechtsinstitut der "Ver
trauenshaftung", erfassen. Es handelt sich vielmehr wirklich um variae
causarum figurae, die je in ihrer Eigenart erfaBt werden miissen. So behalt
einerseits die Lehre yom Rechtsgeschaft die fiir das Verstandnis der privat
autonomen Rechtsgestaltung wichtige dogmatische Geschlossenheit und finden
andererseits in Erganzung zur Lehre yom Rechtsgeschaft die in den Bereich
des rechtsgeschaftlichen Verkehrs fallenden Tatbestande des rechtlich rele
vanten Verhaltens ihre sachgerechte Einordnung.
Den Herren Dr. Picker, Dr. Wilhelm und Referendar Schliiter habe ich
fiir die Anfertigung des Sachregisters und des Entscheidungsregisters zu
danken.
Bonn, im September 1974 WERNER FLUME
VI
V orwort zur erste n Auflage
Es ist in den Darstellungen des Allgemeinen Teils des Burgerlichen Rechts
ublich, die Lehre yom Rechtsgeschaft der Lehre von den juristischen Tat
sachen einzuordnen und das Rechtsgeschaft als Tatbestand fur die Entste
hung, den Untergang und die Veranderung der subjektiven Rechte zu wer
ten. Das Rechtsgeschaft wird dabei als Handlung verstanden und neben die
anderen Handlungen gestellt, die ebenfalls unter dem Gesichtspunkt des
subjektiven Rechts behandelt werden. Das Essentiale des Rechtsgeschafts, dag
es sich bei ihm handelt um die schopferische Gestaltung eines Rechtsverhalt
nisses kraft Selbstbestimmung, kommt in dies en Einordnungen jedoch nicht
zur Geltung. Die Verselbstandigung der Lehre yom Rechtsgeschaft mag dazu
dienen, die Eigenart und Eigenstandigkeit der Lehre von der Privatauto
nomie klarer hervortreten zu lassen. Die Bedeutung der Lehre yom Rechts
geschaft als des Kernstucks des Allgemeinen Teils des Burgerlichen Rechts
rechtfertigt es zugleich, von cler Bearbeitung des Allgemeinen Teils zunachst
die Lehre yom Rechtsgeschaft vorzulegen.
Die Lehre yom Rechtsgeschaft, wie sie in dies em Buche behandelt wird,
hat zum Inhalt die systematische Darstellung der Grundregeln der Privat
autonomie nach geltendem Recht. So eindringlich auch Einzelfragen nach
gegangen wird und obwohl mancher Leser vielleicht meinen wird, einer An
zahl von Monographien gegenuberzustehen, enthalt das Buch doch nur
Variationen uber das eine groge Thema der Privatautonomie, und die Be
handlung aller Einzelfragen ist auf dieses Thema ausgerichtet.
Die Lehre yom Rechtsgeschaft ist das Ergebnis einer geschichtlichen Ent
wick lung, und zwar insbesondere das Ergebnis der Entwicklung der letzten
200 Jahre. Als Ergebnis der geschichtlichen Entwicklung und in Fortsetzung
derselben wird die Lehre in dies em Buche behandelt. Damit steht das Buch
im Gegensatz zu einer verbreiteten Meinung. Das Selbstverstandnis von
Rechtslehre und Rechtspraxis ist heute, wenn man den literarischen Auge
rung en folgt, weithin derart, dag man sich in Antithese zur Vergangenheit
sieht. Die Vergangenheit wird dabei unter dem Stichwort des Positivismus
begriffen. Fur die Gegenwart behauptet man, dag sie im Gegensatz zu dem
vergangenen Positivismus, dem wissenschaftlichen und dem Gesetzespositi
vismus, wieder unmittelbar zum Rechtsgedanken sei. So migtraut man denn
VII
Vorwort zur ersten Auflage
auch der liberkommenen Rechtsgeschaftslehre als einer solchen des Positivis
mus und fordert statt ihrer einen Neubau.
Das vorliegende Buch versucht keinen "Neubau" der Lehre yom Rechts
geschaft, sondern beschrankt sich darauf, die liberkommene Lehre kritisch
zu liberprlifen und nach Kraften weiterzuflihren. Es handelt sich insofern urn
eine Arbeit der geschichtlichen Rechtswissenschaft. Sie legt, urn in den Worten
Savignys aus der Vorrede zu seinem System des heutigen Ramischen Rechts
zu sprechen, "darauf das hachste Gewicht, da~ der lebendige Zusammen
hang erkannt werde, welcher die Gegenwart an die Vergangenheit knlipft,
und ohne dessen Kenntnis wir von dem Rechtszustand der Gegenwart nur
die au~ere Erscheinung wahrnehmen, nicht das innere Wesen begreifen".
Der standige Umgang mit den Juristen des 19. Jahrhunderts und insbe
sondere den Verfassern des BGB mage den Leser des Buches allgemein dazu
flihren, diese Jurisprudenz als seine Tradition zu verstehen und zu respek
tieren. Diese Jurisprudenz ist ebenso unmittelbar zum Rechtsgedanken wie
unsere Zeit. Sehr Zu Unrecht meinen manche, da~ die Gegenwart jene
Jurisprudenz an Rechtsgesinnung libertrafe.
Die liberlieferte Lehre yom Rechtsgeschaft ist das Zeugnis einer hohen
Rechtskultur. Indem wir sie so verstehen, sollten wir an cler Lehre weiter
arbeiten.
Fraulein Referendarin Brigitte Keuk und Herrn Assessor Dr. Jakobs
habe ich flir vielfaltige Unterstlitzung bei den Korrekturen Zu danken.
Fraulein Keuk danke ich Ferner fUr die Anfertigung des Sachregisters.
Bonn, im Dezember 1964 WERNER FLUME
VIII
Inhalt
Kapitel I: Das Wesen der WillenserkHirung und des Rechtsgeschafts
§ 1 Die Privatautonomie 1
§ 2 Die Begriffe "Rechtsgeschaft" und "Willenserklarung" 23
§ 3 Das Rechtsgeschaft als Begriff des Privatrechts und das offentliche
Recht . 34
§ 4 Wille und Willenserklarung 45
§ 5 Der Akt der Willenserklarung . . 62
§ 6 Die Willenserklarung als Regelung . . 78
§ 7 Das Rechtsgeschaft und die nicht rechtsgeschaftliche Vereinbarung 81
§ 8 Die Lehre von den faktischen Vertragsverhaltnissen . 95
§ 9 Die Rechtshandlung . . . . . . . 104
§ 10 Das Rechtsgeschaft und das rechtlich relevante Verhalten 113
Kapitel II: Arten der Rechtsgeschafte
§ 11 Einzelne Arten der Rechtsgeschafte . 134
§ 12 Kausale und abstrakte Rechtsgeschafte . 152
Kapitel III: Die Vornahme des Rechtsgeschafts
§ 13 Die Geschaftsfahigkeit . . . 182
§ 14 Abgabe und Zugang der Willenserklarung 222
§ 15 Das formbediirftige Rechtsgeschaft 244
Kapitel IV
§ 16 Die Auslegung . 291
Kapitel V: Unzulassige Rechtsgeschafte
§ 17 Verbotswidrige Rechtsgeschafte 340
§ 18 Das sittenwidrige Rechtsgeschaft 363
Kapitel VI: Die Lehre von den Willensmangeln
1. Abschnitt
§ 19 Grundsatzliches zur Lehre von den Willensmangeln 398
2. Abschnitt
§ 20 Der geheime Vorbehalt, das Scheingeschaft und die Scherzerklarung 402
3. Abschnitt: Der Irrtum
§ 21 Grundziige der Irrtumsregelung des BGB. . . 415
§ 22 Die geschichtlichen Grundlagen der Irrtumsregelung des BGB . 435
§ 23 Der Erklarungsirrtum 449
§ 24 Der Eigenschaftsirrtum . 472
§ 25 Der Motivirrtum . . 491
§ 26 Der sogenannte Grundlagenirrtum und die Lehre von der Geschafts-
grundlage 494
IX
Inhalt
4. Abschnitt: Drohung und arglistige Tiuschung
§ 27 Grundsatzliches zu den Tatbestanden der Drohung und arglistigen
Tauschung 528
§ 28 Die Drohung 534
§ 29 Die arglistige Tauschung 541
Kapitel VII: Nichtigkeit und Anfechtbarkeit
§ 30 Die Nichtigkeit des Rechtsgeschafts 547
§ 31 Die Anfechtbarkeit 557
§ 32 Teilnichtigkeit und Konversion . 570
Kapitel VIII: Der Vertrag
§ 33 Der Vertrag in der Ordnung unseres Biirgerlichen Rechts 599
§ 34 Konsens und Dissens . 618
§ 35 Der Vertragsschlug durch Angebot und Annahme . 635
§ 36 Der Vertragsschlug durch kaufmannisches Bestatigungsschreiben 661
§ 37 Der Vertrag mit allgemeinen Geschaftsbedingungen 668
Kapitel IX: Bedingung und Zeitbestimmung
§ 38 Begriff und Arten der Bedingung und die Einordnung der Rechts-
figur der Bedingung in die Lehre Yom Rechtsgeschaft . 677
§ 39 Die Rechtsfolgen des bedingten Rechtsgeschafts vor Eintritt der Be-
dingung 700
§ 40 Eintritt und Ausfall der Bedingung 715
§ 41 Die Befristung . 729
§ 42 Die Rechtsstellung des Vorbehaltskaufers beim Kauf unter Eigen-
tumsvorbehalt . 731
Kapitel X: Stellvertretung und Vollmacht
1. Abschnitt: Die Stellvertretung
§ 43 Grundsatzliches zur Rechtsfigur der Stellvertretung 749
§ 44 Das Handeln in fremdem Namen . 763
§ 45 Die Vertretungsmacht 780
§ 46 Vertretergeschaft, Vertreter und Vertretener 793
§ 47 Vertretung ohne Vertretungsmacht . 798
§ 48 Das Insichgeschaft, Selbstkontrahieren und Mehrvertretung 809
2. Abschnitt: Die Vollmacht
§ 49 Die Vollmachtserteilung .. . . . . .. 822
§ 50 Die Vollmacht und das ihr zugrunde liegende Rechtsverhaltnis 839
§ 51 Das Erloschen der Vollmacht . . . 845
§ 52 Die Bevollmachtigung und das Vertretergeschaft 859
§ 53 Die unwiderrufliche Vollmacht 876
Kapitel XI: Die Zustimmung
§ 54 Die Rechtsfigur der Zustimmung im Sinne der §§ 182 ff. 885
§ 55 Die Einwilligung . 896
§ 56 Die Genehmigung . 898
§ 57 Die zustimmungsbediirftige Verfiigung 901
§ 58 Die Heilung (Konvaleszenz) der Verfiigung des Nichtberechtigten
durch nachtraglichen Rechtserwerb 915
Inhaltsiibersicht . 918
Sachregister 933
Entscheidungsregister 972
X
Kapitel I
Das Wesen der WillenserkHirung
und des Rechtsgeschafts *
§ 1 Die Privatautonomie
1. Die Privatautonomie als Prinzip unserer Rechtsordnung
Privatautonomie nennt man das Prinzip der Selbstgestaltung der Rechts
verhaltnisse durch den einzelnen nach seinem Willen. Die Privatautonomie
ist ein Teil des allgemeinen Prinzips der Selbstbestimmung des Menschen.
Dieses Prinzip ist nach dem Grundgesetz als ein der Rechtsordnung vor
gegebener und in ihr zu verwirklichender Wert durch die Grundrechte
anerkannt 1.
In den einzelnen Rechtsordnungen wird das Prinzip der Privatauto
nomie'in verschiedenem Umfange verwirklicht. Auch in der geschichtlichen
Entwicklung jeder Rechtsordnung hat der Grundsatz der Privatautonomie
eine unterschiedliche Geltung. Es gibt keine Rechtsordnung ohne Privat
autonomie. In einer sozialistischen Ordnung ist allerdings die Privatauto
nomie auf einen engen Raum beschrankt. Denn soweit es keine privaten
Rechtsverhaltnisse gibt, besteht auch keine Moglichkeit der einzelnen zur
Rechtsgestaltung in Selbstb'estimmung.
2. Privatautonomie und Rechtsordnung
Die Privatautonomie erfordert begrifIlich die Rechtsordnung als Kor
relat. Es konnen von dem einzelnen nur Rechtsverhaltnisse gestaltet wer-
':. Vgl. FLUME, Rechtsgeschaft und Privatautonomie, Festschr. Deutscher Juristen
tag (1960) I S. 135 ff.; MERZ, Privatautonomie heute - Grundsatz und Rechts
wirklichkeit, 1970, u. S. 1 N. 1 Zit.; MANFRED WOLF, Rechtsgeschaftliche Entschei
dungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, u. Zit.
1 Diese Wertung der Privatautonomie und der Vertragsfreiheit als eines Teiles
derselben gilt allgemein fur die westliche Welt. Vgl. z. B. OFTINGER, Die Vertrags
freiheit, Die Freiheit des Burgers im Schweiz. Recht, 1948, S. 315 ff.; KESSLER, Fest
schr. M. Wolff, 1952, S. 67 ff., 71.
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