Table Of ContentDEUTSCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN
SCHRIFTEN DER SEKTION FÜR ALTERTUMSWISSENSCHAFT
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ALEXANDER DER GROSSE
IN DEN OFFENBARUNGEN DER GRIECHEN,
JUDEN, MOHAMMEDANER UND CHRISTEN
VON
FRIEDRICH PFISTER
1956
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN
Gutachter dieses Bandes :
Johannes Irmscher und Siegfried Morenz
Redaktor der Reihe: Johannes Irmscher
Redaktoren dieses Bandes: Bruno Doer und Gisela Lange
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, Berlin W 8, Mohrenstraße 39
Lizenz-Nr. 202 • 100/280/56
Gesamtherstellung: IV/2/14-VEB Werkdruck Gräfenhainichen-556
Bestell- und Verlagsnummer: 2067/3
Printed in Germany
Inhalt
I. Das weltliche und das religiöse Bildnis Alexanders . . 5
II. Antike Prophezeiungen über Alezander 10
III. Alexanders Heiligung durch das ägyptische Judentum 24
IV. Die Alexanderlegende in der Welt des Orients . . .. 36
V. Alexander in der christlichen Geschichtsschreibung und
Apokalyptik 41
VI. Das Mittelalter und der Makedonenkönig 45
VII. Schlußbetrachtungen 51
I. Das weltliche und das religiöse Bildnis Alexanders
In der gesamten Weltliteratur gibt es keine geschichtliche Persönlich-
keit, die die gleiche bedeutsame Rolle spielt und die so oft und so vielgestal-
tig in Geschichtsbüchern, Epen, Romanen und Legenden, in Liedern und
dramatischen Dichtungen, in frommen Erbauungsbüchern und in prophe-
tischen Offenbarungen dargestellt wurde wie Alexander der Große. Räum-
lich umfaßt der Bereich dieser Literatur das ganze Gebiet von Island bis zur
Wüste Sahara und bis Äthiopien und von Spanien bis nach China und den
Sunda-Inseln, und in rund 35 Sprachen dieses Gebietes wurde von ihm,
mündlich und literarisch, erzählt, zum Teil in Dichtungen, die zu den Kost-
barkeiten der Weltliteratur gehören, zum Teil in anspruchslosen, aber um
so mehr gelesenen Volksbüchern. Und zeitlich erstreckt sich dieses litera-
rische Leben von den griechischen Historikern, die zu Lebzeiten des Make-
donenkönigs schrieben, bis zur jüngsten Gegenwart, in der neue geschicht-
liche Darstellungen, neue Alexanderromane und -dramen verfaßt werden:
also durch 23 Jahrhunderte. Aber nicht nur die Neugestaltung der Über-
lieferung wurde von jeder Gegenwart aufs neue gegeben, auch der Inhalt
dieser vielgestaltigen Formung änderte und bereicherte sich. Das Bild des
Helden wurde in größter Mannigfaltigkeit gezeichnet, oft kaum mehr dem
Urbild vergleichbar.
Schon die ältesten Historiker weichen in der Auffassung des Königs von-
einander ab, später werden die Bilder, die man von ihm entwirft, immer
variabler: Bald ist Alexander der kriegerische Feldherr und Welteroberer,
bald der grausame Tyrann und Räuber, die Gottesgeißel, bald der gerechte
König und Richter und der Philosoph auf dem Thron; er hat viel Wunder-
bares erlebt und gesehen und unbekannte ferne Länder entdeckt, ja sogar
das Land der Seligen betreten, den Lebensquell aufgefunden und den Weg
zum Paradies gesucht, d. h. er hat auch Abenteuer erlebt, die früher von an-
dern Helden erzählt und nun auf ihn übertragen wurden, und er hat selbst
in Briefen davon berichtet. An den Enden der Welt hatte er Altäre und
Dieser Aufsatz beruht auf einem Vortrag, den ich im Dezember 1954 in
der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin und an der Universität
in Greifswald gehalten habe.
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Bildsäulen erbaut und viele Städte hatte er gegründet. Dann ist er wieder-
um der Prophet der wahren Religion und der Träger göttlicher Offen-
barungen, eine handelnde Person in Apokalypsen, der Zerstörer fremder
Heiligtümer, der Missionar guter Gesittung, der Verfasser moralischer und
lehrhafter Schriften, auch der Verkünder astrologischer und alchemistischer
Weisheit. In manchen dieser Alexanderbilder spiegelt sich der Charakter
und die Vorstellungswelt des Volkes wider, in dem es entstanden ist und
für das es geschaffen wurde. Und dort, wo der Schöpfer des Bildes uns ge-
nauer bekannt ist, was freilich erst in der Neuzeit der Fall ist, sieht man, wie
es häufig den persönlichen Stempel seines Urhebers trägt, wie etwa in den
neueren Werken von BELOCH, BENGTSON, BERVE, KAERST, SCHACHER-
MEYR, TARN, WILCKEN, BIRT — und KLAUS MANN.
Auch das Publikum, das zu diesen Bildern sich immer wieder hingezogen
fühlte, war nicht nur nach Nationalität, Rasse und Religion, sondern auch
innerhalb eines Volkes nach der sozialen Schichtung durchaus verschieden :
Es hat Alexanderbücher gegeben, die sich nur an Gelehrte wandten, aber
auch Volksbücher und fromme Erbauungsschriften, die von ihm für die brei-
ten Massen erzählten. In Baktrien und Turkestan führten vornehme Fami-
lien ihren Stammbaum auf ihn zurück, wie im abendländischen Mittelalter
ja auch deutsche Stämme von den Makedonen abzustammen sich rühmten.
Und die Reihe der Heerführer und Könige reißt nicht ab, die sich Alexander
als Muster und Vorbild wählten, von Pompeius und Cäsar bis zu Mohamed II.,
dem Eroberer Konstantinopels1), und zur Christine von Schweden, Gustav
Adolfs Tochter, die ihre Briefe mit Christina Alexandra zu unterschreiben
pflegte, weil sie voll Bewunderung den griechischen Staatsmann und Feld-
herrn, dem sie selbst eine Darstellung widmete, zu ihrem Namenspatron er-
wählt hatte2). Und andererseits: Ein Reisender des 17. Jahrhunderts hörte
in Bombay von den Parsen, den Anhängern der ursprünglichen Religion
Zarathustras, nur Schmähungen und Flüche, da er ihre heiligen Bücher ver-
brannt habe3); so lange war hier der Haß gegen den Eroberer lebendig ge-
blieben. Und schließlich, als Napoleon angesichts der Pyramiden kämpfte,
flog das Gerücht durch die Hütten der Beduinen, der Dulkarnein, der Zwei-
gehörnte, Alexander, von dem der Koran erzählt, sei wiedergekehrt.
FR. PFISTER, Wochenschr. f. kl. Philol. 1911, 1152£f.
2) JOH. A. ABCKENHOLTZ, Historische Merkwürdigkeiten die Königin Chri-
stina von Schweden betreffend II (Leipzig 1752), im Anhang S. 133—158. Das
andere Werk (Mémoires de la Reine Christine, Leipzig 1751 — 60) ist mir un-
zugänglich.
') CHARDIN, Voyages en Perse et autres lieux de l'Orient, nouv. éd. par
L. LANGLÈS, Tome VIII (Paris 1811) 377 f; J. D ARMESTETER, Essais orientaux,
Paris 1883, 227ff. Dieser alexanderfeindlichen Überlieferung steht die andere
der Perser gegenüber, wonach der König ihre heiligen Schriften abschreiben
ließ; BIDEZ-CUMONT, Les mages hellénisés, Paris 1938, I 88; II 137f.
Weltliches und religiöses Bildnis Alexanders 7
Gewiß wird in quantitativer Hinsicht — was nämlich die Masse der
Schriften, ihre Verbreitung in alle Sprachen der Erde und ihre Popularität
anlangt — Alexander übertroffen durch einige alt- und neutestamentliche
Personen wie Adam und Eva, Moses, Christus, Maria und einige Apostel.
Aber da die Überlieferung über diese Personen in ihrem Grundriß kanonisch
und dogmatisch fest bestimmt ist, wenn es daneben auch noch apokryphe
Berichte gibt, so ist das literarische Porträt des Makedonenkönigs ungleich
wechselvoller als das der biblischen Personen.
Fragt man nach dem Grund dieser einzigartigen Erscheinung, so ist man
vielleicht geneigt zu sagen : Die Wirkung Alexanders in der Nachwelt und ins-
besondere in der Literatur aller Zeiten und Völker sei ja nur die Antwort auf
seine Wirkung in der Geschichte — in der Tat, seine historische Wirkung ist
so augenfällig, daß man mit Alexander d. Gr. eine neue Epoche der Weltge-
schichte beginnt —, und diese tatsächliche Bedeutung und Wirkung könnte ihren
Niederschlag in der weltweiten Erinnerung der Menschheit gefunden haben.
Man beginnt aber an der Richtigkeit dieser Annahme zu zweifeln, wenn
man folgendes bedenkt : Es war ja überhaupt nicht das geschichtliche Bild
Alexanders, das über Raum und Zeit hinweg wirkte ; denn das war über ein
Jahrtausend lang verschüttet, und wir können noch deutlich erkennen, wie
erst allmählich seine Auferstehung aus dem Schutt der historischen Über-
lieferung erfolgte. Der König hatte bereits zu Lebzeiten hervorragende Ge-
schichtsschreiber seiner Taten gefunden, die, gestützt auf das Alexander-
archiv und ihre eigene Teilnahme an den gewaltigen Geschehnissen, ihre
Werke zum Teil noch unter den Augen ihres Herrn, zum Teil bald nach
seinem Tod veröffentlichten. Aber sie alle und auch die in den folgenden
drei Jahrhunderten erschienenen Darstellungen der Alexandergeschichte sind
verlorengegangen. Erhalten blieben ja nur fünf Geschichtswerke aus der
römischen Kaiserzeit und von diesen haben drei, weil in griechischer Sprache
verfaßt, im Abendland ein Jahrtausend lang geschwiegen. Und nur Curtius
und Iustinus, d. h. die schlechtere Überlieferung, blieb hier bekannt, und
noch mehr als diese wirkten die romanhaften Darstellungen des Julius Va-
lerius und des Archipresbyters Leo. So wurde das geschichtliche Bild Alex-
anders erst seit der Zeit der Renaissance allmählich wieder ans Licht ge-
zogen: Petrarca hat in seinem Werk De viris illustribus auch eine Alexander-
biographie1) aufgenommen, die einzige, die hier einem Griechen gewidmet
ist. Im 15. Jahrhundert schrieb der Portugiese Vasco da Lucena2) in fran-
1) C. E. CH. SCHNEIDER, Francisci Petrarehae De viris illustribus II, Progr.
Breslau 1831.
2) Nur in Bruchstücken ediert; von der illustrierten Handschrift in Genf
(H. AUBERT, Bibl. de l'école des Chartes 70, 1909, 495S.) besitze ich durch die
Güte der Bibliothek Warburg photographische Proben. JACOBS und UKERT,
Beiträge zur älteren Literatur I, Leipzig 1835, 371 ff.
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zösischer Sprache eine Alexandergeschichte für Karl den Kühnen und ein
paar Jahrzehnte später gab Raphael von Volterra in seinen Commentariis
TJrbanis auch eine kurze Alexandergeschichte, die Melanchthon für würdig
hielt, daß er sie seiner Neuausgabe der Ursberger Chronik (1540) einverleibte.
In der Humanistenzeit wurde auch zum erstenmal die Alexandergeschichte
des Arrian ins Lateinische übersetzt, durch P. P. Vergerius, den Schüler des
Chrysoloras, für Kaiser Sigismund und durch B. Facius für Alfons den
Großmütigen, König von Neapel und Sizilien. Und um dieselbe Zeit wurde
der Grund der modernen Geschichtswissenschaft durch Machiavelli, Guic-
ciardini u. a. gelegt. Aber im Mittelalter, wo gerade am meisten über Alex-
ander geschrieben wurde, war es das romanhafte Bild, das in der Literatur
herrschte, und zwar in gleicher Weise in beiden der damaligen Weltsprachen,
im Lateinischen wie im Arabischen, zu denen dann zur Zeit der Kreuzzüge
zunächst das Französische und Deutsche mit größeren Alexanderdichtungen
traten. Von der wirklichen Bedeutung Alexanders wußte man kaum etwas.
Also nicht die geschichtliche Persönlichkeit trat zuerst ins Bewußtsein der
Nachantike, sondern der Held des Romans und der Legende. So kann es
also nicht die geschichtliche Wirkung und Bedeutung des Königs sein, die
das Wunder seines literarischen Nachlebens schuf.
Nun könnte man etwa vermuten, in dem festen (aber falschen) Glauben,
daß auch auf dem Gebiet des Geistigen nur von einer starken und kraft-
geladenen Ursache eine große Wirkung ausgehen könne, man könnte ver-
muten, daß am Anfang der reichen Alexanderüberlieferung, wenn sie auch
romanhaft und legendarisch sei, doch ein imposantes Werk stünde, das im
Osten und Westen durch die vielen Jahrhunderte gewirkt habe. Auch das
ist leider nicht richtig: Denn am Anfang steht als Urgrund der meisten
Alexanderdarstellungen der Weltliteratur ein literarisches Produkt, das zwar
unerhört wirkungsvoll in der Folgezeit wurde, in seinem eigenen Bestand je-
doch ein überaus dürftiges Machwerk ist: Der griechische Alexanderroman.
Dieser Roman läßt es als ganz besonders merkwürdig erscheinen, daß sein
Held immer wieder—auch von großen Dichtern des Orientsund Occidents—
besungen wurde; in ihm hat eine schwächliche Ursache ungeheure Wirkun-
gen hervorgebracht: Weil die Resonanzfähigkeit der Zeiten und Völker so
überaus stark war. — So stehen wir immer noch vor der ungelösten Frage,
warum diese Wirkung erfolgte, warum die Überlieferung von Alexander
immer wieder diese Resonanz fand, und zwar auch bei Völkern, deren Vor-
fahren niemals mit dem Makedonenkönig in Berührung gekommen waren,
die keinen kulturgeschichtlichen Zusammenhang mit ihm und der Antike über-
haupt hatten, die sogar erst nach vielen Jahrhunderten oder wie die Malaien
auf Java erst zweitausend Jahre nach seinem Tod von Alexander hörten.
Wir können in der gesamten, sei es historischen, sei es roman- und sagen-
haften Überlieferung über Alexander zweierlei Arten von Traditionsgut
Weltliches und religiöses Bildnis Alexanders 9
unterscheiden: Nämlich (einfach und grob ausgedrückt) eine profane und
eine religiöse Überlieferung. Jede hat ihren eigenen Ursprung und ihre eigene
Geschichte; aber immer wieder vereinigen sich beide Ströme und reißen ein-
ander vorwärts. Nun kann man, glaube ich, zeigen, daß nicht die profane
Überlieferung, die Historiker und der Roman, es waren, die allein für sich so
bedeutungsvoll in der Weltliteratur wirkten, sondern daß die religiöse
Überlieferung, die Einbeziehung Alexanders in die heiligen Schriften und
in die Apokalyptik, kurz gesagt, — wir werden es noch genauer erklären
können — die „Heiligung" Alexanders es war, die sein Nachleben in der
Literatur des Orients und Occidents trug und sicherte. Religiöse Kräfte
waren es, die ihn auf den Flügeln der Offenbarung, der heiligen Überlieferung,
zu jenen Höhen eines weltweiten Nachruhms erhoben. Wir müssen sehen,
ob wir nicht hier die Erklärung für dieses erstaunliche Phänomen finden. Den
daß es „heilige" Personen waren, das war ja auch der Grund für die noch
größere Breite der Überlieferung, die den Personen, von denen wir oben
sprachen, geworden ist, und die hierin den Makedonenkönig übertrafen, den
immerhin noch viel „Profanes" beschwerte.
So formuliert sich unser Problem: Welche Rolle spielt Alexander im Kreis
der religiösen Überlieferung und Offenbarung ?
Wir können genau das Jahr, ja sogar den Tag bestimmen, an dem Alex-
ander in den Kreis der Offenbarung eintrat: Anfang Februar des Jahres
331 v. Chr.; der König war damals 24 Jahre alt.