Table Of ContentFORSCHUNGSBERICHTE DES LANDES NORD RHEIN -WESTFALEN
Nr. 1075
Herausgegeben
im Auftrage des Ministerpräsidenten Dr. Franz Meyers
von Staatssekretär Professor Dr. h. c. Dr. E. h. Leo Brandt
DK 711.13:338.924(43-316.2)
Dr. rer.pol. Paul Wiel
Rheinisch-Westfälisches Institutfür Wirtschaftsforschung, Essen
Agglomerations-
und Dezentralisationstendenzen
der nordrhein -westfälischen Wirtschaft
seit der Vorkriegszeit
WESTDEUTSCHER VERLAG· KÖLN UND OPLADEN· 1962
ISBN 978-3-663-00383-0 ISBN 978-3-663-02296-1 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-02296-1
Verlags-Nr.011075
© 1962. Westdeutscher Verlag, Köln und Opladen
Gesamtherstellung : Westdeutscher Verlag
Vorwort
Mit Fragen der Agglomeration haben sich Landesplanungsbehörden und andere
Stellen bereits vor dem Kriege eingehend beschäftigt, meistens im Sinne einer
Sanierung von »Ballungsgebieten«. Es ist jedoch erwiesen, daß Bezirke mit
starker Massierung von Industrien keineswegs immer ungesunde Strukturen be
sitzen. Infolge des Zustromes von Millionen von Flüchtlingen nach 1945 haben
die Probleme erheblich an Bedeutung gewonnen. In dieser Lage dürfte eine
Untersuchung über die Zu- oder Abnahme industrieller Agglomerationen in den
letzten 20 Jahren von Interesse sein.
Der Durchführung einer derartigen Arbeit stehen mancherlei Schwierigkeiten ent
gegen. Regelmäßig erscheinendes, nach Branchen aufgegliedertes Zahlenmaterial
für kleine Bezirke, das auch Vergleiche mit der Vorkriegszeit (1938) erlaubt,
liefert nur die Arbeitsamtsverwaltung. Die Auswertung dieses Materials erfor
dert jedoch umfangreiche Rechnungen, Aussonderungen oder Zusammenfas
sungen, weil die Grenzen vieler Arbeitsamtsbezirke nach 1945 geändert wurden
und in der Vor- und Nachkriegszeit nicht der gleiche Personenkreis erfaßt ist.
Für einige Bezirke war eine Bereinigung unmöglich. Sie konnten daher in dieser
Untersuchung nicht berücksichtigt werden. Jedoch wurden insgesamt rd. 97 v. H.
aller unselbständig Beschäftigten in Landwirtschaft, Industrie, Handwerk und
Handel Nordrhein-Westfalens im Jahre 1960 erfaßt. Bei einigen Gebieten blieben
kleine räumliche Inkongruenzen, die jedoch die Vergleichbarkeit der Zahlen
nur belanglos stören.
Ein Nachteil des Zahlenmaterials der Arbeitsämter liegt darin, daß die Beschäf
tigten nach ihrem Wohnort und nicht nach dem Standort der Betriebe gezählt
werden. Der Anteil der Pendler an den Belegschaften ist jedoch im allgemeinen
nicht so groß, daß die Repräsentation der Statistik gestört wird, und zwar in
dieser Untersuchung um so weniger, als in der Regel mehrere Arbeitsamtsbe
zirke zu einem Wirtschaftsgebiet zusammengefaßt werden. Je größer ein Raum,
um so geringer ist aber in der Regel der Anteil der Pendler an der Zahl der
Beschäftigten.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem ganzen Lande Nordrhein-West
falen. Jedoch liegt das Schwergewicht der Untersuchung in mancher Beziehung
auf dem Ruhrgebiet, zumal das Revier bei weitem das bedeutendste Agglomera
tionsgebiet des Landes ist.
Essen, den 31. August 1961
Rheinisch-Westfälisches Institut
für Wirtschaftsforschung
Der Präsident
PROFESSOR DR. WESSELS
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Inhalt
1. Agglomerations- und Deglomerationsfaktoren - Begriff und Arten .... 9
H. Entwicklungen der Nachkriegszeit und ihre Bedeutung für Agglomera
tions- und Deglomerationsvorgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 13
1. Bevölkerung ..................................................... 13
2. Energiewirtschaft und Verbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 15
3. Rationalisierung .................................................. 17
4. Verkehr ......................................................... 19
5. Wirtschafts-und Sozialpolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 20
6. Veränderungen der Produktionsstruktur der Industrie ................. 21
In. Die Entwicklung in Nordrhein-Westfalen seit der Vorkriegszeit....... 25
1. Bevölkerung und Beschäftigung .................................... 25
2. Bergbau und Energie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 32
3. Die Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 35
4. Die einzelnen Wirtschaftsgebiete .................................... 44
IV. Zusammenfassung und Ergebnisse.................................. 49
Anhang ................................................................ 52
1. Einteilung des Landes Nordrhein-Westfalen nach Wirtschaftsgebieten . . .. 52
2. Statistik ......................................................... 57
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1. Agglomerations- und Deglomerationsfaktoren
Agglomerationen im Sinne dieser Untersuchung sind alle Arten räumlicher
Massierung von Industrien, sei es daß sie durch Vergrößerung vorhandener oder
durch Errichtung neuer Betriebe neben schon bestehenden entstanden sind. Eine
Deglomeration liegt dagegen vor, wenn die einzelnen Unternehmen in einer be
stimmten Gegend weit verstreut sind.
Die Wirtschafts theorie sieht das Problem zum Teil enger; ALFRED WEBER be
rücksichtigt in seinem Werk» Über den Standort der Industrie«1 nur »notwen
dige« Agglomerationen. Das sind solche, bei denen das Nebeneinander von Be
trieben selbst eine Kostenverringerung mit sich bringt. Die überaus wichtigen
Massierungen als Folge einer günstigen Verkehrs lage oder des Vorkommens von
Bodenschätzen u. a. sind im Rahmen seiner Theorie systemfremd und werden
daher als »zufällig« aus den Betrachtungen ausgeschlossen.
Nach der Entstehung und dem Inhalt von Agglomerationen kann man verschie
dene Arten unterscheiden:
1. »Notwendige« und »zufällige« Agglomerationen im Sinne von ALFRED
WEBER,
2. Agglomerationen gleichartiger Industrien und komplexe Agglomerationen.
Agglomerationen gleichartiger Gewerbe in reiner Form kommen nur selten vor,
besonders nicht in entwickelten Industrieländern. Fast immer entstehen neben
der Hauptindustrie Hilfsbetriebe und Nebenbetriebe, so daß sich ein Komplex
verschiedener Produktionen bildet. Es gibt jedoch viele Agglomerationen, die
sich auf einen einzigen Entstehungsgrund zurückführen lassen, oder bei denen
dieser alle anderen Ursachen überschattet.
ALFRED WEBER erfaßt infolge der Beschränkung seiner Theorie auf» notwendige«
Agglomerationen nur einen Teil der Wirtschaftswirklichkeit. Bei den »zufälligen«
Massierungen handelt es sich oft um viel bedeutendere Erscheinungen als bei den
erstgenannten. Zudem führen Faktoren, die der Theorie nach die Entstehung
»notwendiger« Agglomerationen zur Folge haben, keineswegs immer zu solchen.
Die technische und wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat die
Bedeutung mancher Voraussetzungen, von denen WEBER ausging, mehr oder
weniger abgeschwächt. Die innere Logik »zufälliger« Agglomerationen ist heute
oft zwingender als die der »notwendigen «.
Die Voraussetzungen, die zu »zufälligen« Massierungen an bestimmten Orten
führen, sind in der Regel identisch mit Standortsfaktoren der dort ansässigen Haupt
gewerbe. Agglomerationen entstehen dann, wenn mehrere Industrien den gleichen
Standortsvorteil nutzen.
1 Tübingen, 1. Auflage 1909, 2. Auflage 1922.
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Es ist einleuchtend, daß wirtschaftlich denkende Unternehmer, für deren Betrieb
Transportkosten eine entscheidende Rolle spielen, einen Standort anstreben, an dem
diese am geringsten sind. Liegen keine Deviationsgründe vor (etwa Überlegungen
der Arbeitsökonomie), so werden alle Betriebe, die das gleiche erzeugen, nach
diesem tendieren. Besonders Industrien, die »Gewichtsverlustmaterialien«2 verar
beiten, drängen nach dem gemeinsamen transportgünstigen Standort.
Das weitaus wichtigste» Gewichtsverlustmaterial« sind Brennstoffe. Bei der wirt
schaftlichen Verwertung geht nichts von dem Gewicht in das Produkt ein. Es ist
daher sinnvoll, sie am Ort ihres Vorkommens zu verwenden, um Transporte zu
vermeiden. Industrien mit einem sehr hohen Kohlenverbrauch, wie Hütten- und
Kraftwerke, agglomerieren infolgedessen in Zechengebieten.
In ähnlicher Weise wie Gewichtsverlustmaterialien wirken »Grobmaterialien«2,
d. h. Rohstoffe, bei denen nur ein Teil des Gewichts in die Produkte eingeht.
Hütten, die arme Mineralien verarbeiten, werden bei den Eisenbergwerken er
richtet, wenn die Heranführung von Koks billiger ist als der Versand gering
wertiger Erze in die Kohlengebiete.
Falls mehrere Standortsfaktoren wirksam werden, etwa weil für eine Produktion
nicht nur ein einziges Gewichtsverlust- oder Grobmaterial erforderlich ist, er
langen die vorhandenen Verkehrsgegebenheiten erhebliche Bedeutung. Für In
dustrien, die Gewichtsverlustmaterial verarbeiten oder Schwergüter erzeugen
(auch sperrige Güter), spielen die Art des Verkehrsweges - Wasserstraße, Schiene
oder Landstraße - und die Frachttarife eine große Rolle.
Ein wichtiger Standortsfaktor kann ferner die Arbeitsorientierung sein, die sich vor
allem bei arbeitsintensiven weiterverarbeitenden Gewerben findet. Industriege
biete entwickeln zudem oft ein fachliches» Milieu«, das außerordentlich konser
vierend auf Agglomerationen wirkt. »Industrien fühlen sich am wohlsten in In
dustriegebieten«3. Es ist verständlich, daß ein gutes Verkehrssystem einer arbeits
orientierten Agglomeration entgegenwirkt und sie mildern kann.
Betriebe, die im Vergleich zum Wert ihrer Produktion viel Raum benötigen,
werden oft in Gebieten mit billigen Böden errichtet. WEBER meint, die Grund
stückskosten hätten für die Standortwahl von Industrien geringe Bedeutung, weil
sie »die Preisstellung« der Produkte »nur unwesentlich beeinflussen«4. Jedoch
spielen diese bei der Errichtung von Fabriken fast immer eine Rolle. So haben sich
z. B. in Nordrhein-Westfalen viele Betriebe, die große Flächen erfordern, auf dem
das rechte Rheinufer begleitenden Heidestreifen, der sich mit Unterbrechungen
vom Gebirgsrand bis zur holländischen Grenze erstreckt, niedergelassen.
Zu nachhaltigen Kostenfaktoren gehören die Aufwendungenjür Amortisation und
Zins. Über den Zins werden die Aufwendungen für Grundstückserwerb ebenfalls
zu solchen. In der Standortsliteratur spielen sie nur eine untergeordnete Rolle.
Seit man jedoch bewußt Raumpolitik betreibt, werden die Bereitstellung von
Kapital zu günstigen Bedingungen und die Gewährung von Garantien systema-
2 ALPRED WEBER, a. a. 0., S. 53.
3 IBARY, Ballung und Hinterland, Informationen, hg. vom Institut für Raumforschung,
Bad Godesberg, 1957, Nr. 6, S. 125.
4 ALPRED WEBER, a.a.O., S. 31.
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tisch benutzt, um Einfluß auf Agglomerationen zu nehmen. Auch Gemeinden
treiben in diesem Sinne Raumpolitik. In der Regel soll sie die Ansiedlung von Be
trieben in ihrem Gebiet fördern. Das geschieht im allgemeinen weniger durch
Bereitstellung von Krediten zu günstigen Bedingungen, als durch Anbieten von
billigen Grundstücken und zuweilen durch Gewährung von Bauzuschüssen oder
Gewerbesteuernachlaß. Auch die Gewerbesteuer selbst, bei der Hebesätze von 80
bis 500 v. H. (Gewerbekapital - und Gewerbeertragssteuer) vorkommen, stellt
einen Agglomerationsfaktor dar, der allerdings in der gesamten Erfolgsrechnung
kein großes Gewicht hat und daher für sich allein kaum je eine entscheidende
Bedeutung für die Wahl des Standortes neu zu errichtender Betriebe erlangt.
Neben Agglomerationen, die entstehen, weil mehrere Unternehmer den gleichen
Standortsvorteil wahrnehmen, sind solche zu nennen, die sich entwickeln, weil
die Agglomeration als solche Vorteile bringt. In erster Linie sind hier Vorteile der
Arbeitsteilung zu erwähnen, die durch das Nebeneinander von Hauptgewerbe,
Zulieferer-, Hilfs- und Reparaturbetrieben entstehen. Die Gründe, die zu einer
solchen Arbeitsteilung führen oder sie erhalten, können in Unterschieden der
Produktionstechnik liegen oder darin, daß ein Sonderbetrieb höchste Speziali
sierung erfordert, die im Hauptgewerbe ein betriebswirtschaftlicher Fremdkörper
wäre. Es kommt hinzu, daß manche Hilfsbetriebe nur dann wirklich ausgelastet
werden können, wenn sie selbständig sind und für mehrere Unternehmen arbeiten.
Zuweilen ist auch ein dauernder Erfahrungsaustausch zwischen den einzelnen
Produzenten erforderlich. Das räumliche Nebeneinander ergibt dann »Fühlungs
vorteile«, die die Entstehung von Agglomerationen fördern.
ALFRED WEBER weist ferner auf die Marktvorteile hin, die Agglomerationen mit
sich bringen, und zwar gilt das sowohl für den Einkauf als auch für den Absatz.
» Zusammenliegende Betriebe machen Ersparnisse dadurch, daß sich ein eigener
Markt für ihre Materialien entwickelt, von dem sie immer erst im Augenblick
des Bedarfs die Materialien in den benötigten Qualitäten und Quantitäten zu ent
nehmen brauchen. Auch beim Absatz bildet sich ein ähnlicher Markt ... Es ist
möglich, daß die ganze Absatzorganisation seitens der Fabrikanten gespart wird,
an Stelle des Reisenlassens von Seiten der Fabrikanten der Besuch und direkte
Einkauf von Seiten der Händler am Produktionsort tritt.«
Endlich weist WEBER auf die Vorteile hin, die sich in Agglomerationsgebieten aus
der» Senkung der Generalunkosten« ergeben. Gas, Wasserleitung, Straßenanlagen,
der gesamte» Generalapparat wird bei der hohen technischen Durchbildung und
volleren Ausnutzung, die er in Zentren geschäftlicher Agglomeration erfährt,
billiger für die Einzelunternehmung«5.
Falls Agglomerationen in Form von Großbetrieben in Erscheinung treten, ergeben
sich weitere Vorteile aus der Massierung der Produktion. Sehr oft haben solche
Betriebe geringere innerbetriebliche» Generalunkosten« ; weil jede einzelne Ein
richtung besser ausgenutzt werden kann und sich die Beschaffung von Appara
turen höchster Leistungsfähigkeit lohnt. Diese Erscheinung hängt auf das engste
zusammen mit dem Problem der Großendegression.
5 ALFRED WEBER, a.a.O., S. 127.
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Alle genannten Vorteile treten direkt oder indirekt in der Kostenrechnung in Er
scheinung. Aber es gibt auch Faktoren, die diese belasten und in ihren Auswir
kungen der Agglomerationskapazität eines Gebietes Grenzen setzen. ALFRED
WEBER nennt vor allem die Verteuerung des Bodens und das Ansteigen der »Ge
neralunkosten«. Die moderne Raumordnungswissenschaft spricht hier umfassen
der von sociaf costs, d. h. von Aufwendungen für Straßen, Verkehrsregelung, Ver
kehrseinrichtungen, Wasserversorgung, Abwässerungsbeseitigung, öffentliche
Beleuchtung, Schulen, Krankenhäuser, Sportplätze, Parks usw.
Alle Agglomerationen entwickeln sich entweder aus sich selbst heraus oder durch
Zuwanderung fremder Unternehmer. Das erstere ist besonders der Fall, wenn die
sie bestimmenden Gewerbe in Form von kleineren und mittleren Unternehmen
betrieben werden können; denn jeder Wirtschaftszweig bildet ständig Gründer
heran, d. h. tüchtige Angestellte, Meister und Arbeiter, die sich - gestützt auf ihr
Fachwissen und Können - selbständig machen. Wenn kein anderer zwingender
Grund vorliegt, errichten sie aber den Betrieb in der Nähe ihres Wohnortes. In
Agglomerationsgebieten nehmen sie damit - oft unbewußt - die für diese gel
tenden Standortsvorteile wahr. Wie die Wirtschaftsgeschichte zeigt, ist ein Agglo
merationsgebiet manchmal nur deshalb zu einem solchen geworden, weil bedeu
tende Gründer zufällig dort wohnten. Von außerhalb kommende Unternehmer,
die die standortlichen Vorteile eines Agglomerationsgebietes nutzen wollen,
finden sich relativ häufig in Produktionszweigen, die nur mit einem erheblichen
Kapitalaufwand betrieben werden können, weil für solchen Betrieb auch bei der
Wahl des Standortes der Rechenstift eine große Rolle spielt.
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11. Entwicklungen der Nachkriegszeit und ihre Bedeutung
für Agglomerations- und Deglomerationsvorgänge
Seit der Vorkriegszeit haben sich viele Gegebenheiten, die die Entstehung oder
Entwicklung von Agglomerationen beeinflussen können, stark geändert. Das gilt
sowohl für Produktionsfaktoren, als auch für die Anforderungen der Produktion
an diese. So hat sich z. B. die Bevölkerung stark vermehrt, aber der spezifische
Arbeitsbedarf infolge von Rationalisierungen vermindert.
1. Bevölkerung
Von 1939 bis 1960 nahm die Bevölkerung im Gebiet des heutigen Landes N ord
rhein-Westfalen um 31,8 v. H. zu, und zwar von 11,9 Mill. auf 15,7 Mill. Das
Wachstum war geringer als in der übrigen Bundesrepublik (34,3 v. H.). Von der
Gesamtzunahme entfielen 68 v. H. auf Flüchtlinge aus dem deutschen Osten und
anderen sowjetischen Gebieten. Einige Städte des Landes Nordrhein-Westfalen
hätten ohne Heimatvertriebene eine Abnahme zu verzeichnen gehabt.
Gleichzeitig mit der Zunahme der Bevölkerung änderte sich die Alterspyramide
durchgreifend. Die Struktur von 1939 war im wesentlichen das Ergebnis des
ersten Weltkrieges. Seine Auswirkungen zeigten sich vor allem an den Alters
klassen zwischen 40 und 65 Jahren in Form eines starken Frauenüberschusses,
sowie als Folge der niedrigen Geburtenraten von 1915 bis 1919 in den geringen
Zahlen der 20- bis 25jährigen. Fünfzehn Jahre nach dem Zusammenbruch von
1945 erstreckte sich der Frauenüberschuß auf alle Altersklassen über 30 Jahre.
1958 betrug er bei den 30- bis 65jährigen, d. h. denjenigen die das Sozialprodukt
im wesentlichen erstellen, 25 v. H. (Bundesgebiet), gegenüber 10 v. H. im Jahre
1939 (Reichsgebiet). In allen jüngeren Jahrgängen war dagegen das weibliche
Geschlecht schwächer vertreten als das männliche, und zwar betrug der Unter
schied 6,2 v. H.
Der große Frauenüberschuß nach dem Kriege hatte eine starke Zunahme weib
licher Arbeitskräfte zur Folge. Dazu kam noch der überall zu erkennende Zug zu
vermehrter Erwerbstätigkeit, und zwar nicht nur dadurch, daß der Beruf »Tochter
des Hauses« selten wurde, sondern auch weil viel mehr verheiratete Frauen nach der
Eheschließung länger an ihrem Arbeitsplatz blieben als früher. In Nordrhein
Westfalen wuchs der Anteil der Frauen an der Zahl der beschäftigten Arbeitneh
mer in Produktionswirtschaft und Handel von 19,9 v.H. im Jahre 1938 auf
27,6 v. H. bis 1960 an. Insgesamt nahm ihre Zahl in dem genannten Bereich um
135 v.H. zu, die der Männer dagegen um 55 v.H. (Zunahme der Bevölkerung
32v. H.; s. oben).
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