Table Of ContentMichael Florian· Frank Hillebrandt (Hrsg.)
Adaption und Lernen von und in Organisationen
Michael Florian· Frank Hillebrandt (Hrsg.)
Adaption und
Lernen von und in
Organ isationen
Beitrage aus der Sozionik
VS VERLAG FOR SOZIALWISSENSCHAFTEN
-
+ III
VS VERLAG FOR SOZIALWISSENSCHAFTEN
VS verlag fOr Sozialwissenschaften
Entstanden mit Beginn des Jahres 2004 aus den beiden Hausern
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1. Auflage August 2004
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© VS verlag fOr Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2004
Lektorat: Frank Engelhardt I Nadine Kinne
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Umschlaggestaltung: KOnkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg
ISBN-13: 978-3-531-14164-0 e-lSBN-13: 978-3-322-80530-0
DOl: 10.1007/978-3-322-80530-0
Inhalt
Michael Florian und Frank Hillebrandt
Einfiihrung: Sozionische Beitrage zu Adaption und Lemen von und in
Organisationen ..................................................................................................... 7
Soziologie
Tanja Kopp-Malek
Ober das Lemen in und von Organisationen: Einblicke in Diskussionen
zum Forschungsfeld "organisationales Lemen" ................................................ 23
Kai Paetow
Systemevolution und Lemen in der Organisation .............................................. 41
Michael Florian und Bettina Fley
Organisationales Lemen als soziale Praxis. Der Beitrag von Pierre
Bourdieu zum Lemen und Wissen von und in Organisationen .......................... 69
Verteilte Kiinstliche Intelligenz
IngoJ. Timm
"Selbstlemprozesse" in der Agentenkommunikation ....................................... 103
Michael Schillo, Tore Knabe und Klaus Fischer
Autonomy Comes at a Price: Performance and Robustness of
Multiagent Organizations ................................................................................. 127
Franziska Kliigl
Simulation von Selbstorganisation und Evolution in Multiagentensystemen .. 141
Sozionik und Sozialsimulation
Petra Ahrweiler, Andreas Pyka und Nigel Gilbert
Die Simulation von Lemen in Innovationsnetzwerken .................................... 165
Frank Hillebrandt, Daniela Spresny und Matthias Hambsch
Sozialsimulation, Gabentausch und soziales Lemen. Konzeptionelle
Uberlegungen aus der Sozionik ....................................................................... 187
Glossar computerwissenschaftlicher Begriffe ................................................. 229
Hinweise zu den Herausgebem, Autorinnen und Autoren ............................... 234
Einfiihrung:
Sozionische Beitrage zu Adaption und Lernen von und in
Organisationen
Michael Florian und Frank Hillebrandt
Die Fahigkeit, sich moglichst schnell an stetig wandelnde Anforderungen und
an sich offenbar immer dynamischer verandemde Umfeldbedingungen anzupas
sen, wird heute als eine grundlegende V oraussetzung darur gesehen, dass
Organisationen auf Dauer ihren Fortbestand sichem konnen. Meist werden
Adaption und Lemen als zwei unterscheidbare Modi der Veranderung von
Organisationen in Relation zu ihren auf3eren und inneren Umwelten gesehen.
Der Adaptionsbegriff wird dabei rur blof3e (eher defensiv angelegte) Verande
rungsprozesse und Anpassungsleistungen benutzt, die kein tiefer greifendes
Wissen und Verstandnis dariiber enthalten, wie und warum eine Anderung
stattgefunden hat, wieso diese Veranderung iiberhaupt eine Verbesserung del'
Umweltbeziehungen im Sinne bestimmter Erfolgskriterien bedeutet und auf
welche Weise vorgenommene Modifikationen gegebenenfalls wiederholt oder
auch zuriickgenommen werden konnen. Ein emphatischer Lembegriff dagegen
bindet Veranderungen grundsatzlich an einen (zumeist auch intentional)
nachvollziehbaren Zugewinn an Wissen, Verstandnis und Kompetenzen als
Grundlage darur, dass die verbesserten Aktionschancen zu einer entsprechend
geanderten Verhaltensweise ruhren. Adaption kann aus dieser Sicht auch ohne
Lemprozesse erfolgen, wahrend Lemen (VOl' allem im Sinne einer gezielten oder
planmaf3igen Modifikation des Verhaltens) zu einer Verbesserung der Adaptabi
litat einer Organisation beitragen kann. Lemen bedingt immer eine Veranderung
der Wissensstrukturen, wahrend Adaption auch dann stattfinden kann (und von
einem extemen Beobachter zuschreibbar ist), wenn der Veranderungsprozess in
seinen Bedingungen und Folgen nicht wissentlich durchschaut, reflektiert oder
verstanden wird und keine Anderung von Wissensstrukturen nach sich zieht.
Vor dies em Hintergrund ist es die Intention des vorliegenden Sammelban
des, die spezifischen Strukturen von Adaptions- und Lemprozessen in und von
Organisationen in den Mittelpunkt theoretischer Bemiihungen und simulations
methodischer Reflexionen zu stellen. Dabei wahlen wir einen in der Wissen
schaft relativ unkonventionellen Weg: Durch eine Forschungskooperation
zwischen zwei sehr unterschiedlichen Disziplinen, Soziologie und Informatik,
die im DFG-Schwerpunktprogramm "Sozionik: Erforschung und Modellierung
kunstlicher Sozialitat" realisiert wird, erhoffen wir uns neue Anregungen, Denk
weisen und Erkenntnisse zum genannten Thema. Um dies zu verdeutlichen,
8 Michael Florian und Frank Hillebrandt
werden wir in der vorliegenden Einfuhrung zunachst die wichtigsten Problem
stellungen der Soziologie hinsichtlich der Adaptions- und Lemprozesse in und
von Organisationen ausweisen (1). Daran anschlieBend beziehen wir diese auf
das interdisziplinare Forschungsfeld der Sozionik, urn neue Erkenntnismoglich
keiten aufzuzeigen, die sich aus einer Zusammenarbeit zwischen Soziologie und
Informatik fur den hier verfolgten Gegenstandsbereich ergeben (2). Urn den
Beitrag der Sozionik fur die Erforschung von Adaptions- und Lemprozessen in
und von Organisationen zu konkretisieren, gehen wir im dritten Abschnitt kurz
auf Grundziige der Lemkonzepte der Verteilten Kiinstlichen Intelligenz (VKl)
ein (3). Daran anschlie13end beziehen wir die soziologischen und informatischen
Problematisierungsformen auf die Moglichkeiten der Sozialsimulation von
Adaptions- und Lemprozessen in und von Organisationen, von denen neue
Erkenntnisse zum genannten Thema erwartet werden konnen (4). Am Schluss
steht ein kurzer Uberblick iiber die in diesem Band versammelten Beitrage (5).
1 Soziologie der Adaption und des Lernens in und von Organisationen
Das Forschungsgebiet "Organizational Learning" hat in den letzten drei13ig
lahren einen enormen Aufschwung in Wissenschaft und Praxis erfahren.
Obwohl das Thema mittlerweile einen festen Platz in zahlreichen Disziplinen
erobert hat, sind grundlegende Fragestellungen und Probleme, die mit der
Anpassungs- und Lemfahigkeit von Organisationen verbunden sind, auch heute
noch unklar oder umstritten: Auf welche Weise vollziehen sich Adaption und
Lemen von und in Organisationen? Konnen Organisationen als soziale Gebilde
iiberhaupt lemen oder ist Lemen eine Fahigkeit, die dank kognitiver Kompeten
zen nur individuellen Akteuren vorbehalten ist? Und falls Organisationen als
Gesamtheiten lemen und sich anpassen konnen: Worin liegen die Unterschiede
gegeniiber individuellen Lem- und Anpassungsprozessen? Welche Bedeutung
hat das Lemen sozialer Kollektive in Organisationen sowohl fur die Organisati
on als Gesamtheit wie fur die einzelnen Mitglieder einer Organisation? Wie
lasst sich iiberhaupt feststellen, ob und was auf den unterschiedlichen Ebenen
sozialer Aggregation geiemt worden ist? Und inwieweit ist eine gelungene
Anpassung und erfolgreiches Lemen eigentlich als solches abgrenzbar und sind
solche Verbesserungen in der Leistungsfahigkeit einer Organisation auch
objektiv messbar?
In der soziologischen Organisationsforschung sind diese Fragen lange Zeit
unbeachtet geblieben. Der wichtigste Grund dafur ist, dass der Begriff des
Lemens mehr oder weniger ein Fremdkorper im organisationssoziologischen
Begriffsensemble geblieben ist, wahrend Adaption als ein klassischer Begriff
der Soziologie leichter Anschluss an systemtheoretische Organisationskonzepte
finden konnte. Dennoch ist auch der Begriff des Lemens in den letzten lahren
signifikant hiiufig verwendet worden, urn etwas Spezifisches begrifflich zu
Einfuhrung 9
fassen, das offensichtlich fur die Sozialitat in ihren verschiedenen Erscheinungs
formen nicht unbedeutend ist. Insbesondere in der Organisationsforschung, die
sich stark am 6konomischen Diskurs orientiert, geh6rt der Begriff des Lemens
inzwischen zum Standardrepertoire, urn spezifische Wandlungsprozesse in und
von Organisationen zu erforschen. "Organisationales Lemen" ist dadurch zu
einer quantitativ bedeutenden Forschungsrichtung avanciert, mit der sich die
soziologische Rezeption jedoch immer noch schwer tut. Ein wichtiger Grund
dafur ist, dass im Mainstream soziologischer Theoriebildung der letzten 20
Jahre Anpassungsprozesse und das Lemen von und in Organisationen das
Charisma eines besonderen Geschehnisses verlieren, das sich eindeutig gegen
tiber dem Organisationsal1tag unterscheiden lasst. Dem Anpassungsbegriff
haben neuere, mit dem Begriff der Autopoiesis operierende Ansatze in der
Systemtheorie die analytische Trennscharfe und auch die normative Verbind
lichkeit als Merkmal fur die Qualitat der Systembeziehungen zur Umwelt - oder
einfacher: als Kennzeichen fur eine Leistungssteigerung - genommen (vgl. z. B.
Luhmann 2000: 74ff., 357; vgl. dazu kritisch Paetow in diesem Band). In
Beitragen zum organisationalen Lemen ist etwa zur gleichen Zeit ein praxis
und situationsorientierter Perspektivenwechsel zu beobachten, der Lemprozes
sen ihre Sonderstel1ung in der Handlungspraxis organisierter Akteure nimmt
und stattdessen die Al1taglichkeit und Al1gegenwartigkeit des Lemens in (und
von) Organisationen betont (vgl. z.B. "cognition in practice" bei Lave 1988,
"situated learning" bei LaveIW enger 1991 sowie "situated cognition" und
"communities of practice" bei Brown/Collins/Duguid 1989 und Brown/Duguid
1991; s. den Beitrag von Florian und Fley in dies em Band). Eine bislang in
ihren Folgen noch nicht zu iibersehende Begleiterscheinung dieser "Entzaube
rung" und "Profanisierung" ist, dass damit auch die spezifischen Merkmale
organisationaler Adaptions- und Lemprozesse an Relevanz verlieren, die als
Gegenstand soziologischer Aufklarung eine wichtige Grundlage ftir den Beitrag
der Soziologie zur Organisationsforschung bi1den.
Zur Klarung der sich aus dieser These ergebenden Fragen nach den Beson
derheiten von Lemprozessen gegeniiber Adaptionsprozessen ist zunachst eine
Abgrenzung zwischen Adaption und Lemen notwendig. Mit Blick auf Organisa
tion und Management wird Adaption meist als Veranderung in der Beziehung
zwischen dem Verhalten der Organisation und ihrem U mfeld begriffen, wah
rend Lemen zugleich Wissen iiber die Beziehung zwischen Organisation und
Umfeld mit einschlie13t (vgl. etwa Kim 1993: 42 und Weick 1985). Die Begriffe
"Adaptation" und "Lemen" werden iiblicherweise dafiir benutzt, urn Verande
rungen im Zustand eines von seiner Umgebung abgrenzbaren Phanomens (z.B.
eines Organismus, "sozialen Systems" oder in unserem Fal1e einer Organisation
als soziales Gebilde) zu bezeichnen.
Offen und strittig ist dabei bis heute geblieben, wie die wechselseitigen Re
lationen zwischen dem Sozialgebilde und seiner Umgebung zu begreifen sind.
10 Michael Florian und Frank Hillebrandt
Geklart werden muss zum einen, wie strikt die Unterscheidung, Abgrenzung
und Kopplung zwischen dem Gebilde und seinem Umfeld zu fassen ist. Zum
anderen ist zu klaren, ob die im Anpassungsbegriff zumindest stillschweigend
enthaltene Behauptung einer Interdependenz zwischen dem sozialen Gebilde
und seinem Umfeld in einer bestimmten Richtung verlauft (z.B. im Sinne einer
Konditionierung oder Determination oder als Ausdruck flir eine "fitness" oder
die Steigerung irgendeines Erfolgskriteriums). Eine Auseinandersetzung mit
diesen Problemstellungen klart letztlich dariiber auf, ob es sich bei Adaptation
und Lemen urn Anderungsprozesse unterschiedlicher Qualitat handelt oder ob
beide Verandungsmodi eng miteinander zusammenhangen, weil beispielsweise
eine Firma als Wirtschaftsorganisation nur deshalb eine "adaptive Institution"
ist, weil sie aus ihren "Erfahrungen" ternt (vgl. z.B. CyertiMarch 1992: 118).
Was aber unterscheidet Anpassung von Lemen und ist eine solche Unterschei
dung tiberhaupt sinnvoll, wenn man an mogliche Mischungen wie beispie1swei
se das Konzept "adaptiven Lemens" (Cyert/March 1963) denkt?
Solche oder ahnliche forschungsleitende Problemstellungen haben sich im
Bereich des Organisationslemens vor allem innerhalb der disziplinaren Grenzen
von Sozio logie, Okonomie und Sozialpsychologie schon langst etabliert. Wir
wollen in diesem Buch den Versuch untemehmen, diese Fragestellungen in den
Kontext des Forschungsprogramms der Sozionik zu stellen, urn auf diese Weise
Impulse flir die Organisationssoziologie und Anregungen flir die Modellierung
von Adaptions- und Lemprozessen von Organisationen in der Verteilten KI zu
gewinnen. Aus Sicht der Sozionik stellt sich namlich die flir organisations sozio
logische Forschung nicht uninteressante Frage, inwieweit die sozialen Struktu
ren und Prozesse, die mit der Anpassungs- und Lemfahigkeit von Organisatio
nen in "realweltlichen" Zusammenhangen verbunden sind, sich auch auf die
ktinstliche Sozialitat von Multiagentensystemen tibertragen lassen und welche
Auswirkungen dies auf die weitere Entwicklung intelligenter Agententechnolo
gien hat. Urn eine derartige Frage zu verstehen, ist eine kurze Aufklarung tiber
zentrale Ausgangspunkte der Sozionik notwendig, ohne die die Beitrage aus der
Verteilten Ktinstliche Intelligenz und aus der Sozialsimulation flir eine soziolo
gisch ausgerichtete Rezeption nicht zuganglich sind.
2 Sozionik
Sozionik ist eine interdisziplinare Forschungsrichtung, die im Grenzgebiet
zwischen Soziologie und Informatik angesiedelt ist (vgl. Maisch et al. 1998;
Maisch 2001). In der Sozionik wird soziologisches Wissen tiber die soziale Welt
daflir genutzt, "intelligente" Computertechnologien zu entwickeln. Ahnlich wie
die Bionik biologische Funktionsweisen und Strukturen von Lebewesen unter
dem Aspekt ihrer Ubertragbarkeit auf technische Systeme untersucht, erforscht
die Sozionik, inwieweit sich Vorbilder aus der sozialen Welt flir eine Weiter-
Einfuhmng 11
entwicklung von Technologien kiinstlicher Intelligenz eignen und auf welche
Weise sich informationstechnische Probleme nach dem Vorbild sozialer
Problembewaltigung los en lassen. Die Sozionik solI dazu anregen, Forschungs
desiderate aus der Informatik zur Entwicklung von soziologischen Theorieele
menten zu nutzen. In der so entstehenden sozionischen Forschungspraxis
werden somit disziplinare Unterschiedlichkeiten der epistemischen Kulturen
von Informatik und Soziologie zur Irritation vertrauter Denkarten genutzt, urn
neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu befordem.
Dies wird moglich, weil sich in den USA seit Anfang der 1980er Jahre und
in Deutschland seit Anfang der 1990er Jahre in der Informatik kiinstlicher
Intelligenz (KI) ein Forschungsfeld etabliert hat, in dem die Verwendung
sozialer Metaphem und die Nutzung von Analogien zur sozialen Welt mensch
licher Gesellschaften weit verbreitet ist. 1m Zentmm dieser Forschung zur
Verteilten Kiinstlichen Intelligenz (VKI) steht die Entwicklung von Multiagen
tensystemen. Wahrend die klassische KI das menschliche Gehim als Ort der
Entstehung intelligenter Problem16sungen betrachtet und sich dem entsprechend
bemiiht, kognitive Fahigkeiten von Menschen technisch nachzubilden, geht die
VKI davon aus, dass intelligente Losungen komplexer Probleme hiiufig nicht
das Werk individue11er, sondem sozialer Intelligenz sind, dass die Problemlo
sungen also aus der sozialen Interaktion und Koordination vieler handelnder
Einheiten resultieren. Der VKI geht es deshalb damm, KI-Programme koopera
tionsfahig zu machen. Dem entsprechend bilden Multiagentensysteme das
koordinierte Verhalten mehrerer kiinstlicher "Agenten" abo Ais Agenten werden
Software-Programme bezeichnet, die iiber bestimmte, von ihnen selbst gesteuer
te Verhaltensweisen verfugen und in der Lage sind, ihre eigenen Aktionen mit
denen anderer Agenten abzustimmen, urn ein iibergreifendes Problem zu losen
(vgl. Bond/Gasser 1988; Wooldridge 1999).
Mit der nicht zuletzt durch die Sozionik bewirkten Komplexitatssteigemng
der in der VKI entwickelten Multiagentensysteme (MAS) stehen nicht mehr nur
spontan entstehende Interaktionen zwischen unterschiedlichen Agenten im
Mittelpunkt der Forschungen zur VKI, sondem zusatzlich Probleme einer
dauerhaften Organisation von Multiagentensystemen. Die hohere Aggregations
ebene der Organisation von MAS kann zur Laufzeit des Systems nur dann
erreicht werden, wenn flexible und multioptional konstmierte Agenten Selbstor
ganisationsprozesse in MAS ermoglichen. Die emergente Entwicklung von
Interaktionssystemen zu Organisationssystemen wird mit anderen Worten erst
dann wahrscheinlich, wenn die einzelnen Agenten des Systems variabel auf
Umfeldeinfliisse reagieren. Durch die damit implizierte Offnung der MAS fur
eine relevante Umwelt und durch die Steigemng der quantitativen sowie
qualitativen Komplexitat der sozialen Systeme entstehen neue Herausfordemn
gen an die VKI. In diesem Zusammenhang avancieren die Themen Lemen und
Adaption zu zentralen Forschungsfeldem. Denn erst die Adaptions- und
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Lemfahigkeit der einzelnen Agenten ermogJicht nicht nur die (Selbst-) Organi
sation komplexer Multiagentensysteme, sondem gleichsam auch eine Simulati
on von sozialen Lemprozessen, die durch das Zusammenwirken mehrerer, zu
Adaption und Lemen fahiger Agenten entstehen.
3 Lernkonzepte der VKI
Bislang greift die VKI auf Lemkonzepte zu, die um die Frage gruppiert werden,
wie in MAS dynamische Wandlungsprozesse initiiert werden konnen, die eine
Komplexitatssteigerung durch Selbstorganisation wahrscheinlich werden lassen.
Ganz ahnlich wie in der soziologischen Diskussion um die Begriffe Adaption
und Lemen Definitionsprobleme auftreten (vgl. Kopp-Malek in diesem Band),
wird auch in der VKI kontrovers diskutiert, wie Lemkonzepte definitorisch
fundiert und in welchen Anwendungsfeldem sie eingesetzt werden konnen. Eine
soziologische Auseinandersetzung mit diesen Konzepten lotet nicht nur deren
Nutzbarkeit fUr eine Weiterentwicklung soziologischer Modelle der Adaption
und des sozialen Lemens aus, sondem ermoglicht eine Weiterentwicklung der
hier diskutierten Konzepte, urn Multiagentensysteme zu entwickeln, die unter
multiplen und dynamischen Umfeldbedingungen eingesetzt werden konnen.
In der VKI wird in diesem Sinne bereits erkannt, dass nur solche Systeme
den zukiinftigen Anforderungen an Multiagentensystemen gerecht werden
konnen, die sich dynamisch und durch Selbstorganisation reproduzieren (vgl.
etwa Jennings 1999). Diese Anforderungen werden in der Regel daraus abgelei
tet, dass Multiagentensysteme in naher Zukunft in offenen Netzwerken Anwen
dung finden, die nicht nur eine dynamische Adaption an Umfeldbedingungen,
sondem auch soziale Lemprozesse innerhalb des MAS notwendig machen (vgl.
etwa SenIWeiB 1999: 260). Insbesondere im Hinblick auf die Genese von
"Artificial Societies" in global vemetzten Informationssystemen wie dem des
Intemets wird es immer wichtiger, offene Systeme zur Informationsverarbeitung
zu entwickeln, die mit Hilfe von Adaptabilitat und Lemfahigkeit Irritationen aus
der Umwelt produktiv und selbst organisierend verarbeiten konnen. Deswegen
gelten in der VKI Adaptabilitat und (maschinelle) Lemfahigkeit, Flexibilitat und
Robustheit gegeniiber dynamischen Veranderungen der Umweltbedingungen
grundsatzlich als wiinschenswerte Eigenschaften von Multiagentensystemen
(vgl. dazu Schillo et al. in diesem Band). Kurz gesagt: Die Themen Adaptabili
tat und Lemen sind fUr die Forschung zur VKI deshalb zentral, weil sie sich auf
einige grundsatzliche Problemstellungen in der Konstruktion und Erforschung
von MAS beziehen lassen, von denen un seres Erachtens die beiden folgenden
Aspekte zu den wichtigsten gehoren:
• Da Lemvorgange auf systemintemen Bewertungen der ZweckmaBigkeit,
Angemessenheit und Leistungsfahigkeit der von Systemkomponenten aus-