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Moshe Feldenkrais, geboren r 904 im Slawuta (Rußland), gestor
ben 1984 in Tel Aviv, wanderte als Fünfzehn jähriger nach dem
damaligen Palästina aus.
Erste Buchpublikation: Autosuggestion (1930). Studierte Physik
in Paris. Gemeinsam mit Juliot-Curie erste Kernspaltung in Frank
reich ( 19 3 8). 1940 setzte Feldenkrais seine Forschungen und Ver
suche in Neuro- und Verhaltensphysiologie und Neuropsychologie
in England fort. Seine Vorträge aus dem Jahr 1943 wurden 1 949
in dem grundlegenden Buch Body and Mature Behaviour ( 1 949)
veröffentlicht. Feldenkrais war Leiter des wissenschafl:lichen For
schungsinstituts der Wehrmacht in Israel und hielt Vorlesungen an
der Universität Tel Aviv. Heute unterrichtet Feldenkrais an den
Hochschulen Nordamerikas, an der Sorbonne, in Israel und Eng
land. Zu seinen bekanntesten Schülern gehören neben Ben Gurion,
Igor Markevitch, Moshe Dayan, Yehudi Menuhin, Peter Brooke,
Narciso Yepes, Franz Wurm, der in Zürich das Feldenkrais-In
stitut leitet, u. a.
Doris, Geschäftsfrau, Anfang sechzig, wacht eines Morgens mit
schweren Störungen ihres Sprech-, Lese- und Schreibvermögens auf.
Ebenso ist ihr räumliches Orientierungsvermögen beeinträchtigt.
Alles deutet darauf hin, daß ein kleiner, aber wesentlicher Teil
des Gehirns lädiert worden ist.
In diesem Buch beschreibt Feldenkrais, auf welche Weise es ihm
gelang, die beschädigten Funktionen neu herzustellen. Anhand der
Gedankengänge, die er sich - wie ein Detektiv - beim überlegen
des Falles machen mußte, führt er den Leser in seine Denk- und
Arbeitsweise ein, bucht seine Irrtümer, Rückschläge und Erfolge
und stellt dem konventionell beschränkten Begriff bloßer »Hei
lung« einen neurophysiologisch fundierten Begriff des Lernens
gegenüber, durch das nicht nur »geheilt« oder »vorgebeugt« wer
den, durch das vielmehr jeder Mensch überhaupt erst zur vollen
Entfaltung seiner angeborenen Möglichkeiten gelangen kann.
Moshe Feldenkrais
Abenteuer im Dschungeld es Gehirns
Der Fall Doris
Deutsche Übertragung
von Franz Wurm
Suhrkamp
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
The Case of Nora
Harper & Row, New York, 1977
suhrkamp Laschcnbuch 663
Erst< Auflage 198,
© 1977 by Dr. M. Feldcnkrais, Tel Aviv
© der deutschsprJ.chigen Aushabe beim Insel Verlag
Frankfurt am Main 1977
Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmi~ung des
Insel Verlags, Fr:111kfunam Main
Suhrkamp Taschenbuch Verlag
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das
des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung
durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.
Druck: Ebncr Ulm
Printed in Gcrmany
Umschlab nach Entwürfen von
Willy Fleck haus und Rolf Staudt
6 7 8 9 - 91 90 89 88
Inhalt
Vorwort 7
Einführung 9
I. Kapitel Doris. Wer sie ist rr
II. Kapitel Ein Ausweg aus dem Labyrinth 2 r
III. Kapitel Fehler gehören zum Lernen 39
IV. Kapitel Verbessern contra Heilen 53
V. Kapitel Gespräche ohne Worte 61
VI. Kapitel Spüren, um zu verstehen 77
Das Wesen der Realitäten 8 5
Fragen und keine erschöpfenden
Antworten darauf 95
Vorwort
Der Fall Doris ist die erste einer Reihe von Geschichten aus
meiner Praxis. Jede dieser Geschichten beschreibt einen
Teil meiner Arbeit mit Menschen. Das ist faßlicher so, als
wenn ich nur erklären würde, wie diese Arbeit funktio
niert.
Ich gebrauche zweierlei Techniken. Die eine bezeichne ich
als »Funktionale Integration«. Sie geht wortlos vor sich, ist
nonverbale Manipulation am einzelnen Menschen, ist
wörtlich Be-Hand-lung. Die andere ist verbal und wird
auch an gemischten Gruppen aller Altersstufen angewandt.
Ich nenne sie »Bewußtheit durch Bewegung«.
Beide Techniken erweitern die Selbstbewußtheit des einzel
nen Menschen und führen dadurch zu einer besseren Le
bensmöglichkeit. Methodisch lehren sie Wege, unsere
Fähigkeiten zu gebrauchen, auf die viele von uns sonst
bestenfalls zufällig stoßen oder stolpern. Daß wir sie ge
brauchen und wie wir sie gebrauchen, macht unsere indivi
duelle Persönlichkeit aus.
Die Geschichte dieses Falls wurde vor Zuhörern erzählt.
Sie ist eine wahre Geschichte. Die Arbeitshypothese, die
darin steckt, liegt irgendwo zwischen Intuition und der
Glaubenslehre einer kommenden Wissenschaft.
Einleitung
Es gibt viele Arten des Lernens. Manche Analphabeten
haben mehr und besser gelernt als Sie und ich.
Man kann eine Fertigkeit lernen. Man kann lernen, um
mehr zu wissen über etwas, das man schon kennt. Man
kann lernen, um etwas zu verstehen; oder um etwas, das
man schon mehr oder weniger versteht, gründlicher zu ver
stehen. Aber die wichtigste Art des Lernens geht Hand
in Hand mit unserem Wachstum. Ich meine jenes Lernen,
bei dem die Quantität wächst und zu einer neuen Qualität
wird, und nicht die bloße Anhäufung von Wissen, so
nützlich sie auch sein mag. Oft merkt man gar nicht, daß
man auf diese Art lernt. Denn diese Art Lernen geht über
mehr oder weniger lange Zeitspannen scheinbar ziellos vor
sich, und auf einmal ist dann eine neue Handlungsweise
da, als wäre sie vom Himmel gefallen.
Die meisten Dinge, die für uns wirklich wichtig sind,
haben wir auf diese Weise gelernt. So nämlich haben wir
gehen gelernt, sprechen, zählen. Diese Art des Lernens
hatte keine Methode, kein System, es gab da keine Prüfun
gen, keinen Termin, bis zu dem wir mit dem Lernen hätten
fertig sein müssen. Und es war dabei auch kein vorbe
stimmtes, klar abgestecktes Ziel zu erreichen. Das also sind
die Bedingungen für die wichtigste aller Lernweisen.
Unter normal beschaffenen Menschen gibt es bei dieser
anscheinend planlosen Methode so gut wie keine Versager.
Und unter diesen Bedingungen werden wir zu erwachse
nen Menschen, egal ob wir Schulen durchmachen oder
Analphabeten bleiben. Der planmäßige Unterricht hinge
gen, von unserer Kindheit bis zum Erwachsensein, scheint
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