Table Of ContentAachener
Bausachverständigentage 2004
Risse und Fugen
in Wand und Boden
Register für die Jahrgänge
1975 bis 2004
Aachener Bausachverständigentage 2004
REFERATE UND DISKUSSIONEN
Bleutge, Peter Die Novellierung des ZSEG durch das JVEG – Das neue Jus-
tizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG)
Cziesielski, Erich; Beurteilung von Rissen im Putz von Wärmedämmverbund-
Fechner, Otto; systemen aus technischer Sicht
Schrepfer, Thomas
Fechner, Otto WU-Beton bei hochwertiger Nutzung: mit Belüftung siche-
rer!
Ihle, Martin Risse in Betonwerkstein
Klaas, Helmut Fugen und Risse in Verblendschalen und Bekleidungen
Motzke, Gerd Tatsachenfeststellung und -bewertung durch den Sachver-
ständigen – Auswirkungen der Zivilprozessrechtsreform in
1. und 2. Instanz
Oswald, Rainer Praktische Erfahrungen bei hochwertig genutzten Räumen
in WU-Betonbauwerken – Anmerkungen zur neuen WU-
Richtlinie des DAfStb
Ranke, Hermann Standards für die Bauzustandsdokumentation vor Beginn
von Baumaßnahmen
Rapp, Andreas; Fugen bei Parkettböden und anderen Holzbelägen
Sudhoff, B.
Schießl, Peter; Verformungsverhalten und Rissbildungen bei Calciumsul-
Wiegrink,Karl-Heinz fat-Estrichen
Die Spannungsbedingungen in Oberflächenschichten
Schießl, Peter; Wassertransport in WU-Beton – Kein Problem!
Beddoe, Robin Untersuchungsergebnisse
Schubert, Peter Neue Erkenntnisse zu Rissbildungen in tragendem Mauer-
werk
Staudt, Michael Das neue JVEG aus der Sicht des BVS
Weidhaas, Jutta Außergerichtliche Streitschlichtung durch den Sachverstän-
digen
Herausgegeben von Rainer Oswald
AIBau – Aachener Institut für Bauschadensforschung
und angewandte Bauphysik
Aachener
Bausachverständigentage 2004
Risse und Fugen in Wand und Boden
Robin Beddoe Rainer Oswald
Erich Cziesielski Hermann Ranke
Otto Fechner Andreas Rapp
Martin Ihle Peter Schubert
Helmut Klaas Karl-Heinz Wiegrink
Rechtsfragen für Baupraktiker
Peter Bleutge Gerd Motzke
Michael Staudt Jutta Weidhaas
Register für die Jahrgänge 1975 bis 2004
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
<http://dnb.ddb.de> abrufbar.
1. Auflage Januar 2005
Alle Rechte vorbehalten
© Springer Fachmedien Wiesbaden 2005
Ursprünglich erschienen bei Friedr. Vieweg & Sohn Verlag/GWV
FachverlageGmbH, Wiesbaden 2005
www.vieweg.de
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich ge-
schützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Ur-
heberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig
und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über-
setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verar-
beitung in elektronischen Systemen.
Lektorat: Günter Schulz /Karina Danulat
Technische Gesamtherstellung: NEUNPLUS1 Verlag & Service GmbH, Berlin
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier.
ISBN 978-3-528-01764-4 ISBN 978-3-8348-2634-3 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-8348-2634-3
Risse und Fugen in Wand und Boden
Vorwort
Risse beunruhigen den nicht fachkundigen Bauherrn. Sie sind aber häufig harmlos und mit ver-
tretbarem Aufwand nicht vermeidbar. Über die Bewertung von Rissen wird daher viel gestritten.
Sie gehören zum Hauptarbeitsgebiet des Bausachverständigen. Neue oder modifizierte Bau-
stoffe und Bauweisen haben immer wieder unerwartet neue Rissformen zur Folge.
Die 30. Aachener Bausachverständigentage behandelten typische Rissprobleme bei Außen-
wänden und Bodenbelägen und gaben praktische Hinweise für die Beurteilung und Vermei-
dung.
Hinsichtlich der alten Bauweise des verputzten Mauerwerks ergeben sich neue Probleme durch
die modifizierten Steinmaterialien und Vermauerungstechniken. Bei Verblendschalen stand der
Widerspruch zwischen Theorie und Praxis der Dehnfugenanordnung im Mittelpunkt. Bei
Wärmedämmverbundsystemen ist die sachgerechte Rissbewertung angesichts der vielen Aus-
führungsvarianten und der weiterhin unklaren Regelwerksituation von großer Bedeutung.
Bei harten Bodenbelägen sind Risse das häufigste Streitthema – detailliert angesprochen
wurde die Rissvermeidung in Calciumsulfat-Estrichen (früher „Anhydritestrichen“), die Bewer-
tung der weitgehend unvermeidbaren Fugen zwischen Parkettstäben und die Rissbewertung
in Betonwerksteinbelägen.
In engem Zusammenhang mit dem Rissethema steht die Bauzustandsdokumentation („Beweis-
sicherung“), die den Streit über Risse durch benachbarte Baumaßnahmen vermeiden helfen soll.
Hier wurden Vorschläge zu Standards für diese Dokumentation unterbreitet.
Über Art und Umgang der notwendigen flankierenden abdichtungstechnischen und bauphysi-
kalischen Maßnahmen bei hochwertig genutzten wasserundurchlässigen Betonbauwerken
gingen in zurückliegender Zeit die Meinungen weit auseinander. Die Beiträge der Tagung um-
reißen kontrovers den heutigen Kenntnisstand und zeigen abschließend Lösungswege auf.
Aktuelle juristische und berufsständische Themen rundeten die Tagung ab:
Die Zivilprozessreform und das neue Sachverständigen-Vergütungsgesetz tangieren die ge-
richtliche Tätigkeit des Sachverständigen unmittelbar. Die außergerichtliche Streitschlichtung
wird ein immer bedeutenderes Betätigungsfeld, über die man Bescheid wissen sollte.
Bei der Zusammenfassung der Podiumsdiskussionen wurde darauf geachtet, dass die kontro-
versen Standpunkte klar formuliert dokumentiert sind, damit die Spanne des derzeitigen
Kenntnisstandes ablesbar bleibt. Die Lektüre dieses Teils des Tagungsbandes wird daher dem
Leser besonders ans Herz gelegt.
Insgesamt bin ich sicher, dass der vorgelegte Band zu vielen Fragen des Tagungsthemas der
Risse und Fugen in Wand und Boden kompetente Antworten geben kann und ich freue mich,
dass durch die Veröffentlichung diese Informationen nicht nur von den Tagungsteilnehmern,
sondern von einer breiteren Fachöffentlichkeit genutzt werden können.
Prof. Dr.-Ing. Rainer Oswald Aachen, im November 2004
V
Inhaltsverzeichnis
Motzke,Tatsachenfeststellung und -bewertung durch den Sachverständigen –
Auswirkungen der Zivilprozessrechtsreform in 1. und 2. Instanz . . . . . . . . . . . . 1
Weidhaas,Außergerichtliche Streitschlichtung durch den Sachverständigen . . . . . . . . 9
Bleutge,Die Novellierung des ZSEG durch das JVEG – Das neue Justizvergütungs-
und -entschädigungsgesetz (JVEG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Staudt,Das neue JVEG aus der Sicht des BVS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Schubert,Neue Erkenntnisse zu Rissbildungen in tragendem Mauerwerk . . . . . . . . . . 29
Klaas,Fugen und Risse in Verblendschalen und Bekleidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
Cziesielski/Schrepfer/Fechner,Beurteilung von Rissen im Putz von Wärmedämm-
verbundsystemen aus technischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
Wiegrink/Schießl,Verformungsverhalten und Rissbildungen
bei Calciumsulfat-Estrichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
Rapp/Sudhoff,Fugen bei Parkettböden und anderen Holzbelägen . . . . . . . . . . . . . . . . 87
PRO + KONTRA – Das aktuelle Thema
Wassertransport durch Bauteile aus Beton mit hohem Wassereindringwiderstand . . 94
Beddoe/Schießl,1. Beitrag: Wassertransport in WU-Beton – kein Problem!
Untersuchungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
Fechner,2. Beitrag: WU-Beton bei hochwertiger Nutzung: mit Belüftung sicherer! . . . . 100
Oswald,3. Beitrag: Praktische Erfahrungen bei hochwertig genutzten Räumen in
WU-Betonbauwerken – Anmerkungen zur neuen WU-Richtlinie des DAfStb . . . 103
Ihle,Risse im Betonwerkstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
Ranke,Standards für die Bauzustandsdokumentation vor Beginn von Baumaßnahmen . . 126
Podiumsdiskussionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
Verzeichnis der Aussteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
Register 1975 – 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
VII
Tatsachenfeststellung und -bewertung durch
den Sachverständigen – Auswirkungen der
Zivilprozessrechtsreform in 1. und 2. Instanz
Prof. Dr. Gerd Motzke, VRiOLG München (Bausenat in Augsburg), Honorarprofessor für
Zivilrecht und Zivilverfahrensrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg
1 Der Zustand bis zum 31.12.2001 Das macht den entscheidenden Unterschied
Der Rechtszustand bis zum 31.12.2001 war in der Prozesslage für die Rechtsstreitigkei-
dadurch gekennzeichnet, dass neben der ten nach neuem Recht aus. Das bedeutet,
1. Instanz auch die 2. Instanz, also das Be- dass das BG grundsätzlich auch an die vom
rufungsgericht (BG), Tatsacheninstanz ge- Sachverständigen festgestellten Tatsachen
wesen ist. Das bedeutete, dass abgesehen einschließlich dessen Bewertungen gebun-
von Zurückweisungsmöglichkeiten hinsicht- den ist. Das hat einen erheblichen Verantwor-
lich neuen Tatsachenvortrags die 2. Instanz tungszuwachs zur Folge, denn die Ergänzung
an die Tatsachenfeststellungen der 1. Instanz oder Lösung von diesen Feststellungen ge-
nicht gebunden war. Es konnte und durfte lingt nur unter eingeschränkten Vorausset-
neu Beweis erhoben werden, wenn das BG zungen.
dies für geboten gehalten hat. §525ZPO
a.F. (= alte Fassung) hat dies deutlich zum Hinweis:
Ausdruck gebracht, wenn es dort hieß, vor Ein Gutachten eines anderen Sachverständi-
dem BG werde der Rechtsstreit in den durch gen konnte auch nach dem bis 31.12.2001
die Anträge bestimmten Grenzen neu verhan- geltenden Prozessrecht nur dann gemäß
delt. Der dem zugrunde liegende Tatsachen- §412ZPO eingeholt werden, wenn das Ge-
stoff war der aus der ersten Instanz und der richt das Gutachten für ungenügend erachtet
Tatsachenvortrag aus der 2. Instanz, soweit hat. Hieran hat sich im Zuge der Reform
dem nicht Verspätungsregeln entgegenstan- nichts geändert. Aber zusätzliche Anforde-
den. Freilich behielten die in 1. Instanz erho- rungen schränken die Möglichkeit der Einho-
benen Beweise ihren Wert, aber die Beweis- lung eines anderen Gutachtens oder die Er-
aufnahme konnte auch wiederholt werden. gänzung des vorliegenden Gutachtens ein.
Gutachten konnten ohne weiteres ergänzt
oder ein weiteres Gutachten eingeholt wer-
den, wenn das erste Gutachten ungenügend 2 Die Reform – Ziele und Folgen
war. Hieran hat sich nach §412ZPO zwar Die Reform der ZPO und in der Folge des Be-
nichts geändert; jedoch muss nach neuem rufungsrechts mit Wirkung ab 1.1.2002 ver-
Recht für das BG entweder eine Rechtsver- folgt folgende Ziele:
letzung durch die 1. Instanz (§513 Abs.1,
§546ZPO) hinzukommen oder es müssen 2.1 Stärkung der 1. Instanz
ausreichend konkrete Anhaltspunkte für Am Ende der 1. Instanz muss eine Entschei-
Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dung stehen, die von den Parteien wirklich
der entscheidungserheblichen Feststellun- akzeptiert werden kann. Die Parteien sollen
gen vorliegen (§529 Abs.1 Nr.1ZPO). erkennen, dass das Gericht alle Chancen
Sah das Berufungsgericht auf der Grundlage nutzt, um eine umfassende Prüfung des vor-
des bisherigen Vortrags in erster Instanz die getragenen Sachverhalts vorzunehmen. Ziel
Sache nicht so wie das Erstgericht, konnte ist, dass die meisten Verfahren in der ersten
der Sachverhalt neu bewertet werden, was Instanz auch zu einem endgültigen Abschluss
allerdings in gewissem Umfang auch die Not- kommen. Die einschlägige Bundesrats-Druck-
wendigkeit der Wiederholung der Beweisauf- sache 536/00 führt außerdem an, der Zivil-
nahme einschloss. Eine irgendwie geartete prozess müsse bürgernäher, effizienter und
Bindung der 2. Instanz (Berufungsgericht) an durchschaubarer werden. Den Richtern
die in der 1. Instanz getroffenen Feststellun- müssten gesetzliche Möglichkeiten geschaf-
gen bestand nicht. fen werden, den Zivilprozess noch präziser
Motzke/Tatsachenfeststellung und -bewertung durch den Sachverständigen 1
auf seine gesellschaftliche Funktion, der zü- Verfahren einbringen. Das schließt Erörte-
gigen Herstellung von Rechtsfrieden und rungspflichten und Hinweispflichten ein. Da-
Rechtssicherheit, zuschneiden zu können. bei ist der Hinweis des Gerichts auf die Not-
Eine Reform des Zivilprozesses müsse die wendigkeit eines Sachverständigenbeweises
strukturellen Rahmenbedingungen dafür ver- oder der Ergänzung der Beweisthemen für ei-
bessern, dass die Prozessparteien schnell zu nen Sachverständigenbeweis nach §144 ZPO
ihrem Recht kommen und eine Entscheidung ein besonderer Aspekt dieser materiellen
erhalten, die sie verstehen und akzeptieren. Prozessleitung nach §139ZPO. Diesbezüg-
Die Parteien sollten erkennen, dass das Ge- lich wird in Zukunft auch erwogen werden
richt alle Chancen nutzt, um eine umfassende müssen, den Sachverständigen bereits bei
Prüfung des vorgetragenen Sachverhalts vor- der Abfassung der Beweisfragen einzuschal-
zunehmen. Dann würden mehr Prozesse in ten. Denn wenn die 1. Instanz vom Grundsatz
erster Instanz endgültig abgeschlossen wer- her in erster Linie und allein die Aufgabe hat,
den können. den Sachverhalt festzustellen, was bei tech-
nischen Sachverhalten und den Unzuläng-
Daraus folgt das Gebot zur Stärkung lichkeiten der Parteiherrschaft über den Tat-
der 1. Instanz. sachenstoff zu Defiziten führen kann, könnte
Das bedeutet: Der in erster Instanz fehlerfrei erwogen werden, den Sachverständigen in
festgestellte Sachverhalt soll auch in der einem möglichst frühen Stadium einzubin-
2. Instanz Bestand haben. den. Die Erörterungs- und Hinweispflicht des
Gerichts nach §139ZPO könnte also durch-
Daraus folgt eine veränderte Struktur aus Auswirkungen auch auf das Innenverhält-
der 2. Instanz. nis des Gerichts zum Sachverständigen ha-
Nur wenn das BG aufgrund konkreter An- ben.
haltspunkte ernstliche Zweifel an der Richtig- Das Gericht hat nunmehr nach §278ZPO die
keit oder Vollständigkeit der entscheidungs- Pflicht, eine von der mündlichen Verhandlung
erheblichen Tatsachen in der 1. Instanz hat, getrennte Güteverhandlung zu führen. Die
sollen diese im Berufungsverfahren überprüft diesbezügliche Euphorie ist allerdings zwi-
werden können. Also geht nach der Vorstellung schenzeitlich wiederum verflogen. Deren Ab-
der Reform mit der Stärkung der 1. Instanz die schaffung steht jedoch angesichts totaler
Umgestaltung der 2. Instanz einher. Der Sinnlosigkeit einer besonderen Regelung be-
Rechtssuchende soll sich grundsätzlich darauf vor. Denn die Richter haben derartige Güte-
verlassen können, dass die in erster Instanz versuche schon immer gemacht, wozu die
fehlerfrei festgestellten Tatsachen im höheren Vorschrift in §278 Abs.1ZPO auch anhält.
Rechtszug Bestand haben. Das Berufungs- Eine eigenständige Protokollierung und For-
verfahren soll auch beschleunigt werden. Das malisierung werden nicht mehr für geboten
wird erreicht, indem aussichtsloseBerufun- gehalten.
gen in einem schriftlichen Verfahren nach Außerdem kam es zur Einführung des Einzel-
§522ZPO behandelt werden können. Außer- richters bei den Landgerichten als primär zur
dem soll es bei Verfahrensfehlern der 1. Instanz Entscheidung berufenen Richter (§348ZPO).
nur noch auf Antrag einer Partei zur Zurück- Die Kammer entscheidet damit grundsätzlich
verweisungdes Rechtsstreits in die 1. Instanz nur ausnahmsweise, was jedoch Sache des
kommen (§538ZP0). jeweiligen Präsidiums ist (§348ZP0). Der Ge-
schäftsverteilungsplan eines Gerichts kann
2.2 Auswirkungen nämlich vorsehen, dass u.a. in Bau- und Ar-
Das hat Konsequenzen für das Gericht, die chitektensachen sowie Ingenieursachen die
Parteien und eventuell im Vorfeld der Begut- Kammer anstelle des Einzelrichters entschei-
achtung auch für den Sachverständigen. det. Das bedeutet jedoch nicht, dass bei Ver-
wirklichung dieser Möglichkeit sämtliche
Folgerungen für das Gericht Bau-, Architekten- und Ingenieursachen not-
An erster Stelle steht eine verstärkte Hinweis- wendig vor der Kammer verhandelt werden
und Leitungspflicht des Gerichts nach § 139 müssten. Die Kammer hat nach §348aZPO
ZPO. Das Gericht hat sich seit 1.1.2002 stär- die Möglichkeit, in Sachen ohne besondere
ker als bisher in die Klärung des Streitstoffes Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher
einzuschalten; das Gericht soll sich im Rah- Art wie auch dann, wenn die Sache keine
men eines kooperativen Prozessstils in das grundsätzliche Bedeutung hat, den Rechts-
2 Motzke/Tatsachenfeststellung und -bewertung durch den Sachverständigen
streit zur Entscheidung dem Einzelrichter (Rich- Für diese neuen Tatsachen gilt §531ZPO
ter dieser Zivilkammer) zu übertragen. Erfah- n.F., der wie folgt im Absatz 2 lautet: „Neue
rungsgemäß wird davon häufig auch bei den Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zu-
Gerichten Gebrauch gemacht, wo Baukam- zulassen, wenn sie 1. einen Gesichtspunkt
mern als Spezialkammern gebildet worden betreffen, der vom Gericht des ersten
sind, weil anders der Geschäftsanfall nicht Rechtszuges erkennbar übersehen oder für
mehr bewältigt werden kann. unerheblich gehalten worden ist; 2. infolge ei-
Im Hinblick auf die Verschärfung der Aus- nes Verfahrensmangels im ersten Rechtszug
schlussregeln neuen Vorbringens in der ersten nicht geltend gemacht wurden oder 3. im ers-
Instanz, sollen die Parteien und das Gericht an- ten Rechtszug nicht geltend gemacht worden
gehalten werden, den Sachverhalt umfassend sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit
aufzubereiten. Das schließt eine Verschärfung der Partei beruht.
oder „Stärkung“ der richterlichen Prozesslei-
tung und Prozessleitungsbefugnisse mit ein.
Das betrifft §139ZPO und bezweckt, dass die 4 Bindungswirkung erstinstanzlicher
Parteien und ihre Anwälte mehr als bisher Feststellungen
durch eine offene und rechtzeitige Information Der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt
zu einer stärkeren, gleichzeitig aber auch ge- bindet das Berufungsgericht.
zielteren Aktivität veranlasst werden sollen. Das Die Bindung entfällt, wenn die Feststellung
Gericht soll also, so die Bundesrats-Druck- fehlerhaft ist (§513, 546ZPO n.F.). Das ist
sache 536/00, S.159, nicht mit seiner Sicht gegeben, wenn bei der Feststellung Verfah-
unnötig hinter dem Berg halten, insbesondere rensfehler unterlaufen sind. Die Bindung ent-
seine Meinung nicht erst im Urteil äußern, son- fällt, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an
dern in einem möglichst frühen Stadium. der Richtigkeit und Vollständigkeit begründen
und deshalb eine neue Feststellung geboten
ist (§529 Abs.1 Nr.1). Die Bindung entfällt,
3 Auswirkungen auf das wenn die Berufung zulässig neue Tatsachen
Berufungsverfahren vorbringt, die also nicht auszuschließen sind,
Das BG nimmt den von der 1. Instanz festge- und die bei Beweis ihres Vorliegens Anlass
stellten Sachverhalt, sofern keine konkreten sein können, den Sachverhalt neu zu bewer-
Anhaltspunkte für Fehlerhaftigkeit oder Un- ten.
vollständigkeit vorliegen, zum Ausgangspunkt.
Dieser Sachverhalt wird durch das Erstge-
richt verbindlich – in den aufgezeigten Gren- 5 Das Berufungsgericht als
zen – auch für das BG festgestellt. Rechtsprüfungs- und nicht mehr
Diese Bindungswirkung ist das absolut Neue Tatsacheninstanz
und für die Parteien eminent Bedeutsame.
Das bedeutet zugleich die verstärkte Verant- Konsequenz:
wortung des Sachverständigen für die Rich- Das Berufungsgericht ist in erster Linie
tigkeit seiner Feststellungen wie auch Bewer- Rechtsprüfungsinstanz und keine Tatsachen-
tungen. Wegen dieser Bindungswirkung sind instanz mehr. Zur Tatsacheninstanz wird das
alle Verfahrensbeteiligten einschließlich des Berufungsgericht nur, wenn ausnahmsweise
Sachverständigen als Beweismittel gehalten, Bedarf für einen Einstieg in die Sachverhalts-
diesem neuen Stellenwert der festgestellten ermittlung besteht. Die Voraussetzungen
Tatsachen Rechnung zu tragen. hierfür müssen entweder durch Verfahrens-
§529ZPO neue Fassung (n.F.) bringt dies fehler in erster Instanz geschaffen worden
wie folgt zum Ausdruck: „Das Berufungsge- sein oder es müssen konkrete Anhaltspunkte
richt hat bei seiner Verhandlung und Ent- für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollstän-
scheidung zugrunde zu legen: 1. die vom Ge- digkeit der getroffenen Feststellungen beste-
richt des ersten Rechtszuges festgestellten hen. Diese können auch durch neue Tat-
Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhalts- sachen begründet werden. Aber insoweit
punkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollstän- werden den Parteien, die grundsätzlich zum
digkeit der entscheidungserheblichen Fest- Sachverhalt in der 1. Instanz so vortragen
stellungen begründen und deshalb eine er- müssen, dass die Feststellungen für das
neute Feststellung gebieten; 2. neue Tatsachen, zweitinstanzliche Verfahren ebenfalls taugen,
soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.“ Grenzen gezogen.
Motzke/Tatsachenfeststellung und -bewertung durch den Sachverständigen 3