Table Of ContentPolitische Vierteljahresschrift Sonderheft 30/1999
Deutsche Vereinigung fur Politische Wissenschaft
so
Jahre
Bundesrepublik
Deutschland
Rahmenbedingungen - Entwicklungen -
Perspektiven
H erausgegeben von
Thomas Ellwein t und Ev erhard Holtmann
Westdeutscher Verlag
Aile Rechte vorbehalten
© Westdeutscher Verlag GmbH, OpladenlWiesbaden, 1999
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U mschlagbild: Walter Hanel 1989: Mauerfall; © Haus der Geschichte
ISBN-13: 978-3-531-13182-5 e-ISBN-13: 978-3-322-80357-3
DOl: 10.1007/978-3-322-80357-3
Inhaltsverzeichnis
Everhard Holtmann
Einleitung: Politikwissenschaftliche Annaherungen
an die Entwicklungsgeschichte der Bundesrepublik 9
I. Die Bundesrepublik in der Nachkriegsgeschichte
Axel Schildt
Entwicklungsphasen der Bundesrepublik nach 1949 21
Gert-Joachim Glaej3ner
Entwicklungsphasen der DDR nach 1949 . 37
Andreas Eisen / Uta Stitz
Das Nebeneinander der beiden deutschen Staaten
und die deutsche Einigung 1990 ........... . 55
II. Verfassung und Verfassungswandel
Walter Pauly / Martin Siebinger
Der deutsche Verfassungsstaat 79
Monilm Medick-Krakau
Staat und iiberstaatliche Ordnungen 91
Gesine Schwan
Die deutsche Demokratie 107
Nicolai Dose
Der deutsche Rechtsstaat 118
Arthur Benz
Der deutsche F6deralismus 135
Oscar W. Gabriel
Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland 154
6 lnhaltsverzeichnis
Eckart Pankoke / Karl Rohe
Der deutsche Kulturstaat 168
Lutz Leisering
Der deutsche Sozialstaat . 181
Roland Sturm
Staat und Wirtschaft 193
III. KontinuWit und Veranderung der offentlichen Aufgaben
Annette Zimmer
Staatsfunktionen und 6ffentliche Aufgaben 211
Edeltraud Roller
Staatsbezug und Individualismus:
Dimensionen des sozialkulturellen Wertwandels 229
Helga Haftendorn
KontinuWi.t und Wandel des auBenpolitischen Entscheidungsprozesses
in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
Thomas alk / Heinz Rothgang
Demographie und Sozialpolitik . 258
Andrea Hoppe / Helmut Voelzkow
Raumordnungs- und Regionalpolitik:
Rahmenbedingungen, Entwicklungen, Perspektiven 279
Wilfried von Bredow
Sicherheitspolitische und gesellschaftliche Herausforderungen
der Bundeswehr yom Kalten Krieg bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts 297
Sibylle Reinhardt
Etappen und Perspektiven der Bildungspolitik 310
lV. Die Gebietskorperschaften und ihre Verflechtung
Hiltrud Naflmacher
Zur Entwicklung der kommunalen Aufgaben 329
Inhaltsverzeichnis 7
Ernst-Hasso Ritter
Zur Entwicklung der Landespolitik 343
VVolfgang Renzsch
Aufgabenschwerpunkte und -verschiebungen im Bund 363
Manfred G. Schmidt
Die Europaisierung der 6ffentlichen Aufgaben 385
V. Institutionen und Verfahren der Politik
Roland Czada
Reformloser Wandel. Stabilitat und Anpassung
im politischen Akteursystem der Bundesrepublik . 397
Dian Schefold
Deutschland als Parteiendemokratie . 413
Thomas Poguntke
Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland: Von Krise zu Krise? 429
Christiane Lemke
Neue soziale Bewegungen . 440
Jiirgen Falter / Harald Schoen
Wahlen und Wahlerverhalten . 454
Reinhard Zintl
Politikverflechtung und Machtverteilung in Deutschland 471
Suzanne Schiittemeyer
50 Jahre deutscher Parlamentarismus:
Kategorien und Kriterien fur Leistungen und Defizite . 482
Gottrik VVewer
Regieren in Bund und Landem (1948 - 1998) 496
VVerner Jann
Zur Entwicklung der 6ffentlichen Verwaltung . 520
Hans-Georg VVehling
Kommunale Selbstverwaltung 544
8 Inhaltsverzeichnis
VI. Akzeptanz und Erneuerung
Bettina Westle
Yom Verfassungspatriotismus zur Einigung 567
Eckhard Jesse
Streitbare Demokratie und politischer Extremismus von 1949 bis 1999 583
0
Robert von Weizsiicker
Steuerstaat und politischer Wettbewerb:
Grenzen der offentlichen Finanzwirtschaft 598
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Rainer Priitorius
Der Staat und die Strukturkrise - Staatsiiberforderung
und Steuerungsschwachen 617
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Michael Tho Greven
Die Traditionalisierung der Demokratie in der Modeme 632
Joachim Jens Hesse
50 Jahre Bundesrepublik Deutschland:
Staat und Politik zwischen Hoffnungen und Befiirchtungen 643
Abkiirzungsverzeichnis 661
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 663
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Einleitung: Politikwissenschaftliche Annaherungen
an die Entwicklungsgeschichte der Bundesrepublik
Everhard Holtmann
1. Gegenwartsbezogene Erkenntnisinteressen der Politikwissenschaft
1m 51. Jahr ihres Bestehens erscheint die Bundesrepublik Deutschland in ihrer inneren
Ordnung und ihren internationalen Einbindungen weitgehend konsolidiert. Bereits
als sich die Verkiindung des Grundgesetzes zum dreilSigsten Mal jahrte, hatte das
westdeutsche Gemeinwesen nach Ansicht kundiger auswartiger Beobachter den 1949
verfassungspolitisch deklarierten Zustand vorlaufiger Staatlichkeit endgiiltig hinter
sich gelassen. Man konne nicht Provisorium bleiben, merkte Alfred Grosser vor 20
Jahren in der Politischen Vierteljahresschrift an, ohne instabil zu werden. Tatsachlich
stiinde die Stabilitat, welche die Bundesrepublik Ende der 70er Jahre erreicht hatte,
im Widerspruch zum Vorbehalt des Provisorischen (Grosser 1979: 192f.).
Die Bundesrepublik hat mithin langst eine Institution gewordene Normalitat ange
nommen. Diese sprachliche Umschreibung verweist einmal auf die augere Anerken
nung der Rolle und Bedeutung als augenpolitischer Biindnispartner, die nach dem
1989/90 eingetretenen Wandel der internationalen Machtgewichte gefestigt worden
ist, und zum anderen auf die innere Selbst-Anerkenntnis als legitimes Politik- und
Wirtschaftsmodell, wie sie im Grundeinverstandnis der Mehrheit der Biirgerinnen
und Burger zum Ausdruck kommt (freilich ist zehnJahre nach der deutschen Einigung
die Legitimationsbasis im Osten Deutschlands noch immer recht fragil). Die in dem
"runden" Geburtstag kenntliche Dauerhaftigkeit der Existenz des bundesrepublika
nischen Staatswesens kann als ein augerlicher Nachweis dafiir gelten, dag es sich im
Grogen und Ganzen bewahrt hat; jedenfalls ist es Anlag und Grund genug, sich mit
der institutionalisierten Ordnung der Bundesrepublik und ihrer Entwicklungsge
schichte auch aus politikwissenschaftlicher Sicht eingehender zu befassen.
Das Bestreben, im Riickblick auf die - mittlerweile historischen - Ausgangsbedingun
gen der Bundesrepublik ihre bisherige politische Lebensleistung kritisch zu bilanzieren,
ist nun beileibe kein exklusives Vorrecht der Politikwissenschaft. Uberdies nimmt,
darauf hat Wolfgang Seibel unlangst hingewiesen, im Fach selbst die historische Po
litikforschung, trotz einiger beachtlicher (auch vergleichend angelegter) Studien, bisher
immer noch eine Randstellung ein (Seibel 1997). Andererseits stellt die Gesamtgestalt
der bundesrepublikanischen politischen Ordnung einschliemich ihrer zugehorigen
gesellschaftlichen "Umwelten", so, wie sie iiber die lange Periode von 50 Jahren
gewachsen ist, einen Untersuchungsgegenstand politikwissenschaftlicher Systemana
lyse par excellence dar. Nebenbei bemerkt, thematisiert die deutsche Politikwissen
schaft, wenn sie sich dieses Gegenstandes annimmt, auch ihren eigenen historischen
10 Everhard Holtmann
Grundungskontext, denn bekanntlich ist ihre Genese als eigenstandige Disziplin seit
den 50er Jahren mit der Entwicklung der bundesdeutschen Nachkriegsdemokratie
verbunden (Seibel 1997: 363f.; Bleek/Lietzmann 1999).
1m ubrigen ist das Denken in historischen Kategorien der an Problemen der Gegenwart
interessierten Politikwissenschaft so fremd nicht. Es sei daran erinnert, dafS eine theo
retisch angeleitete empirische Politikforschung selbst dann, wenn sie sich in ihrem
Selbstverstandnis erklartermafSen unhistorisch begreift, mit ihrem analytischen Ansatz
stillschweigend Historisierungen vomimmt, wenn sie sich ihren Gegenstanden anna
hert: Sie fuhrt beispielsweise Zeitachsen ein und operiert mit "Policy-Zyklen", und
sie tragt so der Tatsache Rechnung, dafS politische Entscheidungs- und Implementa
tionsprozesse sequentiell verlaufen, d.h. im Ablauf ihre eigene, noch relativ situations
und erfahrungsnahe Geschichte erzeugen, die wiederum zu einer erklarenden Variable
politischen Handelns werden kann; Politikwissenschaftler untersuchen deshalb, oft
mals vergleichend, zeitliche Abfolgen und Nachfolgen bei den von ihnen ausgewahlten
Anwendungsfallen und Entscheidungs-Konstellationen, denn was sich in ahnlicher
Form bzw. vergleichbarer Weise wiederholt und fur den Sozialwissenschaftler entspre
chend kenntlich wird, weil es beispielsweise innerhalb informeller Netzwerke in Form
von Interaktionsgewohnheiten verstetigt wird, bietet den Stoff fur generalisierende
Aussagen; Politikwissenschaft rekonstruiert schliefSlich, wie zuletzt die mit den Ver
laufen und Folgen der deutschen Einigung befafSte Transformationsforschung, "Ent
wicklungspfade". Diese haben im deutschen Herbst 1990 nicht geschichtslos begonnen,
sondem sie waren in ihrer Richtung vorgezeichnet durch die Vorgeschichten beider
deutscher Staaten, durch ein "Legat" also, welches auf absehbare Zeit der Menschen
"Selbstverstandnis und Wertbeziehungen bestimmt" (Lepsius 1995: 31).
Die bundesdeutsche Geschichte bleibt, wenn sie solcherart zur Erklarung gegenwar
tigen politischen Geschehens herangezogen wird, auf besondere Weise im Wahmeh
mungsfeld der Politikwissenschaft: als ein institutioneller Rahmen und als aggregierte,
in kulturellen Leitvorstellungen prasente Systemerfahrung, die politische Prozesse
und Entscheidungslagen uber langere Zeitraume hinweg strukturieren. Es ist also kein
sehr weiter Weg von der erprobten Empirie des Faches, das, wie erwahnt, seine
Untersuchungsgegenstande seit jeher in bestimmter Weise historisiert, zur systemati
schen Analyse der "langen Wellen" der Entwicklungsgeschichte der Bundesrepublik:
Welche kennzeichnenden Politikstrukturen haben sich im Laufe der vergangenen funf
Jahrzehnte herausgebildet? Welche typischen politischen Handlungs- und Ablaufmu
ster haben sich ausgeformt? Lassen sich Leistungspotentiale deutscher Politik, aber
auch Blockaden und Leistungsversagen aufgrund der jiingeren oder alteren Vorge
schichte genauer erklaren und besser verstehen? Inwieweit bleiben strukturelle und
kulturelle Vorpragungen vergangener Jahrzehnte fur aktuelle und kunftige Politik
handlungsleitend?
Wenn die Fragen nach der Erklarungskraft historischer Begriindungsbedingungen
bundesdeutscher Politik so gestellt werden, beriihren sie sich erkennbar mit einem
allgemeinen und zentralen Erkenntnisinteresse der Politikwissenschaft, das AusmafS
und Ursachen von Stabilitiit oder Instabilitiit politischer Ordnung ergrunden will (vgl.
Seibel 1997: 357). Nimmt man fur die Bundesrepublik eine historisch gewachsene
Stabilitat an, so geht es in der Retrospektive auf 50 Jahre staatlichen Bestehens vor
nehmlich darum, die institutionellen Verankerungen dieses Stabilitatsfaktors, in dem