Table Of ContentStudien zur Komposition
in ausgewählten Werken Rembrandts
unter besonderer Berücksichtigung der Links-Rechts-Problematik
Dissertation
zur Erlangung des Doktorgrades an der philosophischen Fakultät
der Georg-August-Universität zu Göttingen
vorgelegt von
HeaYean Rosenhauer-Song
aus Seoul, Korea
Göttingen 1999
Referent: Professor Dr. Carsten-Peter Warncke
Korreferentin: Professorin Dr. Antje Middeldorf
Tag der mündlichen Prüfung: 30 November 1999
Inhalt
1 Einführung
1.1 Thema und Konzeption der Untersuchungen 6
1.2 Verfahren der Analyse 9
1.3 Abriß zur Links-Rechts-Problematik in der kunstgeschichtlichen Forschung 10
1.4 Zur Links-Rechts-Problematik in der Rembrandt-Literatur 15
2 Klärung der neuropsychologischen Grundlagen im Hinblick auf die La-
teralitätsphänomene 20
2.1 Leserichtung und visuelle Wahrnehmung 20
2.2 Zeichnungsrichtung und Schreibrichtung 21
2.3 Zeichnungsrichtung und Händigkeit 22
2.4 Zerebrale Lateralität der visuellen Wahrnehmung 23
2.5 Korrelation zwischen der ästhetischen Präferenz und der Händigkeit 24
2.6 Links-Rechts-Tendenz in Profildarstellungen Rembrandts 28
3 Die Links-Rechts-Problematik in Werken Rembrandts
3.1 Die symbolische Bedeutung von Links und Rechts 32
3.2 Radierung versus Zeichnung 33
3.3 Die Gestaltung der aufsteigenden und fallenden Diagonalen 41
Radierungen
3.3.1 B 44 Die Verkündigung an die Hirten 42
3.3.2 B 49 Die Lobpreisung Simeons und Hannas 46
3.3.3 B 75 Christus in Gethsemane 50
3.3.4 B 43 Der Engel Raphael verläßt die Familie des Tobias 54
3.3.5 B 92 Die Enthauptung Johannes des Täufers 58
3.3.6 B 83 Die Kreuzabnahme im Fackelschein 61
3.3.7 B 104 Der lesende heilige Hieronymus in einer italienischen Landschaft 65
Gemälde
3.3.8 Bre 548 Die Kreuzaufrichtung 71
4 Die inhaltvermittelnde Funktion der Links-Rechts-Asymmetrie in aus-
gewählten Werken Rembrandts 77
4.1 Retardierender Effekt der Links-Rechts-Asymmetrie
Radierungen
4.1.1 B 39 Joseph und Potiphars Weib 78
4.1.2 B 40 Der Triumph des Mordechai 80
4.1.3 B 212 Die Landschaft mit drei Bäumen 86
4.1.4 B 217 Die Landschaft mit drei Giebelhütten an einer Straße 91
4.1.5 B 202 Frau mit dem Pfeil 96
Gemälde
4.1.6 Bre 419 Der Künstler in seinem Atelier 101
4.2 Dynamisierender Effekt der Links-Rechts-Asymmetrie
Radierungen
4.2.1 B 37 Joseph erzählt seine Träume 105
4.2.2 B 72 Die Auferweckung des Lazarus 108
4.2.3 B 67 Christus lehrend ;`La petite tombe´ 111
4.2.4 B 46 Die Anbetung der Hirten 115
4.2.5 B 273 Abraham Francen 119
Landschaftsradierungen mit dem linksseitigen Anlaufpunkt 123
4.2.6 B 233 Die Windmühle 124
4.2.7 B 226 Die Landschaft mit Hütte unter einem Baum 126
4.2.8 B 209 Der Omval 127
4.2.9 B 228 Hütten am Kanal 129
4.2.10 B 227 Die Landschaft mit einem Obelisken 131
Gemälde
4.2.11 Bre 463 Die Entführung der Proserpina 134
Experiment 139
5 Schlußfolgerung 142
Anhang:
Literaturverzeichnis 149
Abbildungen 157
Abstract
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1999 von der philosophischen
Fakultät der Georg-August-Universität in Göttingen angenommen. Für die
Drucklegung wurde sie abschließend überarbeitet.
Sie wäre in dieser Form nicht ohne die Hilfe von verschiedenen Seiten zustande
gekommen: Für unterstützende Vorschläge danke ich Herrn Dr. Gerd
Unverfehrt. Für das Korrekturlesen danke ich herzlichst Bernhard Schelp. Bei
Frau Stechert und Frau Neitzert, die mich mit freundlichen Worte unterstützt
haben, möchte ich mich ebenfalls bedanken.
Zu danken habe ich vor allem den beiden Referenten dieser Arbeit, Professor Dr.
Carsten-Peter Warncke und Professorin Dr. Antje Middeldorf.
Der Graduierten-Förderung des Landes Niedersachsen, die mein Studium
zweieinhalb Jahre finanziell unterstützt hat, bin ich zu Dank verpflichtet. Ebenso
den tiefsten Dank an meine Eltern und meinen Mann für seine Begleitung.
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1 Einführung
1.1 Thema und Konzeption der Untersuchung
Die Arbeit beschäftigt sich mit der Links-Rechts-Asymmetrie bei der Betrachtung
von Bildern. Jeder Stelle innerhalb eines Bildfeldes kommt eine bestimmte Wertigkeit
zu, d. h. die Komposition des Bildes und seine Wirkung auf den Betrachter hängen
davon ab, an welche Stelle des Bildfeldes die einzelnen Motive gesetzt werden. Dies
ist eine recht triviale Feststellung, die niemand ernstlich bezweifeln wird; keineswegs
trivial hingegen ist die Aussage, daß sich die Wertigkeiten im Bildfeld hinsichtlich der
linken bzw. rechten Seite unterscheiden. Die Wirkung eines Bildes ändert sich bei der
spiegelverkehrten Betrachtung. Man wird häufig feststellen, daß sich erhebliche for-
male und inhaltliche Unterschiede ergeben; nicht selten wird ein bestimmter ästheti-
scher Effekt vollständig aufgehoben.
Die unterschiedliche Ausdruckskraft des Bildfeldes im Hinblick auf Links und
Rechts ist ein Faktum, das mit der ästhetischen Empfindung1, z. B. der Ausgewo-
genheit der Bildstruktur, zusammenhängt. Zweifelsohne bleibt bei der seitenverkehr-
ten Betrachtung eines Werkes das vom Künstler angelegte Verhältnis der Motive
zueinander bestehen, mit der das Inhaltliche der Darstellung korrespondiert. Jedoch
bedeutet dies nicht, daß die Wirkung des Bildes auf den Betrachter gleich ist, da die
von links ausgehende Blickrichtung des Betrachters von großer Bedeutung ist.2
Für das Thema bieten sich grundsätzlich zwei Bearbeitungsweisen an. Die erste ist
eher theoretisch-systematischer Art und betrifft allgemeine Fragen der Bildkomposi-
tion, d. h. der Rezeptionsästhetik. Die zweite Bearbeitungsweise dieses Themas ist
die im engeren Sinne kunsthistorische und untersucht, wie die Probleme der Kom-
position unter den Bedingungen einer bestimmten Epoche vom Künstler in ausge-
suchten Beispielen seines Oeuvres gelöst werden.
1 Eine gelungene Inhaltsexegese kommt nicht nur dem `historischen Verständnis´ des
Kunstwerks zugute, sondern auch dem `ästhetischen Erlebnis´, das der Betrachter bei
der Bildbetrachtung hat (Vgl. Jan Bialostocki: Ikonographische Forschung zu Rembrandts
Werk. in: Münchener Jahrbuch der bildenden Kunst 1957(8) S. 197).
2 siehe Seite 26
7
Um der Gefahr zu entgehen, es bei unverbindlichen Verallgemeinerungen zu belas-
sen, erschien es am zweckmäßigsten, die Untersuchung auf das Werk eines einzigen
Malers zu beschränken. Es ist zu erwarten, daß die Links-Rechts-Problematik in der
darstellenden Kunst des Barocks eine besondere Rolle spielt, da sie im allgemeinen
durch Bewegtheit und Dynamik, d. h. durch Vermeidung von Symmetrie gekenn-
zeichnet ist und daher den gegenläufigen Richtungstendenzen und der Ausdrucks-
kraft steigender und fallender Diagonalen einen hohen Stellenwert zuweist. Dabei
wirft ohne Zweifel die Druckgraphik in besonderem Maße Probleme von Links und
Rechts auf, und zwar wegen der aus dieser Technik resultierenden Seitenverkehrung.
Wenn also barocke Druckgraphik ein besonders lohnender Gegenstand der Untersu-
chung zu sein verspricht, so liegt es nahe, die Werke ihres bedeutendsten Vertreters,
nämlich Rembrandts, hierfür auszuwählen.3 Demzufolge wird im kunsthistorischen
Teil meiner Arbeit das Werk Rembrandts im Mittelpunkt stehen, wobei eine Gegen-
überstellung von Gemälden und Zeichnungen einerseits sowie von Radierungen an-
derseits dazu dienen soll, Rembrandts Behandlung des Links-Rechts-Problems zu
erhellen. Insbesondere stellt sich die Frage, in welchem Maße Rembrandt sich der
Veränderungen bewußt war, die bei der Druckgraphik durch die Seitenverkehrung
eintreten, und wie groß sein Interesse war, diesen Veränderungen Rechnung zu tra-
gen. Diese Frage hängt unmittelbar damit zusammen, ob die intendierte Wirkung
einer Komposition Rembrandts auf den Betrachter im Druck- oder im Plattenbild
besser zur Geltung kommt. Als Ziel meiner Arbeit wird der Vorgang untersucht, der
sich zwischen der Komposition eines Bildes und der Blickrichtung des Betrachters
abspielt4, um die unterschiedliche Wirkung einer seitenrichtigen und einer seitenver-
kehrten Komposition herauszuarbeiten.
In der einschlägigen Literatur wurde die Asymmetrie in der visuellen Wahrnehmung5
häufig auf die Lese- und Schreibgewohnheit zurückgeführt. Es ist jedoch notwendig,
den tatsächlichen visuellen Wahrnehmungsvorgang zu beschreiben. Die Ursache für
das Phänomen der asymmetrischen Wahrnehmung ist in der Kunstgeschichte unzu-
3 Die graphischen Werke Rembrandts sind keine Reproduktionsarbeiten (siehe Anm.154)
Deshalb sind sie kompositionell weitgehend unabhängig von seiner Malerei.
4 Carsten-Peter Warncke: Sprechende Bilder - Sichtbare Worte. Das Bildverständnis in der frühen
Neuzeit. Wiesbaden 1987, insbesondere S. 295-323
5 Der Begriff der Asymmetrie kann als die Vorzugstendenz der visuellen Wahrnehmung,
die von links nach rechts verläuft, verstanden werden (Vgl. Seite 26).
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reichend problematisiert. Deshalb werden in meiner Arbeit Erkenntnisse der psycho-
logischen Forschung über die Lateralität referiert. Dabei ist es ein weiteres Ziel, zu
überprüfen, inwieweit die Zeichnungsrichtung mit der Schreibrichtung (bzw. Lese-
richtung) und der Blickfelddominanz zusammenhängt.
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1.2 Verfahren der Analyse
Bei der gesamten Druckgraphik ist die aus der Technik resultierende Seitenverkeh-
rung des Druckbildes aufs engste mit der Links-Rechts-Problematik verbunden. Mit
Hilfe eines Diaprojektors wurden die einzelnen Radierungen und die Gemälde sei-
tenverkehrt betrachtet. Wenn man das seitenrichtige (Druckbild) und das seitenver-
kehrte (Plattenbild) Bild simultan betrachtet, beginnt man sofort zu vergleichen, an-
statt den Bildeindruck der beiden `Versionen´ zunächst einmal jeweils für sich kon-
zentriert zu erfahren. Um dieser Gefahr zu entgehen, wurden während dieser Unter-
suchung beide `Versionen´ eines Bildes unabhängig voneinander betrachtet und ana-
lysiert.6 Das Ziel dieser Analyse liegt darin, die verschiedenen Wirkungsweisen einer
Komposition bei der seitenverkehrten Betrachtung deutlich zu machen.
Man könnte der Ansicht sein, daß es problematisch ist, auch Gemälde unter diesem
Aspekt zu betrachten, weil der Künstler während der Arbeit an ihnen das Problem
der Seitenverkehrung nicht berücksichtigen mußte. Wenn aber die Komposition ei-
nes Bildes eine bestimmte Wirkung beim Betrachter auslöst und diese Wirkung bei
der seitenverkehrten Betrachtung aufgehoben oder verändert wird, dann kann man
davon ausgehen, daß Korrelationen zwischen der Bildstruktur, die durch die Seitig-
keit von Links und Rechts geprägt wird, und der Wirkung auf den Betrachter vor-
handen sind. Aus diesem Grund werden auch Gemälde Rembrandts in die Analyse
der seitenverkehrten Betrachtung miteinbezogen.
6 In dieser Untersuchung werden Werke, bei denen die Autorschaft Rembrandts Zweifeln
unterliegt oder die der Werkstatt Rembrandts zugeschrieben sind, nicht in Betracht ge-
zogen.
Description:siehe Anm. 102. 40 siehe Anm. 103 . right hemisphere notes visual similarities to the exclusion of conceptual similarities. The left hemisphere does