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Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften
Geisteswissenschaften Vorträge· G 347
Herausgegeben von der
Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften
LUDWIG SIEP
Zwei Formen der Ethik
Westdeutscher Verlag
383. Sitzung am 19. April 1995 in Düsseldorf
Die Deutsche Bibliothek -CIP-Einheitsaufnahme
Siep, Ludwig:
Zwei Formen der Ethik I Ludwig Siep. - Opladen: Westdt. Ver!., 1997
(Vorträge / Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften:
Geisteswissenschaften; G 347)
ISBN 978-3-531-07347-7 ISBN 978-3-322-88140-3 (eBook)
DOI 10.1 0071978-3-322-88 I 40-3
NE: Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften <Düsseldorf);
Vorträge / Geisteswissenschaften
Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Bertelsmann Fachinformation.
© 1997 by Westdeutscher Verlag GmbH Opladen
Herstellung: Westdeutscher Verlag
ISSN 0944-8810
ISBN 978-3-531-07347-7
In der gegenwärtigen Ethik-Diskussion gibt es eine Art neuer querelle des
anciens et des modernes. Vor allem über die Vorzüge der aristotelischen oder
der kantischen Tradition der Ethik wird gestritten. 1 Aber auch in anderen,
nicht unmittelbar an historischen Vorbildern orientierten Debatten geht es um
Paradigmen, Argumentationstypen und Konzepte, die mehr oder minder
deutlich der einen oder anderen Epoche zuzuordnen sind. Das gilt für die
Kontroverse um den Primat der Güter- oder der Pflichtenethik,2 der Klug
heitsethik oder der Prinzipienethik, der konkreten Ethik oder der allgemeinen
Moral, des öffentlichen Wohls oder des privaten (Kommunitaristen versus
Liberale),3 vielleicht auch für die Kontroverse um den Umfang der moralisch
zu berücksichtigenden Ansprüche (Anthropozentrik versus Bio-oder Kosmo
zentrik).4 Allerdings verlaufen bei einigen dieser Debatten die Fronten nicht
der philosophiehistorischen Abfolge gemäß: Hobbes und Kant werden von
den Vertretern der "modernen" Positionen, Hegel dagegen wird von den
Kommunitaristen und einem Teil der "Neoaristoteliker", Nietzsche von den
Kritikern des modernen Rationalismus in Anspruch genommen.
Trotzdem lassen sich die meisten Positionen zwei verschiedenen Formen
von Ethik zuordnen, die ihre Vorbilder einerseits in den neuzeitlichen Ver
tragstheorien und Autonomie-Ethiken des 17. und 18. Jahrhunderts haben -
und andererseits in den vorneuzeitlichen ethischen Traditionen vor allem der
aristotelischen, aber auch der platonischen und stoischen Ethik. Die Ethik
Konzepte, die sich als modern verstehen, sind durch bestimmte Vorstellungen
1 Vgl. U. Steinvorth, Klassische und moderne Ethik. Hamburg 1990. H. Krämer, Integrative
Ethik. Frankfurt 1992. E. Tugendhat, Antike und moderne Ethik. In: ders., Probleme der Ethik.
Stuttgart 1984, S. 33-56.
2 V gl. J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, Frankfurt 1991, S. 166 H., 176 H.
3 Vgl. A. Honneth (Hrsg.), Kommunitarismus. Eine Debatte über die moralischen Grund
lagen moderner Gesellschaften. Frankfurt/New York, 2. Aufl. 1994, sowie M. Brumlik u.
H. Brunkhorst (Hrsg.), Gemeinschaft und Gerechtigkeit. Frankfurt 1993.
4 Vgl. D. Birnbacher, Mensch und Natur. Grundzüge der ökologischen Ethik. In: K. Bayertz
(Hrsg.), Praktische Philosophie. Grundorientierungen angewandter Ethik. Hamburg 1991,
S.278-321.
6 Ludwig Siep
von Rationalität und durch eine bestimmte Auffassung vom Gegenstands
bereich der Ethik verbunden. Für Ernst Tugendhat, einen ihrer vehementesten
Verteidiger, unterscheidet sich die Moderne von der Antike "durch die
Radikalisierung der Ausweisungskriterien, und zwar sowohl bei praktischen
wie bei theoretischen Urteilen."s Erst die moderne Ethik ist ein wissenschaft
liches Unternehmen, das Begründungsstandards der modernen Wissenschaft
und der modernen Formen öffentlicher Rechtfertigung entspricht. In der
Gegenwart muß die Ethik mit logischen, sprachphilosophischen und - mög
lichst sparsam - mit gesicherten empirischen Argumenten begründet werden.
Und sie muß ihre Regeln, Werte und Normen vor Individuen rechtfertigen, die
über wahr und falsch, gut und böse sowie über die eigenen Interessen selber
entscheiden wollen.
Gegenstand einer solchen Ethik sind die Regeln der Kooperation zwischen
Individuen. Es geht um Pflichten von Menschen gegeneinander. "Gut han
deln" heißt, diese Pflichten zu erfüllen; "gut sein" bedeutet, ein guter
Kooperationspartner zu sein. Pflichten beziehen sich auf Interessen und
Wünsche; geboten ist, die Interessen eines jeden möglichen Kooperations
partners gleich zu gewichten und zu berücksichtigen. Dabei gilt als Interesse
des anderen das, was dieser selber als solches formuliert bzw. autonom fest
legt - nur in Ausnahmefällen kann sein langfristiges rationales Interesse gegen
seine artikulierte Meinung abgewogen werden. Der Anspruch des Indivi
duums auf gleiche Berücksichtigung seiner Interessen besteht nicht nur gegen
über anderen Individuen, sondern auch gegenüber dem Staat. Im Grundsätz
lichen stimmen über diesen Ethikbegriff Neokantianer, Vertragstheoretiker,
Diskursethiker und Präferenzutilitaristen überein - wenngleich der pathozen
trische Utilitarist das Gute als optimale Schmerz-Lust-Balance nicht nur für
Menschen, sondern für alle schmerz empfindenden Wesen betrachtet.
Beides, die Rationalitätsbegriffe und der Umfang bzw. Gegenstand der
modernen Ethik, wird mit Berufung auf vorneuzeitliche oder "klassizistische"
(Hegel) Formen der Ethik kritisiert. Kritiker wie MacIntyre oder Taylor
betrachten die Rationalitätsstandards der modernen Ethik-Begründungen als
historisch bedingt und abhängig von einer selber schon normativen
Lebensform des Individualismus und Liberalismus.6 Daß Normen primär an
den Interessen der Individuen gemessen werden, erscheint von einem indivi-
5 V gl. Tugendhat (1984, o. Anm. 1), S. 41 f. sowie ders., Vorlesungen über Ethik. Frankfurt 1993,
S. 78, 84, 87.
6 Vgl. A. MacIntyre, Der Verlust der Tugend (After Virtue). Übers. v. W. Rhiel. Frankfurt 1987;
eh. Taylor, Quellen des Selbst (Sources of the Self). Die Entstehung der neuzeitlichen Identität.
Übers. v. J. Schulte. Frankfurt 1994.
Zwei Formen der Ethik 7
dualistisch-nutzenorientierten Begriff von Gesellschaft abhängig, den auch
Kant nicht teilte. Die empirische Basis der modernen Ethik, ihre Begriffe von
Kooperation, Interesse, Schmerz und Lust usw. können ebenso bezweifelt
werden wie die semantischen Analysen der Bedeutung von "gut".
Was den Gegenstandsbereich der Ethik angeht, so wird von den Kritikern
vor allem die Beschränkung auf die sozialen Pflichten moniert. Weder die
Fragen des Glücks des Menschen noch die nach seiner Selbstvervoll
kommnung, der Entwicklung eines "edlen" Charakters, noch die nach seinem
Bezug zur außermenschlichen Welt passen in den Rahmen der modernen
Ethik-Begriffe.
Dagegen wird in der vormodernen Ethik der Mensch als Teil einer kosmi
schen Ordnung begriffen. Er kann nicht nur gegenüber anderen Menschen,
sondern auch sich selbst und der außermenschlichen Welt gegenüber richtig
oder falsch handeln. Was er an menschlichen Gütern berücksichtigen soll, sind
nicht nur subjektive Interessen, sondern das "objektiv" Gute, Vollendung und
Glück im Sinne der Erfüllung (eudaimonia, autarkeia). Es gibt unabhängig von
seinen Meinungen etwas für ihn und die anderen "Zuträgliches" - etwas, das
er braucht, um sich zu erhalten, zu entwickeln und die ihm mögliche
Vollendung zu erreichen. Dazu gehört eine bestimmte Funktion im sozialen
und natürlichen Zusammenhang.
Die Erfüllung seiner Wünsche ist nur ein Teil dieses Zuträglichen. Wenn der
Mensch, nach der platonisch-aristotelischen politischen Philosophie, von
Natur aus auf ein Leben in bestimmten Gemeinschaften mit gemeinsamen
Zielen sowie funktional getrennten Aufgaben angelegt ist, dann kommt es
primär auf die Bedingungen der Verwirklichung dieser öffentlichen Güter an,
und erst sekundär auf die Bedingungen der ungestörten Interessenverfolgung.
Darauf berufen sich die kommunitaristischen Kritiker der modernen Ethik.
Ich will hier nicht untersuchen, wie weit und mit welchem Recht sich die
Kritiker der modernen Ethik auf philosophische Positionen der Antike und
des Mittelalters berufen. Ebensowenig geht es mir um die korrekte Genealogie
der sich zur Moderne bekennenden Ansätze. Die Debatte befindet sich in
einem Stadium, in dem verschiedene Autoren beider Seiten die andere als eine
notwendige Ergänzung betrachten. Ich möchte zunächst die Vorschläge zu
einer solchen Ergänzung von seiten der Vertreter der modernen Ethik am
Beispiel von Ernst Tugendhat und Jürgen Habermas diskutieren. Meine
weitere Frage wird sein, ob diese Ergänzung ausreicht und ob sie, wie bisher
überwiegend versucht, auf dem Boden der modernen Ethik erfolgen kann. Die
Alternative, für die ich plädieren werde, besteht darin, die moderne Ethik
umgekehrt als engeren Bereich innerhalb des umfassenden "vormodernen"
Rahmens der Ethik zu begreifen.
Ludwig Siep
I
Ernst Tugendhat hat in seinen Vorlesungen über Ethik eine scharfe und fast
karikaturhaft vereinfachte Gegenüberstellung von moderner und vormodern
traditionalistischer Ethik vorgenommen. Dabei wird "modern" mit aufgeklärt
und rational begründet gleichgesetzt, "vormodem" mit traditionalistisch und
autoritär. Das sind natürlich keine reinen Epochenbegriffe - Tugendhat weiß,
daß es auch in der griechischen Philosophie eine "Aufklärung" gegeben hat/
und er würde die aristotelische Ethik, trotz ihrer Orientierung an einem kon
kreten ("aristokratischen") Ethos, nicht als rein "traditionalistisch" verstehen.
Prototypisch für die traditionalistischen Ethiken sind vielmehr religiöse
Morallehren, die sich auf göttliche Gebote berufen. Das könnte bedeuten, daß
philosophische Ethik als solche, also auch vor der Neuzeit, "modern" ist.
Aber für Tugendhat ist auch jegliche Berufung auf die menschliche Natur -
etwa im Naturrecht - "vormodern" . Darunter fällt ein großer Teil der aristo
telischen Tradition. Außerdem hat die gesamte, im historischen Sinne vor
moderne philosophische Ethik nicht das Begründungsniveau der modernen
Rationalität erreicht. Die traditionalistische und die vormoderne Ethik läßt
sich nur auf dogmatische Setzungen eines göttlichen Willens oder einer Natur
zurückführen, in deren angeblich vorgegebene Ordnungen in Wahrheit
Normen und Interessen projiziert worden sind.
Der moderne Begriff von Moral muß dagegen durch eine semantische
Analyse der Moralsprache und durch unbestreitbare empirische Fakten
begründet werden. Es ist ein "unbezweifelbarer natürlicher Tatbestand", daß
"alle Menschen, sofern sie überhaupt an Kooperation mit anderen interessiert
sind, ein Interesse daran haben, daß alle mit allen darin übereinkommen, ein
gewisses System von Normen einzuhalten." (73) Aufgrund dieses Interesses
können sich alle miteinander auf Regeln des wechselseitigen Nicht-Schadens
und der Unterstützung einigen. Tugendhat folgt so weit der vertragstheore
tischen Tradition der neuzeitlichen Ethik von Thomas Hobbes bis John
Mackie.8
Nach Tugendhat verfehlt aber die Vertragstheorie, wenn man sie allein und
ausschließlich zum Fundament der Ethik macht, das Spezifische der Bedeu
tung von "gut" und der moralischen Gefühle. Im Gefolge der sprachanalyti-
7 Vgl. Vorlesungen über Ethik (1993), S. 23 (Seitenverweise in den folgenden Abschnitten be
ziehen sich auf dieses Buch).
8 J. Mackie, Ethik. Auf der Suche nach dem Richtigen und Falschen. (Ethics. Inventing Right
and Wrang). Übers. v. R. Ginters. Stuttgart 1981.
Zwei Formen der Ethik 9
schen Ethik9 glaubt er, der moralischen Sprache eine bestimmte Bedeutung
von "gut" und "müssen" entnehmen zu können. "Gut" im moralischen Sinne
ist die Rolle des Menschen, für alle anderen ein guter Kooperationspartner zu
sein.IO Diese Rolle ist durch Gefühle der Verpflichtung und der Schuld sank
tioniert. Gutes Handeln wird von einem Gefühl der Forderung begleitet und
der Verstoß dagegen löst beim Beobachter Empörung, beim "Täter" Scham
oder das Gefühl der Schande aus.
Moralisch gut zu sein verlangt aber ferner, gleiche Rücksicht auf die
Interessen eines jeden möglichen Kooperationspartners zu nehmen. Gut ist
nur - das hat erst Kant erkannt -, wer niemand anderen instrumentalisiert
bzw. wer die Perspektive eines beliebigen Betroffenen einnimmt und mit glei
chem Gewicht berücksichtigt. Diese Bereitschaft erst macht aus einer Ver
tragsgemeinschaft eine moralische Gemeinschaft. Denn in einem Vertrag kön
nen beliebige Dritte ausgeschlossen und die Interessen der Vertragspartner -
solange sie zustimmen - unterschiedlich behandelt werden.
Auch eine solche rationale Begründung der Ethik ist aber nach Tugendhat
nicht zwingend, sondern nur plausibel. Wer die Kooperation prinzipiell nicht
will, kann auf diese Weise auch nicht überzeugt werden. Er kann wider
spruchsfrei entweder isoliert leben oder regellos kooperieren. An dieser Stelle
können nun nach Tugendhat Überlegungen der antiken Glücksethik helfen:
Wenn man zeigen könnte, daß moralisches Verhalten das Glück des
Individuums fördern muß, wäre der Motivation, sich der ethischen Gemein
schaft anzuschließen, aufgeholfen.
Es gibt aber noch drei weitere Argumente für eine Erweiterung der moder
nen Ethik unter Rückgriff auf die antike Glücks- und Tugendethik: Erstens
gehören zu dem, was wir gut nennen, nicht nur Handlungen, sondern auch
Haltungen bzw. Charaktereigenschaften; zweitens ist die Konzentration der
modernen Ethik auf Regeln nicht geeignet, der Komplexität der Situationen
gerecht zu werden; und drittens hat diese Ethik Schwierigkeiten, zusätzlich zu
den negativen Unterlassungspflichten auch positive Handlungen und
Haltungen der wechselseitigen Hilfe, der Anteilnahme und Unterstützung zu
begründen.
9 Vgl. etwa R. Hare, Die Sprache der Moral. Übers. v. P. v. Morstein. Frankfurt 1961. Ders.,
Moralisches Denken. Übers. v. eh. Fehige u. G. Meggle. Frankfurt 1992.
10 Tugendhat stützt sich bei seinen semantischen Überlegungen auf die fast schon klassische
Untersuchung von G. H. v. Wright, The Varieties of Goodness. London 1963. Für v. Wright ist
aber der moralische Begriff des Guten als des erfolgreich intendierten "Zuträglichen" (benefi
cial) mit einem Begriff des Gesamtwohls (welfare, well-being) eines Wesens verknüpft, der
deutlich aristotelische Züge trägt (v gl. S. 42 ff., S. 128 ff.). Ein solches Wohl kommt allen Wesen
zu, die "ein Leben haben" (have a life), auch Tieren und Pflanzen - ob auch sozialen
Einrichtungen (social units) läßt v. Wright offen (5. 50 f.).
10 Ludwig Siep
Nach Tugendhat ist es Adam Smith gewesen, der in seiner Theorie der
moralischen GefühleI! die aristotelische Tugendethik mit einer Moral univer
saler und gleicher Kooperationspflichten verbunden hat. Sympathie oder emo
tionales "Einschwingen" in die Gefühle des anderen einerseits und Billigung
durch einen unparteiischen Beobachter andererseits sind die Elemente dieser
Tugendlehre. Nur durch emotionale Harmonie mit anderen werden wir glück
lich. Dauerhafte, von beliebigen neutralen Beobachtern gebilligte Affekte sind
aber zugleich moralisch gefordert. Solche moralisch geforderten emotionalen
Dauerdispositionen sind die Tugenden. Nur sie befähigen in den komplexen
und stets wechselnden Situationen zu den richtigen, d.h. sozial angemessenen
Handlungen.
Damit nimmt Tugendhat Maclntyres Plädoyer für eine Renaissance der
Tugendethik gegenüber der neuzeitlichen Gesetzesethik positiv auf.!2 Zu einer
umfassenden Ethik gehört eine Lehre der lobenswerten Haltungen und
Charaktereigenschaften. Sie muß aber von der vormodernen Ethik der
Standestugenden und -privilegien gelöst werden. Smith's "genialer Einfall",
das "Prinzip der Unparteilichkeit mit der Idee des affektiven Einschwingens
zu verbinden", habe die "Tugenden für das moderne Bewußtsein erst wieder
zugänglich" gemacht (308). Ihre Begründung liegt nicht in einer metaphysi
schen Psychologie, wie bei Aristoteles, sondern in den Bedingungen des
privaten Glücks und den Forderungen der Kooperation autonomer Indi
viduen. Fraglich an Tugendhats Berufung auf die Moralphilosophie von Adam
Smith, als einer Tugendlehre auf dem Boden der Moderne, bleibt freilich, ob
eine solche materiale Theorie des Glücks mit der Neutralität der modernen
Moral gegenüber den privaten Glückskonzepten vereinbar ist.
Soweit die Ergänzungen durch die Glücks-und Tugendethik, die Tugendhat
selber fordert. In einem wesentlichen Punkt greift er aber - wie mir scheint,
entgegen seiner eigenen Kritik - noch grundsätzlicher auf die vormoderne
Ethik zurück. Tugendhat plädiert nämlich gegen die Kantische Ethik und
Rechtsphilosophie, die er in diesem Punkt für einen "Reflex der spezifisch
bürgerlich-kapitalistischen Moral hält" (334), für einen Kanon positiver sozia
ler Pflichten, die dem Staat auferlegt sind. Um sie zu erkennen, muß man nach
dem Modell des "impartial benevolent ob server" eine Perspektive annehmen,
aus der eine "Liste von allgemein als Güter und insbesondere als Übel gelten
den Sachverhalten erkennbar" wird. (330)
11 A. Smith, The Theory of Moral Sentiments. Hrsg. v. D.D. Raphael und A. L. Macfie. Oxford
1976.
12 Vgl. Maclntyre (1987, o. Anm. 6).