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DIE ERFASSUNG UND VERMESSUNG DER WELT BEI DEN RÖMERN
Vermessung der Oikumene
Topoi
Berlin Studies of the Ancient World
Edited by
Excellence Cluster Topoi
Volume 14
De Gruyter
II
Vermessung der Oikumene
Herausgegeben von
Klaus Geus
Michael Rathmann
De Gruyter
ISBN 978-3-11-029092-9
e-ISBN 978-3-11-029107-0
ISSN 2191-5806
Library of Congress Cataloging-in-Publication Data
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IV
Inhalt
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
Alexander V. Podossinov
Oben und unten. Begriffe der Raumorientierung in antiken Texten . . . . . . . 5
Konstantin Boshnakov
The „Sacred Counsel“: On some features of thePeriegesis,Periodos, and their originators 25
Veronica Bucciantini
Misurazioni e distanze marittime nelPeriplo di Nearco . . . . . . . . . . . 65
Serena Bianchetti
Il valore del racconto di viaggio nell’opera geografica di Eratostene . . . . . . . 77
Johannes Engels
Kulturgeographie im Hellenismus: Die Rezeption des Eratosthenes und Poseidonios
durch Strabon in denGeographika . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
Silvia Panichi
Dall’India all’Iberia: Artemidoro di Efeso misura l’ecumene (frr. 1 e 125Stiehle) . . 101
Anne Kolb
Die Erfassung und Vermessung der Welt bei den Römern . . . . . . . . . . 107
Klaus Grewe
Streckenmessung im antiken Aquädukt- und Straßenbau . . . . . . . . . . 119
Ekaterina Ilyushechkina
Das Weltbild des Dionysios Periegetes . . . . . . . . . . . . . . . . 137
Richard J. A. Talbert
Worldview reflected in Roman military diplomas . . . . . . . . . . . . . 163
Klaus Geus, Irina Tupikova
Anmerkungen zur Geschichte der Erdmessung im Altertum . . . . . . . . . 171
Kai Brodersen
Vom Periplus zur Karte. Die Leistung des Gaius Iulius Solinus . . . . . . . . 185
Michael Rathmann
TheTabula Peutingeriana in the mirror of ancient cartography. Aspects of a reappraisal 203
Jan Stenger
Eusebios’ Erfassung des Heiligen Landes. Die Evidenz des Raumes
imOnomastikon der biblischen Ortsnamen . . . . . . . . . . . . . . . 223
INHALT V
Ulrich Huttner
Mit den Heiligen unterwegs in Kleinasien. Distanzmessungen
in hagiographischen Texten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
Silke Diederich
Oikumene im Wandel– Isidor von Sevilla . . . . . . . . . . . . . . . 255
Kurt Guckelsberger, Florian Mittenhuber
Überlegungen zurKosmographie des anonymen Geographen von Ravenna . . . . 287
Francis Breyer
Punt und die Seefahrer. Zum Nutzen von Logbüchern in der Punt-Diskussion . . . 311
Wolfgang Crom
Von Impulsen, Kontinuitäten und Brüchen in der Kartengeschichte . . . . . . 321
Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
Indices. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
Orte, Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
Quellenstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402
VI INHALT
Einleitung
Der Titel der Tagung, dessen deutlich erweiterter Kolloquiumsband hier nun vorliegt, lehnt sich an den
internationalen Bestseller „Die Vermessung der Welt“ von Daniel Kehlmann an. Der Roman erzählt die
um zahlreiche Erfindungen angereicherten Lebensgeschichten der beiden Forscher Alexander von Hum-
boldt (1777–1855) und Carl Friedrich Gauß (1769–1859). Ähnlich wie in dem 2005 erschienenen Roman,
wo sich die beiden Herren Gauß und Humboldt auch, aber eben nicht nur, als Landvermesser betätigen,
will auch der vorliegende Sammelband den Begriff der Vermessung in seinen verschiedenen Facetten
verstanden wissen. Es geht also nicht nur um die Erschließung des physischen Raumes mit Metermaß
und Theodolit (bzw. mit Messschnur und Dioptra), es geht auch um die verschiedenen Formen von poli-
tischer, wirtschaftlicher, sozialer und nicht zuletzt auch mentaler Aneignung und Durchdringung von
Räumen. Die Erkenntnis, dass auch der Raum eine kulturelle Größe bzw. ein kulturelles Paradigma dar-
stellt, hat sich in den letzten Jahren verstärkt in den Kultur- und Geisteswissenschaften durchgesetzt.
Man hat, vielleicht etwas zu euphemistisch, sogar schon denspatial turn in der Wissenschaft ausgerufen.
Den räumlichen Gegenstand dieses Bandes bildet die Oikumene. Merkwürdigerweise hat dieser
Begriff in der jüngeren Forschung so gut wie keine Aufmerksamkeit gefunden. Die wenigen Untersu-
chungen zum Oikumenebegriff sind fast alle vor über 100Jahren erschienen. Einer der Gründe für die
bisherige Vernachlässigung des Themas mag mit demterminus technicus selbst zusammenhängen, der
überaus schillernd und auf semantischer Ebene heute primär theologisch besetzt ist. In der Antike
wurde die Bezeichnung „Oikumene“ in politischen wie religiösen Kontexten verwendet, war jedoch ins-
besondere und im ursprünglichen Sinne in der Geographie gebräuchlich. Wann und von wem der Be-
griff geprägt wurde, ist unsicher. In der Literatur finden sich Verweise auf Anaximandros aus Milet
(erste Hälfte 6.Jh.v.Chr.) oder auf denpater historiae Herodot (ca. 475–415 v.Chr.). Beide Varianten sind
jedoch eher unwahrscheinlich. Vielmehr dürfte der Begriff(cid:2)(cid:3)(cid:4)(cid:2)(cid:5)(cid:6)(cid:7)(cid:8)(cid:9) von dem Philosophen Xenopha-
nes aus Kolophon (ca. 570–470 v.Chr.) geprägt worden sein.
Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass eine genaue Klärung des Begriffs schwer fällt. Das griechi-
sche Wort (cid:2)(cid:3)(cid:4)(cid:2)(cid:5)(cid:6)(cid:7)(cid:8)(cid:9) bedeutet bekanntlich „bewohnt“. Zu diesem Partizip soll gemäß den geläufigen
Lexika und einschlägigen Werken das Substantiv (cid:10)(cid:11), Erde, (gedanklich) ergänzt werden. Oikumene
heißt also wörtlich übersetzt: „bewohnte Erde“. Offensichtlich sollte also mit diesem Begriff eine „be-
wohnte“ von einer „unbewohnten“ bzw. „unbewohnbaren“ Region abgrenzt werden. In der Forschung
wurde daher die Vermutung geäußert, dass diese Dichotomie zu einer Zeit entstanden sein muss, als
die Griechen während ihrer großen Kolonisation auf weiträumige „unbewohnte“ Gegenden gestoßen
sind. Doch welche Landstriche sollten das gewesen sein? Die meisten Gebiete galten den Griechen
damals keineswegs als unbewohnt, wohnten dort doch „volkreiche“ Stämme wie die Sikeler, Kelten,
Iberer, Libyer, Skythen oder sonstige Ethnien. Von der Sahara und anderen größeren Wüstengebieten
hatten die Griechen der archaischen Zeit noch keine Kenntnis.
Die Wortneuschöpfung dürfte daher eher in einem anderen Kontext entstanden sein, nämlich im
Zusammenhang mit der Entdeckung von der Kugelgestalt der Erde. Vielleicht schon um 500 v.Chr. be-
haupteten die Philosophenschulen der Pythagoreer und Eleaten, dass die Erde keine Scheibe, sondern
eine Kugel sei. Parmenides (ca. 520–460 v.Chr.), der Begründer der eleatischen Schule, soll aus der Erd-
kugeltheorie bereits geographische Folgerungen abgeleitet haben. Unter anderem teilte er die Erde in
Zonen oder griechisch(cid:4)(cid:12)(cid:13)(cid:6)(cid:14)(cid:15)(cid:14) ein, die wie Gürtel um die ganze Erdkugel herumgeführt wurden. Nach
EINLEITUNG 1
dieser Ansicht gibt es auf dem Globus insgesamt fünf Zonen. Davon sind die drei am Nordpol, am
Äquator und am Südpol aufgrund klimatischer Bedingungen wie Kälte oder Hitze unbewohnbar und
lediglich die beiden dazwischen liegenden für den Menschen bewohnbar.
Diese Hypothese des Parmenides, dass es auf der Erde nicht nur eine, sondern zwei bewohnbare
Zonen gebe– eine auf der nördlichen, eine auf der südlichen Hemisphäre–, war revolutionär. Damit
wurde erstmals der Gedanke artikuliert, dass weit außerhalb der den Griechen bekannten Mittelmeer-
regionen weitere bewohnbare Räume auf der Erde existierten. Für dieses neue Erdmodell benötigte
man nun einen Begriff, mit dessen Hilfe man die den Griechen bekannte und bewohnte Welt von
den unbekannten, aber theoretisch bewohnbaren Bereichen auf der Erdkugel abgrenzen konnte. Dies
dürfte die Geburtsstunde des Begriffs Oikumene gewesen sein.
In der Folgezeit bildete die Diskussion um die Größe und Form der Oikumene das zentrale Thema
unter den griechischen Geographen. Und anderem erhoben so bedeutende Gelehrte wie Demokrit, Eu-
doxos, Dikaiarch und Eratosthenes in diesen Debatten ihre Stimme.
Mit der Universalmonarchie Alexanders des Großen wurde der Begriff in seiner Bedeutung erwei-
tert. Von nun an verband sich mit dem Wort Oikumene auch ein imperialer ‚Weltreichsanspruch‘. Zur
vollen geostrategischen Entfaltung gelangte dieser Gedanke einesimperium sine fine, also eines „Reichs
ohne Grenzen“, durch Rom. Und Rom gab dieses Konzept bis zum Ende der Antike nicht mehr auf, un-
abhängig davon, wie sich der tatsächlich beherrschte Raum auch veränderte.
Aus Sicht des Geographen Strabon, der als Vertreter der ‚Oikumene-Geographie‘ par excellence
gelten darf, ist die Oikumene ein kulturelles und politisches, nicht mehr rein fachgeographisches Kon-
zept. Seine Beschreibungen werden stark von politischen und ideologischen Kriterien beeinflusst,
z.B. seiner prorömischen und principatsfreundlichen Grundhaltung. Ungeklärt ist aber beispielsweise
noch, in welchem Umfang seine Oikumene-Vorstellung auf spätere Autoren wirkte.
Den Höhepunkt der antiken Geographie bildet die „Geographike Hyphegesis“ des Klaudios Ptole-
maios (um 150 n.Chr.), das hinsichtlich Quellenerfassung, Datenumfang und Methodologie weit über
die Werke seiner Vorgänger hinausging. Aber auch Ptolemaios’Geographie bezieht sich auf die Oiku-
mene als den zentralen Begriff der Raumerfassung: Ptolemaios will nicht die gesamte Welt („Erdober-
fläche“) maßstabsgerecht abbilden, sondern nur die Oikumene (geogr. 1,1).
Wer den geographischen Raum quantifizieren und strukturieren will, muss ihn vermessen– und damit
kommen wir zum zweiten zentralen Begriff dieses Sammelbandes. Die mathematischen Grundlagen
zur Berechnung der Erdkugel haben die ionischen Naturphilosophen geschaffen. Die von ihnen auf-
gestellte Formel 2(cid:16)r für den Kreisumfang zählt in der Moderne zur Allgemeinbildung. Aristote-
les (384–322 v.Chr.) überliefert uns in seinem Werk de caelo die älteste Angabe zum Erdumfang:
400000Stadien. Leider spricht der Universalgelehrte im Hinblick auf die Urheber dieser Berechnung
nur allgemein von „Mathematikern“. Die Forschung vermutet, dass damit Eudoxos aus Knidos (ca.
395–335 v.Chr.) gemeint sei. Beweise für diese These lassen sich jedoch nicht beibringen. Ebenfalls skep-
tisch zu sehen ist die Angabe über die Größe des Erdumfangs. Vermutlich geht die Größenangabe
400000 Stadien auf die Zusammenstückelung bzw. Summation der im 4. Jh. v.Chr. bekannten Teil-
strecken zwischen den Säulen des Herakles und dem Indus, dem West- und Ostrand der Oikumene, zu-
rück. Für die Annahme eines Nährungswertes spricht auch die Formulierung „ungefähr 400000Sta-
dien“ bei Aristoteles. Wichtig ist jedoch: Wer die Größe der Erdkugel zu berechnen versucht, hierzu auf
Entfernungsmessungen zurückgreift und zudem diese Erdkugel in Zonen einzuteilen beginnt, der hat
den ersten Schritt hin zur Kartographie– dem zentralen Bereich der antiken Geographie– getan.
2 EINLEITUNG