Table Of ContentAlexander Straßner (Hrsg.)
Sozialrevolutionärer Terrorismus
Alexander Straßner (Hrsg.)
Sozialrevolutionärer
Terrorismus
Theorie, Ideologie,
Fallbeispiele,
Zukunftsszenarien
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1.Auflage 2008
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Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in the Netherlands
ISBN 978-3-531-15578-4
Inhaltsverzeichnis
Alexander Straßner
Sozialrevolutionärer Terrorismus:
Typologien und Erklärungsansätze 9
I. Die Heterogenität sozialrevolutionärer Grundlagen
Benjamin Zeitler
Terrorismus als Revolutionshindernis:
Karl Marx und Friedrich Engels 37
Nina Huthöfer
Der Katechismus des Revolutionärs:
Sergej Nechaev 47
Marcus Gerngroß
Anarchismus im Zarenreich:
Michail Bakunin und Pjotr Kropotkin 57
Ilona Steiler
Die Idee der „Permanenten Revolution“:
Leo Trotzki 69
Johannes Wörle
Die Avantgarde als Keimzelle der Revolution:
Vladimir I. Lenin 77
Tobias Nerb
Angewandte Guerillatheorie:
Mao Tse Tung 87
Stephanie Rübenach
Die Theorie der Revolutionsherde:
Befreiung der Dritten Welt oder Wegbereiter des Terrorismus? 97
Philip Gursch
Gewalt als Widerstandsrecht?
Herbert Marcuse 115
Daniel Heller
Die Frankfurter Schule – Das Primat der Theorie 125
6 Inhaltsverzeichnis
II. Organisationen
A. Klassische sozialrevolutionäre Organisationen
Marcus Gerngroß
Terrorismus im Zarenreich mit Vorbildfunktion:
Die „Narodnaya Wolya“ 147
Ilona Steiler
Bewaffneter Kampf im Mutterland des Imperialismus:
Der Weather Underground 159
Philip Gursch
Revolution als Tradition:
Die Action Directe in Frankreich 177
Barbara Fendt und Susanne Schäfer
Orthodoxer Marxismus und Antiimperialismus:
Die Belgischen Kommunistischen Zellen 189
Alexander Straßner
Perzipierter Weltbürgerkrieg:
Rote Armee Fraktion in Deutschland 209
Lutz Korndörfer
Terroristische Alternative in der BRD:
Die Bewegung 2. Juni 237
Johannes Wörle
Erdung durch Netzwerkstruktur?
Revolutionäre Zellen in Deutschland 257
Carolin Holzmeier und Natalie Mayer
Erdung durch Arbeiternähe?
Die Roten Brigaden Italiens 275
Florian Edelmann
Die Schimäre der Weltrevolution:
Rote Armee Faktion, Vereinigte Rote Armee und Japanische
Rote Armee – Bewaffneter Kampf in Japan und im
internationalen Kontext 305
Inhaltsverzeichnis 7
Florian Edelmann
Die Phantomguerilla:
Revolutionäre Organisation 17. November
in Griechenland 329
Nina Huthöfer
Erfolgreicher Terrorismus? Die Tupamaros in Uruguay 345
B. Strukturelle und ideologische Grenzfälle
Alexandra Bürger
Terrorismus oder Guerilla? Der Sendero Luminoso in Peru 365
Franz Kurz
Ein „tragisch-groteskes“ Missverständnis:
Das Scheitern der argentinischen Montoneros 387
Stephanie Rübenach
Die Brasilianische Stadtguerilla:
Aktionskonglomerat auf widersprüchlicher Grundlage 411
Daniel Heller
Moderner Terrorismus zwischen religiösen,
politischen und sozialrevolutionären Motiven:
das Beispiel AlQaida 435
Folgerungen
Alexander Straßner
Die Zukunft des sozialrevolutionären Terrorismus 457
Anhang
Der Herausgeber/ Die Autorinnen und Autoren 487
Sozialrevolutionärer Terrorismus:
Typologien und Erklärungsansätze
Typologien und Erklärungsansätze
Alexander Straßner
1 Sozialrevolutionärer Terrorismus: neues Stiefkind der Forschung
Terrorismus ist seit dem 11. September 2001 zu einem Kernthema in Wissenschaft und
Belletristik avanciert. Gerade systematisierende Darstellungen erscheinen seither vornehm-
lich in Form von mitunter schmalen und wenig aussagekräftigen Sammelbänden und in
regelmäßiger Abfolge.1 Seltener sind hingegen die monographischen Abhandlungen ge-
worden, die eine Gesamtbetrachtung der terroristischen Logik und Struktur zum Ziel hat-
ten.2 Nur ein Teil der publizierten Literatur ist aber tatsächlich von wissenschaftlichem
Mehrwert3, ein Gros der Publikationen dient dem Zweck, die aktuelle Diskussion um kultu-
relle Brüche in einer globalisierten Welt als Ursache für Terrorismus zu ergänzen, die seit
Huntingtons Kulturkampfhypothese4 die Politikwissenschaft mit beeinflusst.5 So prägen
angesichts der aktuellsten Literatur kurze historische Darstellungen6 ebenso das Bild wie
Versuche, eine enzyklopädische Bewältigung des Phänomens zu leisten.7
Im Zentrum der Untersuchungen steht dabei der religiös motivierte Terrorismus. In der
öffentlichen Wahrnehmung reduzieren sich Inhalt, Struktur, Vorgehensweise und Bedro-
hungspotenzial augenblicklich auf die lineare Organisation AlQaida. In der Tat hat Terro-
rismus seit dem 11. September 2001 eine neue Qualität erreicht. Quantitativ durch die Viel-
1 Als aktuelles Beispiel siehe Gehl, Günter (Hrsg.), Terrorismus. Krieg des 21. Jahrhunderts? Weimar 2006.
2 Wie beispielsweise die aktuelle Standardliteratur von Waldmann, Peter, Terrorismus. Provokation der Macht,
München 22005 und Hoffman, Bruce, Terrorismus - Der unerklärte Krieg. Neue Gefahren politischer Gewalt,
Frankfurt am Main 1999.
3 Siehe dazu vor allem Kemmesies, Uwe E. (Hrsg.), Terrorismus und Extremismus. Der Zukunft auf der Spur.
Beiträge zur Entwicklungsdynamik von Extremismus und Terrorismus. Möglichkeiten und Grenzen einer prog-
nostischen Empirie, München 2006. Siehe dazu außerdem Waldmann, Peter (Hrsg.), Determinanten des Terroris-
mus, Weilerswist 2005. Begrenzt sinnvoll dagegen Weidenfeld, Werner (Hrsg.), Herausforderung Terrorismus.
Die Zukunft der Sicherheit, Wiesbaden 2004,
4 Huntington hatte methodisch und inhaltlich fragwürdig acht Kulturkreise prognostiziert, an deren Nahtstellen
sich die Konflikte der Zukunft entzünden würden, von deren zahlreichen Vorboten einer der internationale Terro-
rismus sei.. Huntington, Samuel P, Der Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhun-
dert, München 1996.
5 Dazu gehören auch die Neuauflagen der Monographien Walter Laqueurs, dessen Standardwerk deshalb vorzu-
ziehen ist. Siehe dazu Laqueur, Walter, Die globale Bedrohung. Neue Gefahren des Terrorismus, München 2001
und Laqueur, Walter, Krieg dem Westen. Terrorismus im 21. Jahrhundert, München 2003. Als neuere Publikation
siehe Richardson, Louise, Was Terroristen wollen. Die Ursache der Gewalt und wie wir sie bekämpfen, Frankfurt
am Main 2007.
6 So beispielsweise Townshend, Charles, Terrorismus. Eine kurze Einführung, Stuttgart 2005.
7 Dietl, Wilhelm/ Hirschmann, Kai/ Tophoven, Rolf, Das Terrorismus-Lexikon. Täter, Opfer, Hintergründe,
Frankfurt am Main 2006. Es handelt sich dabei aber weniger um ein Lexikon im eigentlichen Wortsinne als viel-
mehr um eine generelle Aufarbeitung und Klassifizierung mit notwendigerweise meist unterkomplex gehaltenen
biographischen Skizzen der jeweiligen Organisationen.
10 Alexander Straßner
zahl an zivilen Opfern, die mit einem einzigen Anschlag getötet wurden, qualitativ durch
eine neuartige terroristische Struktur, die dem bis dato vorherrschenden Verständnis terro-
ristischer Gruppierungen als strikt hierarchische Organisationen diametral entgegen stand.8
Sozialrevolutionärer Terrorismus befindet sich dagegen auf dem Abstellgleis, was die me-
diale Berichterstattung betrifft. Wird er heute in wissenschaftlichen Publikationen noch
erwähnt, dann fristet er auch quantitativ ein Nischendasein gegenüber momentan prominen-
teren Fallbeispielen. Die letzte synoptische, wissenschaftliche Darstellung mit kurzen Skiz-
zen sozialrevolutionärer Organisationen stammt aus dem Jahr 1992 und ist auf europäische
Gruppen beschränkt.9 Nicht zuletzt seit dem Zusammenbruch des real existierenden Sozia-
lismus und damit dem Wegfall der argumentativen Grundlage für zahlreiche sozialrevoluti-
onäre Gruppierungen haben terroristische Organisationen, die sich auf Karl Marx oder eine
der Folgeideologien bezogen, unter den erodierenden Tendenzen in der Berichterstattung
gelitten, gleichwohl sie sich in dien siebziger Jahren zu öffentlichkeitswirksamen und damit
auch publizistischen Höhen aufgeschwungen hatten, die ihren Niederschlag in Wissen-
schaft, Presse und öffentlicher Debatte fanden. Mit dem Epochenwandel 1989/90 und dem
Aufstieg der AlQaida ab Anfang und Mitte der neunziger Jahre fand die Forschung nur
noch zu einem stiefmütterlichen Umgang mit dem sozialrevolutionären Terrorismus, sieht
man von der speziell deutschen Situation anlässlich des Jahrestages des „Deutschen Herbs-
tes“ im Jahr 2007 ab. Als wissenschaftlich die Hypothese vorgebracht wurde, dass der sozi-
alrevolutionäre Aktivismus als gescheiterte „dritte Welle“ des Terrorismus historisiert wer-
den könne10, hat sich auch in der Wissenschaft der Fokus unmerklich in Richtung des isla-
mistisch motivierten Netzwerkterrorismus verschoben.
Die Vorstellung von terroristischen Organisationen als hierarchische Gebilde hatte bis
dahin gerade in der Bundesrepublik die öffentliche Einschätzung geprägt. Bis heute be-
kannt und dominant sind in dieser Sichtweise die linksterroristischen Gruppen der siebziger
und achtziger Jahre, Rote Armee Fraktion (RAF), Bewegung 2. Juni, Revolutionäre Zellen,
und angesichts der Diskussion um die Wiederauferstehung des sozialrevolutionären Terro-
rismus in Italien auch die Roten Brigaden. Zahlreiche andere Organisationen, die in der
nationalen Geschichte des jeweiligen Landes für Aufsehen sorgten bzw. diese sogar erheb-
lich mitprägten, sind dagegen weithin unbekannt. Dies gilt besonders für die Tupamaros in
Uruguay wie auch für die Montoneros in Argentinien. Das Argument, angesichts der aktu-
ellen Bedrohungslage sei sozialrevolutionärer Terrorismus keine wissenschaftliche Analyse
wert, ist allerdings zu kurz gegriffen. Einerseits, da einige Organisationen noch immer oder
aber wieder aktiv sind. Beweggründe für sozialrevolutionäres Engagement scheint es also
auch lange nach dem Kollaps des Sowjetkommunismus noch zu geben. Andererseits gilt es
auch festzuhalten, dass sich zahlreiche Verbrechen bis heute noch immer nicht haben klären
lassen, was letztlich auch den Grad an gesellschaftlicher Relevanz mitbestimmt. Allein die
vehemente Diskussion, welche die geplante Freilassung von Gefangenen aus der RAF in
8 An der Literatur zu AlQaida hat sich die schwer zu treffende Einordnung niedergeschlagen. Es überwiegen bis
heute journalistische und populärwissenschaftliche Darstellungen, die wohl nicht zuletzt aus Vermarktungszwe-
cken die Literatursituation prägen und deshalb hier keine weitere Erwähnung finden. Eine der wenigen wissen-
schaftlichen Klassifizierungen stammt von Ulrich Schneckener, Transnationaler Terrorismus. Charakter und
Hintergründe des „neuen“ Terrorismus, Frankfurt am Main 2006.
9 Alexander, Yonah/Pluchinsky, Dennis A., Europe`s red terrorists. The fighting communist organizations, Port-
land 1992.
10 So Rapoport, David C., The Fourth Wave. September 11 in the History of Terrorism, in: Current History, De-
cember 2001, S. 419-424.
Sozialrevolutionärer Terrorismus: Typologien und Erklärungsansätze 11
Deutschland im Winter 2007 auslöste, verdeutlichte. dass die ideologischen Grabenbrüche
der siebziger Jahre weder verheilt noch deren Konsequenzen für Staat und Gesellschaft
hinreichend analysiert wurden.11
Der Umgang mit dem Phänomen Terrorismus insgesamt wird allerdings durch die
Meinungsbildung in der Öffentlichkeit und die mediale Darstellung nicht selten erschwert.
Dabei spielt weniger die inhaltliche Komponente eine Rolle, als vielmehr die unscharfe
Verwendung von Begriffen, die eine übersichtlichere Landschaft terroristischer Organisati-
onen zur Folge hätte. Insofern ist es Auftrag dieses einführenden Beitrages, das Phänomen
sozialrevolutionärer Terrorismus zu definieren und abzugrenzen von Nachbarbegriffen und
verwandten Formen politischer Gewalt. Anschließend wird die qualitative Veränderung der
politisch motivierten Gewalt untersucht, um aufzuzeigen, dass Zellenstruktur und lineare
Organisationsformen keine Erfindung moderner Islamisten sind. Ein kurzer Ausblick auf
die Beiträge des Sammelbandes beschließt die einführenden Bemerkungen.
2 Diffizile Begriffe: Terror, Terrorismus, Guerilla
Gemäß dem Diktum Friedrich Nietzsches, demzufolge nur Dinge definiert werden könnten,
die keine Seele haben, verböte sich eine Darstellung des Terrorismusbegriffes ebenso wie
der Versuch, ihm einen klar verortbaren Inhalt zuzuweisen. Für die wissenschaftliche Ar-
beit sind Definitionen aber nicht nur dringend notwendig, um Missverständnisse und klare
Strukturen herauszuarbeiten. Wie am Beispiel des Terrorismusbegriffes aber besonders
deutlich wird, ist hier eine Definition ebenso dringend erforderlich wie unmöglich zu leis-
ten. Der Grund hierfür liegt in der normativen Aufladung des Begriffes, seiner Konnotatio-
nen, seiner Vielschichtigkeit und nicht zuletzt der Gefahr seiner Instrumentalisierung.12
Bevor der Versuch unternommen wird, eine Arbeitsdefinition von (sozialrevolutionärem)
Terrorismus, der für die hier zu untersuchenden Fallbeispiele Gültigkeit beanspruchen
kann, unternommen wird, ist so die Form politisch motivierter Gewalt von anderen Formen
zu unterscheiden.
In der medialen Berichterstattung mittlerweile ebenso gängig wie unzutreffend ist die
Austauschbarkeit der Begriffe Terror und Terrorismus. Terror wird hier verstanden als eine
Form der Gewaltausübung von oben, als „staatliche Schreckensherrschaft“13, ein Instru-
ment der politischen Eliten, im speziellen durch ein politisches System und seine Institutio-
nen, um oppositionelle Bestrebungen zu bekämpfen oder im Keim zu ersticken oder aber
die Bevölkerung der rigiden Kontrolle durch die eigenen Geheimdienste oder Polizeien zu
unterwerfen. In der Tat sind zwar spezifische Gemeinsamkeiten zwischen Terror und Ter-
11 Diese Aufgabe zu bewältigen hat sich das Hamburger Institut für Sozialforschung gestellt, am Ende der Bemü-
hungen stand eine der Heterogenität der Thematik entsprechend voluminöse Publikation. Siehe dazu Kraushaar,
Wolfgang (Hrsg.), Die RAF und der linke Terrorismus, 2 Bde., Hamburg 2006. Die sofort nach Erscheinen kon-
trovers in den Tageszeitungen geführte Diskussion um die Möglichkeit der Historisierung des sozialrevolutionären
Terrorismus legte Zeugnis ab von der Tatsache, dass die Nachwehen des sozialrevolutionären Aktivismus es
verbieten, diesen terroristischen Teilbereich aus dem Blickwinkel zu verlieren. Siehe dazu den Beitrag von Ale-
xander Straßner in diesem Band.
12 Vgl. zur Problematik insgesamt Backes, Uwe, Auf der Suche nach einer international konsensfähigen Terroris-
musdefinition, in: Möllers, Martin H.W./van Ooyen, Robert Chr. (Hrsg.), Jahrbuch Öffentliche Sicherheit
2002/2003, Frankfurt 2003, S. 153-165.
13 So Waldmann, Terrorismus. Provokation der Macht, aaO (FN 2), S. 17.
12 Alexander Straßner
rorismus wie die Ausrichtung auf Furcht und Schrecken auszumachen.14 Beiden inhärent
sind ein Gewaltakt oder zumindest dessen Androhung, eine darauf folgende emotionale
Reaktion (Furcht oder Sympathie) und daraus resultierende Verhaltensweisen, die dem
eigenen Schutz dienen sollen. Der geschärfte analytische Blick allerdings lässt fundamenta-
le Unterschiede deutlich werden: Terror vermag aufgrund seiner staatlichen Organisation
weitaus mehr Todesopfer zu fordern als der im Gegensatz dazu extrem risikobehaftete
Terrorismus kleiner Gruppierungen. Während kleine Gruppen daher stets auf Bündnisge-
nossen angewiesen sind, kann ein Regime Terror mithilfe einer Ideologie zum Hauptgesetz
seines Handelns machen, ohne sich auf die Reaktion aus der Bevölkerung einlassen zu
müssen. Wie Friedrich/Brzezinski15 festgehalten haben, gehört Terror als Form der institu-
tionell verankerten Gewaltausübung zu den Merkmalen totalitärer Diktaturen.16 Wie am
Beispiel der stalinistischen Sowjetunion Ende der dreißiger Jahre und am nationalsozialisti-
schen „Dritten Reich“ nachzuvollziehen war, gehörte das Höchstmaß an Repression gegen-
über perzipierten und tatsächlichen Systemgegnern zu den Wesensbestandteilen des totali-
tären Staates.17 In der Berichterstattungen vor allem Tageszeitungen ist in begrifflicher
Verwirrung auch in neologistischer Form versucht worden, eine treffende Beschreibung zu
wählen.18
Ebenso vorsichtig muss bei der Unterscheidung zwischen Terrorismus und Guerilla
vorgegangen werden. Für die sozialrevolutionären Terroristen selbst ist ihr Aktivismus der
Kampf gegen ein als ungerecht empfundenes System. Ebenso wie nicht-gewalttätige Ext-
remisten sehen sie sich daher selbst nie als Terroristen, sondern als legitime Widerstands-
und Freiheitskämpfer gegen ein aus unterschiedlichsten Gründen abgelehntes „System“.
Insofern versuchen sich Linksterroristen stets den Lorbeer der Legitimität anzuhaften und
beanspruchen nicht selten den Status einer regulären Gegenarmee und stilisieren sich selbst
zu einer „Guerilla“, um den Eindruck einer regulär kämpfenden Kombattantentruppe mit
weit reichenden Machtbefugnissen zu erwecken. In zahlreichen Darstellungen ist jedoch
bereits eingehend beschrieben worden, dass sich eine derartige Parallelisierung und Analo-
gisierung von „Terrorismus“ und „Guerilla“/„Partisan“ trotz der häufigen Gleichartigkeit
taktischen Vorgehens und der prinzipiellen Gemeinsamkeit irregulärer Kampfmethoden
nicht aufrecht erhalten lässt.19 Terroristische Strategien können zwar den Auftakt einer
späteren Guerillakriegsführung bilden oder sogar Schwächephasen einer Guerillabewegung
überbrücken helfen, nicht selten sind spätere terroristische Organisationen ursprünglich als
14 Siehe zu den folgenden Ausführungen Waldmann, Peter, Terrorismus als weltweites Phänomen. Eine Einfüh-
rung, in: Hirschmann, Kai/Gerhard, Peter (Hrsg.), Terrorismus als weltweites Phänomen. Schriftenreihe zur Neuen
Sicherheitspolitik Band 18, Berlin 2000, S. 16-21.
15 Auch wenn ihre Formulierung einer „terroristischen Geheimpolizei“ im Lichte heutiger präziser Definitionen
bereits wieder ungenau war. Siehe dazu Friedrich, Carl J. /Brzezinski, Zbigniew, Totalitarian dictatorship and
Autocracy, Cambridge 1956.
16 Der Totalitarismusbegriff hat sich daher ähnlichen Diskussionen ausgesetzt gesehen wie der Terrorismusbegriff.
Siehe dazu Kailitz, Steffen, Der Streit um den Totalitarismusbegriff. Ein Spiegelbild der politischen Entwicklung,
in: Jesse, Eckhard/ Ders. (Hrsg.), Prägekräfte des 20. Jahrhunderts. Demokratie, Extremismus, Totalitarismus,
München 1997, S. 219-250.
17 Exemplarisch nachvollzogen durch Arendt, Hannah, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitis-
mus, Imperialismus, totale Herrschaft, München 61998, S. 944-979.
18 So titelte eine überregionale Tageszeitung über einen „Terrorkrieg gegen Amerika“, in: Süddeutsche Zeitung
vom 12.09.2001, S. 1.
19 Vgl. dazu Waldmann, Peter, Terrorismus und Guerilla – Ein Vergleich organisierter antistaatlicher Gewalt in
Europa und Lateinamerika, in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hrsg.), Jahrbuch Extremismus & Demokratie 1993,
Bonn 1993, S. 69-103.