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Sozialer Wandel und Geburtenrückgang in der Türkei
Daniela Klaus
Sozialer Wandel und
Geburtenrückgang
in der Türkei
Der „Wert von Kindern“ als
Bindeglied auf der Akteursebene
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1.Auflage 2008
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© VSVerlag für Sozialwissenschaften | GWVFachverlage GmbH,Wiesbaden 2008
Lektorat:Katrin Emmerich / Tanja Köhler
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Umschlaggestaltung:KünkelLopka Medienentwicklung,Heidelberg
Druck und buchbinderische Verarbeitung:Krips b.v.,Meppel
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in the Netherlands
ISBN 978-3-531-15875-4
Meiner Familie gewidmet
Inhalt
1 Einleitung..................................................................................................13
2 Der demographische Wandel in der Türkei...............................................19
2.1 Das Konzept des demographischen Übergangs...............................19
2.2 Der demographische Übergang in der Türkei..................................24
2.2.1 Aggregatmaße der amtlichen Statistik.............................................25
2.2.2 Kohortenspezifische Übergänge der Familienbildung.....................31
2.3 Bilanz...............................................................................................45
3 Sozialer Wandel und Stabilität in der Türkei............................................47
3.1 Bildungsbeteiligung.........................................................................48
3.2 Wirtschaftssystem und Arbeitsmarkt...............................................55
3.3 Staatliche Sozialabsicherung...........................................................62
3.4 Familie und Verwandtschaft............................................................65
3.5 Bilanz...............................................................................................76
4 Zentrale Fertilitätstheorien im Überblick..................................................79
4.1 Soziologische Erklärungsansätze.....................................................80
4.2 (Mikro-) Ökonomische Ansätze......................................................83
4.3 Sozialpsychologische Ansätze.........................................................88
4.4 Bilanz...............................................................................................91
5 Das Erklärungsmodell...............................................................................93
5.1 Zur Instrumentalität von Kindern: Der Value-of-Children Ansatz..94
5.2 Kinder in der Theorie sozialer Produktionsfunktionen....................96
5.2.1 Das Handlungsmodell......................................................................97
5.2.2 Zur Konstruktion theoriereicher Brückenannahmen........................98
5.2.3 Kinder als potentielle Produktionsfaktoren....................................102
5.2.4 Die Wertedimensionen von Kindern..............................................105
5.2.5 Vorhersage des generativen Verhaltens.........................................113
5.2.6 Das Grundmodell generativen Verhaltens.....................................119
5.3 Die Rationalität der Routine..........................................................122
5.3.1 Moduswechsel: Automatisch oder kalkulierend...........................127
5.3.2 Das Alternativmodell generativen Verhaltens...............................129
5.4 Bilanz.............................................................................................136
6 Hypothesen..............................................................................................139
6.1 Brückenhypothesen: Determinanten des Wertes von Kindern......139
6.2 Handlungshypothesen: Determinanten generativen Verhaltens....146
6.3 Pfadmodell: Der Wert von Kindern als Mediator..........................151
6.4 Alternativmodell: Kalkulation oder Routine.................................152
7 Daten, Methode und Instrumente............................................................155
7.1 Erhebungsdesign und Stichprobe...................................................155
7.2 Methodische Vorbemerkungen......................................................159
7.3 Instrumente und Indizes.................................................................161
8 Ergebnisse...............................................................................................171
8.1 Der Wert von Kindern...................................................................171
8.2 Determinanten des Wertes von Kindern?......................................180
8.2.1 Komfort und soziale Wertschätzung..............................................180
8.2.2 Affekt und Stimulation..................................................................188
8.2.3 Steigende Salienz von Affekt und Stimulation?............................193
8.2.4 Bilanz.............................................................................................194
8.3 Determinanten des generativen Verhaltens?..................................196
8.3.1 Zeitpunkt der Erstgeburt................................................................196
8.3.2 Mehrfache Mutterschaft.................................................................197
8.3.3 Geschlechterpräferenz...................................................................203
8.3.4 Verhaltensrelevanz von Eintrittswahrscheinlichkeiten..................206
8.3.5 Wirkung von Anreizen und Barrieren............................................207
8.3.6 Bilanz.............................................................................................209
8.4 Der Wert von Kindern als Mediator?.............................................210
8.5 Kalkulation oder Routine?.............................................................213
9 Zusammenfassung...................................................................................221
10 Ausblick..................................................................................................225
Literatur............................................................................................................235
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Überlebenskurven Erstheirat nach Geburtskohorte...........39
Abbildung 2: Überlebenskurven Erst- bis Drittgeburt nach
Geburtskohorte..................................................................42
Abbildung 3: Total Fertility Rate und Erstheiratsalter 2003...................46
Abbildung 4: Analphabetenrate zwischen 1935 & 2000.........................49
Abbildung 5: Netto-Bildungsbeteiligungsraten 2003/04.........................50
Abbildung 6: Beschäftigungssituation 6-14 Jähriger 1999......................53
Abbildung 7: Verstädterungsrate nach Region 1950 & 1985..................56
Abbildung 8: Bevölkerungswachstum zwischen 1935 & 1990...............57
Abbildung 9: Zusammenhang Bildungsbeteiligung und
Erwerbstätigkeit.................................................................60
Abbildung 10: Sozial- und Krankenversicherung zwischen
1950 & 1998......................................................................63
Abbildung 11: Ehearrangements nach Heiratskohorte..............................69
Abbildung 12: Der Wert von Kindern 1975 & 2002.................................73
Abbildung 13: Erwartungen an erwachsene Kinder 1975 & 2002............74
Abbildung 14: Kinder in den sozialen Produktionsfunktionen................103
Abbildung 15: Das Grundmodell der Erklärung......................................122
Abbildung 16: Das erweiterte Handlungsmodell.....................................132
Abbildung 17: Das Alternativmodell der Erklärung................................135
Abbildung 18: Verteilung des Wertes von Kindern................................179
Abbildung 19: Überlebenskurven Zweit- und Drittgeburt in
Abhängigkeit vom Wert von Kindern.............................198
Abbildung 20: Vorhersage des Erstgebäralters: Pfadmodell...................212
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Die demographische Lage zwischen 1927 & 2005................27
Tabelle 2: Ausschluss problematischer Altersgruppen...........................36
Tabelle 3: Übergang Erstgeburt in drei Vergleichsgruppen....................38
Tabelle 4: Heirats- und Geburtenverläufe nach Geburtskohorte.............40
Tabelle 5: Beschäftigte nach Sektor zwischen 1935 & 2000 (%)...........55
Tabelle 6: Arbeitslosen- und Beschäftigungsraten 2004.........................58
Tabelle 7: Beschäftigungsstatus und -sektoren 2000 (%).......................59
Tabelle 8: Familientypen zwischen 1968 & 1998 (%)............................75
Tabelle 9: Korrespondenz theoretischer Ansätze..................................120
Tabelle 10: Erhebungsdesign..................................................................155
Tabelle 11: Stichprobenbeschreibung.....................................................157
Tabelle 12: Deskription der VOC-Items.................................................163
Tabelle 13: Erwerbssituation nach Bildungsbeteiligung.........................167
Tabelle 14: Validierung des Nutzens von Kindern.................................174
Tabelle 15: Validierung der Kosten von Kindern...................................176
Tabelle 16: Determinanten Komfort und soziale Wertschätzung............181
Tabelle 17: Determinanten einzelner Komfortitems, Kosten..................183
Tabelle 18: Determinanten Affekt und Stimulation................................190
Tabelle 19: Zweit- und Drittgeburt in Abhängigkeit vom Wert
von Kindern..........................................................................200
Tabelle 20: Zweit- und Drittgeburt in Abhängigkeit vom Geschlecht
geborener Kinder sowie Komfort und Wertschätzung.........204
Tabelle 21: Wirkung kurz- vs. langfristig erwarteten Komforts.............206
Tabelle 22: Wirkung von Anreizen und Barrieren..................................208
Tabelle 23: Prüfung des Alternativmodells.............................................215
1 Einleitung
Trotz deutlicher Niveauunterschiede zeichnet sich weltweit eine Tendenz rück-
läufiger Geburtenraten ab. Der allgemeine Geburtenrückgang ist keineswegs ein
Phänomen der letzten Jahrzehnte: Soweit die historischen Quellen hierzu Aus-
sagen zulassen, setzte er Mitte des 18. Jahrhunderts in Großbritannien und
Frankreich ein und ergriff nach und nach weitere europäische Länder, die in den
Prozess der Industrialisierung eintraten. Bis dahin waren hohe Geburtenraten,
gleichzeitig aber auch eine hohe Sterblichkeit verbreitet, weshalb sich der welt-
weite Bevölkerungsumfang recht stabil auf einem geringen Niveau hielt. Da
dem Rückgang der Geburten zeitlich ein Absinken der Sterberaten vorausging,
wurde eine weltweite Bevölkerungsexplosion ausgelöst, die bis heute anhält:
Bis um 1800 umfasste die Weltbevölkerung knapp 1 Milliarde Menschen und
überschritt im auslaufenden 20. Jahrhundert die 6 Milliarden Grenze (United
Nations 1998). Während der Beginn dieser Aufwärtsspirale auf die demographi-
schen Umbrüche der heutigen Industrieländer zurückgeht, sind es momentan die
Entwicklungs- und Schwellenländer, die diesen Prozess am Laufen halten. Das
demographische Entwicklungsmuster des zeitversetzten Rückgangs von Gebur-
ten und Sterblichkeit scheint trotz gewisser Variationen zwischen einzelnen
Ländern universal zu sein. Der dadurch ausgelöste, rasante Bevölkerungszu-
wachs wird sich noch einige Jahrzehnte fortsetzen, da derzeit in weiten Teilen
der Erde die Zahl der Geburten, die der Sterbefälle erheblich übersteigt. Aber
mittlerweile sind auch diese geburtenstarken Regionen vom Rückgang der Ferti-
lität erfasst: War vor einigen Jahrzehnten für zahlreiche demographische Gigan-
ten kaum ein Abriss der hohen Geburtenraten abzusehen, so hat inzwischen
auch in Ländern wie Indien oder Indonesien die Fertilität beträchtlich abge-
nommen. Damit ist der Grundstein für ein langfristiges Ende der weltweiten
Bevölkerungsexpansion gelegt. Entsprechend aktueller Modellrechnungen der
Vereinten Nationen ist ab dem zweiten Drittel des 21. Jahrhunderts eine Stabili-
sierung der Weltbevölkerung um die 9 Milliarden zu erwarten (United Nations
2004).
Eine differenzierte Betrachtung der aktuellen demographischen Lage legt
offen, dass die Industrieländer bereits ein Bevölkerungswachstum nahe Null
(0.3) erreicht haben, sich hingegen die Entwicklungsländer durch deutliche
Zuwächse auszeichnen (1.5; United Nations 2004). Entsprechend unterscheiden
14 1 Einleitung
sich auch die Gesamtfruchtbarkeitsraten (TFR): 1.6 gegenüber 2.9 (ebd.). Wäh-
rend die Mehrheit der Länder gerade noch am Anfang der skizzierten demogra-
phischen Wende steht oder sich mitten in ihrem Verlauf befindet, deuten jüngste
Tendenzen v. a. in Europa auf eine neuartige Entwicklung hin: Wird das Bevöl-
kerungswachstum um die Zuwanderung bereinigt, so kristallisiert sich eine
leicht negative Wachstumsrate heraus. Das stellt das Resultat derart geringer
Geburtenzahlen dar, die eine natürliche Reproduktion der Bevölkerung auf
Dauer nicht mehr gewährleisten. In Deutschland beispielsweise übersteigt seit
einigen Jahren regelmäßig die Anzahl der jährlich Gestorbenen die Zahl der
Neugeborenen (Birg 2004). Das geht maßgeblich auf einen wachsenden Teil der
Bevölkerung zurück, der sich dauerhaft gegen Kinder entscheidet: Fast ein Drit-
tel des Jahrgangs 1966 geborener westdeutscher Frauen wird kinderlos bleiben
(Dorbritz 2003: 408).
Es ist evident, dass das Geburtenniveau eine zentrale Größe im demogra-
phischen Gefüge darstellt: So trägt es derzeit in einem Teil der Welt zu einer
massiven Explosion der Bevölkerung bei und im anderen zu ihrer Schrumpfung,
wobei neben der quantitativen Zusammensetzung auch die Altersstruktur betrof-
fen ist. Für die einzelnen nationalen Regierungen leiten sich hieraus ganz unter-
schiedliche Problemlagen ab. Die neben dem Anstieg der Lebenserwartung
maßgeblich durch die ausbleibenden Geburten hervorgerufene Alterung der
Bevölkerung in den westlichen Industrieländern, gewinnt ihre Brisanz durch
ihre nachhaltigen und tief greifenden Konsequenzen für das Funktionieren des
zumeist etablierten modernen Wohlfahrtsstaates. Darüber hinaus rücken auch
andere Themen in die öffentliche Diskussion, wie wirtschaftliche oder raum-
und stadtplanerische Folgen (vgl. u. a. Institut der deutschen Wirtschaft Köln
2004). Im Gegensatz hierzu stehen die derzeitigen Entwicklungs- und Schwel-
lenländer vor der Aufgabe, das massive Bevölkerungswachstum mit all seinen
Konsequenzen zu bewältigen. Jeweils geht es darum, effektiv auf die nationale
Bevölkerungsentwicklung Einfluss zu nehmen. Sofern derlei Maßnahmen am
Geburtenniveau ansetzen sollen, ist die Kenntnis der Determinanten generativen
Verhaltens unerlässlich. Hierfür bedarf es erklärungskräftiger theoretischer
Modelle, die entsprechende Faktoren und (Kausal-) Mechanismen herleiten und
spezifizieren.
An dieser Stelle werden nun regelmäßig Soziologen zu Wort gebeten. Das
bedeutet keineswegs, dass sie die Einzigen wären, die sich den Ursachen der
(rückläufigen) menschlichen Reproduktion aus theoretischer Sicht gewidmet
hätten. Ganz im Gegenteil: Bereits ein flüchtiger Blick in die Literatur fördert
unzählige Beiträge aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zu Tage.
Die Ökonomen waren die ersten, die sich systematisch mit Bevölkerungs- und
Fertilitätsprozessen befasst haben – motiviert durch die Einsicht in die wirt-