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Sowjetische Asien- und Pazifikpolitik
unter Gorbatschow: Dynamik in Richtung Osten
Dieter Heinzig
26-1987
Als Beitrag zum Umweltschutz:
Innenteil überwiegend aus Recyclingpapier
Die Meinungen, die in den vom BUNDESINSTITUT FÜR
OSTWISSENSCHAFTLICHE UND INTERNATIONALE STUDIEN
herausgegebenen Veröffentlichungen geäußert werden, geben
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© 1987 by Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und
internationale Studien, Köln.
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für ostwissenschaftliche und internationale Studien
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INHALT
Seite
Kurzfassung 1
1 . Einleitung 7
2. Aktivierung der Asien- und Pazifikpolitik
unter Gorbatschow 8
3. Neue programmatische Vorstöße 11
4. Das "Gesamtasiatische Forum" 12
5. Das Konzept von Wladiwostok und die
"Pazifik-Konferenz" 13
6. Reaktionen auf die Rede von Wladiwostok . . .. 16
7. Untaugliche Schritte zur Lösung des
Afghanistanproblems 18
8. Kontinuität gegenüber dem nichtkommunistischen
Vorzugspartner Indien 21
9. Sowjetische Vietnampolitik als Hindernis
für die politische Annäherung an China 22
10. Diplomatische Flexibilität gegenüber Japan . . 26
11. Verdichtung der militärischen
Zusammenarbeit mit Nordkorea 30
12. Dynamik gegenüber den ASEAN-Staaten und
dem Südpazifik 33
13. Ausblick 38
Anmerkungen . . . . .. 40
Summary 4 9
Juli 1987
Zur Transkription
Bis auf Eigennamen, die im Text und im Textteil der An
merkungen phonetisch transkribiert werden, wird für rus
sischsprachige Wörter im Text und in den Anmerkungen die
wissenschaftliche Transkription verwendet. Chinesisch
sprachige Wörter werden grundsätzlich in der in der VR
China verbindlichen Umschrift (Pinyin) wiedergegeben.
Dieter Heinzig
Sowjetische Asien- und Pazifikpolitik unter Gorbatschow:
Dynamik in Richtung Osten
Bericht des BlOst Nr. 26/1987
Kurzfassung
Unter Gorbatschow wurde das herkömmlich starke Interesse der
Sowjetunion an Asien kräftiger betont und auf den Pazifik
ausgedehnt. Der neue Generalsekretär hob bei der Beschrei
bung der regionalen Hauptrichtungen der sowjetischen Außen
politik die "asiatisch-pazifische Richtung" zusammen mit der
europäischen als die wichtigste hervor, der "immer größere
Bedeutung" zukomme. Der vorliegende Bericht untersucht Ursa
chen, Ablauf und Folgen dieser Vorgänge. Er stützt sich auf
Quellen und Literatur aus der UdSSR und den beteiligten
asiatisch-pazifischen Staaten sowie auf westliche Sekundär
literatur.
Ergebnisse
1 . Das seit Mitte der sechziger Jahre verfolgte Hauptziel
der Sowjetunion ist es, stärkeren Einfluß auf die politi
schen, militärischen und wirtschaftlichen Entwicklungen der
Region zu nehmen, um so eine mit den Vereinigten Staaten
voll konkurrenzfähige asiatisch-pazifische Macht zu werden
und in der globalen Auseinandersetzung mit ihnen Vorteile zu
erlangen. Dies bedeutet, daß die sowjetische Führung darauf
bedacht sein muß, die USA in der Region zurückzudrängen, den
Einfluß Japans und Chinas zu begrenzen und ein politisch-mi
litärisches Zusammenwirken dieser drei Staaten untereinander
sowie mit anderen prowestlichen und neutralen Ländern zu
behindern. Gleichzeitig wird angestrebt, ein ständiges Mit
spracherecht der UdSSR in allen asiatischen Angelegenheiten
zu etablieren. Schließlich besteht ein Interesse daran, die
Ressourcen des Raums für eine beschleunigte Erschließung von
Sibirien und Fernost zu nutzen.
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2. Unter Gorbatschow dürften diese Zielsetzungen im wesent
lichen unverändert geblieben sein. Allerdings wurde das
Interesse der Sowjetunion an Asien bei weitem kräftiger un
terstrichen und in auffälliger Weise zum pazifischen Raum
hin erweitert. Hiermit ist offenbar beabsichtigt, die in den
achtziger Jahren erreichte beachtliche militärische Präsenz
auf den bisher vernachlässigten politischen und wirtschaft
lichen Bereich auszudehnen. Das verstärkte Interesse an der
Region kam sowohl in neuen programmatischen Initiativen als
auch durch Bewegung in der praktischen Politik gegenüber
einzelnen Staaten zum Ausdruck. Andererseits ließ die So
wjetführung auch unter Gorbatschow gegenüber Japan und China
auf den zentralen Konfliktfeldern wie auch in der Afghani
stanfrage keine Bereitschaft zu Zugeständnissen in der Sache
erkennen.
3. Im Zusammenhang mit neuen programmatischen asien- und
pazifikpolitischen Initiativen fällt auf, daß unter Gor
batschow die Tatsache, daß die Sowjetunion zu zwei Dritteln
in Asien liegt und Pazifikanrainer ist, deutlicher herausge
stellt wird, um sie als Anspruchsgrundlage für ein Mitspra
cherecht in der Region zu nutzen. Gorbatschows Vorschlag
eines "Gesamtasiatischen Forums" vom Mai 1985 unterscheidet
sich in einem wesentlichen Punkt von Breshnews "Kollektiven
Sicherheitssystem in Asien" (KSA) von 1969. Das KSA-Konzept
zielte vor allem darauf ab, China einzudämmen und zu isolie
ren. Das "Gesamtasiatische Forum" hingegen bezieht China
definitiv ein. Das Echo in Asien fiel etwas günstiger als im
Falle der KSA aus, war aber überwiegend negativ.
4. Die entscheidende Hinwendung zu Asien und zum Pazifik
vollzog Gorbatschow im Juli 1986 in Wladiwostok in der
ausgeprägtesten asienpolitischen Rede, die je ein sowjeti
scher Parteichef gehalten hat. Hierbei tat er einen ent
scheidenden neuen Schritt, indem er die USA als eine pazifi
sche Großmacht mit legitimen Interessen in der Region aner
kannte. Die Rede enthielt den Vorschlag, eine "Pazifik-Kon
ferenz" nach dem Muster der KSZE einzuberufen, bei der es
sich in Wirklichkeit um eine asiatisch-pazifische Veranstal
tung handeln soll. Obgleich erneut Skepsis überwog, zeigten
einzelne Länder eine andere Reaktion auf das Konzept von
Wladiwostok als früher. Ungeteilte Zustimmung kam nur aus
der Mongolei sowie aus Vietnam, Laos und Kambodscha. Die
Vereinigten Staaten und Japan lehnten ab, China stellte
Bedingungen. Nordkorea und Indien verhielten sich distan
ziert. Die ASEAN-Staaten reagierten überwiegend negativ.
5. Unter Gorbatschow setzte die Sowjetunion die Anfang der
achtziger Jahre begonnene Entspannungspolitik gegenüber
China konsequent fort. Die Zusammenarbeit in den bisherigen
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Bereichen wie Handel, Wirtschaft, Technik, Wissenschaft und
Kultur wurde ausgeweitet. Neue Kooperationsgebiete wie zum
Beispiel die wasserwirtschaftliche Nutzung von Amur und
Argun kamen hinzu. Aufgrund eines sowjetischen Zugeständnis
ses konnten die seit 1978 unterbrochenen Grenzverhandlungen
wiederaufgenommen werden. Moskau signalisierte eine gewisse
Konzessionsbereitschaft im Bereich der "drei Normalisie
rungshindernisse", die von Peking nicht honoriert wurde. Ein
politischer Durchbruch blieb vor allem deswegen aus, weil
die Sowjetunion die Kambodschapolitik Vietnams weiter unter
stützt. Auch in der Frage der Wiederaufnahme von Parteibe
ziehungen gab es keine Bewegung.
6. Gegenüber Japan gab die Sowjetunion ihre seit Mitte der
siebziger Jahre demonstrierte diplomatische Starrheit auf
und ging zu einem beweglicheren Verhalten über, ohne aller
dings im Hinblick auf den bilateralen Hauptstreitpunkt, die
Territorialfrage, Nachgiebigkeit erkennen zu lassen. Immer
hin war man in Moskau bereit, diese Problematik überhaupt
wieder zur Kenntnis zu nehmen. Nach Gorbatschows Amtsüber
nahme intensivierte sich der seit Mitte 1984 erkennbare
Trend einer Wiederbelebung der offiziellen Kontakte und
erreichte mit Außenminister Schewardnadses Besuch in Tokio
vom Januar und Außenminister Abes Moskaureise im Mai 1986
seine bisherigen Höhepunkte. Hierdurch wurde das diplomati
sche Eis nach fast zehn Jahren gebrochen. Ein für Januar
1987 ins Auge gefaßter Japanbesuch des sowjetischen General
sekretärs wurde allerdings zur Enttäuschung der japanischen
Regierung auf unbestimmte Zeit verschoben.
7. Es deutet manches darauf hin, daß keine sowjetische Re
gierung so sehr wie die von Gorbatschow geführte ein Ende
des prestigeschädigenden, kostspieligen, in der UdSSR unpo
pulären, nunmehr ins achte Jahr gehenden Afghanistankriegs
anstrebt. Doch die bisher getanen Schritte waren zu halbher
zig, um hierfür erste Voraussetzungen zu schaffen. Dies gilt
nicht nur für die mit Moskau abgesprochenen Angebote an die
Mujahedin, einen Waffenstillstand und eine Amnestie eintre
ten zu lassen sowie eine Regierung der "nationalen Versöh
nung" zu bilden. Dies trifft auch auf die Reduzierung des
Zeitplans für einen möglichen sowjetischen Truppenabzug auf
18 Monate während der achten indirekten afghanisch-pakista
nischen Verhandlungen in Genf zu und auf Indizien, wonach
Moskau und Kabul bereit sein könnten, dem ehemaligen, jetzt
in Italien lebenden König Zahir Schah eine Rolle bei der
Bildung einer afghanischen Koalitionsregierung zuzuerkennen.
Ein Ende des Krieges ist nicht abzusehen, solange sich die
UdSSR weigert, mit den Mujahedin direkt zu verhandeln, ihre
Truppen zurückzuziehen und die Afghanen selbst über ihr
politisches Schicksal entscheiden zu lassen.
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8. Keine wesentlichen Veränderungen ergaben sich im Verhält
nis zu Indien, Moskaus nichtkommunistischem Vorzugspart
ner in Asien. Gorbatschows erste Asienreise führte ihn im
November 1 986 nach New Delhi und geriet protokollarisch zu
einem Triumphzug. Der neue Generalsekretär gerierte sich
gegenüber Indien ausgesprochen hilfsbereit, wie sich anhand
der Lieferung von MiG-29, die bisher den Verbündeten der
Sowjetunion vorenthalten wurden, und der Vergabe eines Re
kordkredits von 1,5 Mrd. Rubel zeigte. Während Gandhis Ge
genbesuch im Juli 1987 verständigte man sich auf eine In
tensivierung der wissenschaftlich-technischen Kooperation,
die auch die Herstellung direkter Verbindungen zwischen
sowjetischen und indischen Ministerien und Betrieben sowie
die Gründung von Joint Ventures umfassen soll. Enttäuschend
muß allerdings für Moskau gewesen sein, daß sich Indien -
offenbar vor allem wegen des verstärkten sowjetischen Wer-
bens um China - gegenüber dem Konzept von Wladiwostok di
stanziert verhielt.
9. Das auffälligste Kennzeichen im sowjetisch-nordkoreani
schen Verhältnis unter Gorbatschow war die Verdichtung
der militärischen Kooperation, die die seit Anfang der acht
ziger Jahre feststellbare Annäherung Pyongyangs an Moskau
weiterentwickelte. Sie zeichnete sich erstmals im Mai 1985
ab, als die UdSSR mit der Lieferung von MiG-23 begann, die
Nordkorea seit Anfang der siebziger Jahre vorenthalten wor
den waren. Offenbar als Gegenleistung wurden sowjetischen
Militärflugzeugen Uberflugrechte über nordkoreanischem Ter
ritorium und sowjetischen Kriegsschiffen Lande- und begrenz
te Nutzungsrechte an nordkoreanischen Häfen eingeräumt.
Trotzdem enthalten auch die Beziehungen zwischen Pyongyang
und Moskau Elemente der Spannung, da sich die UdSSR u.a.
bisher weigert, den nordkoreanischen Vorschlag für trilate-
rale Gespräche zwischen Pyongyang, Seoul und Washington zur
Lösung der Koreafrage zu unterstützen. Kim II Sungs Peking
besuch vom Mai 1987 scheint dazu bestimmt gewesen zu sein,
die Hinwendung zu Moskau ein wenig auszutarieren.
10. Außenminister Schewardnadses Reise nach Südostasien und
in den Südpazifik vom März 1987 unterstrich besonders
deutlich das gewachsene sowjetische Interesse an den ASEAN-
Staaten und am südpazifischen Raum. Die Beziehungen zu den
ASEAN-Staaten werden seit dem vietnamesischen Einmarsch in
Kambodscha vom Dezember 1978 politisch vor allem dadurch
überschattet, daß die Sowjetunion Hanois Vorgehen bis heute
unterstützt. Die unter Gorbatschow auffällige Intensivierung
der Reisediplomatie gegenüber dem gesamten ASEAN-Bereich,
die mit Schewardnadses Reise ihren bisherigen Höhepunkt
erreichte, versuchte - bisher vergeblich - das entstandene
Mißtrauen abzubauen. Zum anderen trugen zahlreiche sowjeti-
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sehe Delegationen - mit einem gewissen Erfolg - eine regel
rechte Handelsoffensive vor, die sich vor allem auf Indone
sien, Malaysia und Thailand richtete. Nach langjährigen
Bemühungen gelang es der Sowjetunion unter Gorbatschow,
einen Fuß in die Tür zum Pazifik zu setzen. Anfang 1987
unterzeichnete sie mit Vanuatu einen Vertrag, der ihr Fi
scherei- und Hafenbenutzungsrechte einräumte. Einen weiteren
Einstieg in die Region vollzog die UdSSR, indem sie im De
zember 1986 als erste Atommacht Teile des "Vertrags über
eine nuklearfreie Zone in der Südsee" (SPNFZT) unterzeichne
te. Als Motive für diese Initiativen sind langfristige geo-
strategische Ziele und das Bemühen zu vermuten, sich die
Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und ihren Bünd
nispartnern in der Region - besonders Neuseeland - zunutze
zu machen.
11. Die Aktivierung der sowjetischen Asien- und Pazifikpoli
tik unter Gorbatschow stößt wegen mannigfacher Zielkon
flikte auf Schwierigkeiten. Es ist z.B. unmöglich, wegen der
sowjetischen Militärbasen in Vietnam Hanois Kambodschapoli
tik voll mitzutragen, ohne dadurch die ebenfalls gewünschte
engere politische Kooperation mit China und den ASEAN-Staa
ten zu behindern. Es ist ebenfalls nicht machbar, die mili
tärische Kooperation mit Nordkorea zu verdichten, ohne da
durch das Verhältnis zu Peking zu belasten. Der massive
militärische Aufmarsch der Sowjetunion in der Region ruft
bei den Anrainerstaaten Ängste hervor und wirkt im Hinblick
auf das sowjetische Werben um Vertrauen genauso kontrapro
duktiv wie der schmutzige Krieg in Afghanistan und die Un
terstützung der vietnamesischen Besatzungspolitik in Kambod
scha. Man darf darauf gespannt sein, inwieweit es Gorba
tschow und seiner Führungsmannschaft gelingen wird, diese
Zielkonflikte zu lösen.