Table Of ContentDie Juden
und das Wirtsdiaftsleben
Werner Sombart
D i e J u d e . n
und
das Wirtschaftsleben
Leipzig
Verlag von Duncker & Humblot
191 1
Alle Rechte. vorbehalten
Copyright 1911 by Dnncker & Homblot
Albnburg
Phrede Hofbuohdruokerei
Staphun O.ib.1 & Co.
Vorwort
Vielleicht interessiert es doch manchen Leser, zu erfahren,
wie ich dazu gekommen bin, dieses sonderbare Buch zu schreiben,
und interessiert ihn auch zu wissen, wie ich mochte, da6 es
gelesen wllrde.
Ich bin ganz durch Zufaii auf das Judenproblem gestolen,
als ich darauf aus war, meinen ,Modemen Kapitalismusu von Grund
aus neu zu bearbeiten. Da galt es unter anderm die Gedanken-
gänge, die zu dem Ursprunge des ,kapitalistischen Geistes"
ftihrten, um einige Stollen tiefer zu treiben. Max Webers
Untersuchungen aber die ZusammenhsDge zwischen Puritanismus
und Kapitslismus muhten mich notwendig dazu fCLhren, dem Ein-
flwe der Religion auf das Wirtschaftsleben mehr nachzusparen,
als ich es bisher getan hatte, und dabei kam ich zuerst an das
Judenproblem heran. Denn wie eine genaue FMfung der Weber-
sehen Beweisfllhrung ergab, waren d e d iejenigen Bestandteile
des puritanischen Dogmas, die mir von wirglicher Bedeutung
Mr die Herausbildung des kapitalistischen Geistes zu sein scheinen,
Entlehnungen aus dem Ideenkreise der jfidischen Religion.
Aber diese Erkenntnis allein hstte mir noch keinen Anla6
geboten, in der Entstehungsgeschichte des modernen Kapitalismus
den Juden eine ausfahrliche Betrachtung zu widmen, wenn sich
mir nicht im weiteren Verlauf meiner Studien - wiederum rein
zufsllig - die Überzeugung aufgedrfingt hatte, da& auch am
Aufbau der modernen Volkswirtschaft der Anteil der Juden weit
@&er sei, als man bisher geahnt hatte. Zu dieser Einsicht
Mhrte mich das Bestreben, jene Wandlungen im europäischen
Wirtschaftsleben mir plausibel zu machen, die seit dem Ende
des 15. Jahrhunderts bis zum Ende des 17. Jahrhunderts etwa
sich vollziehen, und die eine Verschiebung des wirtschaftlichen
Schwergewichts aus den slldeuromhen in die nordwest-
europäischen Under im Gefolge haben. Der plbtzliche Nieder-
gang Spaniens, der plbtzliche Aufschwung Hollands, das Dahin-
welken so vieler Stadte Italiens und Deutchlands und das Empor-
bltihen anderer, wie etwa Livornos, Lyons (vorllbergehend),
Antwerpens (vo-bergehend), Hamburgs, Frankfurts a M., schienen
mir durch die bisherigen GrIlnde (Entdeckung des Seewegs nach
Ostindien, Verschiebung der staatlichen Machtverhliltnisse) keines.
Wegs genwend erklsrt. Und da offenbarte sich mir plbtzlich
die zunachst rein iiuherliche Parallelitst zwischen dem wirt-
schaftlichen Schicksai der Staaten und StEdte und den Wanderungen
der Juden, die damals, wie bekannt, eine fast vbllige Um-
schichtung ihrer riiumlichen Lagerung wieder einmal erlebten.
Und bei nßherem Zusehen ergab sich mir mit unzweifeihafter
Sicherheit die Erkenntnis, da6 in der Tat die Juden es waren,
die an entscheidenden Punkten den wirtschaftlichen Aufschwung
dort fbrderten, wo sie erschienen, den Niedergang dort herbei-
Mhrten, von wo sie sich wegwandten.
Diese tatsschliche Feststellung enthielt nun aber erst das
eigentliche wissenschaftliche Problem. Wm bedeutete ,wirt-
schaftlicher Aufschwung' in jenen Jahrhunderten? Durch welche
spedschen Leistungen trugen die Juden dazu bei, jenen .Auf-
schwung' zu bewirken? Was befshigte sie, diese besonderen
Leistungen zu vollbringen?
Die grtindliche Beantwortung dieser F'ragen war nattirlich
im Rahmen einer allgemeinen Geschichte des modernen Kapi-
talismus nicht mbglich. Sie schien mir aber reizvoll genug, um
auf ein paar Jahre die Arbeit an meinem Hauptwerk zu unter-
brechen und mich ganz in dm judaistische Problem einzuspinnen.
So ist dieses Buch entstanden.
Die Hofiung, es in etwa Jahresfrist vollenden zu kbnnen,
erwies sich bald als trIlgerisch, da Vorarbeiten so gut wie keine
vorhanden sind.
Es ist wirklich hbchst seltsam : so viel tiber das Judenvolk
geschrieben ist : nber das wichtigste Problem : seine Steilung im
Wirtschaftsleben ist kaum etwas von grundlegender Bedeutung
gesagt worden. Was wir an sogenannten jtidischen Wirtschafts-
geschichte~ oder Wirtschaftsgeschichten der Juden besitzen,
verdient diese Namen meist gar nicht, denn es sind immer nur
Rechtsgeschichten oder gar nur Rechtschroniken, die tiberdies
die neuere Zeit ganz und gar unberücksichtigt lassen. Ich
muhte also zun&chstod as Tatsachenmaterial aus Hunderten (zum
Teil vorzflglichen) Monographien oder aus den Quellen zusammen-
tragen, um tiberhaupt zum ersten Male ein Bild - zu zeichnen
wage ich nicht zu sagen, sondern - zu skizzieren von der wirb
schaftlichen Tgtigkeit der Juden wlihrend der letzten drei Jahr-
hunderte.
Hatten sich zahlreiche Lokrrlhi.stnriker doch wenigstens be-
mtiht, das &&ere Wirtschaftsleben der Juden und ihr Schicksal
wahrend der letzten Jahrhunderte aufzuzeichnen, so hat fast
niemand bisher die Frage auch nur allgemein zu stellen gewagt:
weshalb haben die Juden jenes eigentlimliche Schicksal gehabt
oder genauer: was hat sie beffihigt, jene tiberragende Rolle beim
Aufbau der modernen Volkswirtschaft zu spielen, die wir sie
tatsBchlich spielen sehen. Und was etwa doch zur Beantwortung
dieser Frage beigebracht worden ist, bleibt in ganz dürftigen,
veralteten Schematen stecken : ,,IIufiere Zwangslage", .Bef&higung
zum Handeln und Schachernu, ,,Skrupellosigkeitu: solche und
ghnliche allgemeine Phrasen haben herhalten müssen, um Ant-
wort auf eine der delikatesten Fragen der Vbkergeschichte zu
geben.
slso mu6te zunhhst sehr genau festgestellt werden: was
man eigentlich erkliiren, mit andern Worten : eine Eignung der
Juden wof tir man nachweisen will. Dann erst konnten die
Mbglichkeiten geprüft werden, die die spezifische Eignung der
Juden: Begrtinder des modernen Kapitalismus zu werden, phu-
sibel machten. Dieser PrIlfung ist ein grober Teil des Buches
gewidmet, und es ist hier nicht der Ort, die Ergebnisse meiner
Untersuchungen M einzelnen mitzuteilen. Nur dieses will ich,
damit es dem Leser gleichsam als Leitmotiv in den Ohren
L klinge, sagen: daG ich die große, die alle andern Eidtisse weit
tibergipfelnde Bedeutung der Juden Wr das moderne Wirtschafts-
(und Oberhaupt Kultur-)leben in der ganz eigenartigen Ver-
einigung &&erer und innerer UmsULnde erblicke: da8 ich sie
der (historisch zufugen) Tatsache zuschreibe, & ein ganz be-
sonders geartetes Vok - ein Wllstenvolk und ein Wandervolk,
ein heiSes Volk - unter wesensverschiedene Vblker - naii-
kalte, schwerblütige, bodenstandige Vblker - verschlagen worden
ist und hier unter abermals ganz einzigartigen guheren Be-
dingungen gelebt und gearbeitet hat. Wken sie alle im Orient
geblieben oder in andere heihe Lgnder verschlagen worden, so
hätte nattirlich ihre Eigenart auch Eigenartiges gewirkt, aber
die Wirkung wäre keine so dynamische geworden. Sie hatten
vielleicht eine ahnliche Rolie nur gespielt wie heute etwa die
Armenier im Kaukasus, wie die Kabylen in Algier, wie die
Chinesen, Afghanen oder Perser in Indien. Aber es wäre nie-
mals zu dem Knalleffekt der menschlichen Kultur: dem modernen
Kapitalismus gekommen.
Wie ganz singuliir die Erscheinung des modernen Kapitalismus
ist, zeigt gerade auch diese, sein Wesen zum guten Teil er-
klkende Tatsache: da8 nur die rein .zuflNigeu Kombination
so sehr verschiedenartiger Vblker und nur deren rein ,,zuf&Egesu,
von tausend Umstsnden bedingtes Schiksal seine Eigenart be-
grtindet hat. Kein moderner Kapitalismus, keine moderne Kultur
ohne die Versprengung der Juden ilber die nbrdlichen Lbder
des Erdballs !
Ich habe meine Untersuchungen bis in die Gegenwart ge-
ftihrt und habe, wie ich hoffe, ftir jedermann den Nachweis er-
bracht, da8 in wachsendem Mabe das Wirtschaftsleben unserer
Tage jtidischem Einflusse unterworfen ist. Ich habe nicht ge-
sagt - und will es deshalb hier tun - da& allem Anschein
nach dieser EinfIuB des Judenvolkes in der allerletzten Zeit sich
zu verringern beginnt. Da8 Bu&erlich in wichtigen Stellungen:
zum Beispiel in den Direktorialposten oder in den Aufsichtsrats-
stellen der großen Banken die jtidischen Namen seltener werden,
ist ganz zweifellos und kann durch blofie Auszahlung ermittelt
werden. Aber es scheint auch eine wirkliche Zurtickdrhgung
des jtidischen Elements stattzuiinden. Und nun ist es interessant,
den GrQnden dieser bedeutsamen Erscheinung nachzugehen. Sie
kbnnen mehrfacher Art sein. Sie kbnnen einerseits liegen in
einer Veriinderung der personalen Fghigkeiten der Wirtschafts-
Subjekte: die Nichtjuden haben sich den Anforderungen des
,
kapitalistischen Wirtschaftssystems mehr angepa6t sie haben
,,gelerntu; die Juden hingegen haben durch die Verhderungen,
die ihr au6eres Schicksal erfahren hat (Besserung ihrer btirger-
lichen Stellung, Abnahme des religibsen Sinnes) aus &u&eren
und inneren Gründen einen Teil der ihnen fder eigenen Be-
fshigung zum Kapitalismus eingebat ; anderseits aber mmsen
wir die Grtinde f(ir die Verringening des jüdischen Einflusses
in unserm Wirtschaftdeben wahrscheinlich auch in einer Ver-
Bnderung der sachlichen Bedingungen, unter denen gewirtschaftet
wird, erblicken : die kapitalistischen Unternehmungen (man denke
an unsere Großbanken!) bilden sich mehr und mehr in bureau-
kratische Verwaltungen um, die nicht mehr in gleichem U e w ie
fder spezifische HBndlereigenschaEten heischen : der Bureau-
kratismus tritt an die Stelle des Kommerzialismus.
Genauen Untersuchungen wird es vorbehalten bleiben m-n,
festnisteilen : inwieweit die allerneueste Ära des Kapitalismus
tatsächlich eine Verringerung des jüdischen Musses aufweist.
Einstweilen verwerte ich die von mir und andern gemachten
persbnlichen Beobachtungen, um in der allein denkbaren Be-
grflndung, die ich den beobachteten Vorgthgen unterlege, eine
BesULtigung dafb zu finden, da6 ich mit der in diesem Buche
versuchten ErkUirung des bisherigen jüdischen Einflusses in der
Tat die richtigen Wege gewandelt bin. Die Abnahme dieses
Einllusses zeigt gleichsam wie ein Experiment, worin der Ein-
flug selber seinen Grund gehabt haben mu&.
In der Tat glaube ich, daS dieser Teil meiner Ausftlhningen,
der die Eignung der Juden zum Kapitalismus erklsrt, also der
zweite Abschnitt des Buches, ebensowenig wie der erste, der
ihren Anteil am Aufbau der modernen Volkswirtschaft als Tat-
sachlichkeit darstellt, in den Grundgedanken nicht erschtittert
werden kann. Sie mbgen Berichtigungen, sie mbgen (vor allem 1)
Erganzungen erfahren : die Richtigkeit ihrer Gedankengange wird
nicht zu widerlegen sein.
Nicht ganz dasselbe Gefahl der ruhigen Sicherheit habe
ich angesichts des dritten Hauptabschnittes meines Buches,
der die Frage nach der Herkunft des jadischen Wesens und
nach dessen eigener Wesenheit zu beantworten sucht. Hier sind
wir heute noch - und vielleicht ftir immer - an entscheidenden
Punkten der Beweis£(ihrung auf Vermutungen angewiesen, die
selbatverstandlich ein stark per~nlichesG eprsge tragen müssen.
'herhin ist es mein BemDhen gewesen, in einem besonderen
Kapitel, das ich der Erbrterung des ,RassenproblemsU gewidmet
habe, diejenigen Einsichten kritisch zusammenzusteilen, die wir
heute als einigerma6en gesicherte betrachten dWen und vor
allem die vielen unsicheren Hypothesen als solche aufzuweisen.
Das Kapitel ist infolgedessen ein wahres. Monstrum geworden :
schwerfsllig, zerhackt, formlos, und hinterlut ein qulllendes
Gefahi der Unbefriedigtheit, der Unausgeglichenheit, das ich mit
dem letzten Kapitel, in dem ich ,das Schicksai des jadischen
Volkesu in seinen Grundzilgen zu schildern versuche, wieder zu
verwischen mich bestrebt habe. Das war aber nur mbglich,
wenn alle die disparaten Einzeltatsachen, die uns die wissen-
schaftliche Forschung in ihrer rticksichtslosen Art wahllos vor die
F a e wirft, in einer persbnlichen Schau zu einem einheitlichen
Bilde vereinigt wurden. Wie weit hier aber meine subjektive
Art ZU sehen der Wirklichkeit gerecht geworden ist, wird erst
eine splitere Zukunft - vielleicht ! - entscheiden kbnnen.
Jedenfalls gebe ich ohne weiteres zu, da6 hier andere Augen
anders schauen werden.
Nun will ich schliefilich noch auf einige Besonderheiten
dieses Buches hinweisen und hoffe damit zu verhiiten, d a i n
Mieverstandnissen die Umrisse meines GedankengetOges wie ein
Gebiiude im Nebel verschwimmen und ein ganz anderes dem
,,kritischenu Beschauer vor Augen zu stehen scheint, als ich
hingebaut habe.
I. Dieses Buch ist ein einseitiges Buch; es will ein-
seitig sein, weil es, um in den Kbpfen seine umwthende
Wirkung austiben zu kbnnen, einseitig sein muh.
Das heiht: dieses Buch will die Bedeutung der Juden ftir
das moderne Wirtschaftsleben aufdecken. Es &ir$t zu diesem
Behufe alles Material ziisammen, aus dem sich diese Bedeutung
erkennen lGt, ohne die anderen Faktoren, die, ader den Juden,
am Aufbau des modernen Kapitaiismus beteiligt gewesen sind,
auch nur zu erwtlhnen. Damit soll aber nattirlich deren Einduh
nicht etwa geleugnet werden. Man kbnnte mit ebensolchem
Rechte ein Buch iiber die Bedeutung der nordischen Rsssen ftir
den modernen Kapitalismus schreiben; oder konnte mit dem-
selben Rechte, wie ich vorhin sagte : ohne Juden kein moderner
Kapitalismus, den Satz prägen : ohne die Errungenschaften der
Technik keiner, ohne die Entdeckung der Silberschgtze Amerikas
keiner.
Obwohl nun also solcherart mein Buch, wie ich selbst es
nenne, ein einseitiges ist, ist es doch