Table Of ContentS. Herpertz · M. Fichter
B. Herpertz-Dahlmann · A. Hilbert
B. Tuschen-Caffi er · S. Vocks
A. Zeeck Hrsg.
S3-Leitlinie
Diagnostik
und Behandlung
der Essstörungen
2. Aufl age
S3-Leitlinie Diagnostik und Behandlung der Essstörungen
Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und
Ärztliche Psychotherapie (DGPM)
Deutsche Gesellschaft für Essstörungen (DGESS)
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie,
Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN)
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie,
Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP)
Deutsches Kollegium für Psychosomatische Medizin (DKPM)
Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs)
(Hrsg.)
S3-Leitlinie
Diagnostik und Behandlung
der Essstörungen
Prof. Dr. med. Stephan Herpertz, Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche
Psychotherapie (DGPM)
Prof. Dr. med. Manfred Fichter, Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosoma-
tik und Nervenheilkunde (DGPPN)
Prof. Dr. med. Beate Herpertz-Dahlmann, Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie,
Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP)
Prof. Dr. Dipl.-Psych. Anja Hilbert, Deutsche Gesellschaft für Essstörungen (DGESS)
Prof. Dr. Dipl.-Psych. Brunna Tuschen-Caffier, Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs)
Prof. Dr. Dipl. Psych. Silja Vocks, Deutsche Gesellschaft für Essstörungen(DGESS)
Prof. Dr. med. Almut Zeeck, Deutsches Kollegium für Psychosomatische Medizin (DKPM)
AWMF-Registernummer: 051/026 Klasse S3
ISBN 978-3-662-59605-0 978-3-662-59606-7 (eBook)
https://doi.org/10.1007/978-3-662-59606-7
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
Springer
© DGPM, DGESS, DGPPN, DGKJP, DKPM, DGPs, 2011, 2019
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht aus-
drücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das
gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die
Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in
diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung
zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die
Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten.
Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in
diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch
die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des
Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen
und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral.
Umschlaggestaltung: deblik Berlin
Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von
Springer Nature.
Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany
V
Herausgeber
Gemeinsame S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie der Essstörungen“
der Deutschen Gesellschaft für Essstörungen (DGESS)
der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psycho-
therapie (DGKJP)
der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie (DGPM)
des Deutschen Kollegium für Psychosomatische Medizin (DKPM)
der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nerven-
heilkunde (DGPPN)
der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs)
Deutsche Gesellschaft für Essstörungen (DGESS)
(Prof. Dr. Dipl.-Psych. Anja Hilbert, Prof. Dr. Dipl. Psych. Silja Vocks)
Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie (DGPM)
(Prof. Dr. med. Stephan Herpertz)
Deutsches Kollegium für Psychosomatische Medizin (DKPM)
(Prof. Dr. med. Almut Zeeck)
V I Herausgeber
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und
Psychotherapie (DGKJP)
(Prof. Dr. med. Beate Herpertz-Dahlmann)
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheil-
kunde (DGPPN)
(Prof. Dr. med. Manfred Fichter)
Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs)
(Prof. Dr. Dipl. Psych. Brunna Tuschen-Caffier)
Deutsche Adipositas Gesellschaft (DAG)
(Prof. Dr. med. Martina de Zwaan)
VII
Herausgeber
Deutsche Gesellschaft für Ärztliche Verhaltenstherapie (DÄVT)
(Prof. Dr. med. Ulrich Cuntz)
Deutsche Gesellschaft für Verhaltensmedizin und Verhaltensmodifikation
(Prof. Dr. med. Dr. phil. Astrid Müller)
Vorwort zur 2. überarbeiteten Auflage der
S3-Leitlinien „Diagnostik und Therapie der
Essstörungen“1
Die Essstörungen Anorexia nervosa (AN), Bulimia nervosa (BN) sowie die Binge-Eating
Störung (BES), die OSFED (Other Specified Feeding or Eating Disorder/andere näher
bezeichnete Futter- oder Essstörungen) und die ARFID (Avoidant and Restrictive Food
Intake Disorder/Störung mit Vermeidung oder Einschränkung der Nahrungsauf-
nahme), die 2013 ins Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorder (DSM-5;
American Psychiatric Association, APA 2013) als neue Essstörungsentitäten eingeführt
wurden, sind insbesondere in der ersten Lebenshälfte bedeutsam. Die Inzidenz der AN
(Smink et al. 2012; Steinhausen und Jensen 2015; Hoek 2016) ist wie die BN-Inzidenz
(Currin et al. 2005; Zerwas et al. 2015) in den letzten Jahrzehnten relativ stabil verlaufen,
Studien an Kindern und Jugendlichen deuten auf eine Zunahme der AN in dieser Alters-
gruppe (Smink et al. 2012; Favaro et al. 2009; Steinhausen und Jensen 2015). AN und BN
wurden gemeinsam unter mehr als 300 körperlichen und psychischen Erkrankungen in
Ländern mit hohem Bruttosozialprodukt als die zwölf häufigste Ursache von krankheits-
bedingtem Verlust an Lebensjahren bei 15- bis 19-jährigen Mädchen und jungen Frauen
eingeordnet (disability-adjusted life years, DALY; Hoek 2016).
Die Behandlungsergebnisse der Essstörungen, insbesondere der AN und BN, sind nicht
zufriedenstellend. So lassen sich bei der Therapie der AN Heilungsquoten von knapp
50% über die Lebenszeit erzielen (bei Jugendlichen sind sie deutlich höher). Je länger die
Katamnesezeiträume, desto mehr remittierte Patienten finden sich, desto höher ist aber
auch die Sterberate, die in den ersten 10 Jahren nach Diagnosestellung ca. 6,0% beträgt
(Arcelus et al. 2011; Hoang et al. 2014).
Leitlinien – historischer Abriss
Im Jahr 2000 gab die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychoso-
matik und Nervenheilkunde (DGPPN) erstmalig Leitlinien zur Diagnostik und Thera-
pie von Essstörungen in Deutschland heraus (Fichter et al. 2000). Im selben Jahr folgten
Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosoma-
tik und Psychotherapie (DGKJP; Herpertz-Dahlmann et al. 2000). Beide Leitlinien ent-
sprachen der Entwicklungsstufe 1, d. h., sie gründeten sich auf eine Expertengruppe der
jeweiligen Fachgesellschaft, mit dem Ziel, im informellen Konsens Empfehlungen zu
Diagnostik und Behandlung der Essstörungen auszusprechen, die zuvor vom Vorstand
der Fachgesellschaft verabschiedet worden waren. Im Herbst 2003 beschloss die Konfe-
renz der Hochschullehrer des Fachs Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
(DGPM), evidenzbasierte Leitlinien für Essstörungen der Entwicklungsstufe 3 in
Deutschland zu entwickeln.
1 Textpassagen sind dem Artikel: Herpertz S. & Herpertz-Dahlmann B. S3-Diagnostik und Therapie
der Essstörungen–Update, Psychotherapeut 2017;3:230–233 entnommen.
IX
Vorwort zur 2. überarbeiteten Auflage der S3-Leitlinien …
Dies führte im Frühjahr 2004 erstmals einen Kreis von interessierten Ärzten und Psy-
chologen in Berlin zusammen, um eine Arbeitsgemeinschaft für die Erstellung evidenz-
basierter Leitlinien zur Diagnosik und Behandlung von Essstörungen in Deutschland zu
gründen.
Die Arbeitsgemeinschaft wurde repräsentiert durch die 5 Fachgesellschaften DGKJP,
Deutsche Gesellschaft für Psychologie, Fachgruppe Klinische Psychologie und Psycho-
therapie (DGPs), DGPM, DGPPN und Deutsches Kollegium für Psychosomatische Me-
dizin (DKPM). Die einzelnen Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft wurden von ihren je-
weiligen Fachgesellschaften als Mandatsträger für die Erarbeitung der wissenschaftlichen
Leitlinien bei der AWMF autorisiert (7http://www.a wmf.o rg/leitlinien/aktuelle-leitlinien.
html). Im Jahr 2010 wurden die S3-Leitlinien Diagnostik und Therapie der Essstörungen
von der AWMF ins Netz gestellt (Register-Nr. 051/026; 7http://www.a wmf.o rg/leitli-
nien/detail/ll/051- 026.h tml); im selben Jahr erfolgte deren Publikation im Buchformat
(Herpertz et al. 2011). Mit dem Ziel, die Inhalte evidenzbasierter Leitlinien Patienten
und Angehörigen zu vermitteln, wurden die Patientenleitlinien 2015, nunmehr unter
der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Essstörungen (DGESS), sowohl web-
basiert als auch im Buchformat veröffentlicht (Zeeck und Herpertz 2015). Neben der
laienverständlichen Umformulierung der wissenschaftlichen Leitlinien gehen die Pati-
entenleitlinien auf Versorgungsstrukturen ein und unterstützen die Kommunikation mit
professionellen Versorgern im Gesundheitssystem vom Hausarzt bis hin zum ärztlichen
oder psychologischen (Kinder- und Jugendlichen-)Psychotherapeuten.
Im Hinblick auf die Überarbeitung der S3-Leitlinien, also deren zweite Auflage, nahmen
unter der Leitung der AWMF die Mandatsträger der einzelnen Fachgesellschaften und
Verbände sowie Patientensprecherinnen an der zweitägigen Konsensuskonferenz am 23.
und 24. November in Essen teil. Die thematische Gliederung der Leitlinien entspricht der
Erstauflage weitgehend und umfasst die Kapitel Epidemiologie, Diagnostik, therapeutische
Beziehung, AN, BN, BES, körperliche Folgeerkrankungen und methodisches Vorgehen. In
Anlehnung an das DSM-5 (APA 2013) kommen zwei neue Essstörungskategorien hinzu:
Die „anderen näher bezeichneten Futter- oder Essstörungen“ (OSFED), zu der auch das
„Night Eating Syndrome“ gehört und die „Störung mit Vermeidung oder Einschränkung
der Nahrungsaufnahme“ (ARFID), die die alte Kategorie der „nicht näher bezeichneten
Essstörungen“ (EDNOS) ersetzt. Im Hinblick auf die Therapiestudien zu AN, BN und BES
wurden nach einer systematischen Literaturrecherche und entsprechend à priori festgeleg-
ten Qualitätskriterien Metaanalysen gerechnet (Evidenzgrad 1).
Das Problem der Evidenz
Die Entwicklung von Leitlinien orientiert sich an den Prinzipien der evidenzbasierten
Medizin. Eine Bewertung der Wirksamkeit von Psychotherapie, der Behandlungsme-
thode der Wahl bei den Essstörungen, nach den in der somatischen Medizin als Stan-
dard geltenden Prinzipien ist jedoch nicht unproblematisch.
Der Hermeneutik (altgriechisch ρμηνεύειν hermeneuein: „erklären“, „auslegen“, „über-
setzen“) und damit konstruktiven und rekonstruktiven Prozessen kommt in der Psycho-
therapie im Gegensatz zur somatischen Medizin eine wichtige Bedeutung zu. Das in der
X Vorwort zur 2. überarbeiteten Auflage der S3-Leitlinien …
Psychotherapie relevante und auf Dilthey (1974) zurückgehende Konzept des Verste-
hens im Sinne eines innerlichen Nacherlebens entbehrt in weiten Teilen der wissen-
schaftlichen Objektivität und insbesondere des für die Naturwissenschaften essenziellen
Kriteriums der Überprüfbarkeit. Den diagnostischen und therapeutischen Konzepten in
der Psychotherapie und somatischen Medizin obliegen zwei grundsätzlich verschiedene
Modelle. Die Psychotherapie basiert auf dem „psychologischen Modell“, das sich durch
die folgenden Besonderheiten auszeichnet:
5 Tendenz zur Betonung psychischer und sozialer Faktoren,
5 Tendenz zu dimensionalem Denken,
5 Tendenz zur Sicht von Störungen als Extrem des normalen Funktionierens,
5 Tendenz zur Priorisierung psychologisch begründeter Interventionen
und schließlich
5 Hervorhebung der Bedeutung des Therapeuten als Person und der therapeutischen
Beziehung.
Demgegenüber betont das auf die naturwissenschaftliche Forschung aufbauende „medi-
zinische Modell“ biologische Faktoren in der Ätiologie und der Genese einer Krankheit.
Dies ist verbunden mit einer kategorialen Denkweise und der Sicht von Störungen als klar
abgrenzbaren pathologischen Zuständen – im Idealfall vor dem Hintergrund transparen-
ter Kausalitäten. Auch werfen die Ergebnisse der Psychotherapieforschung zunehmend die
Frage auf, ob einzelne Interventionen die entscheidenden Wirkkomponenten sind. (Lam-
bert 1992, Grawe et al. 1994, Lambert und Ogles 2004; Lambert und Barley 2002). So
macht die spezifische Technik (Psychotherapieverfahren) nur 15%–20% des Anteils aller
Wirkfaktoren im Hinblick auf das Behandlungsergebnis aus (Lambert 1992). Sehr viel
stärker beeinflussen vor allem Patientenvariablen das Therapieergebnis (wie z. B. Attrakti-
vität, soziookönomischer Status, Therapieerwartung, Ausmaß der Defensivität, demografi-
sche Merkmale, Intelligenz, Ausmaß der psychischen Störung, soziale Unterstützung etc.).
Neben dem Therapeuten sind aber auch sogenannte „allgemeine Wirkfaktoren“, die sich in
allen Psychotherapieverfahren finden, von Bedeutung, wie die Qualität der therapeuti-
schen Arbeitsbeziehung oder die Vermittlung von Hoffnung. Vor diesem Hintergrund
muss in Zukunft deutlich mehr der Frage nachgegangen werden: Für welche Patientin mit
welchen Charakteristika (psychisch, sozial und biologisch-g enetisch) ist in welchem Sta-
dium ihrer Erkrankung welches Verfahren das hilfreichste? Und bei welchem Therapeu-
ten? Diese Fragen können wir heute noch nicht beantworten.
Neben der Psychotherapie spielt die Pharmakotherapie in der Behandlung psychischer
Störungen eine große Rolle. Spezifisch für die vier Essstörungsentitäten wurde deren
Relevanz im Rahmen der Metaanalysen nicht zuletzt auch im Vergleich zu den Ergeb-
nissen der Psychotherapie ermittelt.
Die ambulante Versorgung von Patientinnen mit Essstörungen in Deutschland findet
nicht nur in der Einzel- und Gruppenpsychotherapie entsprechend den Vorgaben der
Richtlinienpsychotherapie statt. Sowohl angeleitete wie auch nicht angeleitete strukturierte
Selbsthilfemanuale, die Mehrzahl auf der Grundlage der kognitiven Verhaltenstherapie,
werden zunehmend in der Behandlung von essgestörten Patientinnen eingesetzt. Deren
Effizienz galt es ebenfalls kritisch zu prüfen, um daraus Empfehlungen abzuleiten.