Table Of ContentCARL FRIEDRICH
GETHMANN
PROTOLOGIK
UNTERSUCHUNGEN ZUR
FORMALEN PRAGMATIK
VON BEGRUNDUNGS-
DISKURSEN
THEORIE
SUHRKAMP VERLAG
ISBN 3-518-06415-0
Theorie
Herausgegeben von
Jürgen Habermas, Dieter Henrich und Niklas Luhmann
Redaktion Friedhelm Herborth
Carl Friedrich Gethmann, geb. l 944, ist Professor für Philosophie an der
Universität Essen.
Wichtigste Veröffentlichungen: Logische Propädeutik als Fundamentalphiloso
phie (1968); Logische Deduktion und transzendentale Konstitution (1974);
Verstehen und Auslegung (1974); Das Problem der Begründung zwischen
Dezisionismus und Fundamentalismus (mit R. Hegselmann, 1977); Ist Philoso
phie als 1n stitution nötig? ( l 978); Zur formalen Pragmatik der N ormenbegrün
dung (1979); Wissenschaftsforschung? (1979).
Carl Friedrich Gethniann
Protologik
Untersuchungen
zur formalen Pragmatik
von Begründungsdiskursen
Suhrkamp Verlag
Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1978/79 vom Gemeinsamen
Ausschuß der Philosophischen Fachbereiche der Universität Konstanz als
Habilitationsschrift angenommen.
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek:
Gethmann, Carl Friedrich:
Protologik: Unters. zur formalen Pragmatik von
Begründungsdiskursen/Carl Friedrich Gethmann -
1. Aufl. - Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1979.
(Theorie)
ISBN 3-518-06415-0 ,
Erste Auflage 1979
© dieser Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1979
Alle Rechte vorbehalten
Druck: MZ-Verlagsdruckerei GmbH, Memmingen
Printed in Germany
Inhalt
o. Einleitung. LogikundPragmatikdesArgumentierens . 7
l. Zum Programm einer pragmatisch orientierten Protologik. 3 l
I. l Das Problem einer Rechtfertigung von
Begründungsregeln . . . . . . . . . . . . . . 3 l
l. 2 Pragmatische Defizite der konstruktiven Logik . 44
I. 3 Formale Pragmatik und konstruktive Methode 57
2. SchematisierungvonBegründungsdiskursen . . . . 67
2. l AtomareundmolekulareSprechhandlungen . . 72
Zusatz: Handlungstheorie und Sprechhandlungs-
theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
2.2 Sukzessionen von Sprechhandlungen in
Begründungsdiskursen . . . . . . . . 9 l
3. LogisierungvonBegründungsdiskursen . . 103
3. l Zur Pragmatik logischer Diskursregeln . 105
3.2 Konsequenzregeln. . . . . . . . II2
Zusatz: Zur Rechtfertigung des Subjunktors in der
konstruktiven Logik . . . . . . . . . . . . . . l 22
3.3 Performatorenregeln. . . . . . . . . . . . . . 130
Zusatz: Zur Einführung modaler Performatorenregeln l 4 l
3.4 Propositionenregeln . . 142
3+ l Ju 11ktorenregeln . . . . . . . . l 4 3
3+2 Quantorenregeln . . . . . . . 147
Zusatz a: ModalePropositionenregeln l 50
Zusatz b: Zur Pragmatik der klassischen und
intuitionistischen Logik . . . . . . . . . . . . . . l 52
4. KalkülisierungvonBegründungsdiskursen . . . . . . 153
4. l Begründbarkeit in materialen Diskurstableaux . . l 55
4. 2 Pragmatische Vollständigkeit und Zuverlässigkeit. l 69
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
Verzeichnis der pragmatischen und logischen Zeichen l 87
Namenregister 189
Sachregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
»Ein logischer Schluß ist jedenfalls ein
Übergang von gewissen Aussagen
(den Prämissen) zu einer weiteren
Aussage (der Konklusion). Es bleibt
aber zu fragen, welche dieser Über
gänge >logisch< heißen sollen.«
(P. LORENZEN, »Protologik«, 81)
o. Einleitung. Logik und Pragmatik
des Argumentierens
Die Logik gehört zu den wenigen Bereichen philosophischer For
schung und Bildung, deren Stellung seit den griechischen Klassikern bis
heute im großen und ganzen unangefochten geblieben ist. Die Begrün
dung dafür scheint einfach. Die Philosophie hat es seit ihren Anfängen
mit der Behandlung bestimmter Argumentationsprobleme zu tun, und
zwar solcher, die sich unmittelbarer Alltagserfahrung wie gewöhnli
cher wissenschaftlicher Disziplin prima facie entziehen. Wer in
Bereichen zu argumentieren sucht, bezüglich derer überhaupt umstrit
ten ist, ob Argumentation hier noch (schon) möglich sei, wird sich
gezwungen sehen, der Art der hierfür spezifischen argumentativen
Verfahren besondere Aufmerksamkeit zu widmen. So werden Philoso
phen mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zur Beschäftigung mit der
Form von Argumenten gebracht.
Die Wendung von der Diskussion philosophischer Themen zur Form
der bezüglich des Themas angemessenen Argumentation und die
Ausbildung eines Regelwissens, das die Grundlage besonderer argu
mentativer »Gymnastik« darstellt, ist bereits für den platonischen
SOKRATES kennzeichnend.1 ARISTOTELES gilt dann zu Recht in dem
Sinne als Begründer der Logik, daß er eine vom jeweiligen Thema der
Argumentatiön vollständig abgelöste Systematisierung des Regelwis
sens vornahm, die in dieser Form für mehr als zwei Jahrtausende
bestimmend geblieben ist. Daß ARISTOTELES bei seinen logischen
Untersuchungen an eine bereits bestehende dialektisch-philosophi
sche sowie politisch-forensische Argumentationspraxis anknüpfte,
läßt sich in der »ersten Logik«2, wie ARISTOTELES sie in der Topik (und
den dazugehörigen Sophistischen Widerlegungen) entwickelt hat, noch
deutlich fassen. Der erste Nutzen des syllogistischen Regelwissens liegt
demnach darin, daß es der Übung und dem Gespräch, schließlich der
philosophischen Erkenntnis dient. 3 Die Regeln, die ARISTOTELES
angibt, beziehen sich auf die Redehandlungen in einem (Streit-)
1 Vgl. Parmenides, I35 cf.
2 Zur Unterscheidung zwischen erster, zweiter und dritter Logik bei ARISTOTE
LES s. BocHENSKI, Formale Logik, 5of.
3 Topik, ICI a 25 ff.
7
Gespräch, in dem der Angreifer die Aufgabe hat, den Verteidiger zur
Anerkennung einer zunächst abgelehnten Behauptung zu zwingen.
Vor allem E. KAPP hat darauf hingewiesen, daß der Syllogismus von
ARISTOTELES ursprünglich als dialektischer und erst darauf aufbauend
als apodiktischer (analytischer) Syllogismus verstanden wurde. 4 Dieser
pragmatische Zug der Logik bleibt auch in der Syllogistik der
Analytiken, die ARISTOTELES selbst zweifellos für die vollendetere
Fassung hält, noch erkennbar. Die Ausarbeitung einer Syntax und
Semantik, die eine vollständige Deduktion zulässiger Schlußformen
erlaubt, steht jedenfalls nicht im Vordergrund des Interesses, woraus
sich eine Reihe der durch die traditionelle (stoische und scholastische)
Syllogistik kritisierten Lücken und Ungereimtheiten erklären lassen
könnten.5
Für die nach-aristotelische, traditionelle Logik ist nicht so sehr der
pragmatische Zugang der Topik als vielmehr der eher technische der
Ersten Analytik bestimmend geworden. Allerdings war niemals in der
traditionellen Logik - in der scholastischen weniger noch als in der
megarisch-stoischen - bestritten, daß die Logik sich mit den Proble
men des umgangssprachlichen und wissenschaftlichen Argumentie
rens beschäftigt. Unabhängig von der Kontroverse um »ars« oder
»scientia« blieb der instrumentelle Bezug zur Argumentationspraxis
gewahrt und wurde im Mittelalter durch die Zuordnung der Logik zur
Artistenfakultät zugleich institutionell festgelegt. 6 Noch in den neu
zeitlich-traditionellen Lehrbüchern der klassischen Logik pflegte der
Darstellung von Begriff, Urteil und Schluß (abgesehen von erkenntnis
theoretischen Fragen) ein Abschnitt über die Methode der Disputation
zu folgen, der sich mit der »Anwendung« der Schlußfiguren in
Argumentationskontexten beschäftigte. 7
Die »moderne Logik«, wie sie nach den Arbeiten von DE MoRGANund
BOOLE V. a. durch PEIRCE, FREGE und PEANO begründet und durch
WHITEHEAD / RUSSELL, BROUWER, HILBERT u. a. weitergeführt wurde,
unterscheidet sich gerade in dieser Hinsicht von aller »traditionellen«
Logik. Zwar verwendete auch die traditionelle Logik nach dem Vorbild
der Ersten Analytik Term-bzw. Satzvariable, um logische Gesetze und
4 Vgl. »Syllogistik«; Der Ursprung der Logik.
5 Vgl. im einzelnen: G. PATZIG, Die aristotelische Syllogistik.
6 Vg. v. a. M. GRABMANN, Geschichte; J. PINBORG, Logik und Semantik.
7 Vgl. z.B. die»LogikvonPortRoyal«(A. ARNAULD/P. NICOLE, Logique, IV.
Partie: »De la methode«).
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