Table Of ContentNIKEPHOROS UND DER BILDERSTREIT
NIKEPHOROS UNO DER
BILDERSTREIT
EINE UNTERSUCHUNG VBER DIE STELLUNG DES
KONSTANTINOPELER PATRIARCHEN NIKEPHOROS
INNERHALB DER IKONOKLASTISCHEN WIRREN
VON
DR A. J. VISSER
SPRINGER-SCIENCE+BUSINESS MEDIA, B.V.
ISBN 978-94-017-0032-0 ISBN 978-94-015-7571-3 (eBook)
DOI 10.1007/978-94-015-7571-3
Copyright I952 by Springer Science+Business Media Dordrecht
Urspriinglich erschienen bei Martinus Nijhoff, The Hague, NetherLands 1952
AU rights reserved, including the right to translate or to
reproduce this book or parts therlo! in any torm
INHALT
EINLEITUNG . . . .
DIE ENTWICKLUNG DES BILDERKULTES . 12
DER VERLAUF DES BILDERSTREITES . 33
LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS . 49
DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS. . 86
A. NIKEPHOROS UBER DIE KIRCHE. • • . 86
B. DIE CHRISTOLOGIE DES NIKEPHOROS. . 97
C. DER EIKf.lN-BEGRIFF BEl NIKEPHOROS • 109
EPILOG. . . . . . . . . . . . . . . . . 120
EINLEITUNG
Der Kampf um die Bilder und ihre Verehrung, der mit einer
Unterbrechung von nur zwei Dezennien, mehr als ein Jahrhun
dert in Byzanz getobt hat, zeigt vielerlei Aspekte. Diese Streit
frage ist, ausser ihrer uberragenden Wichtigkeit fur die Kirchen
und Dogmengeschichte, auch in politischer und gleichfalls in
kunst- und kulturhistorischer Hinsicht von grosster Bedeutung.
Die Fillle des Stoffes ist so gross dass wir uns in dieser Abhand
lung eine gewisse Beschrankung auferlegen mussen urn eine Aus
wahl der geeigneten Gesichtspunkte treffen zu konnen. Wir wol
len uns in dieser Dissertation hauptsachlich auf den dogmen
und kirchenhistorischen Aspekt konzentrieren.
Gerade der Bilderstreit steht am Ende der dogmatischen
Entwicklung der Ostkirche. Diese Kirche betrachtet bekannt
lich die Reihe der "sieben Synoden" a1s absolut normativ und
wir konnen es als mehr a1s einen blossen Zufall betrachten dass
gerade die 7. oekurnenische Kirchenversammlung, die diese
Reihe abschliesst, den Bilderkult sanktioniert hat. Der Streit
um das Filioque z.B. war eigentlich keine interne Angelegenheit
fUr die Kirche Byzantiums: mit volliger Einmutigkeit und er
staunlicher Solidaritat machte man Front gegen das "ketzeri
sche" Westen. Bei den Wirren urn Photius wie beim Hesychas
tenstreit waren Fragen wesentlich undogmatischen Charakters
urnstritten; uber das Dogma als solches waren die Meinungen
nicht verschieden wenn man auch, spitzfindig rasonnierend, dog
matische Abirrungen der Gegner behauptete.
Dem eben Gesagten konnte man vielleicht entgegenbringen
dass es sich auch beim Bilderstreit nicht ausschliesslich und
sogar nicht in erster Linie um das Dogma handle. Freilich galt
es xOt't" t~o:x:Yjv dem Kultus, doch stand das Dogma, namentlich
das christologische, wirklich in engstem Zusammenhang damit
und man brauchte es nicht gewaltsam herbeizuziehen. Gewiss
haben auch in diesem Kampfe beide Parteien sich leider be
teiligt an jener unangenehmen Art der theologischen Konze
quenzmacherei, die, indem sie die These des Gegners zu ihren
Nikephoros
2 EINLEITUNG
aussersten Folgerungen treibt, die Gegner selbst zu einer Stelle
auf den schwarzesten Seiten des Ketzerkatalogs zu verhelfen
weiss; es war aber nur selbstverstandlich dass die Orthodoxen
bei ihrer Bekampfung der Ikonoklasten sich auf die Christologie
stiitzten und einen verhiillten Monophysitismus bei jenen zu
wittem glaubten.
Aufschlussreich sind hier das Wirken und die Schriften des zu
Unrecht fast vergessenen Patriarchen Nikephoros; ihm wurde,
trotz seiner fiir diese Periode charakteristischen Bedeutung
bisher zu wenig Beachtung geschenkt. So wird in der iibrigens
verdienstlichen Abhandlung Schwarzloses 1) die theologische
Wirksamkeit des Nikephoros nur in einer kurzen Bemerkung
erwahnt. Karl Holl schreibt in seinem Aufsatz "Die Schriften des
Epiphanius gegen die Bilderverehrung" : ".... Nikephoros
macht hier wieder von der kindlichen Unterstellung Gebrauch
durch die er sich in all seinen Schriften die Widerlegung seiner
Gegner erleichtert. Von den hohen Eigenschaften, die A. Ehr
hardt, bei Krummbacher, "Gesch. der Byz. Lit.", S. 72, ihn
nachruhmt: "edler Freimut .... , Vielseitigkeit der Gesichts
punkte, Scharfe der Dialektik", vermag ich bei ihm nichts wahr
zu nehmen. Nikephoros steht an Gaben kaum iiber den von ihm
bekampften Epiphanius. Fiir ihn ist die ganze Frage nach den
Bildem immer durch den Nachweis erledigt dass Christus wahr
er Mensch geworden seL Wer die Bilder bestreitet ist Doket" 2).
Nun glaube ich nicht dass man Nikephoros ungerechter beur
teilen kann als Holl es hier tut; wenn der Patriarch die Ikono
klasten des Doketismus beschuldigt so tut er dasselbe wie alle
Gegner des Ikonoklasmus; wichtiger aber ist es dass dieser
Standpunkt des Nikephoros keine "kindliche Unterstellung" ist
sondem dass er damit die, meist tief verborgenen, Wiirzel des
Ikonoklasmus ans Licht bringt. Ich mochte darum dem von
Holl angefiihrten Worte beipflichten und iiberdies mit Beifall
zitieren was Tixeront schreibt von den Antirhetici des Nikepho
ros 3): "C'est peut-etre l'oeuvre la plus forte et la plus accessible
1) Karl Schwarzlose, De, BildMst,eit, ein Kamp/ der g,iechiscken Ki,che um ik,e
Eigenarl und um ik,e F,eiheit, Gotha 1890.
Die Bemerkung: S.180.
") Karl Holl, Gesammelte Au/sMile IlU' Ki,chengesckichte, II, der Osten, Tilbingen
1928, S. 369.
0) J. Tixeront, Histoi,e des Dogmes dans l'Antiquitlck,etienne,ParisI912, T.I1I, p. 470.
EINLEITUNG 3
aux masses qui ait ete ecrite sur la question des images". Schwarzlo
se 1) nennt den Standpunkt des Theodorus Studita, der sich bei sei
ner Verteidigung der Bilder auf das christologische Dogma stiitzt,
einen grossen Fortschritt gegeniiber Johannes Damascenus. Nun
findet man geradeso auch bei Nikephoros diese christologische
Begriindung und es ist nichts weniger als sicher ob in dieser
Hinsicht Theodor Anspruch auf eine Prioritat machen kann, da
doch die schriftstellerische Wirksamkeit beider ungefahr gleich
zeitig stattgefunden hat. Zwar hatte Nikephoros wohl kaum den
erstaunlichen (freilich auch ermiidend abstrakten) dialektischen
Scharfsinn aufgebracht, den z.B. der dritte Antirheticus des
Studiten verrat, jedoch iibertrifft unser Patriarch Theodor an
Grossziigigkeit der Auffassung. Theodor hetzt die absurde ikono
klastische Lehre von der cX1te:p~ypCX1t't'oc; O'cxp; formlich zu Tode
und vemachlassigt dariiber die anderen moglichen Aspekte. Bei
Nikephoros hingegen konnen noch andere Beweisfiihrungen zu
Worte kommen und er hat in der einen oder anderen Form
eigentlich alle Gedanken, die wir auch bei den sonstigen Gegnem
des Ikonoklasmus finden, wahrend wir iiberdies noch Ideen des
Nikephoros als sein ausschliessliches Sondergut betrachten miis
sen. So ist es dann gerechtfertigt bei einer Besprechung der
ikonophilen Theologie aus der zweiten Periode des Bilderstreites
von den Schriften dieses Patriarchen auszugehen. Je doch ge
niigt es nicht sich auf Nikephoros selbst zu beschranken und
miissen wir uns mit dem ganzen Gebiet der diesbeziiglichen
Literatur beschaftigen, soweit sie uns erhalten ist.
Nun kennen wir die ikonoklastischen Schriften ausschliesslich
aus der Bestreitung seitens wer Gegner, denn nach der Verur
teilung der Ketzerei geschah das in solchem Fal1e "Obliche; man
sorgte dafiir dass Biicher und Abhandlungen der Ketzer mog
lichst griindlich vemichtet wurden. Der diirftige Besitz an iko
noklastischer Literatur ist schnell aufgezahlt. Wir haben nur
Fragmente von zwei Abhandlungen des Konstantin Kopronymos,
des fanatischen Ikonoklastenkaiser, die Nikephoros in den zwei
ersten Antirhetici mitteilt und ausfiihrlich widerlegt 2). Ausser
dem kennen wir zwei Synodalauspriiche bilderfeindlicher Syno-
1) Schwarzlose, a. a. 0., S. 190 ff.
2) Die Antirhetici: Migne, Patrologia Graeca, T. 100 (weiterhin angefiihrt MPG.).
4 EINLEITUNG
den. Das 7. oek. Konzil berichtet weitlaiifig iiber den opo<; des
im Jahre 754 abgehaltenen Konzils 1). In 815 fand wiederum eine
Synode in ikonoklastischem Geiste statt, deren theologische
Kundgebung von Nikephoros widerlegt wurde in einem nur
handsehriftlich erhaltenen Werke 2). Ein seltsames Geprage tra
gen einige Gedichte ikonoklastischer Poeten, die wir als Produkte
dichterischer Hausarbeit, worin die byzantinische Kunst des
Akrostichs akrobatische Formen annimmt, betrachten konnen.
Sie sind, das ist bemerkenswert, bezeichnend fiir eine typische
"Kreuzesdevotion", die sich (wohl als Bilderersatz) gerade bei
den Ikonoklasten stark entwickelt hat: die Buchstaben bilden
namlich eine Kreuzfigur. Der Inhalt ist nichtssagend, was man
nicht erstaunlich nennen kann; erstaunlich ist vielmehr dass es
den Dichtem gelang in dergleichen verkiinstelten F ormen noch
irgendeinen Sinn zu legen. Theodorus Studita, der uns die Verse
iiberliefert hat, ebenfalls in einer Widerlegungsschrift, gibt auch
selbst Proben einer solchen "gekreuzigten" Poesie, die den
Erzeugnissen seiner Gegner nichts nachgeben 3). Dies ist alles,
was noch von ikonoklastischen Schriften iibriggeblieben ist.
Hingegen besitzen wir, wie zu erwarten ist, eine viel umfang
reichere Literatur, die den Bilderstreit von orthodoxer Seite her
behandelt. Wir nennen zuerst einige Briefe. Der Brief des Papstes
Gregorius II an den Patriarehen Germanos von Konstantinopel
wurde auf dem 7. oek. Konzil verlesen und in den Akten desselben
aufgenommen 4). Ansehliesslich finden wir Briefe die Germanos
schrieb an Johannes, Bischof von Synnadis, und Thomas,
Bischof von Klaudiopolis. Keiner der drei ist in theologischer oder
historischer Hinsieht besonders wiehtig. Aueh gibt es angeb
liehe Briefe des genannten Papstes an den Kaiser Leo den
Isaurier. Die Echtheit jener wird ziemlich allgemein bestritten,
teils wegen des besonders frechen und banalen Tones, teils wegen
verschiedener Einzelheiten, die auf einen byzantinischen Ur
sprung hinweisen. Auch ist die Tatsache bedenklich dass die
Sehriften nicht auf dem 7. oek. Konzil verlesen wurden, und
gleiehfalls der grosse Unterschied in Stil mit den sieher echten
1) Die Abhandlung samt Widerlegung: Mansi, Sacrorum conciliorum ttova et
amplissima collectio, Flor. 1759-88, T. XIII, p. 208-356.
0) Vergl. S. 37.
8) MPG 99, c. 453, 599.
') Mansi, XIII, p.91 und MPG 98, c. 149.
EINLEITUNG 5
Briefen des Gregorius 1). Nach Erwahnungen in den Chroniken
und im Liber Pontificalis konnen wir als sicher annehmen dass
es zwischen Papst und Kaiser einen Briefwechsel anlasslich des
Bilderstreites gab. Moglicherweise haben die echten Briefe als
Vorbild fiir die Episteln, wie wir sie in ihrer heutigen Form be
sitzen, gedient, jedoch ist es sehr unwahrscheinlich dass sie in
dieser Form vom Papste selbst abgefasst sein sollten 2). Sie wur
den erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts vom gelehrten Jesuiten
Fronton entdeckt und gedruckt von Baronius a.A. 726.
Von den drei "Orationes adversus Iconoclastas" des Johannes
Damascenus sind die zwei ersten als echt zu betrachten. Sehr
eigenartig aber ist der Aufbau der dritten Rede. Die erste Halfte
dieses Stiickes besteht aus einem Flickwerk von meist buch
stablich iibemommenen Fragmenten aus den beiden ersten; die
zweite Ha1fte ist eine sehr scholastisch aufgebaute Darlegung
iiber die Bilderverehrung. (Fiir eine ausfiihrliche Analyse ver
weisen wir auf Schwarzlose) 3). Gegen die Echtheit der Rede in
ihrer vorliegenden Form spricht die Tatsache dass derdamaskener
Theologe bei Behandlung derselben Gegenstand sonst niemals
buchstiibliche Wiederholungen verwendet. Dagegen besteht was
die zweite Ha1fte betrifft weit eher die Moglichkeit der Authen
tizitat. Die Meisterschaft der haarspaltenden Begriffsunter
scheidungen erinnert an die dialektische Kunst des Johannes.
Vielleicht konnte man die einfachste Erklarung darin finden
dass ein spaterer Bearbeiter aus den zwei ersten Reden des
Damaskeners und aus einem mehr systematisch aufgebauten
Werk desselben Schriftstellers kompilatorisch ein Ganzes schaffen
wollte. In den Codices werden noch drei antiikonoklastische
Abhandlungen dem syrischen Theologen zugeschrieben. An
erster Stelle finden wir die "Oratio adversus Constantinum Cab
ballinum" (Kaballinos war ein anderer Schimpfname des Kaisers
Konstantin V). Aus dieser Schrift ersehen wir dass der Verfasser
unter die kirchliche Gerichtsbarkeit des konstantinopeler Pa
triarchen fiel; weiterhin spricht er iiber die Synode von 754 und
iiber den Eid gegen die Bilder, den der Kaiser seinen Untertanen
1) Vergl. Schwarzlose, a.a.O., S. 113 if.
• ) Doch ist ein Ostogorsky fur die Echtheit eingetreten in einer Festschrift fur
Diehl (Melanges Diehl, p.244, 500).
') Schwarzlose, a.a.O., S. 103 ff.
6 EINLEITUNG
im Jahre 766 auferlegte. Da wir so gut als sieher feststellen
konnen dass Johannes Damascenus bereits vor 754 starb kann er
nicht a1s Verfasser der Abhandlung in Betracht kommen, was
iibrigens auch aus Stil und Gedankengang ersiehtlich wird. Wenn
wir annehmen dass diese Schrift noch zu Lebzeiten des Kaisers
verfasst wurde dann miisste man sie nach 766, jedoch noch vor
dem Todesjahr des Fiirsten (775) datieren. Es ist aber nieht
ausgeschlossen dass die Oratio erst nach dem Tode des Konstan
tin geschrieben wurde, da der sehr freche Ton und einige Rede
wendungen darauf hinweisen. Mit ziemlicher Sieherheit kann
man jedoch feststellen dass die Schrift der Zeit vor dem Konzil
von 787 entstammt. Ebenfalls wurde dem Damaskener die
"Epistola ad Theophilum Imperatorem" zugeschrieben. Da Theo
philus erst ungefabr hundert Jahre nach Johannes lebte muss
man dem grossen Theologen wohl merkwiirdige okkulten Krafte
beigelegt haben. In einer dritten unechten Streitschrift findet
man sehr deutliche Angaben dass sie etwa urn 771 entstanden
sein muss, also mindestens zwanzig Jahre nach dem Tode des
Johannes. Lequien hat aIle diese echten und falschen Damasce
nica in griindlicher Weise herausgegeben 1).
Einer der iiberragendsten Bekampfer des Ikonoklasmus war
Theodor der Studite, dessen drei "Antirhetici" als ein Muster
beispiel antiikonoklastischer Polemik gelten durfen. Die ersten
zwei sind in Dialogform gehalten; sie sind weniger abstrakt und
reicher an verschiedenartigen Gesichtspunkte, aber andersseits
weniger streng aufgebaut als der dritte, den man beinahe "more
geometrico" abgefasst nennen kann und der fast ausschliesslich
auf die Achillesferse der ikonoklastischen Theologie, die Lehre des
zustandes des Fleisches Christi, zielt. Bei Erwab
'Cl1te:PLYPCl1t't'OC;-
nung der urspriinglichen Quellen nennten wir bereits seine "Re
futatio poematum iconoc1astarum". Abstrakt wie der dritte
Antirheticus sind wiederum die
tzt't'Cl Xe:cpotAClLCl 1tpOC; LXOVOxAClO''t'ClC;.
Die 1tpO~Al)!LCl't'Cl 1tpOC; LXOVOXAClO"t'ClC; enthalten eigenartige Ge
dankengange: so findet man darin Widerlegungen einiger Ar
gumente der Bilderstiirmer, wie z.B. der Behauptung dass, da
man am Himmel wohl das (Stem) Bild des Kreuzes, nicht aber
das eines Menschen findet, man nur das Kreuz anbeten diirfe.
Von Theodor sind weiter eine grosse Anzahl von Briefen iiberlie-
') Paris 1712, II tomi, auch wiederholt MPG 94, 95.