Table Of ContentStudien und Materialien zum Rechtsextremismus
herausgegeben von Prof. Dr. Eike Hennig
Band 6
Nicht
Wieder Gut
ZuMachen
Die bundesdeutsche Entschädigung
psychischer Folgeschäden
von NS-Verfolgten
Anke Schmeling
Centaurus Verlag & Media UG 2000
Die Autorin, Anke Schmeling, geb. 1959, absolvierte ein Lehramtsstudium der Gesellschafts
wissenschaften und Germanistik, 1998 Promotion im Fachbereich Politikwissenschaften an der
Universität Gesamthochschule Kassel. Sie ist tätig als freiberufliche Moderatorin und als Lehr
beauftragte an der Universität Gesamthochschule Kassel.
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Schmeling, Anke:
Nicht wieder gut zu machen: die bundesdeutsche Entschädigung
psychischer Folgeschäden von NS-Verfolgten I Anke Schmeling.
Herbolzheim: Centaurus Verl., 2000
(Studien und Materialien zum Rechtsextremismus; Bd. 6)
Zugl.: Kassel, Univ., Diss., 1998
ISBN 978-3-8255-0267-6 ISBN 978-3-86226-439-1 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-86226-439-1
ISSN 0940-2977
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elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
© CENTAURUS Verlags-GmbH & Co. KG, Herbolzheim2000
Satz: Vorlage der Autorin
Umschlaggestaltung: DTP-Studio, A. Walter, Lenzkirch
Danksagung
Zu danken habe ich vielen Menschen, die die Entstehung meiner Arbeit mit Inter
esse und Anteilnahme begleiteten.
Dankbar bin ich Prof. Dr. Jörg Kammler, dessen Forschungsarbeiten zur "Wieder
gutmachung nationalsozialistischen Unrechts" mir eine wichtige Anleitung waren.
Dem von ihm geleiteten Forschungsprojekt, das sich seit Ende der 80er Jahre mit
der Entschädigungspraxis des Bundeslandes Hessen beschäftigte, verdanke ich
viele wichtige Impulse; ihm verdanke ich aber auch das Fallmaterial, das Grundla
ge meiner empirischen Auswertung war.
Unterstützung fand ich auch bei Prof. Dr. Eike Hennig, der mir mit seiner fach
lichen Beratung über viele Klippen hinweghalf und damit die Fertigstellung dieser
Arbeit erst möglich machte.
Wertvolle Hilfestellungen gab mir Prof. Dr. Reinhart Lempp, der mich großzü
gig an seinen langjährigen Erfahrungen als Psychiater und Gutachter in Entschädi
gungsverfahren teilhaben ließ. Danken möchte ich auch Robert Lohde-Reiff, der
mir tatkräftig und sachkundig behilflich war, alle Hürden der EDV -Analyse zu
überwinden.
Meinem Mann, Benjamin Schäfer, danke ich für seine unerschöpfliche Geduld,
seinen emotionalen Beistand und seine stete Diskussionsbereitschaft. Seine gleich
bleibend solidarische Kritik war mir eine unersetzliche Hilfe.
Diese Arbeit wurde vom Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität
Gesamthochschule Kassel 1998 als Dissertation angenommen.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
I.l Zum Forschungsstand und zur Vorgehensweise der vorliegenden Arbeit
11. Extrembelastungen der Verfolgung 13
II.l. Überleben in Lagern:
Überlebende als "Displaced Persons" in der amerikanischen
Besatzungszone 29
11.2 Psychische und somatische Folgeerkrankungen 39
11.3 W ahmehmungsprobleme:
Die Diagnostik bundesdeutscher Psychiater 61
III. Das Entschädigungsrecht 71
III.l Voraussetzungen und Grundsatzentscheidungen
des deutschen Entschädigungsrechts 71
111.2 "Schäden an Körper und Gesundheit" 88
111.3 Die Entschädigung psychischer Folgeschädigungen
im Spannungsfeld zwischen gesetzlichen Vorgaben
und psychiatrischer Praxis 97
1II.4 Summarische Abschlußüberlegungen 107
IV. Ein verschobenes Abbild der Wirklichkeit
"Wiedergutmachungsverfahren"
in Entschädigungsakten 111
IV.l Diesseits der Entschädigungsakten
Methodische Probleme 113
IV.2 Jenseits der Entschädigungsakten:
Besondere Probleme der Entschädigungsverfahren 126
V. Zur Auswertung des Fallmaterials 131
V.I Zentrale Auswertungsergebnisse 136
VI. Die Überlebenden
Zehn Verfolgungsschicksale -
zehn Entschädigungsverfahren 167
Herr. 0.8.: "Die ... Erkrankungen setzten einige Tage
nach meiner Entlassung ein. .. " 169
Frau S.R.: "Ich war vollkommen verwahrlost,
verkommen, von Ekzemen bedeckt. .. " 176
Frau H.A.: "Seitdem haben die Angstzustände dauernd
zugenommen und ich verliere sie nicht." 184
Herr M.C.: "Ich bin nervoes und lebe
in staendiger Vorstellung, dass man mich ermorden will." 190
Herr L.K.: " ... mußte eine der schrecklichsten Arbeiten
leisten, die ein pervertiertes Menschenhim einem
Mitmenschen auferlegen konnte." 198
Frau E.M.: "Durch die großen seelischen und
körperlichen Belastungen ... habe ich
dauernde Schädigungen davongetragen" 207
Herr. J.L.: "Als ich. .. in Erfahrung brachte,
dass meine Eltern und Geschwister in Polen von Nazis
umgebracht wurden, stellten sich bereits Anfaelle
von heftigen Kopfschmerzen ein ... " 214
Frau S.E.: "Schmerzen im Körper
infolge Misshandlungen. .. " 224
Herr. I.Z.: "Ich kann mich an meinen Aufenthalt
im Ghetto noch gut erinnern,
obwohl ich damals noch ein Kind war." 232
Herr W. Ke.: "Angst, sich im Leben nicht zurechtzufmden" 240
VII. Resümee 247
Literatur-und Quellenverzeichnis 253
I. Einleitung
1.1. Zum Forschungsstand und zur Vorgehensweise
der vorliegenden Arbeit
Die "Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts", d.h. die Entschädigung
jener Menschen, die den gezielten Verfolgungs- und Vernichtungsterror des natio
nalsozialistischen Regimes und seiner Anhänger überlebt hatten, sollte nach Willen
der Westalliierten und deutscher Politiker konstitutiver Bestandteil des demokrati
schen Neuaufbaus in den westlichen Besatzungszonen und der Bundesrepublik
Deutschland werden. Mit der "Wiedergutmachung'" sollten und wollten die demo
kratischen Kräfte Deutschlands nach Kriegsende deutlich machen, daß das politi
sche System dieses Landes mit nationalsozialistischer Ideologie und Politik gebro
chen hatte. Sie wollten aber auch den ehemals Verfolgten signalisieren, daß ihre
Leiden und Verluste in einem demokratischen Deutschland anerkannt und gewür
digt würden.
In der Realität wurde jedoch schnell deutlich, daß die "Wiedergutmachung" eine
nur geringe Bedeutung im politischen Alltag der westdeutschen Besatzungszonen
und der späteren Bundesrepublik hatte und vor allem bei der Bevölkerung auf
Desinteresse bzw. auf Abwehr stieß.' Delegiert an eigens errichtete Entschädi
gungsverwaltungen und -gerichte blieb sie Angelegenheit von Experten, deren Ar
beit jede öffentliche Anteilnahme und Wertschätzung verwehrt blieb. Walter
Schwarz, einer der bedeutendsten "Wiedergutmachungsexperten", resümierte denn
auch 1989: "Die Wiedergutmachung war niemals populär ... Die Wiedergutma
chung hat sich nahezu vier Jahrzehnte in einem politischen und publizistischen Ab
seits befunden."3
Der Begriff "Wiedergutmachung" ist ein inzwischen eingefUhrter Fachtenninus, um die ver
schiedenen entschädigungsrechtlichen Vorgaben der Bundesrepublik sununarisch zu be
zeichnen. Da dieser Terminus aber im Wortsinne äußerst schwierig ist - konnten die Verlet
zungen und Verluste der Betroffenen doch niemals "wieder gut", d.h. ungeschehen gemacht
werden - werde ich ihn in meiner Arbeit durchgängig in Anfllhrung setzen.
2 In einer Befragung des Allensbacher Institutes 1949 befanden 54% der Befragten,
Deutschland habe eine "Wiedergutmachungsverpflichtung" gegenüber den noch lebenden
deutschen Juden, 31 % lehnten dies ab und 15% äußerten sich unentschieden. 1952 befragt,
ob Deutschland drei Milliarden Mark Entschädigungsleistungen an Israel bezahlen solle,
befanden 44% der Befragten, dies sei überflüssig, 24% befanden die Sunune als zu hoch,
11% äußerten sich zustimmend und 21% unentschieden. Vgl. dazu: Jahrbuch der öffentli
chen Meinung 1947 - 1955; hrsg. Von Elisabeth Noelle und Erich Peter Neumann, Allens
bach 1955.
3 Zit. nach: ders.: Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundes
republik Deutschland. Ein Überblick, in: LudolfHerbst / Constantin Goschler (Hrsg.): Wie-
Die Gleichgültigkeit der bundesdeutschen Gesellschaft spiegelte sich lange Zeit
auch in der historischen und zeitgeschichtlichen Forschungslandschaft wider. Zur
Kenntnis genommen und diskutiert wurde die "Wiedergutmachung" lediglich von
jenen Juristen, die sich ad personam aufgerufen fühlten, gesetzliche Regelungen
zur Entschädigung ehemals Verfolgter zu konzipieren. Dies bedeutete, rechtliches
Neuland zu betreten, kannte die Geschichte doch kein Vorbild, wie solche Verfol
gungs- und Vernichtungsexzesse, solch vielfaltige Schädigungen von Terroropfem
zu entschädigen seien. Um die Entschädigung ganz unterschiedlicher Verluste und
Schäden strukturieren zu können, entschieden sich Politiker und Juristen, verschie
dene Einzelgesetze zu entwerfen, mit denen die unterschiedlichen Schadensformen
kompensiert werden sollten' - wobei die Vielschichtigkeit der Materie eine mehr
fache Überarbeitung gerade der gesetzlichen Regelungen zur Individualentschädi
gung notwendig machte. '
Will man sich heute diese sehr komplexe juristische Materie entschlüsseln, so
sind die einschlägigen Gesetzeskommentare grundlegend. Ebenso grundlegend
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sind aber auch die Publikationen prominenter "Wiedergutmachungsexperten", die
sich über Jahre dezidiert und kritisch mit den Intentionen, dem Charakter und den
Mängeln der gesetzlichen Grundsatzbestimmungen auseinandersetzten. 7 Als
fachinternes Informationsforum diente die Zeitschrift "Rechtsprechung zum Wie
dergutmachungsrecht", in der jeweils aktuelle Urteile zur "Wiedergutmachung"
veröffentlicht und diskutiert wurden - eine Quelle, die auch heute noch für das
Verständnis juristischer Wiedergutmachungsprobleme zentral ist.·
dergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland. Schriftenreihe der Vierteljahreshefte
für Zeitgeschichte (Sonderband), München 1989, S. 53.
4 Die bundesdeutsche "Wiedergutmachung" umfaßt die sogenannte Rückerstattung, mit der
vermögensrechtliche Schädigungen kompensiert wurden; die "Individualentschädigung" ,
mit der materielle wie immaterielle Schädigungen von Einzelpersonen entschädigt wurden,
aber auch gesetzliche Regelungen für den Bereich des Familien-, Arbeits- und Beamten
rechts, der Sozialversicherungen, des Versorgungs-und Strafrechts.
5 Gemeint sind hier das US-Entschädigungsgesetz von 1948, das von dem Bundesergän
zungsgesetz 1953 abgelöst wurde. Überarbeitet wurde dieses mit dem Bundesentschädi
gungsgesetz 1956, das wiederum - nun aber abschließend - vom Bundesentschädigungs
schlußgesetz 1965 abgelöst wurde.
6 Die für den Kontext der vorliegenden Arbeit wichtigsten Kommentare stammen von Georg
Blessin / Hans Wilden: Bundesentschädigungsgesetze - Kommentar, München - Berlin
1957 sowie von H. G. van Dam / Heinz Loos: Bundesentschädigungsgesetz, Berlin - Frank
furt a.M. 1957.
7 So z.B. die Veröffentlichungen von Otto Küster: Erfahrungen in der deutschen Wiedergut
machung, Tübingen 1967 sowie von Franz Böhm: Die politische und soziale Bedeutung der
Wiedergutmachung, in: Franz Böhm: Reden und Schriften. Über die Ordnung der freien
Gesellschaft, einer freien Wirtschaft und über die Wiedergutmachung, hrsg. von E. J.
Mestmäcker, Karlsruhe 1960.
8 Die Zeitschrift "Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht" erschien zwischen 1949
und 1981 als Beilage zur "Neuen Juristischen Wochenschrift".
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