Moderne Baumpflege : Grundlagen der Baumbiologie

401 Pages·1994·48.248 MB·German

by  Shigo, Alex L.

Alex L. Shigo
MODERNE
BAUMPFLEGE
Grundlagen der Baumbiologie
Bernhard Thalacker Verlag Braunschweig
ZV,
Alex L. Shigo
MODERNE
BAUMPFLEGE
Grundlagen der Baumbiologie
Technische Fachhochschule Berlin 1.a:
Bitlicthek E
Königin-Luise-Strasse 22
14195 Berlin
7
-3 SH (cid:9) seed/Qee
Bernhard Thalacker Verlag Braunschweig
(49a 49
Widmung
Allen Menschen, die Bäume „begreifen" möchten.
Unserer Tochter, Judy Ruth Smith, möchte ich dafür danken, daß sie das umfang-
reiche Literaturverzeichnis getippt hat, und meiner Frau Marilyn danke ich für
die restlichen Schreibarbeiten und für viele wertvolle Anregungen.
Technische Fachhochschule buz.n
Bitliothek E
Königin-Luise-Strasse 22
14195 Berlin
Titel der Originalausgabe
Modern Arboriculture: a systems approach to the care of trees and their asso-
ciates
© 1991 by Shigo and Trees, Associates
Durham, New Hampshire 03824-3105, USA
Übersetzt aus dem Amerikanischen von
Dr. Rolf Kehr und Prof. Dr. Heinz Butin
Titelgestaltung und Layoutentwurf: Hansgeorg Barkowsky, Braunschweig
Satz: Fotosatz Goebecke, Sickte
Druck und Verarbeitung: Offizin Andersen Nexö, Leipzig
Printed in Germany
Die Deutsche Bibliothek - CIP Einheitsaufnahme
Shigo, Alex L.:
Moderne Baumpflege : Grundlagen der Baumbiologie / Alex L. Shigo.
[Übers. Rolf Kehr und Heinz Butin]. - Braunschweig : Thalacker, 1994
Einheitssacht.: Modern arboriculture <dt.>
ISBN 3-87815-051-2
© 1994 Bernhard Thalacker Verlag, Braunschweig
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung
des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfälti-
gungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verar-
beitung in elektronischen Systemen.
Dieses Buch ist mit der größtmöglichen Sorgfalt zusammengestellt worden. Je-
doch können weder der Autor oder der Übersetzer noch der Verlag für Schäden
haftbar gemacht werden, die aus Fehlern und/oder Unvollständigkeiten im Text
entstehen könnten.
ISBN 3-87815-051-2
3
Vorwort der Übersetzer
Das große Interesse, das die englischsprachigen Veröffentlichungen des bekann-
ten Baumfachmannes Alex L. Shigo in den USA und in vielen anderen Ländern
gefunden haben, hat den Bernhard Thalacker Verlag dazu bewogen, einige Bü-
cher des Autors in deutscher Sprache herauszugeben. Hierzu gehört jetzt auch
„Modern Arboriculture", das 1991 bei „Shigo and Trees, Associates" publiziert
worden ist. Dieses Buch, das man als „Modernes Lehrbuch der Baumpflege" be-
zeichnen könnte, bringt in zusammenfassender Form alle wesentlichen Grundla-
gen, die zum Verständnis der Biologie eines Baumes und seiner richtigen Pflege
einschließlich der „Baumchirurgie" notwendig sind.
Wenn wir auch dem Wunsch des Verlages nach Übersetzung des Buches ins
Deutsche gerne nachgekommen sind, so waren doch einige Überlegungen not-
wendig, um den richtigen Weg für eine sowohl sachgerechte als auch autorenge-
rechte Darstellung und Übersetzung zu finden, denn das Buch zeichnet sich in
besonderer Weise durch hohe Originalität sowohl in der textlichen Formulie-
rung als auch in der Bildgestaltung aus. Was z. B. die sprachlichen Eigenarten
betrifft, so sind Redewendungen, die im Englischen durchaus akzeptabel er-
scheinen, in der wortgetreuen Übersetzung unschön oder mißverständlich. Auch
erschienen uns einige sachliche Darstellungen - vor allem für fachlich weniger
Vorgebildete - nicht genügend erklärt, so daß wir kleinere Ergänzungen für
angebracht hielten. Im Einverständnis mit dem Autor liegt nun eine textliche
Darstellungsform vor, die - wie wir glauben - den Ansprüchen der deutschen
Sprache gerecht wird, ohne allzuviel von der Originalität des Autors und seiner
Diktion aufzugeben.
Nicht in allen Fällen waren wir mit dem Autor exakt derselben fachlichen Mei-
nung; die vielen noch nicht endgültig geklärten Aspekte der Baumbiologie las-
sen nun einmal Raum für individuelle Erklärungsansätze oder Interpretationen.
In grundlegenden Dingen jedoch stimmen wir mit Alex Shigo überein und ha-
ben großen Respekt vor seiner Fähigkeit, baumbiologische Zusammenhänge zu
vermitteln. Da für uns die Werktreue Vorrang hatte, haben wir uns im fachlichen
Zweifelsfall bemüht, dem deutschsprachigen Leser Shigo's Sicht der Dinge
näherzubringen.
Auch wenn der Leser meint, bereits viel von Bäumen zu verstehen, möchten wir
ihn ermuntern, die auf den ersten Blick recht einfach anmutenden Tafeln durch-
gängig zu lesen. Nach intensiver Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Buches
wird auch er feststellen können, daß Alex Shigo in diesem Werk eine Fülle von
Informationen und neueren oder verschollen gewesenen Erkenntnissen zusam-
mengetragen hat, die jedem, der auf der Suche nach der heute immer noch kon-
trovers diskutierten „richtigen" Baumpflege ist, von großem Nutzen sein wird.
Braunschweig, im Dezember 1993(cid:9) DR. ROLF KEHR
PROF. DR. H. BUTIN
4
Der Autor
ALEX L. SHIGO wurde am 8. 5. 1930 in Duquesne, Pennsylvania (USA) geboren.
Seine Ausbildung in Biologie und Pflanzenpathologie erhielt er am Waynesburg
College und an der Universität von West Virginia, wo er im Fach Ptlanzenpatho-
logie promovierte. Von 1959 bis 1985 war er beim US Forest Service Leiter eines
umfangreichen Forschungsprojekts über Verfärbung und Fäule bei Waldbäu-
men. In dieser Zeit hat er eigenhändig mehr als 15.000 Bäume mit der Motorsäge
zerlegt, um die Abbau- und Verfärbungsmuster zu untersuchen. In vielen Län-
dern dieser Erde hat er Bäume studiert, und seine Forschung mündete in 270 Ver-
öffentlichungen und zahlreichen Ehrungen. ALEX SHIGO ist der Überzeugung,
daß wir Bäumen helfen können, wenn wir durch solide, auf wissenschaftlicher
Forschung beruhende Programme diejenigen ausbilden, die für Bäume und ihre
Pflege verantwortlich sind.
Die Übersetzer
Prof. Dr. Heinz Butin, geb. am 13. April 1928 in Bonn, war langjähriger Leiter des
Instituts für Pflanzenschutz im Forst der Biologischen Bundesanstalt für Land-
und Forstwirtschaft in Braunschweig und gleichzeitig Dozent für Forstpatholo-
gie an der Universität Göttingen. Dr. Rolf Kehr, geb. am 8. Februar 1961 in
Marburg a. d.Lahn, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am gleichen Institut und
verbrachte lange Jahre in den USA. Er promovierte am Forstwissenschaftlichen
Fachbereich der Universtität Göttingen über Krankheiten der Roteiche. Seine
Hauptarbeitsgebiete sind pilzlich bedingte Baumkrankheiten sowie ökologisch-
pathologische Fragestellungen aus der Dendrologie.
An Lehrkräfte
Der Amerikanische Präsident Abraham Lincoln schrieb einst: „Entschuldigen Sie
diesen langen Brief Zu einem kurzen fehlte mir die Zeit."Der alexandrinische Poet
CALLIMACHUS sagte: „Ein dickes Buch ist von Übe/"(299). Als ich das vorliegende
Buch schrieb, versuchte ich, diese Sätze im Auge zu behalten. Ich glaube, daß ein
Lehrer oder Professor ein Lehrbuch als Rahmen für seinen Kursus benutzen
sollte, nicht aber als Kursus selbst. Ein Lehrbuch sollte so kurz wie möglich sein.
Das vorliegende Werk läßt Ihnen überall Freiraum, um Ihren Kursus so zu ge-
stalten, wie Sie es für richtig halten.
An Baumpfleger
Ich bin sicher, daß Sie die in diesem Buch enthaltene Information gebrauchen
können, es Ihnen vielleicht aber an Zeit mangelt. Nehmen Sie das Buch und le-
sen Sie täglich einige der Tafeln durch. Diskutieren Sie den Inhalt mit Kollegen
und Kunden. Wenn Sie an Bäumen Ästungen und Auslichtungen durchführen,
machen Sie sich die Mühe, einige zusätzliche Schnitte durch alte Verletzungen
und Ästungswunden anzulegen. Wenn Sie das einige Zeit gemacht haben, wer-
den Sie mehr über Bäume verstehen, als Sie je in einem Buch - und mag es noch
so gut sein - nachlesen können.
5
Inhalt
Vorwort der Übersetzer (cid:9) 3 Zu starker Schnitt (cid:9) 109
Autor, Übersetzer und Leser .... 4 Formbeeinflussung durch
Einleitung (cid:9) 7 Schnitt 110
Der Anstoß zu diesem Buch (cid:9) 8 Versorgungsleitungen (cid:9) 113
Zum Themenumfang dieses Ästungsmenge (cid:9) 125
Buches (cid:9) 8 Stockausschläge (cid:9) 126
Kennzeichnung der Knollen (cid:9) 129
Literaturzitate (cid:9) 9 Rost (cid:9) 130
Motorsägen und Mikroskope, Kalluseinrollungen (cid:9) 131
Menschen und Medien (cid:9) 9 Strauchschnitt (cid:9) 132
Geschichtliches über den Umgang
mit Bäumen (cid:9) 11
Erläuterungen zu den Tafeln (cid:9) 16
Krankheit und Verwundung
Grundlagen Infektion (cid:9) 133
Krebs und Rindenbrand (cid:9) 134
Natürliche Systeme (cid:9) 17 Streß und Überlastung (cid:9) 138
Knospen (cid:9) 29 Verwundungszeitpunkt (cid:9) 139
Verzweigungsmuster (cid:9) 31 Kallus und Wundholz (cid:9) 140
Stadtbäume und Waldbäume ... 34 Ausschälen von Wunden (cid:9) 144
Holzanatomie (cid:9) 41 Wundposition (cid:9) 145
Kernholz und verfärbtes Holz .. 58 Tiere und Wunden (cid:9) 146
Wunden (cid:9) 59 Insekten und Milben (cid:9) 148
Kompartimentierung (cid:9) 62 Nematoden (cid:9) 151
CODIT (cid:9) 68 Verwundungsmuster (cid:9) 152
Sperrzonen (cid:9) 74 Wunden durch Kletterschuhe 153
Einfluß der Genetik (cid:9) 76 Höhlungen (cid:9) 154
Feuerbrand (cid:9) 79 Wundverschlußmittel (cid:9) 157
Verbindung von Ast und Stamm 80 Holzveränderungen nach
Korrekte Ästung (cid:9) 86 Verwundung (cid:9) 158
Nachteile stammparalleler Starke und schwache
Ästung (cid:9) 90 Abwehrbereiche (cid:9) 159
Schäden nach korrektem Schnitt 94 Bohrwunden und Infektionen (cid:9) 160
Entfernung toter Äste (cid:9) 96 Injektionen und Implantate (cid:9) 164
Eingeschlossene Rinde (cid:9) 98 Naßfäule (cid:9) 165
Gleichwertige Triebe (cid:9) 101 Rußtau und Hefen (cid:9) 171
Absetzen des Leittriebes (cid:9) 104 Blatt- und Nadelkrankheiten .... 173
Förderung des Leittriebes (cid:9) 107 Risse (cid:9) 174
Einfluß der Astlänge (cid:9) 108 Schutzholz: Zusammenfassung . 183
6 Inhalt
Energie und Physiologie Platzbedarf und Städteplanung 282
Falsche Pflanzung (cid:9) 288
Grundlagen (cid:9) 184 Palmen (cid:9) 294
71,(A93ynthese und Atmung .... 187 Gefahren durch Bäume (cid:9) 297
-
11;i.,r Baum als Pumpe (cid:9) 194 Kappung (cid:9) 305
Alterung (cid:9) 196 Schäden durch Bautätigkeit (cid:9) 308
Lebende und nichtlebende Blitzschäden (cid:9) 309
Systeme (cid:9) 197 Starkäste (cid:9) 310
Lebensfeindliche Faktoren (cid:9) 199 Entnahme großer Bäume (cid:9) 311
Übergänge (cid:9) 201 Stützen und Verstrebungen (cid:9) 312
Der Baum als Konzern (cid:9) 202 Epiphyten und Misteln (cid:9) 319
Enzyme (cid:9) 203 Allelopathie (cid:9) 322
Blattanatomie und Schließzellen 205 Straßen im Wald (cid:9) 323
Transport (cid:9) 207 Vorgehensweise für Baumpfleger 324
Potentielle und kinetische Das Prinzip der Wippe (cid:9) 328
Energie (cid:9) 211
Nährelemente und Düngung (cid:9) 215
pH-Wert (cid:9) 226
Osmose (cid:9) 227
Wurzelhaare und Plasmolyse (cid:9) 228 Anhang für Baumpfleger und
Mykorrhiza (cid:9) 231 Sachverständige
Masse und Energie (cid:9) 236
Gerbstoffe (cid:9) 239 Sicherheit geht vor (cid:9) 331
Tropische Bäume und Kommunikation (cid:9) 333
Energie (cid:9) 240
Vortragsgestaltung (cid:9) 336
Natürliche Kurvenverläufe (cid:9) 241
Rundschreiben (cid:9) 339
Die Kern Mantel-Hypothese .... 242
Gerichtlich zugelassene
Phänologie (cid:9) 248 Sachverständige (cid:9) 340
Düngungszeitpunkt (cid:9) 252 Vorschläge für eigene Vorhaben . 341
Splintholz und Speicherung (cid:9) 253 Langzeit-Projekte (cid:9) 343
Holländische Ulmenkrankheit .. 258 Workshops (cid:9) 344
Kambialzone und Baumvitalität 259 Shigometrie (cid:9) 348
Wuchsmuster bei tropischen Energiereserven und Streß (cid:9) 358
Bäumen (cid:9) 260
Das Konzept des Überlebens ... 360
Zur „Intelligenz" natürlicher
Systeme (cid:9) 362
Das Abwehrsystem des Baumes
Pflanzung und Pflege von
im Überblick (cid:9) 365
Bäumen
Die Umsetzung moderner
Baumpflege (cid:9) 371
Wuchsform (cid:9) 261 Sponsoren und Kritiker (cid:9) 372
Korrekte Pflanzung (cid:9) 262 Literaturhinweise (cid:9) 373
Freihalten der Baumscheibe .... 268 Veröffentlichungen des
Wurzelschnitt (cid:9) 270 Verfassers (cid:9) 387
Standortansprüche (cid:9) 271 Register der Pflanzennamen (cid:9) 394
Wurzelprobleme (cid:9) 272 Sachwortregister (cid:9) 395
7
Einleitung
Die moderne Baumpflege handelt von neuen und verbesserten Methoden, wie
man Bäume gesund, sicher und in ihrer vollen Schönheit erhalten kann.
Moderne Baumpflege handelt vom System Baum, seiner Entstehung, seinem
Wachstum, seinen Abwehrmechanismen und wie es schließlich stirbt.
Moderne Baumpflege beinhaltet den Einsatz sowohl von geistigen als auch kör-
perlichen Fähigkeiten beim Umgang mit Bäumen.
Die in diesem Buch präsentierten Konzepte stammen hauptsächlich aus den
27 mehrtägigen „workshops", die ich seit 1986 durchgeführt habe (vgl. Anhang
S. 372). Viele Leute waren tagelang mit der Vorbereitung dieser Veranstaltungen
beschäftigt. Das ermöglichte es mir und den Teilnehmern, mehr über Bäume zu
lernen, und zwar von der Wurzelspitze bis zur obersten Knospe. Das Zerlegen
der Proben und die anschließenden Diskussionen bereiteten den Boden für die-
ses Buch. Ich danke all diesen Menschen und ich bin sicher, daß auch die Bäume,
wenn sie es könnten, ihnen danken würden.
Ich möchte Ihnen die Information, die Sie brauchen, so geben, wie Sie es sich
wünschen, nämlich klar, einfach, knapp und praktisch anwendbar. Die nach-
folgenden Leitsätze mögen helfen, zu verdeutlichen, was moderne Baumpflege
für mich bedeutet:
- Den richtigen Baum an den richtigen Ort zu pflanzen.
- Eine korrekte Raumplanung, die den Bäumen Platz zur Entfaltung ermög-
licht.
- Die Gruppenpflanzung ästhethisch wirkender Bäume.
- Die Übererdung des Stammanlaufs zu vermeiden.
- Jungen Bäumen Platz zum Wachsen zu geben und sie richtig zu schneiden.
- Lieber Bauten dem Baum anzupassen als umgekehrt.
- Durch korrekten Schnitt Wasserreiser vermeiden.
Die Größe und die Form des Baumes durch frühzeitigen Schnitt zu regulie-
ren.
- Eher einen Gehweg zu verlegen, als in einen Baum und in sein Wurzelwerk
einzugreifen.
- Alte Bäume korrekt zu pflegen und sie in ihrer Würde zu respektieren.
- Die korrekte Pflanztiefe zu beachten.
- Zuerst über Bäume zu lernen und sie zu „begreifen", bevor man sie behan-
delt.
- Behandlungen zu vermeiden, die die Abwehrmechanismen des Baumes zer-
stören und ihn innerlich schwer verletzen.
- Behandlungen zu vermeiden, die nur weitere Probleme verursachen (z. B.
stammparalleler Ästungsschnitt).
- Maßnahmen zu vermeiden, die verpflanzte Bäume beschädigen oder töten
(z. B. Überdüngung zur Pflanzzeit).
Viele der herkömmlichen Behandlungen sind schädlich für das System Baum.
Es ist an der Zeit, vieles zu überprüfen und zu korrigieren. Ich hoffe, daß Sie
den Bäumen und ihren Partnern, also dem gesamten System Baum, eine faire
(cid:9)
8 Einleitung
Chance geben. Lernen Sie etwas über Bäume. „Begreifen" Sie sie, im wahrsten
Sinne des Wortes.
Ich habe versucht, Ihnen mit diesem Buch neue Ideen und Konzepte vorzustel-
len. Diesbezüglich stelle ich die Frage: Wenn die alten Konzepte angeblich so
gut waren, warum sind die Bäume, die diese Behandlungen erhalten haben, in ei-
nem so schlechten Zustand? Warum überleben viele der in amerikanischen Städ-
ten gepflanzten Bäume nur sieben bis zehn Jahre? Offenbar erreicht die richtige
Information nicht diejenigen, die sie brauchen. Das Überleben eines beliebigen
Systems ist abhängig von dessen Fähigkeit, sich anzupassen und zu verändern.
Ich glaube, daß wir Anpassungen und Veränderungen brauchen hinsichtlich der
Art und Weise, in der wir Information vermitteln.
Der Anstoß zu diesem Buch
Baumpfleger haben mich darauf angesprochen, daß sie bessere Unterlagen
brauchen, damit sie Bäumen helfen können. Die beste Art, etwas über Bäume
zu lernen, ist, sie aufzusägen und zu untersuchen. Genau dies tun wir in mei-
nen Seminaren. Im Anhang (vgl. S. 344 ff.) ist die in den Seminaren angewen-
dete Vorgehensweise skizziert.
Weiterhin kann man etwas über Bäume lernen, wenn man klare, einfache Dia-
gramme studiert. Diese werden in allen Sprachen verstanden, und sie beschrän-
ken sich nicht auf eine Baumart.
Das vorliegende Buch beruht auf Fragen und Diskussionen. Ich versuche hier,
offene Fragen zu beantworten, aber natürlich bin ich nicht im Besitz aller
Antworten. Folgendes möchte ich betonen: Ich glaube, daß Sie, wenn Sie begon-
nen haben, das System Baum zu verstehen, viel bessere Antworten entwickeln
können, als ich Ihnen geben kann.
Zum Themenumfang dieses Buches
Zu welcher Gruppe von Bäumen gehören Schwarznuß, Zuckerahorn, Kirsche
und Apfel? Sind sie Schattenspender, Ziergehölze, Obstbäume, Holzproduzen-
ten oder Elemente des öffentlichen Grüns? Die Antwort lautet: Es sind alles
Bäume! Während ich viele der Quellen nochmals durchlas, wurde mir klar, daß
Leute, die mit Forstgehölzen arbeiten und über sie schreiben, selten die Arbei-
ten von Leuten zitieren, die mit Obstgehölzen arbeiten und umgekehrt. Jede
Gruppe hat sich die passenden Bäume „ausgesucht", und alle anderen „Baum-
typen" passen nicht in ihr Weltbild.
Baumpflege bedeutet schlicht den Umgang mit und die Pflege von Bäumen.
Alle Sparten, wie Forstwirtschaft, Öffentliches Grün, Obstbau und selbst Bon sai-
zucht gehören zur Baumpflege. In allen Fällen geht es um Bäume und um unse-
ren Umgang mit ihnen. Das Thema dieses Buches sind also ganz allgemein
Bäume und ihre Partner auf der ganzen Welt. Die Information läßt sich von dem
Baumpfleger, vom Landschaftsarchitekten, vom Baumschüler, vom Förster, vom
Stadtgärtner, vom Obstbauern, vom Bonsailiebhaber und von allen anderen
Menschen anwenden, die eine Begeisterung für Bäume entwickelt haben.
(cid:9)
Einleitung 9
„ezuzeichnung der Literaturzitate
Um das Lesen der Texte zu erleichtern, habe ich nur wenige Quellen im Tafeltext
angegeben, aber am Ende vieler Tafeln weiterführende Literatur zitiert. Am
Ende wichtiger Abschnitte finden Sie umfangreiche Literaturangaben.
Das S ist denjenigen Quellennummern von Publikationen vorangestellt, die ich
selber oder zusammen mit Kollegen verfaßt habe (vgl. S. 387 ff.). Die Buch-
staben A, B und Hstehen für meine Bücher, die in deutscher Übersetzung vorlie-
gen: A für „Die neue Baumbiologie': B für die „Fachbegriffe zur neuen Baumbiolo-
gie`; und H für „BaumSchnitel In B sind auch viele der hier vorgestellten Begriffe
erläutert. A und H enthalten viele Fotos, die man mit den Tafeln des vorliegen-
den Werkes vergleichen kann. Alle anderen Literaturzitate haben keinen voran-
gestellten Buchstaben. Sie finden diese Quellen am Schluß des Buches (vgl.
S. 373 ff.).
Motorsägen und Mikroskope, Menschen und Medien
Bäume sind die größten Lebewesen auf Erden, aber winzige Mikroorganismen
tragen zu ihrem Tod bei (12, 16, 98,171, 285, 293). Der Mensch und seine Aktivitä-
ten sind eine weitere Ursache von Baumproblemen. Um große Bäume, kleine
Mikroben und die Missetaten der Menschen an Bäumen zu studieren, braucht
man spezielle Geräte und Techniken (S: 12). Über dreißig Jahre lang habe ich
mit Hilfe von Motorsägen Tausende von Bäumen zerlegt (A, H). Im Labor wur-
den Hunderttausende Mikroorganismen-Kulturen auf Nährmedien angelegt.
Mit Mikroskopen erhielt ich Einblick in die innere Schönheit von Bäumen und
in den faszinierenden Mikrokosmos.
Um den Menschen die Ergebnisse meiner Forschung nahezubringen, benutzte
ich wunderschöne Zeichnungen des Künstlers David Carroll, und auch glattge-
schliffene Holzproben. Es war nicht leicht, das Konzept der eigentlich als negativ
erachteten Phänomene wie Fäule, Krankheit und Tod zu „verkaufen", und ich
habe das auch nicht ganz alleine geschafft. Ich war umgeben von vielen emsigen
Assistenten und Kollegen, von denen mir viele ihre Zeit, ihre Kraft und ihre
Ideen schenkten. Den Leuten, die mit Bäumen arbeiteten, habe ich gut zugehört.
Ich hatte schon immer den größten Respekt für Menschen, die als Baumpfleger
tätig sind. Sie haben mir vieles beigebracht, und jetzt ist es an der Zeit, daß ich ih-
nen auch etwas gebe.
In dem vorliegenden Buch diskutiere ich Dinge, die ich studiert und erfahren
habe (A, B, H). Ich habe die Fachliteratur gelesen und zugehört, wenn andere
ihre Forschung, ihre Erfahrungen und Ideen vorgestellt haben, denn wir sind nie
allein auf unserem Weg. Alle diese Komponenten habe ich versucht, in diesem
Buch zusammenzustellen, aber dennoch bin ich nicht in Besitz aller Antworten,
noch nicht einmal der meisten. Ich versuche immer 100 % der Antworten anzu-
streben, aber wenn es nur 90% oder gar 70% sind, ist das schon das Beste, was ich
geben kann. Leute, die von natürlichen Systemen 100% der Antworten verlan-
gen, verstehen nicht, wie diese Systeme funktionieren. Die Natur strebt zwar
ebenfalls nach 100%, funktioniert aber selten jenseits der Grenze von 80%.
Wenn ich Ihnen die Fragen zum großen Teil beantworten kann, bin ich sicher,
daß Sie den Rest für sich selber erarbeiten können. So ist der didaktische Aufbau
des vorliegenden Werkes gemeint, und in diesem Geiste habe ich dieses Buch ge-
schrieben.