Table Of ContentWolf-Dietrich Bukow . Roberto Llaryora 
Mitbiirger aus der Fremde
Wolf-Dietrich Bukow . Roberto Llaryora 
Mitbiirger aus  der Fretnde 
Soziog enese ethnischer Minoritaten 
Westdeutscher Verlag
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DOl: 10.1007/978-3-322-84199-5
gewidmet Eva und Joanna
INHALT 
EINLEITUNG  1 
ERSTER TEIL:  VONDER "GASTARBEITERFORSCHUNG" ZUR  5 
MINORITATENFORSCHUNG 
1.1  ZUR FORSCHUNGSLAGE  7 
1.2  DIEDIFFERENZHYPOTHESEN  12 
1.2.1  Kulturdifferenzhypothese  12 
1.2.2 ModernWitsdifferenzhypothese  15 
1.2.3 Gemeinsame Ausgangsproblematik  17 
1.3  ZUR ENDOGENEN BELANGLOSIGKEIT  20 
1.3.1  Irrelevanz interner Differenzierung  20 
1.3.2 Zur Toleranzbreite interner Differenzierung  26 
1.4  ZUR EXOGENEN BELANGLOSIGKEIT  33 
1.4.1  Strukturelle Analogien  34 
1.4.2 Zentrum-Peripherie-Variationen  41 
1.5  KONSEQUENZEN  46
ZWEITER TEIL:  SOZIOGENESE DER ETHNIZITAT  49 
2.1  ETHNISIERUNG DES FREMDEN:  51 
ANSATZPUNKTE 
2.2  SOZIOKULTURELLE BEREITSCHAFf  63 
ZUR ETHNISIERUNG 
2.2.1  Herrschaft im Alltag  64 
2.2.2 Ethnogonie und Ethnogenese  75 
2.3  DIE POLITIK DER ETHNISIERUNG  82 
2.3.1  1m strukturellen Bereich  84 
2.3.2 1m alWiglichen Bereich  99 
ANMERKUNGEN  111 
zur Einleitung  111 
zum ersten Teil  112 
zum zweiten Teil  131 
LITERAT  URVERZEICHNIS  166 
STICHWORTVERZEICHNIS  191
EINLEITUNG 
Es ist jetzt schon einige Jahre her, daB einer der bekanntesten Ethnologen, 
Claude Meillassoux, davor warnte, Arbeitsmigranten vorrangig unter eth 
nologischer Perspektive zu sehen.1 
"(Es ist) nicht nur eine verfehlte Einsicht in die Realitiit, wenn versucht wird, 
Arbeitseinwanderer in ihre EthniziHit einzubinden, vielmehr stehen solche 
Versuche in vollkommener Ubereinstimmung mit einer Politik der Nicht 
integration von Arbeitseinwanderern und ihren Familien." 
Meillassoux kritisiert hier nicht direkt die Ethnologie, sondern die ethnologische 
Handhabung der Migrationsproblematik in fortgeschrittenen Industriegesellschaf 
ten. In w~itgehender Ubereinstimmung mit der Social anthropology of complex 
societies  mochte er weg von einer romantisierend-asthetisierenden, ja antiqua 
risch anmutenden Einstellung, wie sie nicht nur in dies em Zusammenhang be 
klagt wird.3 Bei dieser Einstellung werde der Migrant verkannt, die ihn kenn 
zeichnenden Probleme wtirden eher verdeckt als erhellt. Die kritisierte Sichtweise 
sei jedoch insofern interessant, als sie eine bestimmte politische Linie des Um 
gangs mit dem Arbeitseinwanderer wiederspiegele. 
Nun haben wir es im vorliegenden Zusammenhang nicht direkt mit ethnolo 
gischen Arbeiten tiber den Migranten zu tun, sondem einerseits mit sozial 
wissenschaftlichen und andererseits mit ganz alltaglichen Stellungnahmen. Aber 
was Meillassoux kritisiert, gilt erst recht hier. Vielleicht gerade weil es sich nicht 
urn ethnologisch fundierte Positionen handelt, treten so etwas wie "Ethnologis 
men" auf. Besonders in der Bundesrepublik werden immer wieder ethnische 
Eckdaten in ethnologischer Manier zur Grundlage der Diskussion gemacht. Man 
behauptet, es seien vor allem die differenten kulturellen Eigenschaften des Mi 
granten, die seine Lage in der Bundesrepublik so schwierig machten. Und man 
ktimmert sich dann darum, diese differenten kulturellen Eigenschaften zu ver 
rechnen.4 Dies geschieht entweder wohlwollend, indem man im "wohlverstan 
denen" Interesse des Migranten fUr eine schrittweise Rtickkehr des Wanderers 
pladiert, oder tiberheblich, indem man die fremde Kultur zu einer moglichen 
Ausgagsbasis degradiert, mitunter wohl auch als mogliches zweites Standbein 
des Fremden akzeptiert. 
Was Meillassoux kritisiert, und was im Blick auf die Bundesrepublik erneut 
bestatigt werden kann,5 war fUr uns der AnstoB dazu, die Situation des Migran 
ten emeut aufzurollen. Es ist einfach paradox, wenn moderne sozialwissen 
schaftliche Theorien den formal-rationalen  Charakter fortgeschrittener Industrie-
-2-
gesellschaften herausarbeiten, andererseits aber in der "Gastarbeiterforschung" 
ethnische Besonderheiten zu brisanten Punkten stilisiert werden. Wir waren 
deshalb von Beginn an daran interessiert, sowohl die ethnologische bzw. 
kulturdifferenzfixierte Analyse zu relativieren, als auch genau diese Analyse im 
Sinn eines Bestandteiles des gesellschaftlichen Umgangs mit dem Migranten zu 
verstehen. Bald zeigte sich, daB diese beiden Anliegen in einem Konzept zu 
biindeln sind, daB es moglich ist, ein Interpretationsmuster zu formulieren, das 
die ganze Problematik in einem erfaBt. Wir haben dieses Interpretationsmuster 
mit "ProzeB der Ethnisierung" bezeichnet. Was den Menschen zum Migranten 
macht, sind ethnisierende, soziogenetisch zugeschriebene und dementsprechend 
individuell realisierte Eigenschaften, die zwar die gesellschaftliche Lage des 
Betroffenen verzeichnen, gleichwohl aber eine bestimmte Strategie enthalten, den 
Migranten einzuordnen und "real" werden zu lassen. 
Man kann, urn es noch deutlicher zu machen, die Situation des Migranten mit der 
eines autochthonen Gesellschaftsmitgliedes vergleichen: Der Migrant wird zu 
dem, was von ibm erwartet wird, indem er sich nicht Hinger mit seiner historisch 
konkreten Existenz, sondern mit einem spezifischen kulturellen Standort identi 
fiziert. Das autochthone Gesellschaftsmitglied wird zum Biirger, indem es seine 
historisch-konkrete Existenz politisch ernst nimmt und sich nicht Hinger auf eine 
rein kulturelle Identitat bezieht. Der ProzeB der Ethnisierung meint eine "kontra 
faktische" Vergesellschaftung. Das ist genau der Vorgang, urn den es letztlich 
gehen solI. Er solI iiberhaupt erst einmal beschrieben, dann aber auch im gesell 
schaftlichen Zusammenhang gedeutet werden.6 
Freilich ist es unter diesen Bedingungen nicht einfach, einen angemessenen Zu 
gang zur Problematik zu gewinnen. Wir werden zunachst den AnchluB an die 
"Gastarbeiterforschung" herstellen und von dort aus die Briicke zur Minoritaten 
forschung schlagen. Wenn dabei sehr viel Wert auf praxisbezogene Ansatze 
gelegt wird, so hat das mit dem oben formulierten doppelten Anliegen zu tun, 
nicht nur eine bestimmte Auffassung zu kritisieren, sondern sie gleichzeitig auch 
als Ausdruck einer bestimmten gesellschaftlichen Strategie zu deuten. Danach 
wird es moglich, die vorgesehene neue Linie einzuschlagen, wobei die kritisier 
ten Positionen reflexiv einbezogen werden. Dementsprechend wird im zweiten 
Teil unser eigentliches Anliegen unter dem Titel "Soziogenese der Ethnizitat" 
vorgetragen. Und dort geht es zunachst urn grundlegende Anhaltspunkte, im 
AnschluB daran urn die soziokulturelle Bereitschaft zur Ethnisierung. Sind diese 
Punkte geklart, ist es einfacher, den ProzeB der Ethnisierung im Sinn eines 
politischen Vorganges auf den verschiedenen hier gesellschaftlich bedeutsamen 
Ebenen darzustellen. Es wird sich zeigen, daB ein allgemeiner systemisch-okono 
misch bedingter Steuerungsbedarf exisitiert, der in gezielten politischen Steue 
rungsimpulsen auftritt und gegeniiber den Migranten eingesetzt wird. Das Ergeb-
-3-
nis sind vielfaItige Reaktionen auf verschiedenen Ebenen der Gesellschaft, die 
bis hin zum existentiellen Arrangement des Migranten skizziert werden.7 
Wir haben uns an dieser Stelle bei vielen zu bedanken. Insbesondere hat uns 
Hennes Hess bei dieser brisanten Thematik beraten und unterstiitzt.
ERSTER TEIL 
VON DER "GASTARBEITERFORSCHUNG" ZUR 
MINORITATENFORSCHUNG 
Einer angemessenen Erforschung der Lage "ethnischer Minderheiten", der 
Migranten in der Bundesrepublik, stehen zwei auf den ersten Blick vielleicht 
tiberraschende Hindemisse im Wege. Es sind die thematische Brisanz und die 
interdisziplinare Art der Fragestellung. 
Die Brisanz der Thematik ftihrt zu einem sozialpolitischen Handlungsdruck, der 
eine langfristig angelegte und von tagespolitischen Interessen freie Reflexion be 
hindert. Hier steuem nicht nur die Institutionen, die einerseits Mittel verge ben, 
andererseits bestimmte gesellschaftliche Imperative zu vertreten haben, hier wir 
ken sich auch Offentliche Interessen unmittelbar aus. Weil die Thematik relativ 
stark im gesellschaftlichen BewuBtsein hervortritt, und well infolgedessen immer 
auch schon Vorstellungen dartiber bestehen, wie Dinge angesehen waren, 
existiert ein ausgepragter Finalisierungsdruck gegentiber der Forschung, der so 
ohne weiteres nicht aufzuheben ist1. Auf diese Weise bleiben die die Forschung 
leitenden Fragestellungen eng und modisch, spiegeln mitunter sogar die politi 
sche Konjunktur bestimmter Einste11ungen wider. AuBerdem handelt es sich eben 
urn eine Fragestellung, die ausgesprochen interdisziplinar verlauft. Dies muB 
gerade im deutschsprachigen Raum, wo die verschiedenen Wissenschaftsberei 
che klar gegeneinander abgegrenzt sind, zu erheblichen Schwierigkeiten ftihren. 
So sind in der Tat Konzepte von der Psychologie, Soziologie, Padagogik, Poli 
tologie und nicht zuletzt Ethnologie vorgelegt worden, die kaum miteinander 
kompatibel sind, obwohl sie ahnliche Fixpunkte verwenden. 
Hinzu kommen Stellungnahmen von kleineren, eher praxisorientierten Forscher 
gruppen, die zum Teil nur tiber den grauen Markt erreichbar sind, gleichwohl 
aber eine erhebliche sozialpolitische Bedeutung erhalten haben. 
Man sollte meinen, die Vielfalt der Beitrage, die Unterschiedlichkeiten der 
Perspektiven, all das wtirde einen fruchtbaren Forschungsstrom bewirken. 
Genau das ist jedoch nicht der Fall, weil gleichzeitig der oben angedeutete 
Finalisierungsdruck wirkt, so daB  zwar das Bild eines "glasemen Fremden" 
entsteht, aber dieses Bild durchaus eindimensional ausfiillt2. Die ethnische 
Minoritiit wird unter dem Vorzeichen des Fremdlings, des ethnischen Abweich 
lers betrachtet. 
Damit ist bereits der Punkt markiert, an dem hier eingehakt werden so11: bei dem 
Konzept des "Fremden". Das dahinter verborgene  Grundmuster soIl zunachst