Table Of ContentLEHR- UND HANDBÜCHER
DER INGENIEURWISSENSCHAFTEN
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MECHANIK
VON
HAN S ZIEGLER
PROFESSOR AN DER EIDGENÖSSISCHEN TECHNISCHEN HOCHSCHULE
IN ZÜRICH
BAND I
STATIK DER STARREN UND FLÜSSIGEN KÖRPER
SOWIE FESTI GKEITSLEHRE
FUNFTE AUFLAGE
1968
SPRINGER BASEL AG
1. Auflage 1946
2. Auflage 1948
3. Auflage 1960
4. Auflage 1962
5. Auflage 1968
Nachdruck verboten. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen
und der Reproduktion auf photostatischem Wege oder durch Mikrofilm, vorbehalten.
© Springer Basel AG 1946,1968
Ursprünglich erschienen bei Birkhäuser Verlag Basel 1968
Softcover reprint of the hardcover 5th editon 1968
ISBN 978-3-0348-6917-1 ISBN 978-3-0348-6916-4 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-0348-6916-4
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VORWORT ZUR VIERTEN AUFLAGE
Dieses Buch ist eine Neufassung von Band I der Mechanik, die seit 1946 im
gleichen Verlag unter meinem und dem Namen meines verehrten Lehrers und
Vorgängers an der Eidgenössischen Technischen Hochschule, Prof. Dr. ERNST
MEISSNER, erschienen ist. Gegenüber den früheren Auflagen sind folgende Än
derungen zu erwähnen:
Ich habe bereits in der dritten Auflage versucht, die Darstellung knapper
zu halten, um den äußeren Umfang des Buches zu reduzieren. Gleichzeitig
habe ich gewisse Methoden, deren Darstellung in Büchern über Baustatik oder
Maschinenelemente einen breiten Raum einzunehmen pflegt, fallen gelassen
und dafür grundsätzliche Betrachtungen neu aufgenommen, die meines Er
achtens in einer modernen Einführung in die Mechanik nicht mehr fehlen
dürfen. So hat sich allgemein das Gewicht der Darstellung von den graphischen
Methoden auf die analytischen verschoben, und vor allem im Kapitel über
Festigkeitslehre sind manche Einzelheiten weggefallen, um für die Behandlung
derjenigen Fragen Platz zu schaffen, welche mit dem Übergang vom elastischen
zum nichtelastischen Verhalten verknüpft sind. Dabei hat die Besprechung
der neueren Fließ- und Bruchbedingungen ein tieferes Eindringen in den drei
dimensionalen Spannungszustand erfordert, als dies sonst in elementaren
Büchern üblich ist; die Einheitlichkeit des ganzen Bandes im Hin blick auf sein
Niveau hat aber dadurch, wie ich glaube, nur gewonnen.
Den einzelnen Abschnitten sind Übungsaufgaben beigefügt. Viele Bezeich
nungen sind geändert und dem heutigen Gebrauche angepaßt worden; so sind
zum Beispiel Vektoren nicht mehr durch Fraktur-, sondern durch halbfette
Buchstaben ausgezeichnet.
Für die Unterstützung bei den Korrekturarbeiten bin ich den Herren MARTIN
HUBER und ERNST GUCKER, DipL-Phys. HANS BRAUCHLI und DipL-Ing.
HANNS-MICHAEL FISCHER zu großem Dank verpflichtet, ferner Herrn Dipl.
Ing. AnOLF ]ACOB, insbesondere für die Erstellung des Sachverzeichnisses, und
nicht zuletzt dem Verlag für sein bereitwilliges Eingehen auf alle meine Wünsche.
Zürich, im Mai 1962. HANS ZIEGLER
VORWORT ZUR FÜNFTEN AUFLAGE
Die fünfte Auflage dieses Buches beruht auf der vierten und unterscheidet
sich von ihr nur insofern, als einige kleinere Fehler korrigiert worden sind.
Zürich, im November 1967. HANS ZIEGLER
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INHALTSVERZEICHNI S
Einleitung. . . . • . . . 9
I. Statik der starren Körper
1. Grundlagen . . . . . 11
2. Kräfte mit gemeinsamem Angriffspunkt ... 17
3. Graphische Reduktion ebener Kräftegruppen . 23
4. Graphische Statik .... 32
5. Systeme starrer Körper . . . 38
6. Räumliche Kräftegruppen .. 46
7. Analytische Statik im Raum . 53
8. Analytische Statik in der Ebene 60
9. Parallele Kräftegruppen . 69
10. Der Schwerpunkt. 75
11. Die Reibung. . . 80
12. Statik des Fadens. 93
11. Statik der Flüssigkeiten
13. Kraftfelder. . . . . . 98
14. Der Flüssigkeitsdruck . 111
15. Flächenträgheitsmomente 118
16. Schwimmende Körper. . 129
111. Festigkeitslehre
17. Beanspruchung von Balken und Wellen 135
18. Der Spannungszustand 146
19. Der Verzerrungszustand . . . 160
20. Die Verzerrungsenergie . . . 167
21. Fließ-und Bruchbedingungen 172
22. Zentrischer Zug und Druck 176
23. Spezielle Biegung. . . . . . 182
24. Statisch unbestimmte Biegeprobleme 191
25. Ergänzungen zur Biegung . . 196
26. Exzentrischer Zug und Druck 203
27. Knickung . . . . . . 210
28. Torsion . . . . . . . . 217
29. Der Satz von Maxwell. . 225
30. Die Sätze von Castigliano 233
Sachverzeichnis . . . . . . 240
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EINLEITUNG
Die Mechanik ist die Lehre von den Bewegungen der uns in Natur und
Technik gegebenen Körper und von den Kräften, die wir als Ursachen dieser
Bewegungen betrachten. Sie zerfällt, dieser Doppeldefinition entsprechend, in
drei Teilgebiete:
Die Kinematik oder Geometrie der Bewegungen sieht von den am gege
benen Körper angreifenden Kräften ab und beschränkt sich auf die Unter
suchung, bzw. die einfachste Darstellung seiner Bewegungsformen. Die Statik
oder Geometrie der Kräfte sieht umgekehrt von der Bewegung des Körpers ab
und untersucht bzw. reduziert die an ihm angreifenden Kräfte. Die Kinetik
schließlich vermittelt den Zusammenhang zwischen den (mit den Verfahren der
Statik weitgehend reduzierten) Kräften und den durch sie hervorgerufenen (und
mit kinematischen Mitteln möglichst einfach dargestellten) Bewegungen.
A o 8
-----1t;;r-/----
Fig.O.l
FIgur 0.1 zeigt einen in 0 drehbaren Hebel. Die Frage nach dem Zusammenhang
zwischen den Geschwindigkeiten der beiden Enden A und B ist eine solche der Kine
matik. Der Zusammenhang zwischen den am ruhenden Hebel in A und B angrei
fenden Kräften wird durch die Statik gegeben, und schließlich ist die Ermittlung der
Bewegung des Hebels unter beliebig gegebenen Kräften eine Aufgabe der Kinetik.
Die wichtigste Aufgabe der Mechanik besteht in der Ermittlung der Bewe
gung eines Körpers unter mindestens teilweise gegebenen Kräften. Dies ist die
Hauptaufgabe der Kinetik; ihre Lösung wird dadurch vorbereitet, daß die
möglichen Bewegungen mit den Mitteln der Kinematik einfach dargestellt und
die vorhandenen Kräfte mit denjenigen der Statik weitgehend reduziert werden.
Oft weiß man im vornherein, daß der betrachtete Körper ruht. Ein kine
matisches Problem besteht dann nicht, und die Rolle der Kinetik beschränkt
sich auf die Aussage, daß die am Körper angreifenden Kräfte sich auf die soge
nannte Nullkraft reduzieren, das heißt im Gleichgewicht sein müssen. Im
übrigen ist die Aufgabe rein statisch: aus dem Gleichgewicht kann von den
bekannten Kräften auf die zunächst mindestens teilweise unbekannten Lager
kräfte geschlossen werden. In diesem Sinne kann die Statik auch als Lehre vom
Gleichgewicht aufgefaßt und ihr in der Dynamik (Kinematik und Kinetik zu
sammengefaßt) die Bewegungslehre gegenübergestellt werden.
10 Einleitung
Ist in Figur 0.1 eine beliebige, in B angreifende Kraft gegeben, so handelt es sich
in der Statik darum, diejenigen in A angreifenden Kräfte zu ermitteln, welche ihr
Gleichgewicht halten, ferner die in 0 auftretenden Lagerkräfte.
Da sich Körper aus verschiedenem Material unter gegebenen Kräften ver
schieden verhalten und damit auch mit verschiedenen Verfahren behandelt
werden müssen, pflegt man die Mechanik auch im Hinblick auf die untersuchten
Objekte zu unterteilen.
Starre Körper - wie etwa Bauteile aus Beton oder eiserne Maschinenteile -
sind durch eine unveränderliche und damit auch von der Belastung unabhängige
Form gekennzeichnet. Elastische Körper - wie Stahlfedern, Gummi - defor
mieren sich unter einer gegebenen Belastung, nehmen aber mit der Entlastung
wieder ihre ursprüngliche Gestalt an. Plastische Körper - wie Lehm - sind
deformabel, ohne nach der Entlastung ihre ursprüngliche Form wiederzugewin
nen. Flüssigkeiten - wie Wasser - deformieren sich unter beliebig kleinen
Kräften, sind aber verhältnismäßig raumbeständig, während Gase - wie Luft -
das Bestreben haben, den größten verfügbaren Raum zu erfüllen. Die Mechanik
der starren Körper wird auch als Stereomechanik bezeichnet; daneben gibt es
die Elasto- und die Plastomechanik, die Hydro- und die Aeromechanik.
Die einfachsten Ergebnisse der Elastizitäts- und der Plastizitätstheorie werden
unter dem Namen Festigkeitslehre zusammengefaßt.
Die eben betrachtete Einteilung ist unvollständig und führt zudem in dieser
Strenge nie vorkommende Idealzustände auf. Eine stählerne Klinge etwa ver
hält sich unter kleinen Kräften praktisch starr; mit zunehmender Belastung
zeigt sie aber elastisches und schließlich auch plastisches Verhalten. Man wird
also je nach der Fragestellung in der einen oder anderen Richtung idealisieren,
mitunter ohne viel Freiheit. Um etwa die Kräfte zu ermitteln, die ein drei
beiniger Tisch auf seiner Unterlage ausübt, kann man ihn getrost als starren
Körper behandeln, während die gleiche Aufgabe beim vierbeinigen Tisch nur
unter Berücksichtigung der Deformation lösbar ist.
Es wird sich zeigen, daß die Mechanik als exakte Wissenschaft aus wenigen
Grundbegriffen und Axiomen aufgebaut werden kann. Hierin liegt denn auch
ihr großer didaktischer Wert. Bei der übertragung der Ergebnisse auf wirkliche
Vorgänge ist indessen eine gewisse Vorsicht am Platze. Da man nämlich bei der
Formulierung der Voraussetzungen stets idealisieren muß, läßt sich der häufige
Vergleich mit der Erfahrung nicht umgehen, und wo sich Diskrepanzen zeigen,
müssen meist die Voraussetzungen korrigiert oder verfeinert werden.
Das vorliegende Werk soll in die elementaren und praktisch nächstliegenden
Gebiete der Mechanik einführen. Der erste Band umfaßt die Statik der starren
und flüssigen Körper sowie einen Abriß der Festigkeitslehre. Der zweite Band
wird die Dynamik starrer Körper und Systeme enthalten, und zwar wird sich
die Darstellung auf die klassische Mechanik beschränken.
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1. Statik der starren Körper
1. Grundlagen
Jede Wissenschaft beruht, soweit sie exakt ist, auf gewissen Grundbegrif
fen, die der Anschauung entnommen sind und sich nicht definieren lassen, sowie
auf elementaren Prinzipien oder Axiomen, die nicht auf noch einfachere zu
rückgeführt und also nicht bewiesen werden können. Auf diesem Fundament
werden durch Definition höhere Begriffe gebildet, und durch fortgesetztes logi
sches Schließen lassen sich zwischen diesen Sätze herstellen, die nicht mehr
Axiome sind.
Zn den Grundbegriffen der Mechanik gehört zunächst der Raum als drei
dimensionales Kontinuum, das zweckmäßig mit Hilfe eines rechtwinkligen,
rechtshändigen Koordinatensystems (Figur 1.1) veranschaulicht wird. Die Lage
eines Punktes P wird dann durch seine drei Koordinaten x, y, z beschrieben, und
diese sind algebraische, das heißt mit Vorzeichen versehene Längen.
z
p
z
x
Figur 1.1
Längeneinheit ist der Meter [mJ, ursprünglich als 1/40000000 des mittleren Erd
umfangs definiert, später konventionell als Länge eines bestimmten Stabes, der als
Urmeter im Bureau des Poids et Mesures in Sevres (Paris) aufbewahrt wird und
neuerdings als das 1650763.73 fache der Wellenlänge, welche die orange Spek
trallinie des Krypton-Isotops 86 im Vakuum aufweist. Andere Einheiten sind
der Kilometer [kmJ, Zentimeter [cmJ und Millimeter [mmJ.
Als weiterer Grundbegriff, der freilich in der Statik noch nicht auftritt, ist
die Zeit zu nennen, die als eindimensionales Kontinuum durch eine einzige, vom
Bildpunkt nur in einer Richtung zu durchlaufende Achse dargestellt werden
kann.
Zeiteinheit ist der mittlere Sonnentag [dJ, ursprünglich definiert als mittlere
Dauer des irdischen Tages, heute als 1/365.24 ... des tropischen Jahres 1900. Andere
Einheiten sind das Jahr [aJ. die Stunde [hJ, Minute [minJ und Sekunde [sJ.
12 I. Statik der starren Körper
Ein Körper ist ein materielles Teilgebilde des Raumes. Die in ihm ent
haltene Materie besitzt eine bestimmte Masse, die hier noch nicht eingeführt Zt
werden braucht. In einem starren Körper haben zwei beliebige Punkte einer
unveränderlichen Abstand.
Drückt man (Figur 1.2) mit der Hand gegen einen Körper, so übt man au
ihn eine Kraft aus. Überhaupt greifen überall am Körper, wo er mit anderen
zum Beispiel einem Auflager, einer Feder, einem Faden, in Berührung ist, Kräftt
an ihm an. Andere Kräfte werden nicht durch direkte Berührung, sondern au
Distanz übertragen, wie etwa das Gewicht des Körpers oder elektrische bzw
magnetische Kräfte.
Figur 1.2
Das Verhalten des Körpers etwa unter einer Fadenkraft S, die gemä(
Figur 1.2 mittels Gewichts und Rolle erzeugt wird, hängt vom Punkt A ab
in dem der Faden am Körper befestigt ist, ferner von der Richtung des Faden~
zwischen A und der Rolle sowie von der Belastung 5 des Fadens. Man schließ1
daraus, daß eine Kraft allgemein durch drei Stücke bestimmt wird, nämlicl
durch ihren Angriffspunkt, ihre Richtung (nämlich die Wirkungslinie une
den Richtungssinn auf ihr) und ihren Betrag.
Als Maß für den Kraftbetrag dient das Gewicht 5, das, mittels Rolle une
Fadens am Körper angebracht, die gegebene Wirkung ausübt.
Als Krafteinheit kann man demnach die Gewichtseinheit, nämlich das Kilo
gramm [kg*] verwenden, ursprünglich als Gewicht eines Liters Normalwasser, heut!
konventionell als Gewicht des Urkilogramms definiert. Andere Einheiten sind dit
Tonne [t*] und das Gramm [g*J. In all diesen Fällen soll der Stern die Krafteinhei1
von der gleichnamigen Masseneinheit unterscheiden. Neuerdings setzt sich imme]
mehr das Newton [N] durch, das sich aus
1
1 N = -9,8-06 kg* = 0 •1 02 kg* (1.1)
ergibt.
Eine durch Betrag und Richtung definierte Größe ist ein Vektor (im folgen·
den durch Halbfettdruck gekennzeichnet). Kommt als weiteres Bestimmungs
stück der Angriffspunkt hinzu, so hat man mit einem gebundenen Vektor Zl
tun. Die Kraft ist mithin, solange sie an einem beliebigen, nicht unbeding1
starren Körper angreift, ein gebundener Vektor.
Wird der Körper, an dem die Kraft K angreift, auf ein Koordinatensysterr
(Figur 1.3) bezogen, so läßt sich die Kraft durch den Fahrstrahl r ihres An-