Table Of Content3 Mensch
Kultur
Umwelt
Kleidung und Schmuck
Redaktion: Mit Beiträgen von
Brigitta Hauser-Schäublin Katharina Eder Matt
Bernhard Gardi
Brigitta Hauser-Schäublin
Christian Kaufmann
Ur sula Klingelfuss-Schneider
Elisabeth Krehl-Eschler
Marie-Louise Nabholz-Kartaschoff
Urs Ramseyer
Annemarie Seiler-Baldinger
Springer Basel AG
Die Reihe «Mensch, Kultur, Umwelt» ist eine
Koproduktion des Birkhäuser Verlages und des
Museums für Völkerkunde und Schweizerischen
Museums für Volkskunde Basel.
Umschlag:
Strassenszene mit vielfältig bekleideten Zuschauern
im Hafenviertel von Agadir, Marokko
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Kleidung und Schmuck / Red.: Brigitta Hauser
Schäublin. Mit Beitr. von Katharina Eder Matt ...
(Mensch, Kultur, Umwelt; 3)
ISBN 978-3-0348-6042-0 ISBN 978-3-0348-6041-3 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-0348-6041-3
NE: Eder Matt, Katharina [Mitverf.]; GT
© Springer Basel AG 1988
Ursprünglich erschienen bei Birkhäuser Verlag Basel 1988
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in
fremde Sprachen, vorbehalten.
Kein Teil dieses Werkes darf ohne schriftliche
Genehmigung des Verlags in irgendeiner Form
durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren
reproduziert werden.
Umschlag und Typografie: Albert Gomm, swb/asg
ISBN 978-3-0348-6042-0
Inhaltsverzeichnis
Brigitta Hauser-Schäublin
5 Kleidung und Schmuck
Körpertrachten als Sprache
Katharina Eder Matt
15 Werte statt Worte
Zum Schmuckverhalten europäischer Frauen im Wandel der Zeit
Marie-Louise N abholz-Kartaschoff
23 Sari, Choli und Petticoat
Ein Blick in die geheimnisvolle Welt indischer Frauenkleidung
Christi an Kaufmann
31 Bekleidete Nackte in der Südsee
Zu einem Vorurteil der Europäer
Annemarie Seiler- Baldinger
41 Modelaunen am Amazonas
Indianer - die unsterblichen Amazonen
Bernhard Gardi
49 Mit Boubou, Haut und Haaren
Kleidung und Schmuck in Afrika
Elisabeth Krehl-Esch1er
Ur sula Klingelfuss-Schneider
57 Von Mützen und Schleiern, zum Schützen und Feiern
Notizen zu Kopfbedeckungen im Islam
Urs Ramseyer
65 Die Weberinnen von Sidemen
Zeichen der Frühindustrialisierung in einem balinesischen Dorf
72 Bildnachweis
Lokalisierung der in den Beiträgen erwähn
ten wichtigsten aussereuropäischen Gebiete
und Bevölkerungsgruppen
~'- ..... -
.. .
,
• PAPUA· NEUGUINEA
... ,., .~8nu8
~~~"
~
.10, \< i\ ~
,~ -?",
u" 11'/
"'"
~.
I (J
()
\;.
Neukaledonien
Brigitta Hauser-Schäublin
Kleidung und Schmuck
Körpertrachten
als Sprache
5
Ein Ethnologe, der in traditionellen Gesell
schaften inner-oder ausserhab Europas gear
beitet hat, wird - wenn man ihm eine Aufnah
me von Menschen aus dem ihm bekannten
Gebiet zeigt - unverzüglich Aussagen über
die abgebildeten Männer und Frauen ma
chen können, selbst wenn diese ihm völlig un
bekannt sind, Doch worauf werden seine Aus
sagen beruhen, welche Mitteilungen vermag
eine solche bildliche Wiedergabe zu enthal
ten? Abgesehen von physischen Merkmalen -
Auf der Suche nach wie etwa Haut- und Haarfarbe, Grösse, Ge
immer neuen <looks>: schlecht und Alter -werden ihm Kleidung und
Inspirationen aus Schmuck Aufschluss über die betreffenden
Afrika Personen geben können, Ähnlich wie die
Sprache, die der verbalen Kommunikation
dient, vermitteln Körperdekorationen nicht
verbale Informationen über ihren Träger, wer
er oder sie ist und was er oder sie nicht ist.
Kleidung und Schmuck sind für denjenigen
eine Sprache, der ihre einzelnen Zeichen, d,h,
die einzelnen Elemente und ihre Kombination
untereinander zu entziffern weiss, Körper
trachten sind Abzeichen der Kultur, der der
Einzelne angehört. Oft aber lässt sich an regio
nalen und lokalen Ausformungen eine genaue
Region, machmal sogar das Dorf bestimmen,
Abgesehen von örtlichen Zuweisungsmög
lichkeiten aber vermögen Körperdekoratio
nen, die meistens geschlechtsspezifisch sind,
Aufschluss darüber zu geben, ob etwa eine
junge Frau noch ledig, verheiratet oder be
reits Witwe ist, ob ein junger Mann in sozialer
Hinsicht noch zu den Burschen zählt oder be
reits Mitglied der Gemeinschaft erwachsener
Männer ist.
Ein mit der betreffenden Kultur vertrauter Be
trachter wird dem Bild ebenfalls entnehmen
können, ob die abgebildeten Menschen im
Alltag oder während eines Festes aufgenom
men wurden und um welche Art Fest es sich
wahrscheinlich gehandelt hat. Das heisst,
dass Kleidung und Schmuck oft einer aktuel
len Situation angepasst werden, Individueller
Status und die Rollen des Einzelnen im sozia
len Gesamtgefüge sind an der Gestaltung des
6 Äusseren eines Menschen ablesbar, Damit
werden, abgesehen vom Individuum, auch
Beziehungen der Menschen untereinander
deutlich. Ebenso werden Kleidung und
Schmuck in fast allen sozial geschichteten Ge
sellschaften dazu benützt, Schichtunterschie
de deutlich zu machen. Hinter dem Erschei
nungsbild stehen - unsichtbar für den bIossen
Beobachter - meistens Vorschriften, welche
die Bekleidungsetiquette für alle Angehöri
gen einer Gesellschaft verbindlich regeln.
Die nicht-verbale Kommunikation besteht auf
verschiedenen Ebenen. Zum einen ist sie
nach aussen gerichtet: Wenn Kleidung und
Schmuck in ihrer ganzen kulturellen Varia
tionsbreite Zugehörigkeit zu einer bestimm
ten Gruppe dokumentieren, so heben sich die
Menschen damit bewusst von anderen Grup
pen, die einen eigenen Kanon der Körperde
korationen besitzen, ab. Die andere Ebene
nicht-verbaler Kommunikation ist nicht primär
nach aussen gerichtet, sondern dient der in
ternen Verständigung der Mitglieder einer
kulturellen Gruppe, wobei jedes in einem di
rekten Verhältnis zu den anderen gesetzt
wird. Verwandtschaftsbeziehungen, Bezie
hungen der sozialen Nähe oder Distanz kön
nen mit Kleidung und Schmuck und deren An
passung an die momentane Situation oder Be
gegnung signalisiert werden. Dies geschieht
beispielsweise mit dem Ziehen resp. Lüften
des Schleiers islamischer Frauen, über die im sozialen Gefüge und seine kulturelle Iden Zum Verwechseln
Ur sula Klingelfuss-Schneider geschrieben tität zu interpretieren, scheint auf den ersten ähnlich: die
hat (S. 62). Körperdekorationen können des Blick kaum auf unsere eigene Gesellschaft Schaufensterpuppe
halb verschiedene Funktionen besitzen, die übertragbar zu sein. als Modell
jeweils vom kulturellen Kontext abhängig Wenn man einen Spaziergang durch eine
sind. Aber gerade dabei sind sie nur ein Ele europäische Stadt unternimmt und die vielen
ment im feinen Wechselspiel von Verhalten Menschen, die an einem vorbeigehen, be
und sozialen Normen. Kleidung und Schmuck trachtet, so wird man den Versuch bald einmal
sind auf dieser Ebene Teil eines Systems von aufgeben, die Menschen aufgrund ihrer Auf
Kommunikationen und Interaktionen. machung ihrer geographischen, sprachlichen
oder sozialen Herkunft zuordnen zu wollen.
Weltumspannende Trends Touristen und jene Fremdarbeiter oder
Was am Beispiel traditioneller Gesellschaften Flüchtlinge, die noch nicht lange in dieser Um
klar und eindeutig ist, nämlich Kleidung und gebung leben, sind relativ leicht erkennbar,
Schmuck mit kulturellen Gruppen in Verbin sei es an ihrer Kleidung, sei es an ihrem Ver
dung zu bringen und sie als Aussage über den halten. Bei einem Grossteil der Menschen in
Träger und seine Herkunft, seine Einordnung den Strassen der Stadt aber werden sich 7
kaum Aussagen machen lassen, die über Ge schlechtsspezifischer Differenzierung, wobei
schlecht und ungefähres Alter hinausgehen bemerkenswert ist, dass vor allem Frauen
werden. Davon ausgenommen sind jene Men Kleidungsstücke tragen, die früher als Privi
schen, die eindeutig zuordnungsbare Arbeits leg der Männer betrachtet wurden (etwa die
kleidung tragen, wie etwa ein Koch, ein Stras lange Hose), während Männer kaum weiblich
senkehrer oder ein Polizist, oder die einer geltende Kleidungselemente übernommen
streng definierten, meist sich mittels Körper haben. Bei ihnen hat sich die Auflösung strik
tracht selbst nach aussen abgrenzenden reli ter Grenzen eher auf den Bereich der Farben
giösen Gruppen angehören. So ergibt die Be als auf die Art der Bekleidung konzentriert.
trachtung der Menschen auf den Strassen ein Auch wenn bezüglich Material, Farbe und
eher undifferenziertes Bild. Anders verhält es Form nahezu identische Kleidungsstücke für
sich im Freizeitbereich, wo vor allem sportli Männer und Frauen angeboten werden, hat
che Aktivitäten je länger je mehr mit entspre sich ein funktionell nicht begründbares Unter
chender Kleidung dokumentiert werden. So scheidungsmerkmal zwischen den Ge
trägt heute beispielsweise der überzeugte schlechtern bewahrt: so schliessen bekannt
Freizeitvelofahrer von Kopf bis Fuss eine spe lich Hemden, Jacken und Hosen für Frauen
zifische Kleidung, die ihn abhebt vom «Nor auf die andere Seite als jene für Männer. Auch
malfahrer», der Jogger trägt einen Joggingan eine andere Differenzierung, die in vielen
zug und keinen «gewöhnlichen» Trainingsan aussereuropäischen Gesellschaften betont,
zug. bei uns, äusserlich zumindest, immer mehr un
Das alltägliche Bild der Menschen in den sichtbar gemacht wird, ist jene nach Alter. So
Strassen einer Stadt ist gekennzeichnet von sind alle Elemente heutiger Körpertracht
allgemeinen Tendenzen der Mode bezüglich mehr oder weniger auf «alterlose» Menschen
Coiffure - Haarfarbe, Schnitt und Frisur -, Klei ausgerichtet, wobei aber nicht Zeitlosigkeit in
dung - Art, Material, Farbe, Musterung, Ver Material, Stil und Aufmachung einen Wert an
arbeitung, Länge/Kürze - und Accessoires - sich darstellt. Vielmehr liegt die Betonung auf
Schuhe, Strümpfe, Taschen, Tücher und Kra einer für alle Lebensstufen anzustrebenden
vatten, Hüte, Schirme, Schmuck. Im weiteren Jugendlichkeit. Diese drückt sich im Ideal
gehören dazu, was in der Ethnologie mit «Kör vom schlank-und rank-, unverbraucht-, frisch-,
perbemalungen» bezeichnet wird, also Make leichtfüssig-und sportlich-sein aus. Die physi
up, absichtlich herbeigeführte Veränderung schen Zeichen des Alters werden mit Haarfär
der Haut und der Hautfarbe etwa durch Bräu ben und -ersetzen, Make-up, Fitness- und
nung oder durch das stellenweise Anbringen Schlankheitskuren - damit der Körper der ju
von Tätowierungen. Aber auch Haarentfer gendlichen Kleidung entspricht - vertuscht.
nungen im Gesicht (Rasur bei Männern) und Sicher drückt sich darin mehr aus als eine
Körperhaarentfernungen (bei Frauen) gehö Laune der Modeindustrie. Schönheitsideale
ren dazu. formuliert jede Kultur. Die Menschen haben
Obwohl keine einheitliche äussere Gestaltung ihnen zu allen Zeiten nachgeeifert und ihr Kör
der Stadtbewohner festzustellen ist, wie dies peräusseres diesen entsprechend zu verän
etwa im Unterschied dazu bei den Körper dern versucht. Tatauierungen, das Anbringen
trachten traditioneller Gesellschaften der Fall von Ziemarben im Gesicht oder am Körper,
ist, sind dennoch, gerade in der Vielfalt, Ge Zahnfeilungen, das Einfügen von Lippen
meinsamkeiten erkennbar. Auffällig ist, dass pflöcken und Scheiben in die Nasenscheide
sozusagen saisonweise, gewisse Farben vor wand und ähnliches gelten als brutale
herrschen, wobei im Sommer hellere, im Win Schmückungspraktiken exotischer Bevölke
ter dunklere bevorzugt werden. Ablesbar ist rungsgruppen. Schönheitsoperationen, bei
8 die äussere Verwischung der Grenzen ge- denen beispielsweise Nase und Kinn dauer-
haft verändert werden, Gesichtsstraffungen,
bei denen die Haut grossflächig gelöst und
dann wieder (nach jugendlichem Vorbild)
festgenäht wird, Operationen für oder gegen
einen grossen Busen, die dauerhafte elektri
sche Entfernung von unerwünschtem Körper
und Gesichtshaar: Sie alle stellen nur eine an
dere, uns aber vertrautere, Variante des
gleichen Phänomens der permanenten Ideale vom Jung-und
Körperveränderung aus Schönheitsgründen Fit-Sein
dar, was auch immer darunter verstanden
wird. Die temporäre Veränderung von Kör
perform, wie sie durch Korsett oder Büsten
halter, Haarfärben und Fingernägelbemalen
sowie durch schmale, spitze Schuhe erzielt
werden, sind so alltäglich, dass man sie kaum
unter diesem Aspekt betrachtet!
Tradition und institutionalisierter Wandel
Die Beharrlichkeit, mit der sich Körpertrach
ten in vorindustriellen Gesellschaften über
längere Zeiträume hinweg gehalten haben, ist
Ausdruck der Tradition, der Überlieferung
kultureller Werte, materieller und immateriel
ler, von einer Generation auf die andere. In
solchen Kulturen wurde wohl kaum das Alter
auf Jugendlichkeit getrimmt. In unserer eige
nen Gesellschaft, die wie Polhemus und Proc
ter (1978) geschrieben haben, Mobilität, Ver
änderlichkeit und Fortschritt verehrt, ist nicht
Tradition bestimmend. Vielmehr zeichnet sie tätigkeitsmässige, seien es einkommens- und
sich durch institutionalisierten Wandel auf al vermögensmässige, kaum mehr erkennbar.
len Gebieten aus. Die Gestaltung des Körper Spätestens mit dem Pelzmantel, der (einzig
äusseren nach stets neuen Gesichtspunkten aus tierschützerischen Gründen?) in Verruf
ist nur Ausdruck davon. Die Träger oder Initia geriet, ist das letzte Kleidungsstück, das als
toren der sich stets wandelnden Welt aber augenfälliges Prestigeobjekt und Abzeichen
sind nicht «die Altem und ihre Erfahrung, son wohlhabender Kreise galt, gefallen. Ähnlich
dern die stets neuen, v.a. technisch-naturwis verhält es sich mit prunkvollem Schmuck, der
senschaftlichen Erkenntnisse von immer neu heute schon fast den Nimbus von Unanstän
en, jungen Generationen. Vielleicht sind dies digkeit besitzt, wenn auf wenig Haut viel davon
auch Gründe, warum sich das Ideal von zu Markte getragen wird. Katharina Eder Matt
Jugendlichkeit, der fortwährende Jung hat das Phänomen des Schmucktragens in un
sein-Look gehalten hat. serer eigenen Kultur und seine Veränderung
In einer weiteren Hinsicht haben sich Grenzen im Laufe der Zeit in ihrem Beitrag (S. 15) näher
verwischt, die ehemals an der Bekleidung frü untersucht. - Dennoch aber gibt es Elemente
herer Generationen erkennbar waren. So sind der Körpertracht, die, wenn sie von bestimm
soziale Unterschiede, seien es bildungs- und ten Firmen hergestellt werden, grösseres Pre- 9