Table Of ContentDRAMA Beitrage zum anti ken Drama und seiner Rezeption
Band 3
Bernhard Zimmermann (Hrsg.)
Griechisch-romische
Komodie und Tragodie
Griechisch-rtimische Komtidie und Tragtidie
DRAMA
Beitrage zum antiken Drama und seiner Rezeption
Herausgegeben von
F. De Martino-J. A. L6pez Perez-
G. Mastromarco-B. Seidensticker-
N. W. Slater-A. H. Sommerstein- R. Stillers
P. Thiercy - B. Zimmermann
Band 3
Griechisch-romische
Komodie und Tragodie
Hrsg. von Bernhard Zimmermann
Die Deutsche Bibliothek-CIP-Einheitsaufnahme
Griechisch-romische Komodie und Tragodie I
hrsg. von Bernhard Zimmermann.
-Stuttgart: M und P, Veri. fur Wiss. und Forschung, 1995
NE: Zimmermann, Bernhard [Hrsg.]
(Drama; Bd.35)"
ISBN 978-3-476-45059-3
NE:GT
ISBN 978-3-476-45059-3
ISBN 978-3-476-042I6-3 (eBook)
DOl 10.1007/978-3-476-04216-3
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M & P Verlag Fiir Wissenschaft und Forschung
ein Verlag der J.B. Metzlersche Verlagsbuchaodlung
und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart
© 1995 Springer-Verlag GmbH Deutschland
Ursprllnglich erschienen bei J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung
und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 1995
Inhaltsverzeichnis
P. Reinders
Der Demos in den Rittern des Aristophanes
am Beispiel des Amoibaions in den Vv. 1111-1150
S. Beta
Aristofane tra sagezza e castita 21
M. Hose
Der Aristophanische Held 27
V. Castellani
Captive Captor Freed:
The N at iona! Theater of Ancient Rome 51
G. Vogt-Spira
Traditionen improvisierteg Theaters bei Plautus
Einige programmatische Uberlegungen 70
N. Yaari
Anchoring Thebes:
Defming Place and Space in Ancient Greek Theatre 94
A.H. Sommerstein
The Beginning and the End of Aeschylus' Danaid Trilogy 111
R.E. Harder
Die Figur der Helena in den TragOdien des Euripides 135
E. Lefevre
Euripides' Bakchai und die politische Bedeutung seines Spl!twerks 156
B uch besprechungen:
M. Silk
M. Luserke (Hrsg.): Die Aristotelische Katharsis. Dokumente ihrer
Deutung im 19. und 20. Jahrhundert 182
S. Beta
T.K. Hubbard: The Mask of Comedy. Aristophanes and
the Inte1textual Parabasis 185
Corrigendum zu DRAMA 2 190
Spielplan 191
Vorwort
Nachdem die heiden ersten Biinde von DRAMA mit antiken
Dramentheorien und ihrer Rezeption (DRAMA 1) sowie lntertextualitiit in
der griechisch-romischen Komodie (DRAMA 2) je einen Schwerpunkt
aufwiesen, sollte der vorliegende dritte Band ohne ein festes
Rahmenthema in einem brei ten Spektrum kontrovers diskutierte Probleme
des antiken Dramas beleuchten.
Der fiir 1995 geplante Band 4 wird wieder ein Rahmenthema aufweisen:
Der Elektra-Stoff und seine Rezeption irn Drama.
Heinrich-Heine-Universitat DUsseldorf
Bernhard Zimmermann
Der Demos in den Rittern des Aristophanes
am Beispiel des Amoibaions in den Vv. 1111-1150
Peter Reinders
(Heinrich-Heine-Universitlit DUsseldorf)
Noch in den 20er-Jahren dieses Jahrhunderts muBte sich Aristophanes
von keinem geringeren als U. von Wilamowitz-Moellendorff die
Bezeichnung "Hanswurst" gefallen !assent. Ein solches-durchaus nicht
als Vorwnrf gedachtes -Prl!dikat impliziert, daB alle Versuche, in den
aristophanischen Komiidien einen subtilen politischen Hintergrund zu
entdecken, von vornherein zum Scheitem verurteilt sind, da Aristophanes
nichts anderes als ein witziger PossenreiBer gewesen ist, fiir den
ausschlieBlich der Lacherfolg beim Publikum Ziel und Zweck seines
Dichtens war. Diese in der l!lteren Forschung hl!ufig anzutreffende
Tendenz findet inzwischen kaum noch Zuspruch; weiter aktuell jedoch ist
die Frage, his zu welchem Grade hinter den Attacken des Dichters auch
politisch-didaktische Momente vermutet werden diirfen.
In dem Dialog zwischen Chor und Herro Demos in den Rittern des
Aristophanes (Vv. 1111-1150) stellt sich dieses Problem in einer
besonderen Weise. Da das Amoibaion (in der Form eines Stasimons) die
Zeitspanne zwischen zwei Handlungsabschnitten Uberbrticken soli, fl!llt
es zumindest vordergrUndig aus dem Zusammenhang der Handlung
heraus. Dies mag auch mit ein Grund dafilr sein, warum das Amoibaion
nicht immer eine Wiirdigung erfl!hrt, die seiner Bedeutung an einer
"Nahtstelle"2 des Stiickes gerecht wird, sondern bisweilen - wenn
iiberhaupt - lediglich sein Inhalt grob referiert wird, aber keine
Einordnung in den Handlungszusammenhang stattfmdet.
Eine nl!here Betrachtung der Szene ll!Bt jedoch deutlich werden, daB
das Chorlied fiir das Verstlindnis insbesondere der SchluBszene von ganz
erheblicher Bedeutung ist, und daB man der Frage nicht ausweichen kann,
wie der Dichter die Worte des Demos verstanden wissen wollte und
welche Funktion die Passage innerhalb der Komiidie einnimmt.
Es soli daher im folgenden versucht werden, in Auseinandersetzung
mit den unterschiedlichen Forschungsstandpunkten das Chorlied zu
analysieren und die dabei gewonnenen Erkenntnisse -soweit nutzbar -fiir
die Deutung der SchluBszene zu verarbeiten.
Ein Blick auf die Forschung der letzten fUnfzig Jahre offenbart, daB
die Interpretation des Amoibaions zu teilweise v6llig kontrliren
Ergebnissen gefiihrt hat. Die Mehrzahl der Interpreten erkennt in der
Szene his heute einen Bruch zur vorausgehenden Handlung, da Demos in
Wilamowitz-Moellendorff 1927: 4 (zurUckgehend auf einen entsprechenden
Ausspruch Johann Wolfgang von Goethes).
So Zimmennann 1984: 200.
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einem weit positiveren Licht erscheine als zuvor. Bei der Beantwortung
der Frage, welchem Zweck diese plotzliche Wandlung dient, gehen die
Meinungen allerdings auseinander. Auf der einen Seite wird argumentiert,
daB die Selbstej_nschlitzung von Demos im Amoibaion in erster Linie als
eine taktische Uberlegung des Dichters zu verstehen ist, sei es, um den
Erfolg des Stiickes beim Publikum nicht zu geflihrden, sei es, um sich
nicht der Gefahr des Yorwurfes oder gar der Anklage wegen Beleidigung
des Yolkes auszusetzen.
So iiuBert Wilhelm Schmid im 4. Band seiner griechischen
Literaturgeschichte, Aristophanes habe sich mit dem Amoibaion
"gesichert gegen den Yorwurf der Beleidigung des Demos"3. Er
untermauert seine These mit dem Yerweis auf eine Passage in der
Athenaion politeia des Pseudo-Xenophon, in der es heiBt, es sei den
Komooiendichtem nicht erlaubt gewesen, das Yolk in ihren Stiicken zu
verspotten oder auf andere Weise verbal zu attackieren (<w~"!6iiv Kat
KaKws l\(ynv)4. Die Richtigkeit dieser Bewertung vorausgesetzt machen
die Worte Schmids allerdings nicht recht deutlich, ob es wirklich nur eine
solche YorsichtsmaBnahme war, die Aristophanes zu dieser Szene
motivierte, und inwieweit sich die reale Einschiitzung des Dichters vom
Charakter des Demos mit dessen Selbstdarstellung im Amoibaion deckte.
Zu einem iihnlichen Ergebnis wie Schmid kommt auch Stefan
Srebrny in seiner Rezension von H.-J. Newigers "Metapher und
Allegolie" (Miinchen 1957). Demos falle in der vorliegenden Passage
ganz offensichtlich a us der Rol!e5. Schmid folgend erkliirt Srebmy dieses
Phlinomen als ein "Zugestiindnis (sc. des Dichters) an die 'Zensur':
Demos soli nicht im ganzen so unbarmherzig verspottet werden, wie
bisher geschah. Die Partie ist eine kleine Schmeichelei gegeniiber dem
Publikum, das ja eben der Demos ist"6•
Eine neue. . Komponente brachte der Aufsatz von Ernst-Richard
Schwinge "Zur Asthetik der Aristophanischen KomOdie am Beispiel der
Ritter". Schwinge sieht in dem Amoibaion ein Beispiel fiir die
Yetwendung der Gegenbildtechnik durch den Dichter. Mittels dieser
Technik werde die "negative Provokation des Demos durch die positive
ergiinzt"7. Positive wie negative Provokation dienten dem Bestreben des
Dichters, eine Yerhaltens- und BewuBtseinsiinderung beim Yolk
hervorzurufen, die iiber die bloBe Yertreibung Kleons hinausgeht. Das
Schmid 1946: 240.
Vgl. Ps.-Xenophon II 18.
Vgl. Srebmy 1958: 1055.
Ebd. Albin Lesky schlug wenige Jahre sptlter denselben Weg ein, indem er die
Passage als eine "Ehrenerkll!rung" des Dichters gegentiber dem Demos bezeich
nete. Vgl. Lesky 1971: 487. Zu dem Problem der Existenz einer (wie auch
immer gearteten) Zensur vgl. auch unten S. 13/4.
Schwinge 1975: 196. Bereits zu Beginn des Stilckes war Aristophanes von die
ser negativen Provokation abgewichen, als er die Vernilnftigen im Publikum
<o<{loi Twv O<aTwv) mit in die Gruppe derer einbezog, die den
Wursthl!ndler im Kampf gegen Kleon unterstOtzen sollten (V. 228). Ebenso ord
net Schwinge auch die Exodos in diesen Zusammenhang ein.
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Amoibaion dient also, fiihrt man die Gedanken Schwinges weiter,
vorrangig dem Zweck, den Demos bzw. das Publikum zu einer Reflexion
tiber sein eigenes Verhalten zu motivieren. DaB Aristophanes hier,
auBerhalb der eigentlichen Handlung, seiner wahren Meinung Ausdruck
gibt, ist fiir Schwinge offensichtlich ebenso ausgeschlossen wie die
Vorstellung, Aristophanes nehme seinen Anklagen (z.B. aus GrUnden der
Vorsicht) nachtrliglich etwas von ihrer Schlilfe.
Von anderen wird ebenfalls ein solcher Bruch in der
Charakterentwicklung von Herrn Demos gesehen, jedoch mit der
Annahme erkliirt, daB die Szene tatslichlich eine (zumindest partielle)
Einschrlinkung der vorangegangenen Verspottung bedeute, Aristophanes
demgemliB im Amoibaion seiner wirklichen (sc. weit positiveren)
Einschiitzung gegentiber dem Demos Ausdruck verleihe.
Besonders krass zeigt sich eine sole he Bewettung bei Viktor Frey in
seiner Dissettation "Die Stellung der attischen Tragtidie und Komlidie zur
Demokratie" aus dem Jahre 1946. Der Dichter wolle daran erinnern, daB
der Demos nur im fiktiven Spiel der KomOdie die Rolle als vertrottelter
Greis iibemehme: "Es ist die Fabel, der zuliebe Demos diese unriihmliche
Rolle spielt. Wei! Kleon als das Musterbild des Demagogen im schlimmen
Sinne vorgefiihrt und verspottet werden soli, ergibt sich fiir den Demos
die Notwendigkeit, den Dummen und Beu·ogenen zu spielen"8. "Auf dem
Gegensatze zwischen dem Volke der Wirklichkeit und dem auf der Biihne
agierenden beruht die komische Wirkung (sc. auf die allein es
Aristophanes ankommt). Je grosser dieser Gegensatz ist ... , desto starker
die Komik"9.
Ein wenig zurUckhaltender liuBerte sich wenige Jahre spliter Max
Pohlenz zum Zwiegesprlich zwischen Chor und Demos. Pohlenz vertritt
die Auffassung, Aristophanes benutze die "Gelegenheit, den Demos in
einem anderen Lichte zu zeigen"IO. Offensichtlich ist Pohlenz der Ansicht,
daB der Dichter in Wirklichkeit ein weit positiveres Bild vom Volke der
Athener hatte, als es der bisherige Verlauf des Sttickes hatte vermuten
lassen. Dies wUrde sich auch mit seiner Ansicht decken, daB das StUck
dem Nachweis diene, daB "nicht das athenische Yolk, sondern die
Demagogen, 'die das Yolk irrefiihren'", die Schuld an dem
innenpolitischen Elend tragenll,
Auch K.J. Dover kommt im Zusammenhang mit der
Gesamtbewertung des Sttickes auf das Amoibaion zu sprechen: "If he
really did intend irony and despair, he marred his own intention by the
lyric interchange ... in 1111-1150 ... "12. Dover sieht allerdings auch den
Frey 1946: 89.
Frey 1946: 117, in iihnlicher Form auch 154.
10 Pohlenz 1952: 534.
II So Pohlenz 1952: 543 (zweifellos in Anspielung auf die Vv. 1356n) . Auch
Octave Navarre 1956: 146n, sieht in der Szene eine Wiedergutmachung: "En
priltant a Peuple une profondeur d'astuce si imprevue, le poete ... a voulu panser
... les piqures r~p~tees d'amour-propre, ... , au cours de toute sa comMie ... ".
12 Dover 1972: 98.
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