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Peter Paetzold
Einführung in die
allgemeine Chemie
Skriptum für Hörer aller
naturwissenschaftlichen und technischer
Fachrichtungen ab 1. Semester
Peter Paetzold
Einführung in die
allgemeine Chemie
Skriptum für Hörer
aller naturwissenschaftlichen
und technischen Fachrichtungen
ab 1. Semester
Mit 33 Bildern
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
uni-text
Dr. Peter Paetzold
ist o. Professor des Instituts fur Anorganische Chemie der
Rheinisch-Westfalischen Technischen Hochschule Aachen
1973
Alle Rechte vorbehalten
Copyright © 1973 by Springer Fachmedien Wiesbaden
Ursprünglich erschienen bei Friedr. Vieweg + Sohn GmbH, Verlag, Braunschweig 1973.
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ISBN 978-3-528-03317-0 ISBN 978-3-663-14165-5 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-14165-5
Der "klassische" Studiengang für Chemie an den ~lissenschaftlichen Hochschulen
unseres Landes konfrontiert den Studienanfänger hauptsächlich mit einer des
kriptiven, nach den stofflichen Gegebenheiten systematisierten Darbietung der
Chemie, wobei für die allgemeinen, die stofflichen Gegebenheiten verknüpfenden
GesetzmäBigkeiten vielfach nur in Zwischenkapiteln Raum bleibt. Das Anwachsen
des Stoffs sollte der Anlaß für eine pädagogisch vertretbare Abwendung von der
klassischen Verfahrensweise sein. Im Sinne eines Optimums an rationeller Zeit
einteilung kommt es nämlich am Studienanfang darauf an, die Sprache der Chemie
zu lehren, und dies geschieht am besten dadurch, daB dfe Grundbegriffe der Che
mie in sauber definierter Form dargeboten, zu einfachen, physikalisch durch
schaubaren '~odellen geordnet und auf ausC)ewählte Beispiele angewendet ~Jerden.
In späteren Semestern es unerläßlich sein, zum einen in das Gebäude der
~/ird
deskriptiven Chemie so weit einzudringen, wie es die Zeit erlaubt, zum anderen
den theoretischen Oberbau nach Kräften zu erarbeiten und zum dritten anhand der
Geschichte der Chemie, vor allem der neueren und neuesten Geschichte, begreifen
zu lernen, mit welchen Methoden es zum heutigen Stand unserer Wissenschaft ge
kommen ist.
Das Bedürfnis nach "Allgemeiner Chemie" am Studienanfang hirgt eine Gefahr in
sich, nämlich daß sich aus wissenschaftstheoretischem Purismus heraus ein To
talitätsanspruch durchsetzt, der zum einen die Bedeutung der Chemie als einer
vorwiegend experimentell betriebenen Wissenschaft falsch akzentuiert und der
zum anderen die Fähigkeiten der Studienanfänger überfordert. Ganz speziell ist
diese Gefahr dann gegeben, wenn versucht wird, dem Studienanfänger die Gesetze
der Chemie als eine Folge der Quantenmechanik darzustellen. Auf einen Totali
tätsanspruch dieser Art verzichtet der vorliegende Leitfaden von vornherein. Im
Si nne ei ner "Ei nführung" in di e Chemi e ~Jerden quantenmechani sche Begri ffe bewußt
vermieden, und die Begriffe der Thermodynamik werden nur so weit behandelt, als
sie zur Beschreibung von Reaktionen aus elementarer Sicht unerläßlich sind.
Es handelt sich beim vorliegenden Leitfaden um das Manuskript einer Vorlesung
über Chemie für Studienanfänger an der Technischen Hochschule Aachen. Besonderes
Augenmerk habe ich darauf gelegt, den Leitfaden als eine Art "chemische Sprach-
lehre" zu gestalten; stoffliche Einzelheiten werden nur exemplarisch erörtert,
und von einer Darlegung der experimentellen Methoden der Chemie habe ich fast
vollständig abgesehen. Die begriffliche Abstraktion und die Knappheit der Dar
stellung sind an manchen Stellen so weit getrieben, daß der Student eine zu
sätzliche Anleitung in Form der Vorlesung und der dazugehörigen übungen braucht,
um der Darstellung folgen zu können. Dabei bin ich von der heute nicht mehr
selbstverständlichen Oberzeugung ausgegangen, daß eine allzu bildhafte und an
schauliche Darstellung - und zwar ebenso im buchstäblichen wie im übertragenen
Sinne - das Verständnis nur scheinbar fördert und daß wissenschaftliche Sätze
platterdings nur unter Zuhilfenahme sprachlicher Abstraktionen verstanden wer
den können. Die Unbequemlichkeit wurde in diesem Sinne als eine offenbar not
wendige Voraussetzung für ein Optimum an Rationalität und letztenendes auch für
den didaktischen Erfolg der Darstellung in Kauf genommen. Mithin ist der vor
liegende Leitfaden vor allem als das Repetitorium einer mit ihm korrespondieren
den Grundvorlesung über Chemie anzusehen, das zwar den Besuch der Vorlesung
nicht ersetzt, wohl aber ihre Mitschrift erspart.
Sofern im folgenden Begriffe und Gesetze der Physik erscheinen, werden diese
als bekannt vorausgesetzt und müssen gegebenenfalls in Parallelstudien erarbei
tet ~/erden, während Grundkenntnisse der Chemie nicht erforderlich sind; diese
Verfahrenswei se ~Ii rd in Grenzfäll en notwendigerwei se verwaschen. 0 i e verwende
ten Maßeinheiten entsprechen fast durchwegs dem als bekannt vorausgesetzten
internationalen Einheitensystem ("SI-Einheiten").
Aachen, im '~~rz 1973 P. Paetzold
Einleitung
1. Kapitel; Das Il.tOr.l 1
1.1 Das einfachste Atommodell
1.2 Das Bohrsche Atommodell 7
1. 3 Das Peri odensystem der El emente 14
1.4 Periodizität einiger Eigenschaften 20
a) Ionisierungsenergie 20
b) Elektronenaffinit~t 22
c) Atom- und Ionenradien 23
1.5 qeaktionen des Atomkerns 26
a) Natürliche Kernreaktionen 28
b) Künstliche Kernreaktionen 30
2. Kapitel; Das t101ekül 32
2.1 Die Elektronenpaarbindung zwischen Elementen
der 1. oder 2. Periode 34
a) Kombinationen der Elemente der 2. Periode mit l~asserstoff 35
b) Kombinationen der Elemente der 2. Periode untereinander 41
2.2 Die Elektronenpaarbindung bei den Nichtmetallen
höherer Perioden 43
2.3 Die Elektronenpaarbindung bei den Metallen 46
a) Normale ~lo1eküle und '101ekül ionen 46
b) Komplexe Moleküle und Molekülionen 48
2.4 Die Mehrzentrenbindung 54
2.5 Die Polarität kovalenter Bindungen 57
a) Das Dipolmoment von 58
~lo1ekülen
b) Die Elektronegativität 60
c) Die Oxydationszahl 63
2.6 Die Nomenklatur anorganischer Verbindungen 65
a) Isodesmische Verbindungen 65
b) Pseudo-isodesmische Verbindungen 69
c) Heterodesmische Verbindungen 70
2.7 Die Stärke kovalenter Bindungen 73
a) Die Bindigkeit 73
b) Oie Bindungslänge 73
c) Die Valenzkraftkonstante 74
d) Die Bindungsordnung 76
e) Die Bindungsenergie 76
2.8 Der räumliche Bau der Moleküle 78
a) Hauptgruppenelemente als Zentralatome 78
b) Nebengruppenelemente als Zentralatome 80
2.9 Isomeriebegriffe 82
a) Konstitutionsisomerie 83
b) Konfigurationsisomerie oder Stereoisomerie 85
c) Konformationsisomerie 88
3. Kapitel: Festkörper 91
3.1 Bindung und Struktur in Festkörpern 91
3.2 Metallische Bindungen in Festkörpern 96
3.3 Kovalente Bindungen in Festkörpern 1(10
3.4 Ionogene Bindungen in Festkörpern 103
a) Jie Koordinationszahl in Salzen 103
b) Einige Strukturtypen 105
c) Strukturen heterodesmischer Salze 107
d) Mischkristallhildung 109
e) Die Gitterenergie von Salzen 110
3.5 Zwischenmolekulare Bindungen in Festkörpern 112
4. Kapitel: ~.llgemeine ~eaktions-Begriffe 115
4.1 Homogene und heterogene Systeme 116
4.2 Thermodynamische Zustände und Zustandsfunktionen 118
4.3 Gleichqewichte in Einphasensvstemen 122
4.4 Gleichgewichte in Mehrphasensystemen 126
a) Die Phasenregel 126
b) Einkomponentensystem 127
c) Zweikomponentensvsteme 129
d) Mehrkomponentensvsteme 135
4.5 Allgemeine KlassifizierunCl von ~eaktionen 137
a) Physikalische Reaktionen 138
b) Chemische Reaktionen 141
5. Kapitel: Säure-Base-Reaktionen 153
5.1 Lewisscher Säure-Base-Beqriff 153
5.2 Solvosäuren und Solvobasen 157
a) Wasser als Solvens 157
b) Andere protische Solventien 161
c) Aprotische Solventien 162
5.3 Brönstedscher Säure-Base-Begriff 163
a) Allgemeines 163
b) Wasser als korrespondierende Base oder Säure 164
c) Der PH-Wert wäßri oer Losungen 166
d) Brönstedsche Säure-Base-Paare in nichtwäßriqen Systemen 171
e) Amphoteri e 173
5.4 Zusammengesetzte Säure-Base-Gleichoewichte 175
5.5 Titrimetrie 178
6. Kapitel: Redox-Reaktionen 184
6.1 Allgemeine Definitionen 184
6.2 Elektrochemische Behandlung des Redoxbeoriffes 188
a) Galvanische Ketten: Das Daniell-flement 188
b) Andere Galvanische Ketten 191
c) Halbketten 195
6.3 Anwendung des Redoxbeqriffs 199
a) Redoxreakti onen in protischen Systemen 199
b) Redoxreaktionen in aprotischen Systemen 206
c) Redoxreaktionen im Lichte des Periodensystems der Elemente 209
d) Redoxreilktionen in der Analytischen Chemie 213
e) Redoxreakti onen bei der Darstellung der Elemente 218
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Einleitung
Es ist vielfach üblich, die Chemie als die Lehre von den Stoffen und den Stoff
änderungen zu definieren und sie dabei insbesondere von der Physik als der Leh
re von den und den Zustandsänderungen abzugrenzen. Allein, was heißt
Zust~nden
"Stoff" und was he-ißt "Zustand"? Manche versuchen, die Definition der Chemie
durch Beispiele zu verdeutlichen, etwa von der Art: Ein Magnesiumdraht ver
brennt beim Erhitzen an der Luft zu einem neuen "Stoff" namens Magnesiumoxid,
während ein Platindraht beim Erhitzen in den neuen "Zustand" der Rotglut über
geht, so daß wir den ersteren Vorgang "chemisch", den letzteren "physikalisch"
nennen. Es ist jedoch leicht einzusehen, daß man zur vollständigen Definition
der Chemie alle bekannten Beispiele zitieren müßte. Unterlassen wir also den
Versuch einer Definition in einem Satz und begreifen wir als Chemie den Inhalt
aller guten einschlägigen Lehrbücher.
1. Kapitel: Das Atom
1.1 Das ei nfachs te Atommode 11
Die Physiker kennen experimentelle Be~'eise für die Existenz von weit über 100
verschiedenen Elementarteilchen, z.B. den Protonen, Antiprotonen, Neutronen,
Elektronen, Positronen, Neutrinos, Mesonen etc.; diese Teilchen sind die Grund
lage aller beobachtbaren materiellen Erscheinungen. Man ringt heute in Theorie
und Experiment um das Ur-Teilchen, von dem sich allp Elementarteilchen ablei
ten lassen.
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Für das Verständnis der Chemie sind 3 Elementarteilchen von fundamenter Be
deutung, nämlich das Proton, das Neutron und das Elektron, deren für uns wich
tigste Eigenschaften ihre Masse und ihre elektrische Ladung sind. Als Symbole
dieser 3 Teilchen verwendet man die kleinen Buchstaben p, n und e. Die Masse
m und die Ladung q dieser Teilchen betragen:
m [ kg] m [u] q [C]
p 1,67252 10-27 1,00727 1,6021 10-19
n 1,67482 10-27 1.008665 0
e 9,1091 10-31 0,0005486 -1,6021 10-19
Das positiv geladene Proton und das neutrale Neutron sind ungefähr gleich
schwer, das negativ geladene Elektron etwa 1840 mal leichter. Die für den Be
reich der Elementarteilchen eingeführte Masseneinheit u heißt "atomare Massen
einheit" (1 u = 1,660531'10-27 kg). Ein aus Z Protonen und A-Z Neutronen auf
gebautes kuge1förmiges Knäuel nennt man den Atomkern; die ganze Zahl Z heißt
aus durchsichtigen Gründen "Kernladungszahl" oder auch "Ordnungszahl", die
ganze Zahl A repräsentiert die Summe aus der Zahl der Protonen und Neutronen
und heißt "Massenzahl"; die Massenzahl liegt größenmäßig stets in der Nähe der
Maßzahl der Masse des Atomkerns, gemessen in atomaren Masseneinheiten u, jedoch
hat man zwischen bei den wohl zu unterscheiden. Der Radius der Atomkerne hängt
von A ab und liegt in der Größenordnung 10-14 m.
Atomkerne mit gleichem Z, aber verschiedenem A (also mit verschiedener Neutro
nenzahl) nennt man "Isotope", Atomkerne mit gleichem A, aber verschiedenem Z
heißen "Isobare".
Ein Atom kann man sich aus einem positiv geladenen Kern und aus einer negativ
geladenen "Hülle" von Z locker gepackten Elektronen um den Kern herum vorstel
len, ohne daß man sich bei dieser einfachen Vorstellung zunächst um die zwischen
den Teilchen wirksamen Kräfte kümmert. Im Gegensatz zu den elektroneutralen Ato
men stehen die geladenen "Ionen", die als positiv geladene "Kationen" vorliegen,
wenn weniger als Z Elektronen den Kern umgeben, während im Falle der negativ
geladenen "Anionen" die Zahl der Elektronen die der Protonen übersteigt.
Oie lockere Packung der Elektronen manifestiert sich im Radius des Atoms, der
in der Größenordnung von 10-10 m liegt und damit um 4 Größenordnungen größer
ist als der Radius des Kerns; oft wird der Radius von Atomen und Ionen in der