Table Of ContentARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR FORSCHUNG
DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN
80. Sitzung
am 4. Juni 1958
in Düsseldorf
ARBEITSGEMEINSCHAFT FüR FORSCHUNG
DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN
HEFT 84a
Hans-Ernst Schwiete
Ein zweites Steinzeitalter ?
Gesteinshüttenkunde früher und heute
SPRINGER FACHMEDIEN WIESBADEN GMBH
ISBN 978-3-663-00374-8 ISBN 978-3-663-02287-9 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-02287-9
© 1961 Springer Fachmedien Wiesbaden
Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag, Köln und Opladen 1961
Ein zweites Steinzeitalter ?
Gesteinshüttenkunde früher und heute
Von Professor Dr. phi I. nato habil. Hans-Ernst Schwiete, Aachen
I. Einleitung
Wenn irgendwann und irgendwo eine Tagung der Keramiker stattfindet,
so wird einführend oft darauf hingewiesen, daß der Zweig der Technik, der
sich mit der Gewinnung und Nutzbarmachung von Steinen und Erden be
schäftigt, einer der ältesten der Menschheitsgeschichte ist. Die Entwicklung
einer Ara, die wir als "Steinzeit" bezeichnen, ist logischerweise auf die Tat
sache zurückzuführen, daß die Erdoberfläche aus Gesteinen und ihren Ver
witterungsprodukten besteht und es daher nahe lag, daß die ersten mensch
lichen Lebewesen dieses leicht zugängliche Material zum Ausbau ihrer Höh
lenwohnungen sowie für die Anfertigung von Werkzeugen und anderen
Gebrauchsgegenständen benutzten.
Neben einer Reihe von Funden solcher primitiven Geräte (Abb. 1) sind
uns heute einige sehr interessante überlieferungen aus dieser Kulturepoche
Abb. 1. Steinzeitliche Werkzeuge (G. Bibby)
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Abb.2 und 3. Eiszeitmalereien (Altamira! 30000-20000 v. ehr. n. H. Kühn)
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vornehmlich in nordspanischen und südfranzösischen Höhlen erhalten ge
blieben. So zeigen die Abbildungen 2 und 3 Wandbilder aus den bekannten
Höhlen von Altamira, die eine erstaunliche und unerwartete künstlerische
Auffassung und Vollendung zeigen. Wesentlich jünger - etwa um 3000 bis
2000 vor der Zeitwende - sind die bei Ausgrabungen in Mesopotamien ge
fundenen Schrifttafeln der Sumerer (Abb. 4).
Abb.4. Sumerische Tontafcln mit Schriftzeichen (c. L. Wooley)
Da es an dieser Stelle nicht Absicht und Aufgabe des Verfassers ist, über
das 1. Steinzeitalter zu berichten, sondern die Frage zur Diskussion zu stel
len, ob man heute mit einer gewissen Berechtigung von einem ,,2. Steinzeit
alter" sprechen kann, soll hier die chronologische Entwicklung übersprungen
werden.
Es dürfte einleitend jedoch von Interesse sein, einen Überblick über die
Einteilung und die wirtschaftliche Bedeutung der Industriezweige zu geben,
die auf Grund der verwendeten Rohstoffe, deren Verarbeitungsverfahren
und gemeinsamer Forschungsaufgaben von der "Gesteinshüttenkunde" er
faßt werden.
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1I. Gliederung der Gesteinshütten-In dustrie und wirtschaftlicher Überblick
Der Begriff "Gesteinshüttenkunde" ist zwar heute noch nicht allgemein
anerkannt; er wird aber seit ca. 30 Jahren - in Analogie zu den Bezeich
nungen "Eisenhütten-" und "Metallhüttenkunde" - verwendet und um faßt
folgende Industriezweige:
1. Die In dustrie der St,eine und Erden:
Wirtschaftsverband Asbestzement,
Bundesverband der Betonsteinindustrie,
Verband Rheinischer Bimsbaustoff werke,
Fachverband Feuerfeste Industrie,
Verband feuerfeste und keramische Rohstoffe,
Deutscher Gipsverein,
Fachverband Hochofenschlacke,
Bundesverband der Deutschen Kalkindustrie,
Hauptverband Kalksandsteinindustrie,
Fachverband Kieselgur,
Bundesverband Leichtbauplatten-Industrie,
Fachverband Mineralische Rohstoffe des Landes Nordrhein -Westfalen,
Fachverband N aturasphalt-Industrie,
Bundesverband Naturstein-Industrie,
Deutscher Naturwerkstein-Verband,
Arbeitsgemeinschaft Deutsche Schieferindustrie,
Arbeitsgemeinschaft Sand- und Kiesindustrie,
Fachverband Steinzeugindustrie,
Fachverband Zement,
Bundesverband der Deutschen Ziegelindustrie.
2. Die Feinkeramik:
Haushalt- und Zierporzellan, Haushalt- und Ziersteingut, Feinsteingut und Tonwaren,
Wand- und Bodenfliesen, Sanitär-Keramik, Ofenkacheln und Kachelöfen,
Technische Keramik und Schleifmittel.
3. Die Glasindustrie:
Fachverband der Fensterglasindustrie,
Fachverband der Flachglasindustrie,
Fachverband der Glasfaserindustrie,
Fachverband der Hohlglasindustrie,
Verein der Glasindustrie.
4. Die Emailindustrie:
Fachabteilung Emaillierte Blechwaren,
Arbeitsgemeinschaft Sanitäremail,
Arbeitsgemeinschaft Schilder und Plakate,
Vereinigung der Email-Schmclzbetriebe,
Fachverband Heiz- und Kochgeräte-Industrie,
Wirtschafts verband Gießerei-Industrie.
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Aus dieser Zusammenstellung ersieht man, wie heterogen das Fachgebiet
der Gesteinshüttenkunde aufgebaut, aber auch, wie vielfältig es ist.
Eine Frage ist an dieser Stelle gerechtfertigt: Kann man bei den scheinbar
so heterogenen und verschiedenartig aufgebauten Arbeits- und Industrie
zweigen überhaupt von einer einheitlich ausgerichteten Industrie sprechen,
bzw. kann man die Hauptprinzipien auf eine allgemein gültige Grundlage
zurückführen?
Dies ist bei einer näheren und eingehenden Analyse der Rohstoffe und
der Herstellungsverfahren durchaus möglich, da sich z. B. letztere wie folgt
einteilen lassen:
1. in solche, die sich mit der Gewinnung, der Aufbereitung und der Ver
edlung der Rohstoffe befassen,
2. in solche, die mit der Herstellung der Fritten, der keramischen Scherben,
der Klinker, der Gläser und der verschiedenen Bindemittel bei hohen Tem
peraturen zu tun haben und
3. in solche, die sich mit der Fertigung von Baustoffen, von Steinen und
Bauelementen bei gewöhnlichen und/oder bei hohen Temperaturen, bei nor
malen und/oder bei hohen Dampfdrucken oder bei einer Kombination der
verschiedenen Arbeitsbedingungen beschäftigen.
Aus dieser kurzen Zusammenstellung ergibt sich die Berechtigung, von
einer zusammengehörigen Industrie zu sprechen, da nahezu alle Grundreak
tionen auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden können. Man kann
also die Frage, ob die Gesteinshüttenkunde ein einheitlich ausgerichtetes
Fachgebiet ist, durchaus bejahen.
Die Bedeutung der Gesteinshüttenindustrie wird augenscheinlich, wenn
man die Zahlen für den Gesamtumsatz der Jahre 1956-59 betrachtet, die
in der nachstehenden Tabelle angegeben sind:
1956 1957 1958 1959
Steine und Erden-Industrie 5,260 5,514 5,750 6,632 Milliarden DM
Glasindustrie 1,306 1,419 1,613 1,814
Feinkeramische Industrie 1,149 1,183 1,207 1,259
Email:industric 0,820 0,836 0,869 0,842
Berücksichtigt man ferner noch den Umsatz der Bauindustrie mit 6,349
Milliarden DM, so ergibt sich für 1956 ein Gesamtbetrag von 14,899 Mil
liarden DM. (In der Arbeitsgemeinschaft für Forschung hat Verf. als Be
richterstatter ein Forschungsgebiet zu vertreten, in dem Bauwirtschaft,
Steine und Erden, Glas und Keramik zusammengefaßt sind.)
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Danach steht die Steine- und Erden-Industrie nach der Statistik
1. an zweiter Stelle mit 5319 Betrieben (ohne die weiteren etwa 5000 Be
triebe mit 1-9 Beschäftigten), wobei die eigenartige Struktur der Industrie
zu berücksichtigen ist; neben ausgesprochenen Großbetrieben haben fast
80 0J0 der Betriebe nur 10-50 Beschäftigte. Hierbei gibt es neben der Mehr
zahl der arbeitsintensiven Betriebe auch solche, die ausgesprochen kapital
intensiv sind;
2. an vierter Stelle (hinter dem Kohlenbergbau, den Hochofen-, Stahl- und
Walzwerken und der Chemischen Industrie) mit 7322000 t SKE im Jahre
1955;
3. an fünfter Stelle mit dem Stromverbrauch von 2713000000 kWh;
4. an siebenter Stelle mit der Zahl der geleisteten Arbeitsstunden in Höhe
von 539000000 Stunden und der Zahl der Beschäftigten im Monatsdurch
schnitt von rd. 250000;
5. an neunter Stelle mit der Höhe der Lohnsumme von 991000000 DM
und mit einem Gesamtumsatz, der fast 3,5 0J0 der westdeutschen Industrie
produktion ausmacht, hinter Ernährungsindustrie, Maschinenbau, Chemi
scher Industrie, Textilindustrie, Hochofen-, Stahl- und Walzwerken, Elek
trotechnischer Industrie, Fahrzeugbau und Kohlenbergbau.
IIl. Hauptrohstoffe der Gesteinshütten-Industrie
Wie die organische Chemie von der Mannigfaltigkeit der Kohlenstoff
bindung beherrscht wird, so regiert in der anorganischen Chemie die Kom
bination von Silicium und Sauerstoff; diese Kombination tritt in dem be
kannten Bauelement des SiOcTetraeders in Erscheinung, einem Koordina
tionspolyeder, das isoliert oder in 1-, 2- und 3-dimensionaler Verknüpfung
die wichtigste Baugruppe der Silikate ist. Eine weitere bedeutende Rolle
spielt - vor allem bei den Tonmineralien - das Bauelement des AI(OH)o
Oktaeders.
Für den Aufbau und die Eigenschaften der Rohstoffe und der Fertigpro
dukte der Gesteinshüttenkunde sind die Einstoffsysteme Si02, AI20 s, das
Zweistoffsystem Si02-AI20 s und das Dreistoffsystem Si02-AI20 s-H20
von grundlegender Bedeutung. Gerade in den letzten Jahren sind bezüglich
der Kenntnis dieser Systeme große Fortschritte erzielt worden.
Auf weitere wichtige Rohstoffe (Kalk, Gips, Feldspat usw.) wird später
noch eingegangen werden.