Table Of ContentDIE
CHIRURGISCHE BEHANDLUNG
DER GEHIRNTUMOREN
EINE KLINISCHE STUDIE
vox
DR. HERBERT OLIVECRONA
PRIVATDOZENT • OBERARZT AN DER CHIRURGISCHEN
UNIVERSITÄTSKLINIK IM SERAPHIMERKRANKENHAUS
STOCKHOLM
UNTER MITWIRKUNG
VOK
DR. E. LYSHOLM
CHEFARZT DER RÖNTGENABTEILUNG DES
KRANKENHAUSES MÖRBY • STOCKHOLM
SPRINGER-VERLAG BERLIN HEIDELBERG GMBH 1927
ISBN 978-3-662-32452-3 ISBN 978-3-662-33279-5 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-662-33279-5
ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER ÜBERSETZUNG
IN FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN.
COPYRIGHT 1927 BY SPRINGER-VERLAG BERLIN HEIDELBERG
URSPRUNGLICH ERSCHIENEN BEI JULIUS SPRINGER IN BERLIN 1927
SOFTCOVER REPRINT OF THE HARDCOVER 1ST EDITION 1927
Vorwort.
Die vorliegende Arbeit bildet eine Zusammenfassung sämtlicher Erfahrungen,
die ich bisher über die Behandlung intrakranieller Tumoren zu sammeln Gelegen
heit hatte. Es gibt kaum ein anderes Gebiet in der Chirurgie, das solche Forde
rungen an den Operateur stellt wie dieses; langwierige und geduldprüfende
Untersuchungen müssen dem Eingriff vorausgehen und ihm folgen, und die Ope
ration selbt, bei der äußerste Exaktheit der Ausführung aller technischen Einzel
heiten eine notwendige Voraussetzung für einen glücklichen Ausgang bildet,
gestaltet sich daher oft zu einer physischen und psychischen Kraftprobe. Der
Schwierigkeiten gibt es viele und mitunter scheinen sie fast unüberwindlich,
die Resultate sind oft deprimierend. Die Literatur ist zwar überflutet von Mit
teilungen über geglückte Operationen von Hirntumoren, aber nur dann, wenn
die Mißerfolge der Chirurgie ebenso wie ihre Triumphe veröffentlicht werden, kann
der Wert ihrer Bestrebungen bemessen werden, und nur durch eingehende
Analyse der Gründe eines Mißerfolges ist seiner Wiederholung vorzubeugen.
CusHING hat mit Recht hervorgehoben, daß der Chirurg nur dadurch, daß
er selbst seine Fälle vom neurologischen Standpunkte aus studiert und seine
eigene Diagnose stellt, vermeiden kann, zu einem Handwerker herabzusinken,
ein unvollkommenes Werkzeug in den Händen anderer zu werden; die Erfahrung
zeigt auch, daß die größten Fortschritte dort gemacht wurden, wo Diagnose
und Therapie in einer Hand vereint waren. Diese Forderung habe ich nach
bestem Können zu erfüllen versucht. In sämtlichen Fällen, mit Ausnahme von
einigen wenigen, 1922 und 1923 operierten, habe ich eine vollständige neuro
logische Untersuchung vorgenommen, wenn möglich, ohne das Resultat evtl.
vorher vorgenommener Untersuchungen zu kennen. Bei ungefähr der Hälfte der
Fälle bin ich allein für die Diagnose verantwortlich.
Dies wäre nicht möglich gewesen ohne den Rat und Beistand meiner neuro
logischen und internen Kollegen. Ich bin daher in erster Reihe den Chefärzten
der neurologischen bzw. internen Abteilungen des Seraphimerkrankenhauses,
den Herren Professoren HENRY MARCUS, H. C. JACOBAEUS und I. HoLMGREN
zu großem Dank verpflichtet und ferner einer großen Anzahl Kollegen im ganzen
Lande, die mir die Behandlung ihrer neurologischen Fälle anvertrauten. Es ist
mir auch eine liebe Pflicht, meinem früheren Chef, Herrn Professor J . .AKERMAN,
meinen ergebensten Dank für das Entgegenkommen auszusprechen, mit dem er
mir das neurologische Material der chirurgischen Klinik überließ.
Ferner möchte ich den Ärzten der Augenabteilung des Seraphimerkranken
hauses, den Herren Dr. 0. DYMLING, S. LARSSON, M. DAHLGREN und E. GRÖN
BLAD meinen besten Dank für die große Mühe aussprechen, die sie auf die
Untersuchung meiner Fälle verwendet haben. Die Ohrenuntersuchungen wurden
IV Vorwort.
in so gut wie allen Fällen von Dozent C. 0. NYLEN ausgeführt oder kontrolliert,
der, wie ich hoffe, in naher Zeit selbst seine reichen Erfahrungen über die Sym
ptome vom N. octavus bei Hirntumor veröffentlichen wird.
Für die Erlaubnis, meine Sektionen selbst auszuführen, will ich den Herren
Professoren F. HENSCHEN und H. BERGSTRAND meinen aufrichtigen Dank aus
sprechen. Sämtliche histologischen Untersuchungen sind in der pathologischen
Anstalt des Karotinischen Institutes ausgeführt worden, die meisten von Herrn
Professor F. HENSCHEN, einige von Herrn Professor H. BERGSTRAND und den
Herren Doktoren 0. REUTERWALL und R. FAHRAEUS.
Die Röntgenuntersuchungen stammen aus der Röntgenabteilung des Sera
phimerkrankenhauses, deren Chef, Herr Professor G. FoRSSELL, uns außerdem
bei der Abfassung des Kapitels über die Röntgendiagnostik seine eminente Sach
kenntnis in der entgegenkommendstell Weise zur Verfügung gestellt hat. Diese
Arbeit ist durch finanzielle Unterstützung der Lennanderstiftung in Upsala, der
Stiftung "TMrese och Johan Anderssous Minne" in Stockholm und der Bohman
schen Stiftung der SchwEdischen Ärztegesellschaft ermöglicht worden. Diesen
Institutionen bin ich deshalb zu großem Danke verpflichtet.
Schließlich möchte ich den cand. med. S. ELVIN und AINA HEDLY, die wäh
rend des Jahres 1926 mir freiwillig bei den Operationen assistierten und mir
beim Führen der Krankengeschichten behilflich waren, meinen herzlichen Dank
aussprechen.
Für die gute Ausstattung des Werkes hat die Firma Julius Springer in
entgegenkommendster Weise gesorgt.
Stockhol'Ill, im Januar 1927.
H. 0LIVECRONA.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
I. Historischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . 1
11. Einteilung und Übersicht des klinischen Materiales 6
III. Die Gliome . . . . . . . . . . . . . . . 13
1. Gliome über dem Tentorium . . . . 13
2. Gliome in der hinteren Schädelgrube 65
IV. Die Meningiome . . . . . . . . . . . . 95
1. Meningiome über dem Tentorium . . 95
2. Meningiome in der hinteren Schädelgrube. 117
V. Die Neurinome . . . . . . . . . . . . . . . 127
1. Einseitige Acusticustumoren . . . . . . . 127
2. Doppelseitiger Acusticustumor mit zentraler und peripherisoher Neurofi
bromatose (v. Recklinghausensche Krankheit). 163
VI. Kongenitale Tumoren . . . . . . 169
1. Hypophysenganggeschwülste. 169
2. Cholesteatom. 180
VII. Die Tuberkulome . . . 185
VIII. Die Angiome . . . . . 188
IX. Metastatische Tumoren 195
X. Nicht verifizierte Tumoren und auf Tumor verdächtige Fälle 198
1. Nicht verifizierte Tumoren 198
2. Verdacht auf Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . 219
XI. Die Diagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
XII. Zur Röntgendiagnostik bei Hirntumoren. Von E. LYSHOLli:I und H. OLIVECRONA 227
1. Gliome . . . . . 229
2. Meningiome . . . . . . . 232
3. Acusticustumoren. . . . . 234
XIII. Die diagnostischen Operationen. 242
I. Ventrikulographie und Encephalagraphie 243
2. Explorative Ventrikelpunktion. 257
3. Explorative Hirnpunktion . 259
XIV. Operationsindikationen ... . 260
XV. Operationstechnik ...... . 271
1. Allgemeine Gesichtspunkte 271
2. Spezielle Operationstechnik 285
XVI. Die Operationsresultate 326
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . 341
I. Historischer Überblick.
Die Angaben der Literatur darüber, wer die erste Operation wegen eines
diagnostizierten Hirntumors ausgeführt hat, divergieren etwas. Nach deutschen
Quellen käme HAHN die Ehre zu, der 1881 einen von WERNICKE diagnostizierten
Solitärtuberkel exstirpierte, während die übrige Literatur sonst ziemlich all
gemein GoDLEE den ersten Eingriff dieser Art zuschreibt. GonLEE operierte
seinen Fall 1884, aber schon 1879 hatte MAc EwEN auf Grund der klinischen
Symptome eine Läsion im hinteren Teil des linken Frontallappens diagnostiziert
und später hier einen Tumor gefunden und mit Erfolg entfernt, der, nach Be
schreibung zu urteilen, ein Meningiom1) gewesen sein muß. Es scheint daher,
als ob MAc EwEN in dieser Hinsicht die Ehre der Priorität gebühren würde,
was um so begriindeter wäre, da MAc EwEN durch verschiedene andere Arbeiten,
vor allem durch sein monumentales Werk "The pyogenic diseases of the brain",
einen Ehrenplatz unter den Gründern der neurologischen Chirurgie einnimmt.
Als eigentlicher Gründer der Hirnchirurgie im modernen Sinne ist aber
VrcTOR HoRSLEY zu betrachten. Durch seine experimentellen Arbeiten über
die Physiologie des Zentralnervensystems und seine reichen neurologischen
Kenntnisse war er in eminentem Grade dazu geeignet, den Grundstein der
neurologischen Chirurgie zu legen, zu dem er auch späterhin so fundamentale
Beiträge liefern sollte. Auf Basis seiner experimentellen Arbeiten nahm HoRSLEY
umstürzende Änderungen in der Technik der Trepanation vor und schuf damit
die Grundlage für weitere Fortschritte. Er war der erste, der einen Kleinhirn
tumor operierte, und wies schon früh auf die Bedeutung und die Aufgaben der
dekompressiven Trepanation hin. Der erste Hypophysentumor wurde gleich
falls von HoRSLEY operiert. Unter den vielen Neuerungen, mit denen er die
chirurgische Technik bereicherte, mögen die Verwendung des Wachses zur
Stillung einer Blutung aus dem Knochen, der Muskelimplantation bei Blutung
aus der Hirnsubstanz und den duralen Sinus und die Aufteilung der Operation
in zwei Sitzungen genannt werden; das letztere sicherlich eine notwendige Phase
in der Entwicklung der Hirnchirurgie. Die Bedeutung HoRSLEYS liegt aber nicht
nur in den von ihm eingeführten Verbesserungen von Technik und Methodik.
Man muß, um seine Leistung richtig schätzen zu können, auch in Betracht
ziehen, daß die Trepanation irrfolge früherer Mißbräuche in Verruf geraten war,
und daß nur eine große Persönlichkeit imstande war, so rasch, wie es tatsächlich
geschah, das Mißtrauen gegen die Trepanation und gegen die Eingriffe am
Gehirn iiberhaupt zu beseitigen, das noch lange nach der Einführung der Anti
septik das medizinische Denken beherrschte.
1) Im Anschluß an CuSHING habe ich den Ausdruck Meningiom anstatt Endotheliom
oder "Sarkom" der Dura mater gebraucht. ,
Olivecrona, Gehirntumoren. 1
2 Historischer Überblick.
Von denen, die neben HoRSLEY große Verdienste um die Hirnchirurgie in
ihrem ersten Entwicklungsstadium erworben haben, mögen KEEN, v. BERGMANN,
KRAUSE, CHIPAULT und DuRANTE genannt werden. Auch WAGNERS bedeutungs
volle Einführung der osteoplastischen Schädelresektion (1889) verdie~t hier
erwähnt zu werden. Mit dieser Entdeckung war er aber insofern seiner Zeit
vorausgeeilt, als weder das Instrumentarium, das damals zur Verfügung stand,
noch die allgemeine Technik der Trepanation so entwickelt waren, daß die
osteoplastische Methode völlig zu ihrem Rechte kommen konnte. Erst nachdem
geeignete Instrumente erfunden worden waren (GIGLIS Säge, DAHLGRENS Zange,
BoRCHARDTS und DE MARTELS motorgetriebene Spiralfräse) und nachdem die
Methoden zur Beherrschung der Blutung und der intrakraniellen Drucksteigerung
entwickelt waren, ist die Bedeutung dieser Methode völlig klar geworden.
Die Literaturzusammenstellungen, die im letzten Jahrzehnt vor der Jahr
hundertwende von Zeit zu Zeit gemacht wurden, trugen ohne Zweifel dazu
bei, einen übertriebenen Optimismus betreffs der Leistungsfähigkeit der opera
tiven Therapie bei Tumor cerebri zu schaffen. Wie immer, wenn der Chirurgie
neue Gebiete eröffnet werden, veröffentlichte man meistens nur gelungene
Fälle, und als später größere Statistiken von einzelnen Kliniken zugänglich
wurden, schlug der Optimismus in das Gegenteil um, so daß sogar hervorragende
Neurologen, wie z. B. KNAPP, zu der Ansicht kamen, es sollten nur dekompressive
Operationen ausgeführt werden. JoHN BERG konnte 1894 aus der Literatur
97 Operationen wegen Hirntumor mit nur 17 Todesfällen und gelungener Ex
stirpation des Tumors in 42 Fällen zusammenstellen; er nahm aber nichts
destoweniger eine sehr kritische Haltung in bezug auf die Zukunftsaussichten
der Chirurgie auf diesem Gebiete ein. Hierzu wurde er vor allem durch die auf
Sektionsmaterial gegründeten Statistiken über die Operabilität der Hirn
tumoren veranlaßt. Besonders die bekannte Statistik STARRS, die ungefähr
600 Sektionsfälle von Hirntumor umfaßt, von welchen seiner Ansicht nach
nur 6% derart waren, daß eine Operation mit Aussicht auf Erfolg hätte aus
geführt werden können, dürfte dazu beigetragen haben, die Hoffnungen auf
die chirurgische Therapie bei Hirntumor zu dämpfen. Die Resultate, die im
Jahrzehnt vor und nach der Jahrhundertwende erreicht wurden, waren auch
nicht dazu geeignet, größere Hoffnungen einzuflößen. Die größeren Serien,
die von einzelnen Kliniken veröffentlicht wurden, zeigten, trotzdem sie von
Chirurgen stammten, welche die größten Erfahrungen und für ihre Zeit die
besten Resultate hatten, ein ganz anderes Bild der Lage als die früher veröffent
lichten Sammelstatistiken. Nicht nur, daß die Mortalität hoch war, auch der
Preis in Form von gesteigerten Paresen, Aphasie usw., den die Patienten zahlen
mußten, um von ihrem Tumor befreit zu werden, war oft genug zu hoch im
Verhältnis zum Gewinn. Die Diskussion über die chirurgische Behandlung der
Tumoren, die auf dem 17. internationalen medizinischen Kongreß zu London
im Jahre 1913 stattfand, gibt sozusagen einen Buchabschluß über das, was in
der ersten Entwicklungsphase der Hirnchirurgie ausgerichtet worden war.
Da Blutung mit dadurch bedingtem Schock, Infektion und Verletzung wichtiger
Zentren bei der damaligen Indikationsstellung die wichtigsten Todesursachen
bei Operationen für Hirntumor bildeten, war es auch logisch und richtig, das
zugängliche Material hauptsächlich nach der topographischen Lage des Tumors
Historischer Überblick. 3
und der dadurch gegebenen Art der Operation zu untersuchen. Aus dem bei
diesem Kongreß von TooTH vorgelegten Material aus dem National Hospital
in London ging hervor, daß die Mortalität der verüizierten Tumoren ungefähr
60% betrug und für sämtliche verüizierte und nicht verifizierte Fälle zusammen
etwa 45%. Die in demselben Jahre durch v. EISELSBERG vorgelegte Statistik
weist ungefähr dieselben Ziffern auf, und KRAUSES etwas früher publizierte (1)
Zusammenfassung seines Materials zeigt eine Mortalität von 42,2% für veri
fizierte und nicht verifizierte Fälle zusammen. Soweit die Todesursachen be
urteilt werden können, was nur bei den Statistiken ToOTHS und v. EISELBERGS
der Fall ist, geht hervor, daß die weitaus wichtigsten unter ihnen Blutung und
Schock, Infektion und Verletzung lebenswichtiger Zentren waren. Auch erhellt
aus der Statistik TooTHS, daß das Resultat bei denen, die die Operation über
lebten, wegen großer, über empfindlichen Hirnpartien gelegener Hirnbrüche
oder wegen der durch das Operationstrauma neu hinzugekommenen öder ver
schlechterten Paresen in vielen Fällen ein sehr trauriges war. Auch BRUNS gab
deprimierende Züfern in bezug auf das funktionelle Resultat bei denjenigen,
die die Operation überlebten, indem nach seinen Erfahrungen "bei etwa 10%
der zur Operation gekommenen Fälle ein mehr oder weniger lange dauernder
Heilerfolg eingetreten sei". In seinen Schlußfolgerungen bemerkte auch TooTH,
daß eine Änderung der chirurgischen Technik eine notwendige Voraussetzung
zur Erlangung besserer Resultate sei, ein Schluß, zu dem auch ein anderer
Nichtchirurg, F. HENSCHEN (1), früher in bezug auf die Acusticustumoren ge
kommen war.
Diese Wünsche TooTHS waren, als sie ausgesprochen wurden, zum großen
Teil erfüllt, und zwar durch die Änderungen in der Technik der Hirnoperationen,
die von CusmNG eingeführt worden waren, obzwar die Prinzipien, die er ver
trat, damals noch nicht allgemein bekannt oder verwendet waren. Das Auf
treten HARVEY CusHINGS bedeutet eine neue Epoche in der Geschichte der
Hirnchirurgie. Durch eine äußerst exakte Blutstillung, fortlaufende Kontrolle
des Blutdruckes, größte Schonung bei der Behandlung des freigelegten Gehirns
-zum Teil ermöglicht durch konsequente Senkung des intrakraniellen Druckes
vor der Öffnung der Dura - sowie durch absolut exakte Sutur der Wunde
in mehreren Schichten hat er in seinem Material Infektion als Todesursache
eliminiert und die Rolle, die Blutung und Schock in dieser Hinsicht spielen,
höchst wesentlich reduziert. Schon vor 20 Jahren veröffentlichte er seine
Methoden der Anlegung von Dekompressionsöffnungen an solchen Stellen,
wo die Hirnbrüche durch außen gelegene Muskelmassen in mäßigen Grenzen
gehalten wurden, wodurch die Entstehung großer Hirnbrüche mit sekundären
Paresen verhindert wird. Die Bedeutung CusHINGS liegt aber nicht nur auf
dem technischen Gebiete. Ebenso wie HoRSLEY hat er die Physiologie und die
neurologische Diagnostik durch viele wichtige Erfahrungen bereichert. Er
hat es durchgeführt und konsequent auf die Bedeutung davon hingewiesen,
daß der Chirurg selbst auch seine neurologischen Diagnosen stellt, und durch
seine Resultate bewiesen, wie sehr dieses System dem wenigstens in Europa
allgemein gebräuchlichen überlegen ist, bei dem die Verantwortung für die
Operation zwischen dem Neurologen und dem Chirurgen geteilt ist. Die Resultate
CusmNGS (1) sind in der Tat glänzend, mit einer Durchschnittsmortalität von
1*
4 Historischer Überblick.
nur 15% trotz einer Indikationsstellung, die allem Anschein nach bedeutend
weiter sein dürfte als in der Mehrzahl anderer Statistiken, bei denen das Material
im allgemeinen recht stark gesichtet ist, das man zur Operation zuläßt.
Dadurch, daß Blutung, Schock und Infektion als Todesursachen nach
Operationen für Hirntumor zum großen Teil eliminiert wurden, sind die Frage
stellungen in diesem Teil der Chirurgie wesentlich verschoben worden. Die
rein technischen Probleme haben nicht mehr die dominierende Stellung wie
noch vor einem Jahrzehnte, und andere Fragen sind in den Vordergrund gelangt.
Fragestellungen, wie Operationsmortalität und Spätresultate der Operationen
wegen Hirntumor im allgemeinen, die seinerzeit so lebhaft diskutierte Frage
betreffs Operation in einer oder zwei Sitzungen, der Unterschied der Mortalität
bei Operationen über und unter dem Tentorium usw., sind jetzt kaum aktuell.
Die Probleme, die jetzt auf der Tagesordnung stehen, gelten vor allem Operations
mortalität und Spätresultaten bei verschiedenen Arten von Tumoren und dem
Einfluß, den die verschiedenen operativen Verfahren und die Indikationsstellung
hierauf haben. Diese Fragestellungen werden wahrscheinlich allmählich weiter
verengt und vertieft werden. Als der erste bedeutungsvolle Schritt in dieser
Richtung kann die Monographie CusHINGS (2) über die Acusticustumoren, 1917,
betrachtet werden, der später mehrere Arbeiten aus seiner Klinik gefolgt sind,
unter denen BAILEYS und CusHINGS Monographie über die der Gliomgruppe
angehörigen Tumoren die wichtigste ist, ein Werk von grundlegender Bedeutung,
in dem der Zusammenhang zwischen dem histologischen Bau des Tumors und
der schließliehen Prognose untersucht wird.
Auf dem internationalen Chirurgenkongreß in Rom 1926 bildete die chirur
gische Behandlung der Hirntumoren eines der Hauptthemen für die Diskussion.
Nur wenige Chirurgen haben bei dieser Gelegenheit ihre Resultate vorgelegt,
und unter diesen Statistiken war nur die BARGENTS in einer solchen Form zu
sammengestellt, daß sie für die Beantwortung der jetzt aktuellen Fragen ver
wendet werden kann. Die Diskussion berührte auch in recht großem Ausmaß
verhältnismäßig periphere ·Fragen, wie z. B. das Instrumentarium bei osteo
plastischen Schädelresektionen usw., und man erhielt ziemlich bestimmt den
Eindruck, daß außerhalb der Vereinigten Staaten nur eine kleine Anzahl Chirurgen
Erfahrung von einiger Bedeutung auf diesem Gebiete besitzt.
Als Abschluß dieser, aus Raumrücksichten sehr summarischen Übersicht
über die historische Entwicklung der chirurgischen Behandlung der Hirntumoren
und der damit zusammenhängenden Probleme schien es mir von Interesse,
in Kürze die Resultate zusammenzufassen, die man in Schweden auf diesem
Gebiete im vorigen Jahrzehnt erreichte. Zu diesem Zwecke habe ich eine Zu
sammenstellung der in der Zehnjahresperiode 1912-1921 im Seraphimer
krankenhaus operierten verifizierten Fälle von Hirntumor gemacht, die sicher
als gutes Bild für das, was in unserem Lande in diesem Zweige der Chirurgie
erreicht wurde, betrachtet werden kann. Zusammen sind in dieser Periode
31 Fälle von verifiziertem Hirntumor operiert worden. Hierbei hat man sich
aber mit makroskopischer Verifikation begnügen müssen, da in mehreren Fällen
eine mikroskopische Untersuchung nicht vorgenommen oder deren Resultate
nicht verzeichnet wurden. An diesen Patienten sind 34 Operationen ausgeführt
worden, in dem bei einem Falle eine nochmalige Exstirpation eines rezidivierten