Table Of ContentGerlachIKonegenlSandhövel, Der verzagte Staat
Irene GerlachINorbert Konegen/
Armin Sandhövel
Der verzagte Staat
Policy-Analysen
Sozialpolitik, Staatsfinanzen, Umwelt
Leske + Budrich, Opladen 1996
ISBN 978-3-8100-1448-1 ISBN 978-3-322-93702-5 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-93702-5
© 1996 Leske + Budrich, Opladen
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Satz: Leske + Budrich
Inhalt
I. Einleitung.................................................................................... 9
11. Problemschilderung ......... ... ....................................................... 11
J. Sozialpolitik (Jrene Gerlach) ....................................................... 11
1.1 Zum Begriff und seiner historischen Ableitung........................... 11
1.2 Das Sozialstaatsprinzip im Grundgesetz...................................... 16
1.3 Grundpositionen in der theoretischen Diskussion des
Sozialstaatsprinzips und deren Entwicklung................................ 19
1.4 Soziale Aufgaben als Staatsaufgaben - aktuelle
staatstheoretische Positionen........................................................ 21
1.5 Sozialstaat zwischen Staats versagen und Umbau
der Sozial systeme - Wo stehen wir heute? .................................. 24
1.5.1 Das Sozialbudget: Struktur, Entwicklung und
Leistungsumfang.......................................................................... 27
1.5.2 Das Sozialbudget nach Funktionsgruppen................................... 30
1.5.3 Die Finanzierungsarten und -quellen des Sozialbudgets ............. 35
1.6 Verschuldungsdynamik und Sozialstaatlichkeit .......................... 36
2. Staatsverschuldung (Norbert Konegen)....................................... 43
2.1 Zum Begriff ................................................................................. 43
2.2 Empirische Befunde..................................................................... 49
2.3 Finanzpolitische Folgen einer stetigen öffentlichen
Neuverschuldung: die Schuldenfalle?......................................... 51
2.4 Zur ökonomischen Rationalität des öffentlichen Kredits............. 57
2.4.1 Die Stabilisierungsaufgabe .......................................................... 57
2.4.2 Die Lastenverschiebungsaufgabe................................................. 60
2.4.3 Gesamtwirtschaftliche und haushaltspolitische
Aspekte ........................................................................................ 63
2.5 Zur politischen Rationalität des öffentlichen
Kredits (Teil 1): Staatsverschuldung und
politischer Prozeß - der Weg in die Schuldenfalle? .................... 65
5
3. Umweltschäden (Armin Sandhövel)............................................. 68
3.1 Eine Bilanz des Müllnotstandes:
Abfallaufkommen in Deutschland ............................................... 69
3.1.1 Abfallbegriff und ökonomische Prozesse.................................... 69
3.1.2 Empirische Befunde..................................................................... 72
3.2 Die schleichende Vergiftung: Waldschäden in
Deutschland .. ............................................................................... 80
3.3 Umweltkosten und Verteilungskonflikte ..................................... 89
4. Zwischenbilanz: Verdrängte Wirklichkeiten................................ 90
IH. Handlungsrealitäten in den einzelnen Politikfeldern.............. 99
1. Das Beispiel der Rentenversicherung (Irene Gerlach)................ 99
1.1 Die Hauptentwicklungsschriue des bundesdeutschen
Rentenversicherungssystems ....................................................... 99
1.1.1 Die Rentenreform von 1957 ...................................................... 100
1.1.2 Die strukturell angelegten "Zeitbomben" des
Rentenversicherungssystems von 1957 ......................................... 101
1.1.3 Die Entwicklung von 1957 - 1989 ............ ................................ 106
1.2 Das Rentenreformgesetz von 1989............................................ 107
1.2.1 Die Renten nach der deutschen Vereinigung ............................. 108
1.2.2 Hat die Rentenreform von 1989 die Probleme gelöst? .............. 110
1.3 Was ist zu tun? ........................................................................... 115
1.3.1 Wie sollen die Systeme sozialer Sicherung neu
gestaltet werden?....................................................................... 117
1.3.2 Sozialstaatlichkeit als Staatsaufgabe am Ende des
20. Jahrhunderts......................................................................... 130
2. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit - Handlungsrealitäten
im Politikfeld Staatsverschuldung (Norbert Konegen) ................ 134
2.1 Zur Logik staatlicher Aufgabenübernahme ................................. 134
2.1.1 Staatliche Aufgabenübernahme und normative Theorie .............. 134
2.1.2 Zur politischen Rationalität des öffentlichen Kredits (Teil 2):
Staatliche Aufgabenübernahme und empirische Befunde -
das Wechselspiel zwischen allokativen und distributiven
Effekten im politischen Prozeß.................................................... 135
2.1.3 Das mutualistische System und seine Folgen für Struktur,
Effizienz und Entwicklung staatlicher Aufgaben ........................ 137
2.2 Steuerungs- und Handlungsdefizite des
politisch-administrativen Systems ............................................... 142
6
2.2.1 Das strukturelle Ungleichgewicht zwischen der öffentlichen
Ausgaben- und Einnahmenentwicklung als Beispiel für
politisches Staatsversagen............................................................ 143
2.2.2 Autbau- und ablauforganisatorische Mängel der mehrjährigen
Finanzplanung als Beispiel für funktionelles Staatsversagen ...... 146
2.2.3 Zukunftsorientierte Politik, ökonomisches Staatsversagen
und Staatsquote ............................................................................ 151
2.3. Demokratischer Entscheidungsprozeß und
die politische Attraktivität öffentlicher Verschuldung................. 154
2.3.1 Makro- bzw. wachstumstheoretische Begründungsmuster ........ . 155
2.3.2 Politisch-ökonomische Begründungsmuster ............................... . 156
2.3.2.1 Zur Bedeutung sozio-ökonomischer Faktoren ............................ . 157
2.3.2.2 Das Gewicht institutioneller Vorgaben ....................................... . 161
2.4 Mögliche Wege zu einer Begrenzung bzw. Rückführung
des Schuldenstandes und der Neuverschuldung ......................... . 167
2.4.1 Verbot einer Neuverschuldung und eine
Rückführung des erreichten Schuldenniveaus? .......................... . 168
2.4.2 Stärkung der Finanzautonomie der Länder und
eine klare Zuordnung von Kostenverursachungs-
und Finanzierungsverantwortung ............................................... . 170
2.4.3 Die Konvergenzkriterien nach Art. 104 und 109 EG-Vertrag .... . 174
2.4.4 Einzelne finanzverfassungsrechtliche Vorschläge zum
Verbot der Verschuldung und zur Begrenzung wachsender
Verschuldung .............................................................................. . 178
3. Handlungsrealitäten im Politik/eid" Umwelt"
(Armin Sandhövel)....................................................................... 184
3.1 Politikziele: Schutzgut Umwelt ................................................... 184
3.1.1 Schutzgut Waldökosysteme......................................................... 187
3.1.2 Ziele der Abfallpolitik: Stoffstrommanagement
und Kreislaufwirtschaft.. ... ..... .................. ........... ..... ..... ..... .......... 189
3.2 Handlungsdefizite des umweltpolitischen Systems ..................... 194
3.3 Politikanforderungen und Modernisierungsnotwendigkeiten
im Politikfeld "Umwelt" .............................................................. 198
3.3.1 Verständigung auf Reduktionsziele: ein nationaler
Umweltgipfel............................................................................... 198
3.3.2 Konfliktregelungsverfahren im Umweltbereich .......................... 203
3.3.3 Entlastungspotentiale durch marktorientierte Instrumente? ........ 205
IV. Endbilanz: Die Wiederkehr des Verdrängten. .......... .......... .... 213
Abkürzungsverzeichnis .... ............. .................. ......... ...... ... ..... ......... .......... 225
Literaturverzeichnis ... ......... ............ ............. ........ ........... ........ ......... ....... ... 227
7
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen ............................. ................. 237
Sachregister............................................................................................... 239
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I. Einleitung
Die Veränderung der Entwicklungschancen zukünftiger Generationen ist in
den letzten Jahrzehnten nicht zuletzt maßgeblich von drei verschiedenen, in
ihrer gesamtgesellschaftlichen Perspektive aber miteinander verbundenen Um
wälzungen bestimmt gewesen: zum ersten von der sinkenden Leistungsfä
higkeit der sozialen Sicherungssysteme, zum zweiten von der wachsenden
Staatsverschuldung und zum dritten von der Beeinträchtigung der natürlichen
Lebensgrundlagen. In den Politikfeldern "Sozialpolitik", "öffentliche Finan
zen" und "Umwelt", läßt sich eine zunehmende Tendenz zu strukturellen De
fiziten aufzeigen, deren Konsequenzen sich als Politikfallen erweisen. An
wahrnehmungs- und wirkungsspezifisch unterschiedlichen Beispielen aus
den drei genannten Bereichen ist zu klären, wie das politisch-administrative
System auf krisenhafte Entwicklungen reagiert, die es durch mangelnde
Problemregelungspotentiale selbst mitverschuldet hat. Ein nur reagierendes
politisch-administratives System, ohne konkrete, durchsetzungsfähige Ziel
vorstellungen und weitgehend abgekoppelt von gesellschaftlicher und wis
senschaftlicher Politikberatung, kann schließlich den Anforderungen eines
problemorientierten, instrumentenspezifischen Handeins nicht mehr gerecht
werden.
Ein solcher Befund wirft die Frage nach einer Revision tatsächlicher Ent
scheidungsprozesse auf. In der Politikpraxis bedarf es dafür eines breiten
Diskussionsprozesses über Prioritäten in der deutschen Sozial-, Wirtschafts
und Finanz- sowie Umweltpolitik unter Einschluß der Rahmenbedingungen,
die diese Felder und ihre Inhalte gleichfalls bestimmen. Am Beispiel der
Rentenversicherung werden Möglichkeiten des Umbaus der Sozialsysteme
und dessen Folgen aufgezeigt. Daran schließt sich eine Betrachtung der Ver
läufe und Eigendynamiken der Prozesse öffentlicher Verschuldung, überwie
gend unter nationaler Perspektive, an. Im Politikfeld "Umwelt" stehen bei
spielhaft die Verordnungen über Abfallströme sowie der Waldschäden im
Mittelpunkt, was den Blick auf die Problembearbeitungspotentiale des poli
tisch-administrativen Systems in Auseinandersetzung mit den wichtigsten
Interessengruppen zur Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen eröff
net.
9
Die Beschreibung und Analyse der drei genannten Felder folgt in diesem
Buch einem einheitlichen Duktus: Nach der Darlegung der einzelnen Pro
blemlagen (11), die in einer Zwischenbilanz noch einmal zusammengefaßt
werden, folgt eine Analyse der Handlungsrealitäten und Modernisierungs
potentiale in den ausgewählten Politikfeldern (III). Im abschließenden Teil
(IV) werden die Lösungsmöglichkeiten noch einmal in ihren Zwischenab
hängigkeiten pointiert zusammengefaßt. Dabei wird deutlich, daß der Ver
such einer Querschnittsorientierung an Grenzen stößt. Dennoch ist eine sol
che Sicht im Hinblick auf die Problemtatbestände notwendig. Auch wenn ei
ne unabdingbare Vielfalt der Instrumente zur Bewältigung der Problemlagen
einen jeweils spezifischen Blick auf das einzelne Politikfeld nahe legt, so
sind doch die Grundlagen der Konfliktbewältigung und der Modernisie
rungsanforderungen in den einzelnen Feldern untrennbar miteinander ver
bunden. Darauf wird der Blick zu richten sein.
Münster, Köln, Wiesbaden, im Frühjahr 1996
Die Autoren
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11. Problem schilderung
1. Sozialpolitik
1.1 Zum Begriff und seiner historischen Ableitung
Mit der "sozialen Frage" nahm die Entwicklung des Sozialstaates im 19.
Jahrhundert ihren Beginn. Daß Staat und Gesellschaft sich zu diesem Zeit
punkt Fragen zur Gestaltung von Arbeitsbedingungen sowie zur Vorsorge
gegen soziale Risiken stellten und mit der partiellen Sozialisierung dieser
(individuellen) Risiken erste Antworten formulierten, hatte seinen Ursprung
zum einen in dem Zusammentreffen verschiedener ökonomischer und gesell
schaftlicher Entwicklungen, in deren Konsequenz es zu einer radikalen Än
derung der traditionellen Lebensformen kam, zum anderen aber in einem sich
wandelnden Staatsverständnis, insbesondere in einer sich ändernden Auffas
sung über die vom Staat zu erfüllenden Aufgaben'.
Heute befinden wir uns wieder in einer Situation, die gekennzeichnet ist
von grundlegenden Umstrukturierungen in den Lebensformen. Der Sozial
staat, aufgebaut auf Annahmen über Regelbiographien (Elternschaft und
Trennung in Erwerbs- und Hausarbeit) einerseits und lohnarbeitszentriert in
seinen Sicherungssystemen andererseits, steht erneut vor der "sozialen Fra
ge". We~che Anpassungen sind angesichts veränderter Lebens- und Bevölke
rungsstrukturen notwendig und finanzierbar und wie ist die soziale Staats-
Bis spät in das 19. Jahrhundert hinein prägten familiäre Unterstützung, Armenfür
sorge, die ständischen Sicherungseinrichtungen der Zünfte sowie eine relative Sta
bilität - und daher Berechenbarkeit - die spätfeudale Gesellschaftsordnung.
Die Durchsetzung der Industrialisierung und ihrer Arbeitsbedingungen, soziale und
rechtliche Umstrukturierungen wie die Einführung der Gewerbefreiheit (Preußen
1810) und Reformen im Anschluß an die Bauernbefreiung (1811), ein starker An
stieg der Bevölkerungszahl sowie der Zusammenbruch der vorindustriellen Sozial
ordnung schufen Arbeits- und Lebensbedingungen, die für große Teile der Bevölke
rung nicht mehr menschenwürdig waren. Theoretische Antworten auf die "soziale
Frage" wurden im Rahmen liberalistischen Gedankengutes sowie v.a. durch die So
zialisten entwicklelt. Der Liberalismus - im 18. Jahrhundert entstanden als geistig
politische Reaktion auf die allumfassende und willkürliche Herrschaft des absoluti
stischen Staates - leitete aus dem Gedankengut der Aufklärung die Existenz quasi
vorsozialer, von Natur aus vorhandener Rechte der Menschen auf Freiheit und
Gleichheit ab. Seine Forderungen im Verbund mit denen der Sozialisten führten zur
Einführung der formalen Rechtsgleichheit im Verlaufe des 19. Jahrhunderts, nicht
jedoch zu der einer materiellen.
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