Table Of ContentRheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften
Geisteswissenschaften Vorträge· G 219
Herausgegeben von der
Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften
JAN OBERG
Das Ur kundenmaterial Skandinaviens
Bestande, Editionsvorhaben, Erforschung
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
216. Sitzung am 20. Oktober 1976 in Dusseldorf
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Oberg, Jan
Das Urkundenmaterial Skandinaviens: Bestande, Editionsvorhaben,
Erforschung.-I. Auf!.-Opladen: Westdeutscher Verlag, 1977.
(Vortr3.ge f Rheinisch~Westfalische Akademie der Wissenschaften:
Geisteswiss. ; G 219)
ISBN 978-3-531-07219-7 ISBN 978-3-322-85277-9 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-85277-9
© 1977 by Springer Fachmedien Wies baden
Urspriinglich erschienen bei Westdeutscher Verlag GmbH Opladen 1977
ISBN 978-3-531-07219-7
Inhalt
Jan Oberg, Stockholm
Das Urkundenmaterial Skandinaviens
Bestände, Editionsvorhaben, Erforschung
Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 7
l. Hintergründe und Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 8
2. Bestände .............................................. 13
3. Beschaffenheit und Form ................................ 20
4. Editionsvorhaben....................................... 23
5. Editionsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 27
6. Erforschung............................................ 31
Literaturhinweise ......................................... 39
Dokumentenanhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 44
Z ur Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 49
Einleitung
Die Mannigfaltigkeit und Bedeutung des Urkundenmaterials des mittel
alterlichen Europa braucht hier nicht eigens hervorgehoben zu werden.
Es ist auch unnötig, sich damit aufzuhalten, wie viele historische und
philologische Disziplinen unsere Urkundensammlungen und Urkunden
editionen bedienen müs~en: politische und Kriegsgeschichte, Stadt-,
Agrar- und Sozialgeschichte, Rechts-, Kirchen- und Kunstgeschichte,
die sogenannten geschichtlichen Hilfswissenschaften, ferner die latei
nische, romanische, englische, germanische Philologie usw. Die Heraus
gabe und Erforschung dieses für die Mediävisten grundlegenden Mate
rials erfolgt vor allem auf nationaler Basis: J edes Land besorgt in erster
Linie die Arbeit des eigenen Kulturgebiets, wobei vorzüglich die Mutter
sprache für die kommentierenden Abschnitte der Ausgaben, für Hand
bücher und Monographien verwend et wird. Wer sich einen Überblick
machen will, dem fällt die Vielfältigkeit nicht nur der gebotenen Infor
mation sondern auch der benutzten Sprachen ins Auge.
Dieser Vortrag wird, wie der Titel angibt, eine übersichtliche Dar
stellung eines auBerhalb Skandinaviens wohl ziemlich unbekannten
Ablegers des gesamteuropäischen Urkundenphänomens geben, d. h.
desjenigen von Schweden, Finnland, Norwegen und Dänemark. Aus
verständlichen Gründen wird dabei der Schwerpunkt auf meinem
Heimatlande liegen. In diesem Zusammenhang möchte ich daran er
innern, daB Finnland bis zum Jahr 1809 ein Teil von Schweden war;
ferner muB beachtet werden, daB die im Mittelalter Norwegen zugehörige
Provinz Jämtland dem schwedischen Erzbistum Uppsala unterstellt war,
und daB auch einige andere Provinzen des heutigen Schweden entweder
zum damaligen Norwegen (wie Bohuslän und Jämtland-Härjedalen)
oder zu Dänemark (wie Schonen, Halland, Blekinge) gehörten.
Zuerst werden die Bestände der einschlägigen Archivalien und ihr
Charakter behandelt, danach die verschiedenen nationalen Urkunden
bücher näher erörtert und schlieBlich die bisher aus historisch-diplomata
rischen oder philologischen Gesichtspunkten betriebene Erforschung
dieses Materials umrissen.
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Es scheint mir jedoch nicht unangemessen, zuallererst Hintergründe
und kulturelle Voraussetzungen des mittelalterlichen Skandinavien ins
Gedächtnis zu rufen.
1. Hintergründe und Voraussetzungen
Im Alterturn befand sich bekanntlich Skandinavien auBerhalb des
Imperium Romanum. Einige griechische und römische Autoren geben je
doch über diese entlegenen Teile Europas geographische oder ethno
grapmsche Berichte wieder, manchmal mehr oder minder zuverlässig,
manchmal ganz verworren und märchenhaft; so Ptolemaios und Pom
ponius Mela, Plinius d. Ä., Tacitus, in der ausgehenden Antike Proko
pios und Jordanes. Das Interesse für die skandinavischen Länder dürfte
zum Teil in frühen Handelsverbindungen wurzeln, die in unserer Zeit
durch archäologische Funde belegt worden sind.
Auch für mehrereJahrhunderte des frühen Mittelalters blieben Schwe
den, Dänemark und Norwegen im groBen und ganzen auBerhalb der
europäischen Kulturgemeinschaft. Es fehlte ihnen jedoch nicht an kauf
männischen oder kriegerischen Kontakten mit der damaligen katho
lischen Welt. So unternahmen es gewisse frühmittelalterliche Schrift
steller, die Kunde von Skandinavien sicherer in die bisherige Welt
kenntnis einzubauen; derartige Notizen gelehrten Charakters, zuweilen
mit Hinweisen auf Plinius undJordanes versehen, tauchen in Werken auf
wie der anonymen Origo gentis Langobardorum (urn 671), der CosmograPhia
des GeograPhus Ano'!)!mus Ravennas (urn 700), der Historia Langobardorum
des Paulus Diaconus (urn 787) und in Einhards Vita Karoli Magni (urn
816). Beachtenswert sind ferner gewisse arabische QueUen wie Risàla
von Ibn Fadlán und die altrussische Nestorchronik, das altenglische
Beowulfepos und das berühmte altisländische Lied Ynglingatal.
Erst im 9. Jahrhundert besuchten Missionare aus dem Erzbistum
Hamburg-Bremen Dänemark und Schweden. Übrigens soU der Missionar
Ansgar, laut Rimberts Vita Anskarii, zu Kaiser Ludwig dem Frommen
mit einem Brief von König Björn in Birka, der ältesten bekannten schwe
dischen Königsurkunde, im J ahre 831 zurückgekehrt sein. Die Ansgar
mission hatte jedoch wenig Erfolg. Die wirkliche Christianisierung fand
in Dänemark und Norwegen erst in der zweiten HäHte des 10. Jahr
hunderts statt, in Norwegen von den britischen Inseln aus. Dies geschah
zu derselben Zeit, als sich diese Länder, wie auch Schweden, von Sippen
und Häuptlingsverbänden zu Einheitsreichen umwandelten. In Schwe-
Das Urkundenmaterial Skandinaviens 9
den aber vermochte die christliche Lehre sich erst viel später und unter
viel gröBeren Schwierigkeiten durchzusetzen als im übrigen Norden. Von
der Widerstandskraft des alten Glaubens zeugen vor allem der heidnische
Tempel zu Uppsala und die hier ausgeübten Riten, die noch urn 1075
von Adam von Bremen in seinen Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum
beschrieben werden und bis urn 1090 bestanden haben; nur ein J ahr
zehnt früher erreichten die ersten päpstlichen Schreiben den schwedischen
König. Finnland dürfte die neue Lehre nicht vor Mitte des 12. Jahr
hunderts kennengelernt haben, was dann laut der Legende dank einem
Kreuzzug des schwedischen Heiligenkönig Erik geschehen sein solI.
Die Einwirkung der sukzessiven kirchlichen Organisation und des
anwachsenden Klosterwesens auf die geistige und kulturelle Entfaltung
Skandinaviens, die Bedeutung der neuen Religion für die Rechtspflege,
die gesellschaftliche Erneuerung, die Rezipierung des christlichen Rex
justus-Begriffs, wie auch die politischen Verhältnisse sind Themen, auf
die hier nicht näher eingegangen werden kann; es seien nur einige Haupt
daten fixiert.
Die meisten Bistümer Dänemarks und Norwegens werden im 11.,
wenn nicht schon im 10. Jahrhundert erwähnt; in einem Verzeichnis
von etwa 1120 werden sieben Bistümer des eigentlichen Schweden no
tiert. Das Erzbistum Lund (Dänemark) wurde urn 1103 errichtet, das Erz
bisturn Nidaros (Norwegen) 1153 und das Erzbistum Uppsala (Schwe
den) 1164. Das Bisturn Abo (Finnland) datiert urn etwa 1220. Die älte
sten dänischen Domkapitel stammen vom Ende des 11. J ahrhunderts;
die Einrichtung der norwegischen Kapitel fand auf Anregung des Kar
dinallegats Nicolaus Brekespear urn 1150 statt, zu den meisten schwe
dischen Kapiteln ergriff der päpstliche Legat Wilhelm von Sabina erst
hundert J ahre später die Initiative. Der Benediktinerorden begann gegen
Ende des 11. Jahrhunderts in Dänemark und Norwegen und urn 1100
in Schweden zu wirken, wurde aber nach der Gründung bedeutender
Klöster, wie derjenigen in Lund, Selja und Vreta, urn 1150 von der
Reformbewegung der Zisterzienser überflügelt; diesen verdanken wir
Klöster wie Herrevad und Esrom (Dänemark), Lysekloster und Hoveday
(Norwegen), Nydala und Alvastra (Schweden). Urn die Mitte des
13. J ahrhunderts erfolgt die Verbreitung der Bettelorden ; Dominikaner
und Franziskanerkonvente wurden errichtet, vorzugsweise in wichtigen
Handelsstädten wie z. B. Ribe, Bergen und Visby. Für die Gesetz
gebung gilt, daB Norwegen schon urn 1270 seine reichsgültigen Landes
und Stadtgesetze ("Magnus Lagabaters landslov" bzw. "ML bylov")
erhielt, Schweden dagegen erst urn 1350 ("Magnus Erikssons landslag"
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bzw. "ME stadslag")l, während sieh Dänemark das ganze Mittelalter
hindurch mit seinen Landschaftsgesetzen begnügte. Folgenreich in poli
tischer Hinsieht wurde die sogenannte "Kalmarunion" vomJahre 1397,
womit bei der Krönung des schwedischen Königs Erich von Pommern
ein Versuch gemacht wurde, die drei Länder auf ewig zu vereinen; dieser
U nion gingen in diesemJa hrhundert voran Vereinigungen von Schweden
und Norwegen unter Magnus Eriksson bzw. von Dänemark und Nor
wegen sowie zuletzt auch von Schweden unter Königin Margareta, ihr
folgte eine "ewige" Union zwischen Dänemark und Norwegen im Jahre
1450. In Schweden haben die Gegner der "Kalmarunion" imJahre 1523
endgültig den Sieg davongetragen, als sieh Gustaf Eriksson (Vasa) des
schwedischen Thrones bemächtigte. Damit endete sukzessiv in ein paar
Jahrzehnten in unserem Lande auch das katholische Mittelalter.
Kehren wir aber zum skandinavischen Frühmittelalter zurück. Von
der kulturellen Umwälzung, die das Christenturn zur Folge hatte, inter
essieren uns in diesem Zusammenhang namentlich die Anfänge einer
literarischen Tätigkeit gemeineuropäischer Art, wobei das Wort "lite
rarisch" in weiterem Sinne verwendet wird. Schon in der Wikingerzeit
(urn 800-1050) hat es offenbar in ganz Skandinavien eine volkssprachige
Dichtung gegeben, eine Dichtung, die vermutlich eher für die Rezitation
bei Feierlichkeiten als für den Bereich der Schrift gedacht war. Fragmente
davon bieten die Runensteine, Auszüge davon in lateinischer über
setzung Saxos' dänische Geschichte und derartige zusammenhängenden
Werke die isländische Sagatradition. Das Christenturn brachte selbst
verständlich das lateinische Alphabet mit sich, das in den meisten
Belangen die Runen ersetzte; zugleich etablierte sich das Latein als die
Sprache der christlichen Liturgie und Hagiographie sowie der Theologie
und Geschiehtsschreibung. Erweiterte Kenntnisse des Lateinischen er
wiesen sich nach Errichtung der dem Papsttum direkt unterstellten
Bistümer als notwendig, urn ein adäquates Verständigungsmittel für
Kontakte mit der Kurie und anderen christlichen Ländern zu erhalten.
Das lateinische Kanzlei- und Urkundenwesen Europas hat erst allmäh
Hch Skandinavien erreicht; früher nur mündlich getroffene überein
kommen wurden von da ab nach ausländischem Muster in urkundlicher
Form festgehalten. Die Voraussetzungen eines einheimischen Entstehens
lateinischer Literatur erbrachten nicht zuletzt die Studien skandinavi
scher Kleriker an fremden Schulen und U niversitäten.
Wenn wir uns die verschiedenen skandinavischen Länder und ihre
ältesten christHch-literarischen Denkmäler anschauen, hebt sich be
zeichnenderweise Dänemark als die führende Nation hervor. Das älteste