Table Of Content--------Das andere Blau--------
------Angelika Overath ------
Das andere Blau
Zur Poetik einer Farbe
im modernen Gedicht
J.
B. Metzlersehe Verlagsbuchhandlung
Stuttgart
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Overath, Angelika:
Das andere Blau: zur Poetik e. Farbe
im modernen Gedicht/
Angelika Overath.
- Stuttgart: Metzler, 1987.
ISBN 978-3-476-00616-5 ISBN 978-3-476-03242-3 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-476-03242-3
© 1987 Springer-Verlag GmbH Deutschland
Ursprünglich erschienen bei J. B. Metzlersehe Verlagsbuchhandlung
und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 1987
Für Elisabeth und Hans Lothar Overath, meine Eltern
Inhalt
Danksagung IX
Einleitung:
Blau - ein philologisches Thema? . 1
I. Blau-Symbolik um 1800 . . . . . 9
1. »Als Farbe eine Energie«, Goethe
Eine sinnlich-sittliche Charakteristik . 11
2. »Hier der Ruhe heitres Blau«, Schiller
Eine ästhetische Grenzziehung . . . . . . 23
3. »Alles blau in meinem Buche«, Novalis
Ein poetisches Fluidum . . . . . . . . . 29
II. Blau-Symbolik um 1900 . . . . . . . . . . . . 49
A. Blau ist ein Klang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
1. Mallarme, Azur . . . 51
2. Rimbaud, Voyelles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
3. George, Blaue Stunde . . . . . . . . . . . . . . . . 77
B. Farbwort und Farbding . . . . . . . . . . . . 97
4. Rilke, Blaue Hortensie. . . . . . . . . . . . 97
III. Das Blau in der Tradition der Modeme . 117
A. Blau: Poetische Heimat-poetologisches Wort .. 119
1. Trak/, Kindheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
2. Lasker-Schü/er, Mein blaues Klavier . . . . . . 142
3. Benn, Blaue Stunde .............. . 159
B. Ein u-topisches Licht . . 179
4. Ce/an, Mandorla . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
Schluß:
Zur Poetik des Blau 195
Anmerkungen 198
Bibliographie 227
-VII-
Danksagung
Die Idee für eine Untersuchung über das Blau in der Literatur geht auf den
Sommer 1982 zurück. Im Frühjahr 1983 begann ich, sie als Thema einer
Dissertation zu erarbeiten. Im Februar 1986 war der Text abgeschlossen.
Danken möchte ich zunächst meinem Doktorvater Prof. Paul Hoffmann,
der sich spontan entschlossen hatte, die Arbeit zu betreuen, und mich-wie
alldie Jahre meines Studiums hindurch-mit unerschütterlicher Geduld un
terstützt hat. Seine Seminare und Vorlesungen waren ungewöhnlich leben
dige und anregende Treffpunkte für Studenten, die sich mit der modernen
europäischen Lyrik-ihrer Übersetzbarkeit, den Beziehungen zu Musik und
Malerei - beschäftigten; sein Manuskript Der Symbolismus (der erste Teil
des Buchs erscheint jetzt) blieb, von Hand zu Hand gereicht, grundlegende
Orientierung. Das andere Blau nimmt Impulse eines weiteren noch nicht
veröffentlichten Buchs aus der Schule Paul Hoffmanns auf. Manfred Koch
arbeitet an einer Untersuchung über die Struktur der Erinnerung in der Ly
rik der Jahrhundertwende (Schwerpunkt Hugo von Hofmannsthal). Wäh
rend meiner Analysen stieß ich immer wieder auf die Verbindung des Blau
mit Phänomenen von Erinnerung und Sprachfindung. Die Sensibilisierung
auf diese Problematik und die daher rührenden Beobachtungen verdanke
ich Gesprächen mit Manfred Koch, der in der Folge zu einem unermüdli
chen Kritiker in Fragen des Blau wurde. Angelika Lochmann vom Romani
schen Seminar danke ich für ihre Begeisterung über das Thema und die
sorgfältige Lektüre desMallarme-und Rimbaud-Kapitels, sowie für ihren
diplomatischen Beistand in Sachen Korsen und anderer Freibeuter. Dr. Ute
Oelmann vom George-Archiv der Landesbibliothek Stuttgart gab mir wert
volle Hinweise zu dem Kapitel über Stefan George. Elsie Koch-Pfitzer hat
sich die Mühe gemacht, das Manuskript noch einmal für den Druck durch
zusehen.
Besonderer Dank gilt Silvia Elisabeth (* 3. Januar 1986), die die Entste
hung der Arbeit freundlich begleitete und die deutlichsten Impulse für kon
zentriertes Arbeiten gab.
Schließlich danke ich der Studienstiftung des deutschen Volkes, die dieses
Dissertationsprojekt in jeder Hinsicht großzügig unterstützte.
Tübingen, April 1986 A.O.
-IX-
Einleitung
Blau- ein philologisches Thema?
I
>>Das dritte ist harmloser«, setzt Gottfried Benn 1951 seine berühmt
• gewordene Aufzählung der vier Symptome fort, an denen sich ablesen
lasse, ob ein Gedicht der Tradition der Modeme verpflichtet sei [1],->>Das
dritte ist harmloser. Beachten Sie, wie oft in den Versen Farben vorkom
men. Rot, purpum, opalen, silbern mit der Abwandlung silberlich, braun,
grün, orangefarben, grau, golden - hiermit glaubt der Autor vermutlich
besonders üppig und phantasievoll zu wirken, übersieht aber, daß diese
Farben ja reine Wortklischees sind, die besser beim Optiker und Augenarzt
ihr Unterkommen finden.<<
Nach Überschwang und Explosion in der impressionistischen und vor
allem der expressionistischen Lyrik sind für Benn die Farben in der späten
Modeme obsolet geworden. Um so erstaunlicher wirkt es, wenn er sofort
hinzufügt: >>In bezug auf eine Farbe allerdings muß ich mich an die Brust
schlagen, es ist: Blau-ich komme darauf zurück.<< In der Folge beschreibt
er >>Blau<<, das >>Südwort schlechthin<<, >>Exponent des >ligurischen Komple
xes<<< als eine dichterische Initialzündung. Diese Farbe leistet für ihn das
Entscheidende: Sie setzt die Genese des Gedichts frei. [2]
II
Benns Profilierung des Blau als einer ausgezeichneten Farbe, die in
• die Problematik des schöpferischen Prozesses selbst führt, findet eine
Bestätigung in Chiffrenbildungen, die zu populären Kennworten für zen
trale künstlerische Epochen der Modeme wurden. [3]
Novalis' Blaue Blume gibt das romantische Zeichen jener verborgenen
geistigen Welt, die, rätselhaft entgleitend, in Traum und Liebe immer wie
der versprochen und gesucht und endlich in der Poesie gefunden werden
soll.
Die heure bleue der Symbolisten reflektiert Nuancen im Halblicht der
Dämmerung als Spiegelungen flüchtiger Augenblicke der Seele und wird als
Zeit zwischen den Zeiten zu einer neuen Licht-Raum-Dimension, in der
eine Literatur der vagen psychischen Sensationen Realität erhält.
Im Blauen Reiter sieht sich die Kunst des Expressionismus unterwegs auf
die >>Epoche des großen Geistigen<<, wie Kandinsky [4) es formuliert hat.
Die komponierte Trias des Reiters (der Heilige, das Tier und das Blau)
impliziert das Programm einer neuen Kunst, die-gegen positivistische und
-1-
illusionistische Wiedergabe der Natur wie gegen psychologische Darstel
lung-den >>inneren Klang<< jedes einzelnen Dinges erspürt und kalkuliert
einsetzt. Solche Kunst sollte die Seele auf die »Geistigkeit<< sensibilisieren,
die in aller Materie liegt, und sie läutern. Blau wurde zu ihrem Boten, weck
te es doch >>die Sehnsucht nach Reinem und übersinnlichem<<. [5]
III
Die Konjunktion von Blau und Transzendenz hat eine lange, bis in
• die Spätantike reichende Tradition in der religiösen Malerei. Er
schien dort der gemalte Himmel als goldenes Firmament, widersprach er
der wahrgenommenen Realität und kündete von einer Wirklichkeit, die
vollkommener wäre. Mit der Entdeckung der Perspektive in der Renais
sance wurde der goldene Grund der Bilder blau. Blau löste das heilige Gold
ab und spannte zugleich Weite und Tiefe des Raums auf.
Damit schuf es einen Himmel, dessen Farbsymbolik anschaulich war.
Mag sein, daß der neue blaue Himmelsraum die Konnotationen des Gol
des, Göttlichkeit und Transzendenz, übernommen hat, eine religiös-sym
bolische Äquivalenz beider Farben ist jedoch älter. Auf byzantinischen
Mosaiken und Emailarbeiten können goldene Nimben wie spielerisch mit
blauen abwechseln. Mehr noch-Kandinsky referiert eine Bemerkung Kon
dakoffs [6] -, im farbliehen Alternieren läßt sich eine überlegenheit des
Blau gegenüber dem Gold erkennen: Die Nimben der Eroberer oder Pro
pheten (also der leibhaftigen Menschen) seien golden; himmelblau hin
gegen die der >>personnages symboliques<<, der nur >>geistig existierenden
Wesen<<, wie Kandinsky zustimmend übersetzt. Ihnen verwandt ist der
Cherub, der als Bote der Weisheit Gottes oft einen blauen Nimbus trug,
blaue Flügel hatte oder ganz in Blau gemalt war. [7)
Dem Golde vergleichbar war der Preis der blauen Farbe, wurde echtes
Ultramarin, das strahlende und haltbare Blau, doch aus dem Staub des
Halbedelsteins Lapislazuli hergestellt. [8) Symbolisierte so das kostbare
und reine Blau als Farbe des Himmels göttliche Schöpfung, von oben wir
kende Weisheit und Macht, so zeigte es andererseits, etwa als Farbe des
Mantels Christi oder Mariens, das Offenbarwerden des Göttlichen im Irdi
schen. Diese symbolische Funktion des Blau, eine Verbundenheit des
Himmlischen mit der irdischen Welt auszudrücken, wandelte sich in der
weiteren Entwicklung der Landschaftsmalerei. Als Raum- oder Fernfarbe
wurde es nun eingesetzt, um eine Beziehung von Nähe und Ferne malerisch
zu gestalten, die Offenheit oder Geschlossenheit der Natur darzustellen.
Der sehr blaue Himmel C. D. Friedrichs ist schon gemalte Unerreichbar
keit, Region der kalten verlockenden Ferne, unter der Natur als vom Men
schen kaum mehr betretbare liegt. Hat Mallarme diese Bilder gekannt?
-2-
Neue >>symbolische Form« [9] erhält das Blau in der Luft- und Licht
malerei der Impressionisten, wo es schon als eigentlicher Gegenstand des
Bildes wirken kann. Im Medium des Blau erscheinen die nahen Dinge so,
als seien sie fern. Das Blau hält sie, milchig-blau verfließend oder luftblau
flimmernd, noch einmal zusammen, bevor Farbe und Form einzig nach
dem >>Prinzip der inneren Notwendigkeit<< (Kandinsky) komponiert wer
den und die Wiedergabe der Wirklichkeit bis hin zu deren entstofflichter
Wirkung für die Kunst nicht mehr unabdingbar ist.
Cezanne hatte als letzter eine Synthese von Mimesis und Abstraktion ver
sucht in der >>realisation« des Eigenseins der gegenständlichen Wirklichkeit.
Das impressionistische Entferntsein von den Dingen hat sich zu ihrem
grundsätzlichen Fremdwerden radikalisiert. Cezannes blaue Schattenfarbe
- in Bildern, denen jede natürliche Lichtquelle, alles Atmosphärische zu
fehlen scheint - läßt die Gegenstände als Modulationen aus dem Blau her
aus entstehen. Sie werden in ein Fernsein versetzt, das schon unabhängig ist
von jeder räumlichen Perspektive. Cezannes Äpfel, Gläser und Zucker
dosen bleiben, von blauen Schattenbahnen zusammengehalten, unerreich
bar, dicht vor unseren Augen auf einer leicht geneigten ultramarin schim
mernden Tischplatte aus Holz. Damit löste sich die Malerei von den
Dingen. Unter dem Stichwort >>Geist« versprach der Blaue Reiter einen
ganz anderen Grad der Abstraktion.
IV.
>>Die Wirkung des Blau nimmt zu. Auch in der Literatur.« [10) Ist
• der Leser einmal aufmerksam geworden, überraschen ihn die Bei
spiele. Worin liegt der Grund für die eigenartige Dominanz? Bestimmend
ist sicherlich die alte malerische Tradition in der Verbundenheit des Blau
mit Kosmos- und Himmelsdarstellungen. Nach >Gottes Tod< löst sich die
Himmelsfarbe vom Firmament [11], erinnert an das einstige Jenseits und
evoziert eine >>leere Transzendenz«. [12] Das Blau des Himmels [13] wird
zur existenziellen Provokation; Das wirkliche Blau [14] zur Motivation
einer Lebensgeschichte.
Die Verwendung des Farbworts in Texten kann solche traditionellen
Vorstellungen in dem Maß als semantisches Potential ausnützen, wie der
religiöse Bezug ausdriicklich nicht mehr angesprochen wird. Die Blaue
Stunde, in der auf die eine oder andere Weise die Begegnungen mit dem Ab
soluten der Kunst sich ereignen, ist hierfür ein Beispiel. Zudem kann das
Farbwort das ganze optische Spektrum der Farbe, die nach Goethe dem
Licht wie dem Dunkel am nächsten steht, zugleich evozieren, gerade weil
im Text keine Spezifizierung der jeweiligen Blautönung vorgenommen wer
den muß. [15) Die besondere Breite und Vielfalt der Grundfarbe Blau, die
-3-