Table Of ContentIsaac Marks
Bewiltigung der Angst
Furcht und nervose Spannung
leichter gemacht
Herausgegeben von J. c. Brengelmann
Obersetzt von G. Ramin und R. Bender
Springer-Verlag
Berlin Heidelberg New York 1977
Isaac Marks, M. D.
University of London, Institute of Psychiatry, De Crespigny Park,
London SES 8AP, England
Herausgeber
Dr. Johannes C. Brengelmann
Max-Planck- Institut fiir Psychiatrie,
KraepelinstraBe 10, D-8000 Munchen 40
Obersetzer
Dipl.-Psych. Gisela Ramin
GabelsbergerstraBe 26 Rgb., D-8000 MOOchen 2
Dr. Renate Bender
Moosmuhle 14, D-80S1 Massenhausen
ISBN-13: 978-3-540-08077-0 e-ISBN-13: 978-3-642-96391-9
DOl: 10.1007/978-3-642-96391-9
Library of Congress Cataloging in Publication Data. Marks, Isaac. Bewiiltigung der
Angst. 1. Anxiety. I. Title. BF575.A6M2815 616.8'52276-30317
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© by Springer-Verlag Berlin· Heidelberg 1977
Softcover reprint of the hardcover I st edition 1977
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gebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden
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Herstellung: G. Appl, Wemding 43210
Vorwort
"Really, I consider total absence of fear, in situations as
mine, to be the mark not of a valiant fellow but a dolt."
Erasmus auf der Flucht vor der Pest, urn 1495
Dieses Buch will dem Leser helfen, die Natur der Angst besser
zu verstehen und zu lemen, wie man damit fertig werden kann.
Angstlichkeit ist eine tiigliche Erscheinung fiir uns aile. Es gibt
keine klare Trennungslinie zwischen der normalen Furcht, die
wir aile kennen und mit der wir ohne fremde Hilfe fertig werden
konnen, und den intensiven Phobien, fiir die man die Hilfe eines
Fachmanns braucht. Der Hauptunterschied liegt im Grad der
Auspriigung. Fachliche Hilfe wird gewohnlich nur dann notwen
dig, wenn Furcht unser Leben in irgend einer Weise einengt. Wir
brauchen dann jemand, der uns den Ursprung der nervosen
Spannung und ihre verschiedenen Erscheinungsweisen erkliirt
und sagt, was man tun kann, wenn sie uns zu stark iiberkommt.
Es ist schon eine Hilfe zu wissen, we1che Schwierigkeiten andere
Leute haben und was sie dagegen tun. Dieses Buch will die wich
tigsten Erscheinungsweisen der Angst beschreiben, so wie sie im
gewohnlichen Leben und in der Psychiatrischen Klinik zu finden
sind; es will die Moglichkeiten zur Selbsthilfe und die Methoden
des Fachmanns beschreiben, die fiir die Beseitigung nervoser
Leiden zur Verfiigung stehen. Die Behandlung der Angst ist in
den letzten lahren in beeindruckender Weise verbessert worden,
und vielen, die darunter leiden, kann heute zum ersten Mal ge
holfen werden. Dieses Buch bietet zwar keine detaillierten An
weisungen fiir die Behandlung an, aber es kann das Verstiindnis
fiir die person lichen Probleme verbessem und einige Vorstellun
gen dariiber geben, wie man mit seinen Schwierigkeiten fertig
werden und - falls Behandlung erforderlich wird - in dieser
mitarbeiten kann. Es ist den vie1en Menschen, die an der Angst
leiden, gewidmet und ebenso ihren Therapeuten, deren einge
hende Beobachtungen dieses Werk ermoglicht haben. Sie aile
haben dazu beigetragen, unsere Kenntnisse stetig zu verbessem
und den Weg zu weisen zur Entwicklung immer wirksamerer
Techniken zur Erleichterung nervoser Spannungen.
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Das Buch ist zwar primiir fur den Laien geschrieben, aber es
wird auch fUr Studenten und Praktiker im Gebiet der Gesund
heitsfUrsorge, wie zum Beispiel Arzte, Psychiater, Psychologen,
Krankenpfleger, Sozialarbeiter und Bewiihrungshelfer, von In
teresse sein. Fur diesen Personenkreis durfte die Beschreibung
der klinischen Erscheinungsweisen besonders wichtig sein.
Der Verfasser ist den vielen, in diesem Buch zitierten Autoren
zu tiefem Dank verpflichtet. Dazu geh6ren: Dr. Douglas Bond
(The Love and Fear of Flying; International Universities Press,
1952), Joyce Emerson (Phobias; National Association of Mental
Health, 1971), Professor Carney Landis (Varieties of Psychopa
thological Experience; herausgegeben von F. A. Mettler; Holt,
Rinehart & Winston, 1964), Mary McArdle (Treatment of a
Phobia; Nursing Times, 1974, 637-9) Dr. Don Meichenbaum
(unver6ffentlichte Forschungsberichte), Dr. Colin Parkes (The
First Year of Grief; Psychiatry, 1970, 33, 444-467), Dr. John
Price (unver6ffentlichte Arbeit uber Aversionen), Dr. S. Rach
mann (The Meaning of Fear; Penguin Books, 1974) und Dr.
Claire Weekes (Peace from Nervous Suffering: Selfhelp for your
Nerves; Angus & Robertson).
Ausfiihrliche Zitate stammen auch von den Tausenden von Pa
tienten uberan in der Welt, die der Verfasser in den letzten 15
Jahren behandelt oder mitbehandelt hat, sowie aus seinen zwei
friiheren Buchern zu diesem Thema, die unter den Titeln Fears
and Phobias (1969) und Clinical Anxiety (1971 - Mitautor Dr.
Malcom Lader) ver6ffentlicht wurden.
London I. Marks
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Vorwortdes Herausgebers
Belastung und Angst sind Schliisselworte der taglichen Um
gangssprache geworden, wenn es urn menschliche Probleme
geht. Experten sind der Meinung, daB Angst im Laufe der Jahr
zehnte betrachtlich zugenommen hat. Man schatzt, daB jeder
zweite Patient, der eine Arztpraxis betritt, auBer seinen medizi
nischen Problemen auch gestorte Verhaltensweisen aufweist. Ais
Hauptursache der angenommenen starkeren Belastung gilt die
beschleunigte Rate der gesellschaftlichen Veranderung. In der
gegenwartigen Zeit verandem sich die technologischen, sozialen,
politischen und moralischen Bedingungen in der Umwelt schnel
ler als je zuvor. Die Dberstimulierung durch die Massenmedien,
der kontinuierliche Versuch offentlicher und privater Institutio
nen, den Menschen mit verbalen Erziehungsmitteln zu bombar
dieren und die unverhaltnismaBig schnell steigenden Leistungs
anspriiche gehen mit dem Anstieg an Problemen einher. Stimu
lierung, Erziehung und Leistungsanspruch mogen in sich gute
Dinge sein, aber die Personen, die sich gem in loblicher Absicht
der genannten Mittel zwecks Beeinflussung der Gesellschaft be
dienen, besitzen keine Einsicht in ihre schadlichen Verhaltens
konsequenzen. Je intensiver, variabler und direkter die informa
torischen Reize einwirken, umso schwerer fallt es dem Organis
mus, sein Verhalten darauf einzurichten und im Tun mitzu
lemen.
Die VerhaltenskonSequenzen in dieser Situation sind verschie
dener Art und in sehr vielen Hillen eben negativ, das heiBt, das
Leben wird nicht bewrutigt. Den einen tut die neue Entwicklung
in der gesellschaftlichen Veranderung von Anlage und Werde
gang her gut. Andere reduzieren die Reizwirkung, indem sie sich
abschlieBen und so ein prekares Gleichgewicht wahren. In pro
blematischen Fallen entwickeln sich Verhaltensweisen, die in be
zug auf Lebensbewaltigung ineffizient sind. Solche Personen ver
suchen, ihre Probleme mit unwirksamen Mitteln zu losen und
sind nicht in der Lage, ihre Problemlosungsstrategien zu andem,
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selbst wenn ihnen die LOsungen angeboten werden. Es ist wie
beim Fahrschiiler, der aIle Verkehrsregeln beherrscht, aber nie
das Fahren getibt hat. Die Macht der theoretischen Kenntnis
wirkt zil intensiv oder wird tiberbewertet, so daB das Verhalten
nicht in der Lage ist, nachzuziehen. Das Verhalten vieler Men
schen wird dann rigide. Sie konnen die einmal angenommenen
Ansichten tiber sich selbst und andere Menschen nicht andem
und ein groBer Teil des sich stets neu prasentierenden Lebens
fallt deshalb fUr sie aus. Andere Menschen entwickeln Furchtzu
stande, Angste, Depressionen oder sogar aggressive Verhaltens
weisen. Solche Menschen brauchen Hilfe. Man muB ihnen zei
gen, wie man ein defektes Verhalten wieder instandsetzt, etwa
durch Eintiben des Umgangs mit anderen Menschen und des so
zialen Durchsetzungsvermogens. Man muB ihnen eine klare Ein
sicht in ihre konkreten Probleme vermitteln. Man muB ihre
Angste und Spannungen durch Verhaltensanderung mildem
oder beseitigen. Oder man muB ihnen gar einen neuen Lebens
stil beibringen. Wer solI diese Aufgaben bewaItigen? Wir leiden
schon an einem starken Mangel an adaquat ausgebildeten Thera
peuten und es wird nicht moglich sein, gentigend Therapeuten
auszubilden. Die Beratung und Behandlung von Lebensproble
men ist zeitintensiv, aber der Arzt kann den Patienten nur je
weils fUr wenige Minuten sehen. Wir benotigen deshalb Informa
tionen, die das Wesen der Belastungsprobleme derart klar und
praktisch vermitteln, daB man daraus Konsequenzen ziehen
kann. Noch besser, wir vermitteln der dffentlichkeit praktische
Anweisungen, so daB die Betroffenen ihr Verhalten korrigieren
konnen.
Eines der bisherigen Probleme in der psychologischen Hilfe ftir
den Mitmenschen ist gewesen, daB nur sehr wenige Patienten die
benotigte Hilfe von hochgradig spezialisierten Therapeuten er
langen konnten und das auch nur zu einem teuren Preis. Die
anderen versteckten ihre Probleme, weil sie von der Gesellschaft
tabuisiert waren. Oder sie muBten sich mit dem Rat von Freun
den, Verwandten oder Priestem zufrieden geben und dieser Rat
war abhangig von Erfahrung und Geschick des Beraters. Laien
steht als Ratgeber eine sehr wichtige Rolle zu, aber es fehlt ih
nen gewohnlich an brauchbaren Verfahrenstechniken. Sie benut
zen extensive und meist psychophilosophisch oder gar religios
ausgeschmtickte Verbalisationstechniken und unterlassen das
praktische Eintiben von defizitaren Verhaltensweisen, womit die
gerade bereits beschriebene Zivilisationsgefahr eher verstarkt als
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gemildert wird. Die so stark verbreitete Methode der verbalen
Probleminterpretation neigt zu unwirksamen, weil verhaltensunge
rechten Beratung. Sie fiihrt zu einer verschwommenen Beschrei
bung unseres emotionalen und sozialen Lebensfeldes. Ein
Mensch mit Problemen muB aber genau wissen, wie diese entste
hen und wie die Anderung seines Verhaltens sein eigenes Gefiihl
und das Verhalten seiner Umwelt andert. Eigene Verhaltensan
derung hat stets Konsequenzen in bezug auf sich selbst und die
Umgebung. Sie kann systematisch in sinnvollen und experimen
tell iiberpriifbaren Schritten zum Nutzen des Patienten geplant
werden. Sie kann definiert, instruiert, geiibt, erprobt, modelliert,
provoziert, geformt und verstarkt werden, wie es das Therapie
ziel erfordert. Damit wird die nebul6se und mysteri6se Interpre
tation menschlichen Handelns und Erlebens der Vergangenheit
iiberfliissig. Wir lernen wieder rur uns selbst, wie durch die Ver
anderung des eigenen Verhaltens die Welt bewaltigt wird, an
statt daB wir durch die iibermiiBige Stimulierung von der Welt
iiberwaltigt werden. So hat sich in den letzten Jahren die Quali
tat der Verhaltensberatung erheblich verbessert. Nicht nur das,
auch die Anzahl helfender Menschen ist erheblich gestiegen.
Nicht nur professionelle Therapeuten, sondern auch paraprofes
sionelle Helfer stehen in gr6Berwerdender Anzahl zur Verfii
gung. Diese Helfer k6nnen auf eine steigende und wirksamer
werdende Anzahl von Verfahrenstechniken zur giinstigen Beein
flussung des Verhaltens zuriickgreifen. Aber auch diese Ent
wicklung reicht bei weitem nicht aus. Der von Problemen betrof
fene Mensch braucht Mittel, mit deren Hilfe er sich auch selbst
analysieren und unterstiitzen kann. Hilfe von auBen kann haufig
nicht so gut auf ein Problem angesetzt werden, wie es das Indivi
duum selbst kann, oder sie kommt zu spat, oder sie erreicht nicht
im geforderten MaBe die Intimbereiche des Individuums.
Aus diesem Grunde sind Schriften wie die des Autors I. Marks
notwendig. Das Buch tragt den Titel »Bewaltigung der Angst«.
Es will primar dazu beitragen, das Wesen des Angstverhaltens
konkreter zu verstehen. Doch gibt es auch Hinweise darauf, wie
man mit Hilfe neuer verhaltensorientierter Methoden die Angst
praktisch meistern kann. Der Hauptzweck des Buches ist in sehr
viel breiterer Form realisiert worden, als es der Titel vermuten
laBt. Einmal wird Angst in vielfaltiger Form nerv6ser Spannung
beschrieben, so daB die verschiedensten Angstzustande, Phobien
und Depressionen in h6chst anschaulichem Detail unter die
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Lupe genommen werden. Der Autor ist ebenfalls sehr geschickt
in der Veranschaulichung der Entstehungsgriinde solcher Zu
stande und in der Spezifizierung dessen, was unter normaler und
abnormer Angst zu verstehen ist. Der besondere Wert dieses
Buches liegt in der leicht verstandlichen Aussch6pfung reichster
klinischer Erfahrung fiir einen sehr breiten Leserkreis. Der Le
ser erfiihrt hier eine verhaltensorientierte Interpretation der
Phanomenologie und Entstehung von Angsten, wie sie in den
herk6mmlichen Lehrbiichern nicht geboten wird. Die Behand
lungsmethoden sind zwar nicht im gleichen Detail behandelt,
aber sie gewamen einen reprasentativen Einblick in die verschie
denen Kategorien der Behandlung, so daB ein Betroffener sich
sehr wohl ein Bild von den therapeutischen M6glichkeiten ma
chen kann, einschlieBlich der Selbsthilfe.
So glauben wir, daB dies Buch dem betroffenen Individuum hel
fen kann, seine Xngste so zu bewaltigen, daB es seine Le
bensm6glichkeiten besser aussch6pfen kann und mit gr6Berem
Erfolg an der sozialen Umgebung teilhaben kann. Eine groBe
Anzahl ahnlicher Titel ist auf dem Buchmarkt erschienen, die,
ahnlich wie auf einer sekundaren Modenschau, einen falschen,
wenn nicht schadlichen Abklatsch der experimentellen Literatur
darstellen. Umso wichtiger ist es, daB ein als hervorragend be
kannter wissenschaftlicher Autor diesen Weg der Ver6ffentli
chung fUr einen breiteren Leserkreis gefunden hat. Aus dem
Text spricht sowohl ein starkes Besorgnis urn menschliches Lei
den, als auch wissenschaftliche Strenge.
Eine geschichtliche Entwicklung in der Bewrutigung der Angst
probleme, die sich aus diesem Buch ergibt, sollte abschlieBend
angesprochen werden. Art und Intensitat der Angst mogen mit
den auBeren Umstanden variieren, doch ist das Phanomen Angst
wahrscheinlich so alt wie die Menschen selbst und ihre Interpre
tation und Behandlung sind eine Funktion des philosophischen
Zeitgeistes. Je nachdem, wie man die Angst interpretierte, hat
man auch versucht, sie zu behandeln. In Zeiten, in denen die
religi6sen Erklarungen vorherrschten, haben Priester und Medi
zinmanner versucht, durch magische Einwirkung die Angst zu
kontrollieren. Die biologisch orientierte Psychiatrie wollte Angst
auf St6rungen des Nervensystems reduzieren und mit biologi
schen Mitteln allein heilen. Auch Freud glaubte noch, daB die
Libido aus einer Umwandlung k6rperlicher Energie iiber das
Nervensystem entstiinde. Heute brauchen die Verhaltensproble-
x
me nicht mehr auf biologische oder tiefenpsychologische Struk
turen zuriickgefiihrt zu werden. Sie k6nnen zwar mit biologi
schen Bedingungen zusammenhiingen, werden aber als Probleme
eigener Art verstanden und entsprechend auch mit Mitteln der
Verhaltensanderung bewaltigt, wenn auch biologische Behand
lung zusatzlich helfen kann.
Miinchen, Dezember 1976 J. C. Brengelmann
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