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A
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M
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K
n
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s
y
l
a
n
A
-
R
S
B
B
BBSR-Typisierung als Beitrag für
BBSR-Typisierung als Beitrag für
die wissenschaftliche und politische Debatte
die wissenschaftliche und politische Debatte
Wachsen
Wachsen
Wachsen oder schrumpfen sind nicht die einzigen Entwicklungspfade, die
eine Kommune oder eine Region einschlagen müssen. Wachstum oder oder schrumpfen?
oder schrumpfen?
Schrumpfung setzt aber deutliche Rahmenbedingungen für die Entwicklung.
Teils sind die Anpassungsprozesse unter dem steigenden finanziellen Druck
schwierig zu meistern. Das BBSR schlägt eine Typisierung vor, mit der eine
wertneutrale und problemorientierte Zuordnung von Kommunen und Regio-
nen erfolgen kann. Sie soll helfen, die aktuellen Entwicklungstendenzen in
den Teilräumen der Bundesrepublik quantitativ zu erfassen und vergleich-
bare Kategorien für die anschließende Problembewältigung zu definieren.
Nach einem Überblick über die unterschiedlichen Zyklen von Wachstum und
Schrumpfung in den verschiedenen Regionen wird das BBSR-Messkonzept
von wachsenden und schrumpfenden Städten und Kommunen erläutert.
Diese Typisierung erfolgt auch auf anderen administrativen und funktionalen
Abgrenzungen, so z. B. für die Wohnungsmarktbeobachtung.
Autorin
Antonia Milbert
2 Wachsen oder schrumpfen? | Vorwort
Vorwort
Liebe Leserinnen und Leser,
die aktuelle BBSR-Bevölkerungsprognose zeigt, dass trotz hoher Zuwanderung
aus dem Ausland die Bevölkerungszahl in Deutschland schon in wenigen Jah-
ren zurückgehen wird. Regional und lokal begleitet uns „Schrumpfung“ schon
lange. Vor allem die Sicherung der Daseinsvorsorge in ländlichen Räumen ist
einer unserer Forschungsschwerpunkte.
Doch was heißt Schrumpfung eigentlich? Der Begriff beschreibt mehr als nur 15
0
die Abnahme der Bevölkerungszahl. Er bezieht sich auf tief greifende struktu- 2
/
2
relle Veränderungen, die sich mithilfe von Indikatoren messen lassen. 1
T
K
A
Das Räumliche Informationssystem des BBSR bietet eine solche indikatorge- P
M
stützte Definition von schrumpfenden und wachsenden Kommunen und Regio- O
K
nen. Die Abgrenzung ermöglicht es, Wachstum und Schrumpfung in den Teil- n
e
räumen Deutschlands zu spezifizieren und als Analyseraster zu verwenden. Die s
y
Definition wird auch in der BBSR-Wohnungsmarktbeobachtung verwendet: Die al
n
stark wachsenden Wohnungsmärkte mit ihrem Zuwanderungs- und Mietpreis- A
-
druck unterscheiden sich deutlich von schrumpfenden Wohnungsmärkten mit R
S
hohem Leerstand und Angebotsüberhängen. Ziel des Hefts ist es, die Methode B
B
vorzustellen, die politischen Herausforderungen zu skizzieren und zur Nutzung
für die weitere Forschung anzuregen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre.
Direktor und Professor Harald Herrmann
Wachsen oder schrumpfen? | Wachsen Sie noch oder schrumpfen Sie schon? 3
Wachsen Sie noch oder schrumpfen Sie schon?
Problematisch an den aktuellen Kaum ein anderes Thema beherrscht auch wirtschaftliche Faktoren mit
Schrumpfungsphänomenen ist seit der Jahrtausendwende die raum- ein. So beruht auch dieser Ansatz
die geringe Erfahrung mit groß- ordnerische Debatte wie die Schrump- auf der Annahme einer negativen
flächigem und nachhaltigem fung von Kommunen und Regionen im Abwärtsspirale von Schrumpfungspro-
Bevölkerungsrückgang in wachs- Zuge des demographischen Wandels. zessen auf der einen und sich selbst
tumsorientierten Industrie- und Anstoß gaben die enormen Bevöl- verstärkender Wachstumsimpulse auf
Dienstleistungsgesellschaften. kerungsverluste der ostdeutschen der anderen Seite. Doch jenseits der
Lokal oder regional betrachtet gab Regionen. Erst langsam setzte sich die theoretisch nicht weiter hinterfragten
15 es immer schon die Gleichzeitig- Erkenntnis durch, dass auch west- Grundlage hat sich diese Typisierung
0
2 keit und enge Nachbarschaft von deutsche Regionen zunehmend von als sehr hilfreich erwiesen hinsicht-
/
2
1 Wachstum und Schrumpfung. Schrumpfung betroffen sind und sein lich weiterer empirischer Analysen
T
K werden. Dabei wurde die Diskussion und Begründungszusammenhänge.
A
P um schrumpfende Städte bereits in Daher soll in diesem Heft die theore-
M
O den 1970er- und 1980er-Jahren in tische Auseinandersetzung mit den
K
n Fachkreisen geführt, die Debatte we- Phänomenen und Paradigmen von
e
s gen der westdeutschen Bevölkerungs- Wachstum und Schrumpfung nachge-
y
al gewinne der Nachwendezeit jedoch holt werden. Ferner wird der aktuell
n
A abrupt abgebrochen. Politische und öf- überarbeitete Ansatz der BBSR-Typen
-
R fentliche Aufmerksamkeit erlangte die von wachsenden und schrumpfenden
S
B Debatte um Schrumpfung durch die Städten und Gemeinden vorgestellt
B
wirtschaftlichen und finanzpolitischen und es werden sinnvolle Anwendungs-
Befürchtungen des regional wirksam bereiche dieser Typik aufgezeigt.
werdenden Fachkräftemangels und
Schrumpfung als Prozess
damit verbundener wirtschaftlich
ausbleibender Wettbewerbsfähigkeit unter heutigen norma-
ländlicher Regionen sowie der Unbe- tiven Wertvorstellungen
zahlbarkeit der Daseinsvorsorge in
„Entleerungsräumen“. Gesamtgesell- Schrumpfung ist das Gegenteil von
schaftlich werden darüber hinaus die Wachstum. Wachstum wiederum
Belastungen der Sozialversicherungs- ist die prägende Vorstellung von
systeme, der Verlust der generellen Entwicklung in der heutigen Zeit. Dass
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Entwicklung gleichbedeutend mit
Wirtschaft und der drohende Pflege- Wachstum sei, liegt in der meinungs-
notstand diskutiert. führenden Ideologie verschiedener
neoklassischer Ökonomen begründet,
Trotz der lebhaften Debatte herrscht die in den 1950er-Jahren nachhalti-
Uneinigkeit hinsichtlich der Begriff- gen Anklang gefunden hat, nämlich
lichkeit und Bedeutung von Schrump- dass „[…] sämtliche wirtschaftlichen,
fung. In den meisten Fällen wird sozialen und politischen Probleme […]
Schrumpfung mit Bevölkerungsver- mit [quantitativem] Wirtschaftswachs-
lusten gleichgesetzt und alle weiteren tum zu lösen sind.“ (Steurer 2010: 424).
Folgen dieses Bevölkerungsrückgangs Ohne Wachstum verlieren demnach
werden implizit mit negativer Konnota- Kommunen, Regionen, Staaten ihre
tion mitgedacht. Fähigkeit, Probleme zu lösen. Selbst
Stagnation muss unter dieser Ma-
Erstmalig in 2003 hat das BBSR einen xime als Rückschritt oder Problem
Typisierungsvorschlag für wachsen- betrachtet werden. Trotz früh ein-
de und schrumpfende Städte und setzender Kritik an der quantitativen
Gemeinden vorgestellt (Gatzweiler/ Wachstumstheorie sowohl hinsicht-
Meyer/Milbert 2003). Dieser Vorschlag lich sozialer als auch ökologischer
stützt sich nicht allein auf Bevölke- Belastungen hat sich grundsätzlich
rungsentwicklungen, sondern bezieht an der Vorherrschaft dieser Ideologie
4 Wachsen oder schrumpfen? | Wachsen Sie noch oder schrumpfen Sie schon?
nichts geändert, wie Steurer (2010) in Allerdings bestätigen empirische gen könnten die negativen Auswirkun- Abbildung 1
Kumulative Kausalkette der Stadt- und Regionalentwicklung
seinem Rückblick auf die Debatte ab Ergebnisse selten eindeutig die the- gen stark abgemildert werden.
1960 aufzeigt. oretischen Setzungen. Bezüglich der
Schließung von
Komponenten des demographischen „Aber die eigentliche Problematik Geschäften
und/oder
Der Einfluss der Bevölkerungsentwick- Wandels – quantitativer Bevölkerungs- schrumpfender Städte liegt nicht in Entlassungen
lung auf das Wirtschaftswachstum entwicklung, Veränderungen der Al- einzelnen Entwicklungen. Erst aus dem Abwanderung: Vermindert
Schrumpfung des Kapazität,
wird dabei überwiegend als eindeutig , tersstruktur, Zuwanderung – vermitteln Zusammenspiel von Bevölkerungsver- lokalen sozialen Wandel
Arbeitsmarktes und zu bewerkstelligen
und zwar mit positivem Zusammen- die empirischen Arbeiten kein einheit- lusten mit selektiver Abwanderung von Bevölkerungsrückgang Instandhaltung der
hang, beschrieben. Grob gesprochen liches Bild hinsichtlich ihrer Wirkun- qualifizierten jungen Arbeitskräften, 15 Vloekrasolerng uInnfgrsabsetrturiketbuer,,
0 Gesundheits- und
bestimmt die (Zunahme der) Bevöl- gen auf die wirtschaftliche Entwick- nicht gelingender Integration von Zu- /2 Ausbildungseinrichtungen
kerung einerseits das (zukünftige) Ar- lung (vgl. u. a. Grundlach 1993; Franz wanderern, negativen ökonomischen 12 Abnahme der etc. wird schwieriger
T lokalen Nachfrage
beitskräftepotenzial und andererseits 2003; Eckey/Kosfeld/Muraro 2009). Entwicklungen, hoher Arbeitslosigkeit, K für Güter und
A Dienstleistungen Abnahme des Entmutigte Leitung
das (zukünftige) Nachfragepotenzial Empirische Ergebnisse legen vielmehr sinkenden kommunalen Finanzspiel- MP lokalen und Verwaltung,
Steueraufkommens Fatalismus und
für den regionalen Markt. Kleinräumig nahe, dass Wirkungszusammenhänge räumen, Auflösung der Stadtgestalt O Konservatismus
K
wirkt dabei die Wirtschaftsentwick- zwischen Demographie und Öko- und Ausdünnung der Versorgung mit n
e Umsatzverluste Rückgang des
lung als Push- oder Pullfaktor für nomie hinsichtlich des allgemeinen Gütern und Dienstleistungen entsteht s im lokalen Wohlstands der
y
Bevölkerungsbewegungen: Regionen ökonomischen Entwicklungsstandes, eine städtische Krise, bei der sich al EinzGelehwanedrbeel und Gemeinde
n
mit Wirtschaftswachstum ziehen neue hinsichtlich des Verdichtungs- bzw. negative Entwicklungen zu einem A
-
Bevölkerung an, Regionen mit wirt- Verstädterungsgrades und hinsicht- Teufelskreis verstärken können.“ R
S Geschächte soziale
schaftlicher Schrumpfung verleiten zur lich der Produktivitätsentwicklungen (Häußermann/Siebel 2004: 10). Dieser B Weniger Arbeitsplätze, Kohäsion; niedrige
B geringere Einkommen gemeinschaftliche
Abwanderung von Bevölkerung, die differenziert werden müssen. Negative Teufelskreis oder diese „Abwärts- Moral
sich anderswo bessere Arbeits- und wirtschaftliche Folgen aufgrund von spirale“ wird als eine Abfolge sich
Zunahme von
Einkommenschancen erhofft (vgl. u. a. Bevölkerungsrückgang seien nicht gegenseitig verstärkender Prozesse in einkommens-
schwachen und
hierzu Franz 2013). zwangsläufig (Bartl/Rademacher 2011). ähnlicher Weise auch von Mayer und benachteiligten
Haushalten
Des Weiteren treten in den verschie- Knox (2009) beschrieben (s. Abb. 1).
Quelle: Mayer/Knox 2009: 209
Kaufmann (1975) fasste die unterstell- denen Regionen immer wieder Phasen
ten Zusammenhänge zwischen Bevöl- auf, in denen Bevölkerungs- und wirt- Zusammenfassend lässt sich also
kerungs- und Wirtschaftsentwicklung schaftliche Entwicklung gegenläufige feststellen, dass Schrumpfung in der
folgendermaßen zusammen: „Wirt- Tendenzen aufweisen (Franz 2003). öffentlichen und politischen Wahrneh-
schaftswachstum ohne Bevölkerungs- mung oftmals an der reinen Bevöl-
wachstum setzt intensivere Anpas- Trotzdem lassen sich die Schwierigkei- kerungsabnahme festgemacht wird.
sungsprozesse und beschleunigten ten der bestehenden Infrastrukturaus- Das ist unter Kenntnis des eigentlich
sozialen Wandel voraus. Es läßt sich lastung bei abnehmender Bevölkerung komplexen Prozesses von Schrump-
jedoch zeigen, daß ein positiver Zu- nicht leugnen. Diese sind umso gravie- fung theoretisch und empirisch nicht
sammenhang zwischen Anpassungs- render, je schwieriger und kostenin- haltbar. Für einen ersten Eindruck von
fähigkeit einer Bevölkerung, sozialem tensiver ein effizientes und leistungs- der räumlich und zeitlich dynamischen
Wandel und Bevölkerungswachstum fähiges Angebot aufgrund niedriger Entwicklung von Wachstum und
besteht. Beim Wegfall des Bevölke- Bevölkerungsdichten bereitzustellen Schrumpfung will ich im Folgenden
rungswachstums treffen steigende ist. Eng verbunden mit dem Aufgaben- zunächst, ebenfalls vereinfachend, die
Anpassungserfordernisse mit sinken- und Ausgabenspektrum öffentlicher Bevölkerungsentwicklung in unter-
der Anpassungsfähigkeit zusammen.“ Institutionen sind die sinkenden schiedlichen Jahrzehnten und auf
(Kaufmann 1975: 57). Mit anderen öffentlichen Einnahmen infolge von unterschiedlichen räumlichen Ebenen
Worten: Produktivitätsfortschritte Bevölkerungsverlusten (vgl. u. a. hierzu untersuchen und beschreiben.
zusammen mit technologischem und Falken 2009; Hesse/Grüttner 2011).
Schrumpfung in der
sozialem Wandel können die negative Dennoch zeigt Seitz (2008), dass die
Wirkung stagnierender oder rück- Demographieabhängigkeit öffentlicher zeitlichen und räumlichen
läufiger Bevölkerungsentwicklungen Haushalte von anderen politischen Dimension
auf die wirtschaftliche Entwicklung Entscheidungen stark beeinflusst wird
nur bedingt ersetzen; langfristig wird und der demographische Wandel die In allen natürlichen Prozessen
der wirtschaftliche Erfolg in diesen Ebenen Bund, Länder und Kommunen sind Wachstum und Schrumpfung
Regionen aussetzen. sehr unterschiedlich treffen wird. aufeinanderfolgende Phasen. Über
Durch entsprechende Weichenstellun- die Jahrhunderte betrachtet ist auch
Wachsen oder schrumpfen? | Wachsen Sie noch oder schrumpfen Sie schon? 5
gen könnten die negativen Auswirkun- Abbildung 1 Stadtschrumpfung nichts „Unnatürli-
Kumulative Kausalkette der Stadt- und Regionalentwicklung
gen stark abgemildert werden. ches“. Erst mit der Industrialisierung
stellte sich eine Epoche fortgesetzten
Schließung von
„Aber die eigentliche Problematik Geschäften Stadtwachstums ein. Diese kehrte sich
und/oder
schrumpfender Städte liegt nicht in Entlassungen erst Mitte des 20. Jahrhunderts für
einzelnen Entwicklungen. Erst aus dem Abwanderung: Vermindert einzelne Städte in Schrumpfung um.
Schrumpfung des Kapazität,
Zusammenspiel von Bevölkerungsver- lokalen sozialen Wandel
Arbeitsmarktes und zu bewerkstelligen
lusten mit selektiver Abwanderung von Bevölkerungsrückgang Instandhaltung der Alles in allem hat stetiges Bevölke-
qualifizierten jungen Arbeitskräften, 15 Vloekrasolerng uInnfgrsabsetrturiketbuer,, rungswachstum in der westlichen He-
0 Gesundheits- und
nicht gelingender Integration von Zu- /2 Ausbildungseinrichtungen misphäre gerade zwei Jahrhunderte
wanderern, negativen ökonomischen 12 Abnahme der etc. wird schwieriger angedauert. Davor gab es immer wie-
T lokalen Nachfrage
Entwicklungen, hoher Arbeitslosigkeit, K für Güter und der Perioden von Bevölkerungsrück-
A Dienstleistungen Abnahme des Entmutigte Leitung
sinkenden kommunalen Finanzspiel- MP lokalen und Verwaltung, gängen. Lokal oder regional betrachtet
Steueraufkommens Fatalismus und
räumen, Auflösung der Stadtgestalt O Konservatismus gab es dagegen nie ausschließlich Be-
K
und Ausdünnung der Versorgung mit n völkerungszuwächse, sondern immer
e Umsatzverluste Rückgang des
Gütern und Dienstleistungen entsteht s im lokalen Wohlstands der auch eine Parallelität von Wachstum
y
eine städtische Krise, bei der sich al EinzGelehwanedrbeel und Gemeinde und Schrumpfung (Coleman/Rowthorn
n
negative Entwicklungen zu einem A 2011). Problematisch bei der Behand-
-
Teufelskreis verstärken können.“ R lung von aktuellen Schrumpfungs-
S Geschächte soziale
(Häußermann/Siebel 2004: 10). Dieser B Weniger Arbeitsplätze, Kohäsion; niedrige phänomenen sind dabei die geringen
B geringere Einkommen gemeinschaftliche
Teufelskreis oder diese „Abwärts- Moral Erfahrungen mit großflächigem und
spirale“ wird als eine Abfolge sich nachhaltigem Bevölkerungsrückgang
Zunahme von
gegenseitig verstärkender Prozesse in einkommens- in wachstumsorientierten Industrie-
schwachen und
ähnlicher Weise auch von Mayer und benachteiligten und Dienstleistungsgesellschaften.
Haushalten
Knox (2009) beschrieben (s. Abb. 1). Voraussetzungen und Beobachtungen
Quelle: Mayer/Knox 2009: 209
einer mehr oder weniger kurzen pro-
Zusammenfassend lässt sich also sperierenden Vergangenheit werden
feststellen, dass Schrumpfung in der dabei unhinterfragt auf die Zukunft
öffentlichen und politischen Wahrneh- extrapoliert.
Abbildung 2
mung oftmals an der reinen Bevöl- Bevölkerungsentwicklung 1970 bis 2013 nach
kerungsabnahme festgemacht wird. siedlungsstrukturellen Kreistypen in West- und Ostdeutschland Im relativ kurzen Zeitintervall der
Das ist unter Kenntnis des eigentlich vergangenen 40 Jahre (s. Abb. 2)
komplexen Prozesses von Schrump- Index, Durchschnittsbevölkerung 1980 bis 2013 = 100 weisen nur die Großstädte mehrere
120
fung theoretisch und empirisch nicht und kürzere Zyklen von Wachstum und
haltbar. Für einen ersten Eindruck von Schrumpfung auf. In dieser Zeitspanne,
der räumlich und zeitlich dynamischen für die die regionalisierten Datenrei-
Entwicklung von Wachstum und hen im BBSR vorliegen, sind in allen
Schrumpfung will ich im Folgenden anderen Kreistypen die Phasen der
zunächst, ebenfalls vereinfachend, die 100 Bevölkerungszunahme in West-
Bevölkerungsentwicklung in unter- deutschland relativ lang, bevor auch
schiedlichen Jahrzehnten und auf hier Bevölkerungsverluste zu verzeich-
unterschiedlichen räumlichen Ebenen nen sind. In Ostdeutschland verloren
untersuchen und beschreiben. dagegen alle Kreistypen ab 1980 über
80 die gesamte Phase Bevölkerung und
Schrumpfung in der 1970 1980 1990 2000 2010 2013
nur die Stärke der Verluste variiert in
zeitlichen und räumlichen West Ost verschiedenen Zeitabschnitten. Wann
kreisfreie Großstädte
Dimension städtische Kreise sich Wachstum in Schrumpfung und
ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen Datenbasis: Laufende Raum-
beobachtung des BBSR Schrumpfung in Wachstum umkehrt,
dünn besiedelte ländliche Kreise © BBSR Bonn 2015
In allen natürlichen Prozessen ist also, wenn man Entwicklungsin-
sind Wachstum und Schrumpfung dikatoren betrachtet, auch abhängig
aufeinanderfolgende Phasen. Über vom gewählten Zeitintervall (s. Tab. 1).
die Jahrhunderte betrachtet ist auch Die jährlichen Entwicklungsraten in
6 Wachsen oder schrumpfen? | Wachsen Sie noch oder schrumpfen Sie schon?
Tabelle 1 Karte 1
Bevölkerungsentwicklung nach siedlungsstrukturellen Kreistypen und verschiedenen Zeitintervallen Bevölkerungsentwicklung
1939–1950 1950–1961 1961–1970
Bevölkerungsentwicklung in % jährliche Bevölkerungsentwicklung in %
1980–2013 1990–2013 2000–2013 2007–2013 1980–2013 1990–2013 2000–2013 2007–2013
Westdeutschland
kreisfreie Großstädte 1,31 2,05 3,31 2,39 0,04 0,09 0,25 0,48
Hamburg Hamburg Hamburg
städtische Kreise 11,69 6,72 0,00 –0,38 0,35 0,29 0,00 –0,08
ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen 12,46 7,71 –0,40 –0,79 0,38 0,34 –0,03 –0,16 Berlin Berlin Berlin
15
dünn besiedelte ländliche Kreise 8,61 5,18 –2,00 –1,67 0,26 0,23 –0,15 –0,33 0
Ostdeutschland 2/2
kreisfreie Großstädte –0,04 –4,51 4,37 4,46 0,00 –0,20 0,34 0,89 T 1 Kö ln Kö ln Kö ln
K
städtische Kreise –27,92 –21,78 –14,31 –6,38 –0,85 –0,95 –1,10 –1,28 PA F rankfurt/M. F rankfurt/M. F rankfurt/M.
M
ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen –21,97 –16,62 –12,16 –5,27 –0,67 –0,72 –0,94 –1,05
O
dünn besiedelte ländliche Kreise –18,52 –14,51 –10,97 –4,85 –0,56 –0,63 –0,84 –0,97 K
n
Quelle: Bevölkerungsfortschreibung des Bundes und der Länder, Laufende Raumbeobachtung des BBSR yse
al München München München
n
-A
Ostdeutschland offenbaren darüber von Bevölkerung in ländliche Regionen wieder (s. u. a. Kawka 2007; Stiller R
S
hinaus, dass die Bevölkerungsver- folgt seit Beginn dieses Jahrtausends 2011; Eckey/Kosfeld/Muraro 2009). B 1970–1987 1987–2000 2000–2013
B
luste in den städtischen Kreisen und eine Phase der Reurbanisierung. West- Der Trend von wachsenden Städten
ländlichen Kreisen mit Verdichtungs- und Ostdeutschland durchlaufen dabei einerseits und schrumpfenden länd-
ansätzen – relativ gesehen – gravie- in den verschiedenen Zeitabschnitten lichen Räumen andererseits – etwas
render waren und sind als in den dünn unterschiedliche Prozesse der Kon- vereinfacht und zugespitzt – wird sich Hamburg Hamburg Hamburg
besiedelten ländlichen Kreisen. Diese zentration bzw. Dekonzentration von Extrapolationen und Modellrechnun- Berlin Berlin Berlin
Beobachtung steht dem Umstand Bevölkerung (s. u. a. Siedentop 2004). gen zufolge weiter fortsetzen (Stiller
gegenüber, dass sowohl die Stadt- Angesichts eines national bereits ein- 2011; Eckey/Kosfeld/Muraro 2009;
schrumpfung als auch die Schrump- getretenen Bevölkerungsrückganges Siedentop 2004). Kö ln Kö ln Kö ln
fung des ländlichen Raumes politisch und verlangsamter Wirtschaftsent-
und in der Fachliteratur höhere wicklung in einem globalen Weltmarkt Fazit: Für „Schrumpfung“ werden grob F rankfurt/M. F rankfurt/M. F rankfurt/M.
Aufmerksamkeit genießt. Insofern haf- wird die Unmöglichkeit eines flächen- gesprochen zwei Definitionen verwen-
tet der öffentlichen Aufmerksamkeit deckenden Wachstums bewusst. det: Die erste setzt Schrumpfung mit
von Schrumpfung in verschiedenen anhaltenden Bevölkerungsverlusten
Räumen etwas Zufälliges an. Wiederhall hat diese Vorstellung gleich, die den Anfang bestimmter München München München
von „konzentriertem“ Wachstum in „Prozessmuster“ (Müller 2003: 30) und
Den Parallelismus von Bevölkerungs- dem neuen Leitbild der Raumordnung die Reaktionen betroffener Akteure in 100km ©BBSR Bonn 2015
zuwachs und Bevölkerungsabnahme „Wachstum und Innovation“ gefunden, der Stadt- und Regionalentwicklung Jährliche Entwicklungsrate der Bevölkerung in % Mio. Einwohner 81,5 Mio (2000)
verschiedener Regionen innerhalb in dem die Metropolregionen eine bestimmen. Hierzu würde es also 80 Bund insgesamt
bis unter –1,0
64,9 Mio (2005)
eines Landes hat es überall und zu dominierende Rolle spielen (s. u. a. ausreichen, die Bevölkerungsentwick- –1,0 bis unter –0,5 60 Westdeutschland
allen Zeiten gegeben. Neu hinzu Aring 2009; Sinz 2007). Wachstum lung über eine gegebene Zeitspanne
–0,5 bis unter 0
kommt allerdings in jüngster Zeit die außerhalb der Metropolen ist dabei zu beobachten. Wie lang oder kurz das 40 Anmerk.: Daten ab 1990 um
0 bis unter 0,5 Zensusergebnisse 2011
(Wieder-)Erfahrung von nationaler auch erwünscht, wird sich aber auf Zeitintervall ist, so zeigen die oberen 20,5 Mio (1950) bereinigt
20
Bevölkerungsabnahme (Coleman/ (förderfähige) Wachstumspole oder Ausführungen, ist dabei entscheidend, 0,5 bis unter 1,0 Ostdeutschland Datenbasis: Laufende Raum-
1,0 bis unter 3,0 beobachtung des BBSR
Rowthorn 2011). Für Deutschland zeigt Stabilisierungskerne beschränken wird aber selten dezidiert begründet. 0 Geometrische Grundlage: BKG
Karte 1 die Bevölkerungsentwicklung (müssen) (s. u. a. Dohnanyi-Kommis- 3,0 und mehr 1939 1950 1961 1970 19801981799019952000200520120013 KBreeaisrbee, i3tu1n.1g2: .A2.0 M13ilbert
der Kreise in sechs verschiedenen sion 2004; Köhler 2007; Sinz 2007). Die zweite Definition beschreibt
Jahrzehnten. Schrumpfung als einen mehrdimen-
Die höhere wirtschaftliche Leistungs- sionalen Prozess mit tief greifenden
Welche Regionen dabei Bevölkerung fähigkeit von Metropolregionen und Umstrukturierungen in Wirtschaft,
gewannen und welche verloren, das damit eine räumliche Polarisierung Bevölkerung und Baustruktur.
ändert sich im Zeitablauf. Nach einer von Wachstum und Schrumpfung fin- Bevölkerungsverluste allein können
langen Phase der Suburbanisierung det sich auch in empirischen Arbeiten auch Ausdruck konjunkturbedingter
Wachsen oder schrumpfen? | Wachsen Sie noch oder schrumpfen Sie schon? 7
Tabelle 1 Karte 1
Bevölkerungsentwicklung nach siedlungsstrukturellen Kreistypen und verschiedenen Zeitintervallen Bevölkerungsentwicklung
1939–1950 1950–1961 1961–1970
Bevölkerungsentwicklung in % jährliche Bevölkerungsentwicklung in %
1980–2013 1990–2013 2000–2013 2007–2013 1980–2013 1990–2013 2000–2013 2007–2013
Westdeutschland
kreisfreie Großstädte 1,31 2,05 3,31 2,39 0,04 0,09 0,25 0,48
Hamburg Hamburg Hamburg
städtische Kreise 11,69 6,72 0,00 –0,38 0,35 0,29 0,00 –0,08
ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen 12,46 7,71 –0,40 –0,79 0,38 0,34 –0,03 –0,16 Berlin Berlin Berlin
15
dünn besiedelte ländliche Kreise 8,61 5,18 –2,00 –1,67 0,26 0,23 –0,15 –0,33 0
Ostdeutschland 2/2
kreisfreie Großstädte –0,04 –4,51 4,37 4,46 0,00 –0,20 0,34 0,89 T 1 Kö ln Kö ln Kö ln
K
städtische Kreise –27,92 –21,78 –14,31 –6,38 –0,85 –0,95 –1,10 –1,28 PA F rankfurt/M. F rankfurt/M. F rankfurt/M.
M
ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen –21,97 –16,62 –12,16 –5,27 –0,67 –0,72 –0,94 –1,05
O
dünn besiedelte ländliche Kreise –18,52 –14,51 –10,97 –4,85 –0,56 –0,63 –0,84 –0,97 K
n
Quelle: Bevölkerungsfortschreibung des Bundes und der Länder, Laufende Raumbeobachtung des BBSR yse
al München München München
n
-A
Ostdeutschland offenbaren darüber R
S
hinaus, dass die Bevölkerungsver- B 1970–1987 1987–2000 2000–2013
B
luste in den städtischen Kreisen und
ländlichen Kreisen mit Verdichtungs-
ansätzen – relativ gesehen – gravie-
render waren und sind als in den dünn Hamburg Hamburg Hamburg
besiedelten ländlichen Kreisen. Diese Berlin Berlin Berlin
Beobachtung steht dem Umstand
gegenüber, dass sowohl die Stadt-
schrumpfung als auch die Schrump- Kö ln Kö ln Kö ln
fung des ländlichen Raumes politisch
und in der Fachliteratur höhere F rankfurt/M. F rankfurt/M. F rankfurt/M.
Aufmerksamkeit genießt. Insofern haf-
tet der öffentlichen Aufmerksamkeit
von Schrumpfung in verschiedenen
Räumen etwas Zufälliges an. München München München
Den Parallelismus von Bevölkerungs- 100km ©BBSR Bonn 2015
zuwachs und Bevölkerungsabnahme Jährliche Entwicklungsrate der Bevölkerung in % Mio. Einwohner 81,5 Mio (2000)
verschiedener Regionen innerhalb 80 Bund insgesamt
bis unter –1,0
64,9 Mio (2005)
eines Landes hat es überall und zu –1,0 bis unter –0,5 60 Westdeutschland
allen Zeiten gegeben. Neu hinzu
–0,5 bis unter 0
kommt allerdings in jüngster Zeit die 40 Anmerk.: Daten ab 1990 um
0 bis unter 0,5 Zensusergebnisse 2011
(Wieder-)Erfahrung von nationaler 20,5 Mio (1950) bereinigt
20
Bevölkerungsabnahme (Coleman/ 0,5 bis unter 1,0 Ostdeutschland Datenbasis: Laufende Raum-
1,0 bis unter 3,0 beobachtung des BBSR
Rowthorn 2011). Für Deutschland zeigt 0 Geometrische Grundlage: BKG
Karte 1 die Bevölkerungsentwicklung 3,0 und mehr 1939 1950 1961 1970 19801981799019952000200520120013 KBreeaisrbee, i3tu1n.1g2: .A2.0 M13ilbert
der Kreise in sechs verschiedenen
Jahrzehnten.
Migration sein (Müller 2003). Diese lassen sich die Art, Menge und das Definition eines mehrdimensionalen
Welche Regionen dabei Bevölkerung Definition impliziert ein Messkonzept Zeitintervall der Indikatoren noch nicht Prozesses. Die Indikatorenwahl und
gewannen und welche verloren, das mit mehreren Indikatoren, die diesen hinreichend beschreiben. Das BBSR- der betrachtete Raum- und Zeitbezug
ändert sich im Zeitablauf. Nach einer mehrdimensionalen Prozess adäquat Konzept zur Messung von Schrump- wird nachfolgend erläutert.
langen Phase der Suburbanisierung fassen. Aus dieser Definition allein fung und Wachstum folgt dieser
8 Wachsen oder schrumpfen? | BBSR-Messkonzept für Wachstum und Schrumpfung
BBSR-Messkonzept
für Wachstum und Schrumpfung
In der BBSR-Typisierung werden Das Messkonzept geht davon aus, hier gemessen an der Zahl der
sechs Entwicklungsindikatoren zur dass es sich bei Schrumpfung bzw. dem Alter nach erwerbsfähigen
Beschreibung der Abwärts- oder Wachstum um einen, wie oben Bevölkerung,
Aufwärtsspirale für Schrumpfung beschrieben, mehrdimensionalen ¾¾ je stärker der Arbeitsplatzrück-
bzw. Wachstum zusammengefasst. Prozess handelt. Schrumpfung kommt gang,
Schrumpfung ist ein weitverbreite- einer Negativspirale gleich: Die ¾¾ je höher die Zunahme der Arbeits-
tes Phänomen; Wachstum konzent- Bevölkerung nimmt ab, weil immer losigkeit und 15
0
riert sich stärker auf große Zentren mehr Menschen fortziehen – vor allem ¾¾ je negativer die Entwicklung der 2
/
2
und ihr Umland. weil Arbeitsplätze fehlen. Weniger Gewerbe steuereinnahmen sind 1
T
Einwohner und ein mangelhaftes (s. Abb. 3). K
A
Arbeitsplatzangebot bedeuten eine P
M
sinkende Kaufkraft und zurückgehen- Diese einfachen Zusammenhänge O
K
de Steuereinnahmen. Wenn immer werden durch die zwischen den n
e
weniger Geld investiert werden kann, Indikatoren bestehenden Korrelatio- s
y
verstärkt das den negativen Trend. nen weitgehend bestätigt1. Wenn al
n
Das heißt, eine Stadt oder Gemein- wir Schrumpfung auf diese Weise A
-
de ist umso mehr mit dem Problem betrachten, liegt es nahe, allen R
S
Schrumpfung konfrontiert, Indikatoren bei der Festlegung von B
B
schrumpfenden bzw. wachsenden
¾¾ je stärker die Bevölkerungsab- Städten und Gemeinden das gleiche
nahme, Gewicht beizumessen. Schrumpfung
¾¾ je größer die Wanderungsver- gilt als Problem, wenn eine Stadt oder
luste, Gemeinde bei den einzelnen Indika-
¾¾ je stärker der Rückgang des toren jeweils im unteren Quintil liegt,
Erwerbspersonenpotenzials, also zur Klasse der 20 %-Gemeinden
Abbildung 3
Kumulative Kausalkette von Schrumpfung
Schließung von
Geschäften und/oder
Entlassungen
Verlust von Arbeitsplätzen,
Rückgang der Beschäftigung
Indikator:
Beschäftigtenentwicklung
Instandhaltung der lokalen
Infrastruktur,
Versorgungsbetriebe,
Gesundheits- und
Ausbildungseinrichtungen
Abwanderung, Bevölkerungsrückgang etc. wird schwieriger
Indikatoren:
Bevölkerungsentwicklung,
Wanderungssaldo,
Entwicklung Zahl Erwerbsfähige Rückgang des
Wohlstands der
Gemeinde
Abnahme der lokalen Nachfrage Abnahme des Gewerbesteuer-
für Güter und aufkommens
Dienstleistungen Indikator:
Entwicklung der Gewerbesteuer
(1) Eine Reliabilitätsanalyse über die sechs
Indikatoren und über 4 567 Einheitsge- Weniger Arbeitsplätze, Anstieg
meinden und Gemeindeverbände für den Arbeitslosigkeit
Indikator:
Beobachtungszeitraum 2008–2013 ergibt
Entwicklung Arbeitslosenquote
ein Cronbach’s a = 0,748. Die Zusammen-
hänge sind im Zeitverlauf noch deutlicher
geworden: für 2003–2008 a = 0,670 und für Quelle: eigene Darstellung nach Mayer/Knox 2009: 209
1998–2003 a = 0,594.
Wachsen oder schrumpfen? | BBSR-Messkonzept für Wachstum und Schrumpfung 9
am unteren Ende der Rangskala fentlichung des Indikatorenkonzeptes am Vorzeichen klar ablesbar zu sein
gehört. Das heißt, je höher die Anzahl (Gatzweiler/Meyer/Milbert 2003). scheint, so müssen doch zwei Dinge
der Indikatorenwerte im unteren Innerhalb von fünf Jahren wird damit bedacht werden: Erstens hatten
Quintil ist (maximal sechs), umso implizit auf den kurzfristigen bzw. bereits in der Mitte der 2000er-Jahre
größer das Problem (Schrumpfung aktuellen Prozess von Schrump- weniger als 20 % der Kommunen
als kumulatives Problem). So wird bei fung oder Wachstum abgestellt. noch eindeutig eine positive Bevöl-
15 drei bis sechs Indikatoren im unters- Längerfristige bzw. sich strukturell kerungszunahme zu verzeichnen.
0
2 ten Quintil von „starker Schrumpfung“ verfestigende Schrumpfungs- oder Zweitens kann perspektivisch bei
/
2
1 und bei ein bis zwei von „Schrump- Wachstumstendenzen werden durch nationaler Bevölkerungsabnahme
T
K fung“ schlechthin gesprochen. Wiederholungsmessungen erfasst. das oberste Quintil immer seltener
A
P Entsprechendes gilt für den Gegenpol eindeutig über absolute Bevölke-
M
O „Wachstum“. Städte und Gemeinden Eine Folgeanalyse in 2009 (Gatzweiler/ rungszuwächse bestimmt werden. Im
K
n mit gleich vielen Indikatoren im un- Milbert) hat die Nützlichkeit der Ver- Falle der Beschäftigtenentwicklung,
e
s tersten und obersten Quintil werden schiebung des gleichbleibenden Zeit- der Entwicklung der Arbeitslosenquo-
y
al eher der Gruppe der schrumpfenden fensters anstelle einer Ausdehnung te und der Gewerbesteuereinnahmen
n
A Gemeinden zugeordnet, ansons- des Zeitraumes bestätigt: So sind bilden fünf Jahre nicht selten Phasen
-
R ten entscheidet die Mehrheit der Veränderungen oder Klassenwechsel eines Konjunkturhochs oder -tiefs ab.
S
B Indikatoren die jeweilige Zuordnung. von Phasen des Wachstums und der In diesen Phasen kann dann ebenfalls
B
Städte und Gemeinden, die in keinem Schrumpfung einerseits und des Ver- kaum das äußere Quintil über eindeu-
der Indikatoren in das unterste oder harrens in der Schrumpfungsklasse tig positive oder negative Entwicklun-
oberste Quintil fallen, gelten als oder Wachstumsklasse andererseits gen bestimmt werden. Daher werden
„stabil“. Bei Städten und Gemeinden, erfassbar. Für ein solches Vorgehen alle Indikatoren „konjunkturbereinigt“,
die sowohl Indikatoren im untersten spricht auch der oben beschriebene das heißt um den bundesweiten
als auch im obersten Quintil auf- natürliche Wechsel von Wachstums- Trend korrigiert. Wachstum und
weisen, entscheidet die jeweilige und Schrumpfungsphasen, die über Schrumpfung ist dann eine relativ
Indikatorenmehrheit in den ersten die Abfolge von mehreren Zeitfens- günstigere oder negativere Ent-
vier Indikatoren, ob es sich eher um tern besser beobachtet werden wicklung der Städte und Gemeinden
Schrumpfungs- oder Wachstumsten- können. Dies ist methodisch natürlich gegenüber dem Bundestrend.
denzen handelt. auch vor dem Hintergrund zu sehen,
dass nicht für jeden der 4 567 Ge- Stark wachsend sind aktuell (Zeitin-
Die Wahl der Indikatoren liegt meindeverbände (Gebietsstand 2013) tervall 2008–2013) vor allem die Groß-
natürlich auch in der flächendecken- eine gesonderte Zeitreihenbetrach- städte und die Städte und Gemeinden
den Verfügbarkeit von statistischen tung erfolgen kann. in derem engeren Umfeld (s. Karte 2,
Informationen auf der Ebene der S. 11). Wachstumstendenzen weisen
Gemeinden mitbegründet. Bezüg- Bleibt noch zu klären, ob Abnahme darüber hinaus auch Städte und
lich des betrachteten Zeitintervalls oder Zunahme in den einzelnen sechs Gemeinden im weiteren Umfeld der
resultiert der Fünfjahreszeitraum aus Indikatoren besser absolut oder großen Zentren und in Zwischenräu-
der Erstverfügbarkeit der Daten auf relativ zu sehen sind. Obwohl im Falle men auf. Dennoch konzentriert sich
dieser Ebene in 2003, der Erstveröf- von Bevölkerung die Frage intuitiv Wachstum sehr stark auf wenige
10 Wachsen oder schrumpfen? | BBSR-Messkonzept für Wachstum und Schrumpfung
Tabelle 2
Wachstum und Schrumpfung nach Stadt- und Gemeindetyp und im Zeitvergleich
Gemeinden mit einem Bevölkerungsverlust im Zeitraum …
1993–1998 1998–2003 2003–2008 2008–2013
betroffene betroffene betroffene betroffene
Gemeinden Bevölkerung Gemeinden Bevölkerung Gemeinden Bevölkerung Gemeinden Bevölkerung
% % % %
Großstädte 84,2 92,5 50,0 50,1 53,9 35,7 26,3 19,2
5
1
Mittelstädte 34,8 38,5 39,3 41,3 66,3 68,1 54,9 54,4 0
2
größere Kleinstädte 25,4 25,5 34,0 33,4 68,8 67,9 60,8 60,0 2/
1
kleine Kleinstädte 26,7 23,9 37,9 34,3 72,5 70,6 71,8 70,8 T
Landgemeinden 31,2 23,3 47,2 39,5 76,9 74,0 73,1 73,5 K
A
P
stark schrumpfende und schrumpfende Gemeinden M
im Zeitraum … O
K
1993–1998 1998–2003 2003–2008 2008–2013 n
e
Gemeinden Bbeevtörlokfeferunneg Gemeinden Bbeevtörlokfeferunneg Gemeinden Bbeevtörlokfeferunneg Gemeinden Bbeevtörlokfeferunneg lys
a
% % % % n
A
Großstädte 51,3 56,5 52,6 35,7 27,6 22,0 -
R
Mittelstädte keine 48,3 50,6 57,2 58,3 44,6 46,6 BS
größere Kleinstädte hinreichenden 40,6 40,1 49,6 49,2 44,1 43,8 B
kleine Kleinstädte Daten verfügbar 42,4 38,0 47,6 45,9 52,2 49,1
Landgemeinden 49,7 46,3 50,3 51,2 56,2 58,6
Quelle: Laufende Raumbeobachtung des BBSR
Regionen, sowohl in Ost- wie in West- Als schrumpfend oder stark schrump-
deutschland. Stark schrumpfend sind fend gemäß des BBSR-Messkonzep-
sehr viele Städte und Gemeinden in tes gelten „nur“ bis zu rund 50 % der
Ostdeutschland und einige Kommu- Gemeinden. Bei einigen Mittelstädten
nen in Westdeutschland. Schrump- hat der Schrumpfungsprozess aller-
fungstendenzen treffen dagegen dings schon früher eingesetzt als es
auch weite Teile Westdeutschlands. die Bevölkerungsabnahme allein an-
Betroffen sind hier vornehmlich gedeutet hat, was sich an den großen
Kleinstädte und Landgemeinden, Unterschieden in der Tabelle für das
aber auch einige Mittelstädte und Zeitintervall 2003–2008 ablesen lässt.
wenige Großstädte. Wachstums- und
Schrumpfungsgemeinden liegen Die Veränderung des räumlichen
dabei oft in enger Nachbarschaft. Gesamtbildes über die letzten 15 Jah-
re zeigen die Karten 3 a–c (s. S. 12).
In der Tabelle 2 wird der Unterschied Schrumpfung breitet sich auch in
deutlich, wenn Schrumpfung allein Westdeutschland aus, Wachstum
über Bevölkerungsabnahme oder konzentriert sich räumlich immer
über ein mehrdimensionales Indi- stärker, in vielen Gemeinden Ost-
katorenset gemessen wird: Zwei deutschlands hat sich Schrumpfung
Drittel bis drei Viertel aller Städte und verfestigt und nur die Großstädte
Gemeinden in ihrer Funktionsklasse konnten sich hier im Wesentlichen
verlieren seit 2003 an Bevölkerung. als Wachstumspole etablieren.
Description:BBSR-Analysen. KOMPAKT 12/2015 pdf/kwi_schr02.pdf [abgerufen am 14.1.2015]. Franz, Peter goethe.de/mmo/priv/1412699-STANDARD.pdf.