Table Of ContentChristoph Mattes
Carlo Knöpfel H rsg.
Armutsbekämpfung
durch Schulden-
prävention
Empirische Befunde, methodische
Zugänge und Perspektiven
Armutsbekämpfung durch
Schuldenprävention
Christoph Mattes · Carlo Knöpfel
(Hrsg.)
Armutsbekämpfung
durch Schulden
prävention
Empirische Befunde, methodische
Zugänge und Perspektiven
Hrsg.
Christoph Mattes Carlo Knöpfel
Hochschule für Soziale Arbeit Hochschule für Soziale Arbeit
Fachhochschule Nordwestschweiz Fachhochschule Nordwestschweiz
Muttenz, Schweiz Muttenz, Schweiz
ISBN 978-3-658-23933-6 ISBN 978-3-658-23934-3 (eBook)
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23934-3
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Vorwort: Ein Rückblick auf die Fachtagung
„Internationale Fachtagung: Armutsbekämpfung durch Schuldenprävention“ – als
der Titel und die Anfrage aus der Schweiz kamen, war für uns sofort klar, dass wir
eine Tagung in Olten zu diesem Thema gern als Kooperationspartner unterstützen
möchten. Wer ist wir? Mein Verein, die Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerbe-
ratung e. V. (BAG-SB) vertritt und unterstützt seit über 30 Jahren als Fachverband
die deutsche Schuldnerberatung. Wir organisieren Fortbildungen und eigene Fach-
tagungen und geben regelmäßig eine bundesweit anerkannte und flächendeckend
verbreitete Fachzeitschrift zum Thema Schuldnerberatung, die BAG-SB Informa-
tionen, heraus.
Und warum wollten wir so gern Kooperationspartner sein? Weil jedes ein-
zelne Wort des Titels in sich schon Anlass genug gewesen wäre für einen kon-
struktiven und bereichernden Austausch.
Internationale
In Deutschland unterstützen und koordinieren wir als gemeinnütziger Verein die
Schuldnerberatungskräfte und die Themen des Arbeitsfelds. In Österreich koordi-
niert die ASB Schuldnerberatungen GmbH als Dachorganisation die gemeinsa-
men Interessen der staatlich anerkannten Schuldenberatungen. Vor knapp zwei
Jahren wechselte in beiden Verbänden die Geschäftsführung. Einem Kennenler-
nen der beiden „Neuen“ folgte schnell die Erkenntnis, wie viel wir im länderüber-
greifenden Austausch voneinander lernen und wie gut wir einander fachlich un-
terstützen können: die Österreicher standen mitten in den Verhandlungen der In-
solvenzrechtsreform und auch bei uns klopfte der EU-Richtlinienvorschlag mit der
Idee, das Insolvenzverfahren auf 3 Jahre zu kürzen, bereits an die Tür.
Und die Schweiz? So sehr die drei Länder Deutschland, Österreich und
Schweiz durch die deutsche Sprache miteinander verbunden sind, so unterschied-
lich gestaltet sich das Arbeitsfeld und die Fachdiskussion. Vielmehr, so stellten
wir fest, profitiert der 3-Länder-Austausch von den Unterschieden in den wirt-
schaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen dieser drei Länder.
VI Vorwort: Ein Rückblick auf die Fachtagung
Um nur einzelne Unterschiede zu nennen, aus denen wir gegenseitig lernen
können:
In der Schweiz machen Steuer- und Krankenkassenschulden (= Schulden
beim Staat) den Hauptteil privater Verschuldung aus, gleichzeitig bietet die
Schweiz aber keine staatlichen Entschuldungsmöglichkeiten für Privatperso-
nen (z. B. Restschuldbefreiung oder Verbraucherinsolvenzverfahren).
In Österreich werden über die Hälfte der Privatkonkursverfahren vom ASB
als Treuhänderin begleitet, woraus sich einerseits eine völlig neue Finanzie-
rungsstruktur für die Tätigkeit als Dachverband und politische Interessenver-
tretung ergibt, andererseits aber auch völlig geänderte Anforderungen an die
Beratungskräfte.
In keinem der Länder ist die Berufsbezeichnung „Schuldnerberater_in“ ein
geschützter Begriff bzw. ein geschützter Berufsabschluss. In Österreich gibt
es eine Art „Qualitätssiegel“ für alle staatlich anerkannten Beratungsstellen
und in der Schweiz wird Qualität mehr oder wenig unabhängig von der Frage
der Finanzierung der Beratungsstellen diskutiert.
Für mich hat sich in Olten wieder gezeigt: wenn verschiedene Menschen mit dem
gleichen Tätigkeitsschwerpunkt den Blick über den Tellerrand wagen und einen Per-
spektivwechsel zulassen, können alle Seiten nur gewinnen. Was uns in Deutschland
inzwischen so selbstverständlich erscheint – eine Insolvenzordnung, dauerhaftes
Niedrigeinkommen nach Hartz IV, Treuhänder bei reichen Anwaltskanzleien – kann
für andere völlig unbekannt sein. Ich wünsche Ihnen, dass der vorliegende Sammel-
band ebenso als Ideengeber, Fallstrickwarner, Weiterentwickler und Lernmaterial
dient – so wie es die Tagung in Olten für uns war.
Fachtagung
„Sozialarbeiterische Wurzeln, betriebswirtschaftlicher Blick, juristische Frage-
stellungen und verbraucherschützende Aspekte“ diese Charakterisierung habe ich
schon häufig zitiert, wenn ich versucht habe, das Arbeitsfeld Schuldnerberatung
zu beschreiben. Wenn schon die Tätigkeit so komplex und facettenreich ist, wie
soll dann eine gemeinsame Verständigung auf einer Fachtagung oder in einem
Sammelband gelingen? Olten hat mir gezeigt: am besten, indem man Vertreter_in-
nen aller Professionen zu Wort kommen und sie ihren Blick auf das Thema prä-
sentieren lässt. In diesem Fall also den klassischen Sozialarbeiter, die Ökothro-
phologin, den Professor für Sozialpolitik, die Wirtschaftswissenschaftlerin und
viele mehr.
Vorwort: Ein Rückblick auf die Fachtagung VII
Neben dem zugegebenermaßen wichtigen Teil des Netzwerkens und persön-
lichen Kennenlernens wurde so eine hervorragende Möglichkeit geschaffen, Wis-
senschaft und Theorie mit Beratungskräften der Praxis zusammenzubringen.
Armutsbekämpfung
Die Idee, Armut durch sozialarbeiterisches Handeln aktiv zu bekämpfen, halte ich
für mutig und vielleicht auch ein wenig naiv. Nehmen wir uns da nicht zu viel vor?
Doch die Idee, durch unser Handeln einen Teil dazu beizutragen, die negativen
Folgen des wachstumsaffinen Gewinnstrebens unserer Gesellschaft zu dämpfen,
erscheint mir nicht nur richtig, sondern extrem wichtig. Dabei ist Armut nicht al-
lein materielle Armut, sondern ebenso soziale Verarmung. Wer überschuldet ist,
scheut sich vor gesellschaftlichen Anlässen, da diese mit weiteren Ausgaben ver-
bunden sind, für die schlicht kein Geld mehr übrig ist. Wie oft erlebe ich Menschen
in meiner Beratung, die aus Angst vor einem Eintrag bei einer Datenbank wie der
SCHUFA oder einer drohenden Kontopfändung lieber offensichtlich unberech-
tigte Forderungen eines Inkassounternehmens begleichen, als sich gegen die frag-
lichen Forderungsanteile zu wehren und stattdessen das Geld für einen Kaffee mit
ihren Freunden auszugeben. Wir sehen als Schuldnerberatungskräfte täglich, wie
sehr Menschen unter ihrer akuten Überschuldungssituation und der damit einher-
gehenden Armut leiden: immer wieder hören wir von schlaflosen Nächten, Bezie-
hungskonflikten, Angst um Arbeitsplatz und Eigentum, Krankheit, Trennung, Su-
izid(gedanken) und Wohnungslosigkeit. Also ja, wir sollten zumindest versuchen,
Armut durch Schuldenprävention zu bekämpfen!
Schuldenprävention
War ich noch vor wenigen Monaten eine Verfechterin und große Befürworterin
jeglicher Form von Schuldenprävention, habe ich mir nach der Tagung in Olten
oft die Frage gestellt, ob wir uns eigentlich über die Begriffsdefinition und die
Zielrichtung einig sind, wenn wir von Schuldenprävention sprechen.
Es liegt nur nahe, dass wir Schuldnerberatungskräfte, die die Folgen der
Überschuldung im Beratungsalltag sehen, an den Überschuldungsursachen arbei-
ten wollen. Dementsprechend engagieren sich viele Schuldnerberatungsstellen
und Schuldnerberatungskräfte seit Jahren nicht nur in der Beratung überschuldeter
Personen, sondern auch in der Verbesserung des Verbraucherschutzes und der fi-
nanziellen Bildung. Viele Projekte wurden seither umgesetzt, insbesondere im Be-
reich der Kinder- und Jugendbildung. Was sonst selten gelingt, nämlich auch pri-
vate Investoren für eine Projektförderung zu gewinnen, ist bei diesen Projekten
VIII Vorwort: Ein Rückblick auf die Fachtagung
fast schon Standard. Ob Banken, Stiftungen oder Privatpersonen, sie alle wollen
„das Unheil verhindern, bevor es eintrifft“. Dabei sind wir uns alle einig: wer vor-
sichtig kalkuliert, risikoarm investiert und „Puffer“ einbaut, hat ein deutlich gerin-
geres Risiko, bei einem Arbeitsplatzverlust oder Krankheit in der Überschuldung
zu landen. Und wer kluges Haushalten frühzeitig lernt, hat umso größere Chancen,
gar nicht erst „in die Schuldenfalle“ zu treten. Es war toll zu sehen, über welche
innovativen Kanäle (Push-Nachrichten aufs Handy) die Schuldnerberatung in den
Präventionsprojekten die meist jungen Teilnehmer_innen erreicht und ganz ne-
benbei die Hürden zu unserem oft Angst- und Scham-besetzten Tätigkeitsbereich
abbauen kann.
Nichtsdestotrotz hat mir der Austausch mit den Kolleg_innen in der Präven-
tionsarbeit eines mehr als deutlich gemacht: Wenn das Einkommen aus unerwar-
teten Gründen (Insolvenz des Arbeitgebers, Tod des/der Partners/in, plötzliche
Krankheit etc.) vollständig wegbricht, hilft auch die vorsichtigste Planung nichts.
Ein 2017 veröffentlichtes Forschungsprojekt1 des Deutschen Institut für So-
zialwirtschaft e. V. (DISW) stellt fest: „überschuldete Personen verfügen grund-
sätzlich über keine geringere Finanzkompetenz als der Durchschnitt. […] Die [aus
der Überschuldung] resultierende Erschöpfung und Blockade, Überlastungsstarre
genannt, führt dazu, dass die Betroffenen nicht mehr in der Lage sind, ihre Finanz-
kompetenz rational abzurufen und einzusetzen.“ Bedeutet das, wir leisten unsere
Präventionsarbeit an der falschen Stelle?
In demselben Forschungsprojekt schreibt das Forscherteam: „Grundsätzlich
zu unterscheiden ist […] zwischen
Verhaltensprävention (primär, sekundär, tertiär), welche sich an die indivi-
duellen Verhaltensweisen von Personen, deren Wissen, Können, Haltung,
Kompetenzen, Routinen, Perspektiven der Alltagsbewältigung und Krisenin-
tervention richtet und
Verhältnisprävention, welche auf die strukturellen Rahmenbedingungen der
Menschen abzielt.
Durch verhaltenspräventive Maßnahmen […] können die Auslöser einer Über-
schuldung nicht verhindert, allerdings die Auswirkungen abgefedert werden.
Maßnahmen der Verbraucherinformation sind deshalb immer um Maßnahmen des
Verbraucherschutzes zu ergänzen, um präventiv Wirkung zu zeigen.“
Ich habe das für mich so übersetzt, dass wir uns nicht mit rein verhaltensprä-
ventiven Projekten zufriedengeben sollten, wenn wir erfolgreich Schuldenpräven-
tion betreiben wollen. Wir müssen uns bei Wirtschaft und Politik einmischen,
müssen unsere Erfahrungen und Kenntnisse preisgeben und versuchen, auch die
1 Vgl. www.bag-sb.de/herausforderungen
Vorwort: Ein Rückblick auf die Fachtagung IX
Verhältnisse zu verändern. Es hat mich sehr gefreut zu hören, dass in Olten und in
diesem Tagungsband keine einseitige Darstellung von Prävention aufgezeigt wird,
sondern vielmehr die Schuldnerberatung und Schuldenprävention als elementare
Aufgabe Sozialer Arbeit reflektiert wird. Ich habe für mich mitgenommen, dass
Armutsbekämpfung durch Schuldenprävention gelingen kann, wenn neben der
Vermittlung von Finanzkompetenz der Mensch, die Haltung, die soziale Kompo-
nente im Fokus der Beratung stehen. Es ist unsere Aufgabe und unsere Chance,
den Menschen, die zu uns in die Beratung kommen, eine Perspektive aufzuzeigen,
ihr Selbstbewusstsein und Urteilsvermögen zu stärken, sie zum Erwerb von Kom-
petenzen zu ermuntern, die sie selbst vergessen glauben. Prävention ist gut und
wichtig, kompetente Hilfe in einer akuten Notsituation ebenso – und die leistet die
Schuldnerberatung Tag ein, Tag aus.
Ich wünsche Ihnen allen viel Spaß bei der Lektüre des vorliegenden Sammel-
bands und uns allen viel Erfolg auf unserem Weg, durch fachlich qualifizierte
Schuldnerberatung Armut aktiv zu bekämpfen!
Berlin, im September 2018
Ines Moers
Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung
Die Verschuldungstagung in Olten – Hintergründe,
Dank und Ausblick
Die Hochschule für Soziale Arbeit der FHNW führt alle zwei Jahre eine Fachta-
gung zur Schuldenberatung durch. Ziel der Tagungsreihe ist es, den Dialog zwi-
schen den unterschiedlichen Akteuren im Themenfeld Armut und Verschuldung
zu fördern. Es geht um einen interdisziplinären Austausch, der über Professions-,
Sprach- und Staatsgrenzen hinaus die Suche nach Lösungen bei Verschuldungs-
problemen privater Haushalte fördern, zugleich aber auch sozialpolitische Diskus-
sionen zu Ungleichheit, Armut und Verschuldung anregen möchte.
Die vorausgegangenen Tagungen, die Diskussionen mit in der Schuldenbe-
ratung und Schuldenprävention tätigen Organisationen und Hilfswerken, Ergeb-
nisse von Forschungsprojekten unserer Hochschule und nicht zuletzt der Aus-
tausch mit Beratungs- und Präventionsfachkräften aus der Praxis verdeutlichten
uns, wie eng Verschuldung und Armut miteinander verbunden sind. Entsprechend
war es an der Zeit, unter dem Tagungstitel «Armutsbekämpfung durch Schulden-
prävention» nach Olten einzuladen.
Die fünfte Fachtagung, zu der dieser Sammelband erscheint, war die erste,
die neben dem Ziel «Interdisziplinarität» auch dem Anspruch eines internationalen
Austauschs gerecht wurde. So konnten wir insgesamt 210 Fachpersonen aus
Deutschland, Österreich und der Schweiz in Olten begrüssen. Neben 12 theorie-
geleiteten Plenumsreferaten wurden in 15 Workshops praxisrelevante Fragen wäh-
rend zweier Tagen diskutiert. Im Rahmen einer Posterpräsentation und einem
Markt der Möglichkeiten stellten 30 Präventionsfachstellen und Fachorganisatio-
nen aus den drei beteiligten Ländern ihre Arbeit vor.
Diese Tagung war nur durch Unterstützung vieler Stellen, Organisationen
und Personen möglich, die das Projekt finanziell, ideell oder auch tatkräftig unter-
stützten. Entsprechend möchten wir uns an dieser Stelle bei allen ganz herzlich
bedanken. Unser Dank gilt besonders dem Bundesamt für Sozialversicherungen
(BSV), das im Rahmen des «Nationalen Programms zur Prävention und Bekämp-
fung von Armut» durch einen finanziellen «Zustupf» die Tagung ermöglichte.
Ebenso danken wir dem Schweizer Nationalfonds (SNF) für seine finanzielle Un-
terstützung bei den Reise- und Aufenthaltsspesen der mitwirkenden Personen aus
dem Ausland. Unser Dank gilt zudem den Workshopleitenden, den Mitwirkenden