Table Of ContentISBN 978-3-7091-2355-3 ISBN 978-3-7091-2373-7 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-7091-2373-7
Die ,,Arbeiten aus dem Neurologischen Institut"
erscheinen in zwanglosen, einzeln berechneten Heften, die zu Bänden im
Gesamtumfang von etwa 25 Bogen vereinigt werden.
Manuskriptsendungen sind zu richten an die
Sohrütleitung der "Arbeiten aus dem Neurologisoben Institut",
z. H. Prof. Dr. Otto Marburg, Wien IX, Schwarzspanierstraße 17.
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Die Herren Mitarbeiter werden jedoch in ihrem eigenen Interesse ersucht,
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Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH
30.Band Inhaltsverzeichnis 3./4. Heft
Seite
Marburg Otto, Pathologische Untersuchungen über die Einwirkung der
Röntgenstrahlen auf Hirntumoren, zugleich ein Beitrag zur Histologie
des Glioms. (Mit 9 Textabbildungen) ......•..................... 171
Alex•nder Leo, Zur Frage der Farbtonunterschiede zwischen zentralem
un'd peripherem Abschnitt eintretender Nervenwurzeln bei der
Weigertsehen Markscheidenfärbung. (Mit 6 Textabbildungen) ........ 185
Brzezlckl Engen, Der Parkinsonismus symptomaticus. 3. Mitteilung: Zur
Frage des Parkinsonismus postapoplecticus. (Mit 9 Textabbildungen) 198
Teschler Laszlo, Zur Frage der chronisch progressiven spinalen Amyo
trophien (sogenannter Poliomyelitis chronica). (Mit 7 Textabbildungen) 229
Kuttner Hans Peter, Senile Myelopathien auf vaskulärer Basis. (Mit
9 Textabbildungen) .......•.•.............•.................... 247
Hashlguchl Masakl, Zur Frage der Sensibilität im Rückenmark. (Ex-
perimentelle Studie) ...........•..............•................ 271
Uehlda. Kensuke, Zur Frage der Tabes mit Epilepsie und Hemiplegie . 276
lshlkawa Eisuke, Zur Pathologie des Conus terminalis. (Mit 9 Text-
abbildungen) .....•....................•....................... 287
Uehlda Kensuke, Lokalisierte spinale Prozesse unter dem Bilde der
kombinierten Systemerkrankung. (Mit 7 Textabbildungen) • . . • . . . . . . 312
Iahtkawa Elsuke, Zur Frage der spinalen Lokalisation der N. pelvicus
und der Nerven des Uterus. (Mit 1 Textabbildung) .•.............. 327
Hashlmoto Shozo, Ein Fall von Pseudotumor cerebri. (Mit 3 Textab-
bildungen) •......•.......•.••••••••.•.•••.•.•••••••••••.••.•.. 334
Takano Kelsaku, Zur Frage der pathologischen Veränderungen der Hirn
rinde rekurrens- und malariabehandelter Paralytiker. (Mit 7 Text-
abbildungen) ....•..•...•.............•...............•.....••. 340
Inaba Chlkazo, 'Ober die Wirkung der subarachnoidealen Injektion
Lipoid-gelöster Pharmaka auf das zentrale Nervensystem. (Mit
2 Textabbildungen) ••• , ••.••••• , .. , , , .•.•. , •.•••• , , •........... 356
Inaba Chlk~o, Zur Frage der amaurotischen Idiotie. (Mit 2 Text-
abbildungen) ••••••.• , •••..•••••.. , , , •.. , •. , • . • . . • . . . . . . . . . . . . . 360
Takagl lkutaro, 'Ober die Folgen der Unterbindung der Arteria spinalis
ventralis ..............•....................................... 367
Pathologische Untersuchungen über die Einwirkung
der Röntgenstrahlen auf Hirntumoren, zugleich ein
Beitrag zur Histologie des Glioms
Von
Prof. Dr. Otto Marburg, Wien
Mit 9 Textabbildungen
Trotz vieler Mitteilungen über Heilungen und Besserungen von Hirn
tumoren durch Röntgenstrahlen ist man sich bis heute über das Tatsäch
liche solcher Vorgänge nicht im klaren. Seit vielen Jahren behaupte ich,
daß bei den sogenannten Heilungsvorgängen es sich in erster Linie um
Einfluß der Röntgenstrahlen auf jene Mechanismen handelt, welche den
Hirndruck bedingen, und daß wir durch die Röntgentherapie im wesent
lichen nur den Hirndruck beeinflussen. Es soll keineswegs geleugnet
werden, daß nicht auch Tumoren selbst beeinflußt werden können. Aber
es liegen - wenn man von den experimentellen Untersuchungen
absieht - keine absolut sicheren Beweise vor, daß tatsächlich ein großer
Hirntumor durch die Röntgenbehandlung vernichtet wurde. Es ist ein
ganz anderes, wenn ein Tumornest nach Exstirpation des größten Teiles
des Tumors unter dem Einfluß von Röntgenstrahlen sich zurückbildet;
doch weiß man hier nicht, ob nicht die durch die Operation herbeigeführte
Gefäßschädigung eher Ursache der Rückbildung war als die Röntgen
strahlen.
Von den Tumoren des Gehirns, die der Röntgentherapie besondem
zugänglich sein sollen, wird immer wieder das Gliom genannt, hauptsäch
lich deshalb, weil es sich um ein kernreiches, sich reichlich vermehrendes
Gewebe handelt und weil sich hier meist singuläre Tumoren finden.
Ich will nun zunächst im folgenden drei solche bestrahlte Gliome
beschreiben, die durch die Obduktion gewonnen wurden. Die klinische
Diagnose war in allen drei Fällen - soweit die Lokalisation in Frage
kommt - von mir richtig gestellt worden.
Ich will die Krankengeschichten hier nicht in extenso wiedergeben,
sondern mich lediglich auf den anatomischen Befund beschränken, da ich
über die Fälle in anderem Zusammenhang berichten werde.
Die Bestrahlung wurde in allen Fällen im Sinne der in Wien üblichen
Methoden vorgenommen, d. h. es wurde immer von mehreren Feldern
Arb. a. d. Neurol. Inst. Bd. XXX. 3/4 13
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aus, mindestens aber sechs bis acht, in ganz kurzen Intervallen der Tumor
bestrahlt, gewöhnlich mit drei Viertel der maximalen Hauteinheitsdosis.
Im I. Falle handelte es sich um ein Zystengliom des Kleinhirns.
Hier ist nur eine einmalige Bestrahlungsserie vorgenommen worden.
Betrachtet man den Tumor an einer typischen Stelle, so setzt er sich aus
protoplasmatischen Gliazellen zusammen, die durch ein dichtes Netzwerk
von Fasern miteinander in Verbindung stehen. Der Protoplasmahof ist
nicht sonderlich groß, aber in der Mehrzahl der Fälle deutlich erkennbar.
Nur einzelne Zellen zeigen einen etwas größeren PlasmahoL Sehr inter
essant ist, daß man in diesen Fällen scheinbar die Fibrillogenese verfolgen
kann. Man sieht einzelne Zellen sehr groß werden und im innersten durch
setzt von feinsten azidophilen Granulis. Die Zellkonturen lösen sich ge
legentlich auf und man sieht dann diese Granuli frei werden. Einzelne dieser
Zellen behalten die Form der plasmatischen Gliazellen bei, andere aber
runden sich ab und zeigen dann den Charakter der Körnchenzellen,
wobei aber auch das ganze Lumen mit azidophilen Granulis erfüllt ist.
Deshalb ist es fraglich, ob wir hier tatsächlich nur fibrillogenetische Zellen
vor uns haben, oder aber auch Abbauzellen. An anderer Stelle sieht
man wieder ein dichtes Gliafasernetz gleichsam wirbelbildend, die Zellen
protoplasmaarm und ihr Kern keineswegs so schön entwickelt wie in
anderen Gebieten. Es macht fast den Eindruck, als wenn es sich um nackte
Kerne handeln würde, doch kann man ein winziges Protoplasmahäutchen
auch hier wahrnehmen. Diese dichtere Glia liegt zumeist am Rande
kleiner Hohlräume, die mit einer homogenen glasigen Masse erfüllt sind.
Man kann in diesen Hohlräumen bereits eine deutliche Wandbildung
erkennen und sieht dann, daß die Gliawirbel eigentlich nur reaktiv um
diese Hohlräume entstehen. Man kann gelegentlich erkennen, wie um
ein Gefäß herum die Zellen mehr endothelialen Charakter annehmen.
In der Nähe der großen Zyste sieht man auch homogene, glasige, dich
tere Massen die Zystenräume erfüllen, in denen einige wellenförmige
Fasern aufscheinen. In den Gefäßen ist nichts, was nicht auch sonst
in Gliomen vorkommt. Sie sind dünnwandig, mitunter von Gliazellen
oder Zellen mehr endothelialen Charakters eingesäumt, meist aber frei.
Es handelt sich also hier um ein typisches Gliom mit Zystenbildung
und man kann nicht sagen, daß es sich in irgend einer Weise von einem
der Gliome der gleichen Art unterscheidet. Auch die Wandbildung der
Zysten ist die, wie ich sie im Jahre 1906 bereits genauer beschrieben habe,
ganz im Sinne der von BucHHOLZ gemachten Angaben. Mit Ausnahme
einer Reihe von Zellen, die azidophile Körnchen enthalten und schließ
lich zugrundegehen, wobei zwei Formen vorhanden sind, solche vom
Typus der Körnchenzellen und solche, die noch den Charakter der proto
plasmatischen Gliazellen erkennen lassen, kann man nichts finden, was
auf eine Röntgenwirkung schließen ließe.
Untersuchungen über die Einwirkung der Röntgenstrahlen auf Hirntumoren 173
Der II. Fall wurde allerdings nicht in Wien, aber nach Wiener
Methode bestrahlt, und zwar in mehreren Serien, in Intervallen von
sechs Wochen. Hier handelte es sich um ein Gliom des Temporallappens.
Der Tumor zeigte zunächst, wiederum an jenen Stellen betrachtet, die
das charakteristische Bild zeigen, eine etwas andere Form als im I. Fall.
Er ist zellreicher. Aber auch diese Zellen gehören im Grunde genommen
den plasmatischen Gliazellen an. Ihre Kerne zeigen nichts von Degenera
tion an jener Stelle, wo der Tumor am besten zum Ausdruck kommt .
.Abb. 1. Plasmatische Gliazellen im Tumor
Es zeigt sich mitotische und amitotische Kernteilung. Hier tritt aber
schon etwas Besonderes hervor. Bereits in jenem Teile, wo der Tumor
ungemein zellreich ist, sieht man einzelne Zellen mit einem beträchtlich
großen Plasmahof. Und gegen die Peripherie des Tumors nehmen diese
Zellen in unglaublicher Weise zu, so daß sie stellenweise das ganze Gebiet
beherrschen (Abb. 1). Sie sind ein- oder auch mehrkernig und nähern
':>ich am ehesten jener Form, die man als gemästete Gliazellen kennt.
Einzelne von ihnen gehen wohl zugrunde, die Mehrzahl aber scheint
sich fibrillogenetisch zu betätigen. Denn man kann sehen, daß sich im
Gebiete solcher Zellen die kleinen Tumorzellen zurückziehen und an ihrer
Stelle ein dichtes Glianetz ohne Kern besteht, nur von einem Mantel
von großen plasmatischen Zellen umgeben. Das sieht man an den ver-
13*
174 0. MARBURG:
.Abb. 2. Beginnende Nekrose im Tumor
.Abb. 3. Endothelähnliche Zellen an den Gefäßen
Untersuchungen über die Einwirkung der Röntgenstrahlen auf Hirntumoren 17 5
schiedensten Stellen des Tumors. Überall dort, wo sich also der Tumor
charakter verliert, tritt an seine Stelle ein einfaches Glianetz mit zahl
reichen gemästeten Zellen in seiner Umgebung. Die Glianetze sind im
allgemeinen nicht dicht und lassen Auflösungen erkennen, so daß auch
hier die Neigung zur Bildung nekrotischer Inseln besteht (Abb. 2).
Und noch ein Zweites zeigt sich in diesem FsJle. An einzelnen
Abb. 4. Gefäßreichtum des Tumors
Stellen sind die kleinen Gefäße umscheidet von eigentümlichen, mehr
endothelähnlichen Zellen (Abb. 3), die Gruppen und Häufchen bilden
und gleichfalls auch Zeichen eines Unterganges erkennen lassen. Sie
sind im Hämalaun-Eosinpräparat dunkler gefärbt als die umgebende
Glia und treten als Knäuel und Knötchen deutlich hervor. Ihre Be
ziehung zu Gefäßen ist ziemlich einwandfrei. Dann gibt es aber auch
Gefäße, die in solche Inseln einbrechen und die hier von länglichen
Zellen, spindelartigen mit einem länglichen Kern eingescheidet sind.
176 Ü. MARBURG:
Der Tumor ist überaus gefäßreich (Abb. 4), die Gefäße hyperämisch
mit Neigung zu Blutungen. In einem Präparat, das nach MALLORY zur
Darstellung des Bindegewebes gefärbt wurde, zeigt sich in interessanter
Weise, daß die Zellen, die an den Gefäßen eben beschrieben wurden,
ganz identisch gefärbt sind wie die Gliazellen, daß aber entsprechend
den vielen kleinen Gefäßen Bindegewebszüge zwischen diese Zellen ein
brechen. Die Zelle selbst zeigt nichts von bindegewebigem Typus.
In diesem zweiten Falle zeigt sich also insoferne eine Eigentümlich
keit, als hier offenbar nach Zugrundegehen entsprechender Tumorzellen
sich reaktiv plasmatische Gliazellen etwa in der Form finden, wie wir
sie bei Malazien des Gehirns zu sehen pflegen. Man sieht außerdem
Inseln von Gliafasern mit zentralen Nekrosen und Sklerosen, die jeder
Zelle entbehren und die rings umgeben bind von großen plasmatischen
Gliazellen.
Der III. Fall betrifft ein Gliom des Stirnhirns. Der Fall hat min
destens sechs Jahre gedauert, wahrscheinlich aber länger. Drei Jahre
nach Beginn der Erscheinungen wurde mit der Bestrahlung begonnen.
Ich habe mich deshalb nicht gleich zu einem operativen Eingriff in
diesem Fall entschieden, da es sich um einen linke.seitigen Frontallappen
tumor handelte, der ganz in der Nähe des Sprachzentrums sich ent
wickelte und ich fürchtete, daß bei dem operativen Eingriff schwerste
Folgeerscheinungen auftreten würden. Schließlich mußte ich jedoch
nach einigen Bestrahlungsserien die Einwilligung zur Operation geben
und man konnte damals schon konstatieren, daß es sich um einen nicht
operablen diffusen Tumor des Stirnhirns links handelte, und zwar ein
Gliom. Die gefürchtete Lähmung trat auch infolge einer Blutung während
der Operation ein, besserte sich aber auffällig unter Röntgenbehandlung,
die nun immer in entsprechenden Intervallen durch die nächsten drei
Jahre systematisch durchgeführt wurde. Es kam zu einem plötzlichen
Exitus unter den Erscheinungen schweren Hirnödems.
Wie in den beiden ersten Fällen, handelt es sich auch hier in aller
erster Linie um einen Tumor aus protoplasmatischen Gliazellen (Abb. 5).
Hier kann man alle Formen derselben wahrnehmen, und zwar Zellen,
die kaum einen protoplasmatischen Hof erkennen lassen, bis zu proto
plasmareichen Zellen. Es ist nun nicht ohne Interesse, daß auch in diesem
Fall, genau wie in dem eben geschilderten, eine ganze Reihe gemästeter
Gliazellen zu sehen sind (Abb. 6). Man muß aber diese gemästeten Glia
zellen in zwei Gruppen teilen. Die einen sind typisch degenerierende
Zellen. Man sieht Lücken und Vakuolen in ihnen, während die anderen
ganz den Charakter jener Zellen haben, die zur Fibrillogenese in Be
ziehung gebracht wurden. Auch dieser Tumor ist ein Zystengliom
(Abb. 7) und zeigt auf der einen Seite ein uneingeschränktes Wachstum,
Untersuchungen über die Einwirkung der Röntgenstrahlen auf Hirntumoren 177
Abb. 5. Protoplasmatische Gliazellen des Tumors
Abb. 6. Gemästete Gliazellen mit Fibrillogenese und Degeneration