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Anarchistisches Wochenblatt
NR. 049 München, den 20. Januar 2020 KW 4
GENDER NIHILISMUS: GEGEN RECHT(S) UND GESETZ!!!
In Sauerlach bei München gibt es seit
EIN ANTI-MANIFEST nun beinahe zwei Jahren eine Nazi-
WG. In der Schützenstraße 34a woh‐
nen und leben mehrere engagierte
Faschist*innen unter einem Dach zu‐
sammen. Kürzlich konnte mensch bei
EINFÜHRUNG tische Symbole, die historisch bedingt sind. Sie entwi‐
Indymedia lesen, dass das einigen
ckeln und verändern sich mit der Zeit, aber ihre Aus‐
Wir befinden uns in einer Sackgasse. Die aktuelle Poli‐ Menschen, offenbar ein Dorn im Auge
wirkungen wurden schon immer durch Macht
tik der Trans-Befreiung hat sich auf ein erlösendes Ver‐ war und sie deshalb in der Nachbar‐
bestimmt.
ständnis von Identität gestürzt. Ob durch die Diagnose schaft dieser autoritären Geister mit
eines:einer Ärzt:in [1] oder Psycholog:in oder durch ei‐ Wer wir sind, der eigentliche Kern unseres Wesens Plakaten und Flyern auf diesen rech‐
ne persönliche Selbstbestätigung in Form einer sozia‐ liegt vielleicht gar nicht in den kategorischen Gefilden ten Rückzugsort aufmerksam mach‐
len Äußerung sind wir zu der Überzeugung gelangt, des Seins. Das Selbst ist eine Annäherung von Macht ten und darauf zu „Konsequenzen“
dass es eine innere Wahrheit von Geschlecht gibt, die und Diskursen. Jedes Wort, dass du nutzt, um dich aufforderten.
wir aufspüren müssen.
selbst zu definieren, jede Kategorie der Identität, in
In dem bei Indymedia dokumentier‐
der du dich selbst verortest, ist das Ergebnis einer his‐
Eine endlose Folge positiver politischer Projekte haben ten Text des Flyers werden vor allem
torischen Entwicklung von Macht. Weder Gender,
den Weg abgesteckt, den wir derzeit eingeschlagen zwei Personen dieser Nazi-WG na‐
Race, Sexualität noch irgendeine andere normative
haben, eine unendliche Folge von Pronomen, Pride- mentlich genannt und eine Kritik an
Kategorie verweist auf eine Wahrheit über den Körper
Flaggen und Bezeichnungen. Die derzeitige Trans-Be‐ dieser folglich auch anhand dieser
oder den Geist des Subjekts. Diese Kategorien kon‐
wegung hat versucht, die Geschlechterkategorien zu beiden Personalien entwickelt: Chris‐
struieren das Subjekt und das Selbst. Es gibt kein sta‐
erweitern, in der Hoffnung, dass wir den Schaden, den toph Zloch alias „Chris Ares“ und Ri‐
tisches Selbst, kein konsistentes „Ich“, kein die Zeiten
sie anrichten, verringern können. Das ist naiv. chard Günther „Rick“ Wegner. Über
überdauerndes Subjekt. Wir können nur mit der gege‐
beide Personen gibt es viel zu sagen:
Judith Butler bezeichnet Gender als „den Apparat benen Sprache auf ein Selbst verweisen und diese
Beide sind Teil rassistischer, nationa‐
durch den die Erzeugung und Normalisierung von Mas‐ Sprache hat sich in der Geschichte radikal verändert
listischer und zum Teil auch offen fa‐
kulinum und Femininum stattfindet, gemeinsam mit und verändert sich auch weiter in unserem tagtägli‐
schistischer Gruppierungen gewesen
den interstitiellen Formen des Hormonellen, Chromo‐ chen Leben.
oder sind es bis heute, die vor allem
somalen, Psychischen und Performativen, von denen
Wir sind nichts als die Annäherung von vielen ver‐ durch bürger*innenwehrartiges Auf‐
Gender ausgeht.“ Wenn die derzeitige liberale Politik
schiedenen Diskursen und Sprachen, die gänzlich au‐ treten aufgefallen sind. Beide waren
unserer trans Genoss:innen und -Geschwister ver‐
ßerhalb unseres Einflusses liegen und dennoch in der Vergangenheit auch an körper‐
sucht, die sozialen Dimensionen, die von diesem Ap‐
empfinden wir das Gefühl von Handlungsfähigkeit. Wir lichen Auseinandersetzungen mit An‐
parat erzeugt werden, zu erweitern, ist unsere Arbeit
steuern diese Diskurse, untergraben sie gelegentlich tifaschist*innen beteiligt – wobei es
das Verlangen, sie auf ihre Grundfesten niederbrennen
und überleben sie stets. Die Fähigkeit zu steuern weist auch da immer zwei Seiten gibt und
zu sehen.
nicht auf ein metaphysisches Selbst, das aufgrund ei‐ ich befürworte es durchaus, Nazis zu
Wir sind Radikale, die genug von den Versuchen ha‐ nes Gefühls von Handlungsfähigkeit handelt, hin, son‐ verkloppen, dann muss ich ihnen zu‐
ben, Gender zu retten. Wir glauben nicht, dass wir es dern lediglich darauf, dass es eine symbolische und mindest zugestehen, dass sie das
für uns nutzen können. Wir betrachten die Transmiso‐ diskursive Lockerheit gibt, die unsere Konstitution um‐ umgekehrt auch für richtig halten –
gynie, die wir in unseren eigenen Leben erfahren ha‐ gibt. und beide vertraten in der Öffentlich‐
ben, die vergeschlechtlichte Gewalt, die sowohl unsere keit ihre faschistischen Ideologien.
Wir verstehen Gender folglich innerhalb dieser Bedin‐
trans, als auch cis Genoss:innen erfahren haben und
gungen. Wir begreifen Gender als eine spezifische Der verteilte Flyer erzählt von den
wir begreifen, dass der Apparat selbst diese Gewalt
Konstellatiuon von Diskursen, die durch Medizin, meisten dieser Begebenheiten. Da‐
zwangsläufig mit sich bringt. Wir haben genug davon.
Psychiatrie, den Sozialwissenschaften, Religion und neben sind jedoch auch ganz andere
Wir wollen kein besseres System schaffen, da wir kein Passagen zu lesen. Chris Ares, so
Fortetzung auf Seite 2
Interesse an positiver Politik haben. Alles was wir ge‐
Fortsetzung auf Seite 3
genwärtig fordern ist ein schonungsloser Angriff auf
Gender und dessen soziale Bedeutungsweisen und
Verständnis.
GRAFFITO DER WOCHE
Diesem Gender Nihilismus liegen einige Prinzipien zu‐
grunde, die im folgenden detailliert untersucht wer‐
den: Antihumanismus als Fundament und Eckpfeiler,
die Abschaffung von Gender als Verlangen und radika‐
le Negativität als Methode.
ANTIHUMANISMUS
Antihumanismus ist die Grundlage, die eine Gender-ni‐
hilistische Analyse verbindet. Es ist der Punkt, von
dem wir beginnen, unsere derzeitige Situation zu be‐
greifen, er ist essentiell. Mit Antihumanismus meinen
wir eine Zurückweisung des Essentialismus. Es gibt
keinen wesenhaften Menschen. Es gibt keine menschli‐
che Natur. Es gibt kein transzendentes Selbst. Subjekt
zu sein bedeutet nicht, einen allgemeinen metaphysi‐
schen Zustand des Seins (Ontologie) mit anderen Sub‐
jekten zu teilen.
Das Selbst, das Subjekt ist ein Produkt von Macht. Das
„Ich“ in „Ich bin ein Mann“ oder „Ich bin eine Frau“ ist
kein „Ich“, das über diese Aussagen hinausgeht. Diese
Aussagen enthüllen keine Wahrheit über das „Ich“, sie
konstituieren dieses „Ich“ vielmehr. Männer und Frau‐
en existieren nicht als Bezeichnungen für bestimmte
methaphysische oder essentialistische Kategorien des
Seins, sie sind vielmehr diskursive, soziale und linguis‐
1
Fortsetzung von Seite 1 "Gender Nihilismus" DIE ABSCHAFFUNG VON GENDER struktion ist, können wir begreifen,
dass die Schaffung dieser neuen
durch unseren täglichen Umgang mit Anderen verkör‐ Wenn wir akzeptieren, dass Gender nicht in uns selbst
Identitäten nicht die plötzliche Entde‐
pert werden. Wir sehen Gender nicht als Bestandteil als transzendente Wahrheit gefunden werden kann,
ckung von zuvor unbekannter geleb‐
unseres „wahren Selbst“, sondern als gesamte(s) Be‐ sondern vielmehr außerhalb von uns in den Gefilden
ter Erfahrung ist, sondern vielmehr
deutungsordnung und Verständnis, in der/dem wir uns des Diskurses zu finden ist, wonach streben wir dann?
die Schaffung neuer Begriffe mit de‐
wiederfinden. Wir betrachten Gender nicht als eine Sa‐ Zu sagen, dass Gender diskursiv ist, bedeutet, dass
nen wir konstituiert werden können.
che, die ein beständiges Selbst besitzen könnte. Wir Gender nicht als metaphysische Wahrheit innerhalb
Alles was wir tun, wenn wir die Gen‐
behaupten im Gegenteil, dass Gender gemacht wird des Subjekts existiert, sondern als vermittelndes In‐
derkategorien erweitern ist die
und an dem teilgehabt wird und dass dieses Tun ein strument sozialer Interaktion auftritt. Gender ist ein
Schaffung neuer, ausgefeilterer Ka‐
kreativer Akt ist, durch den das Selbst geschaffen wird Rahmen, eine Teilmenge von Sprache und eine Mege
näle, durch die die Macht wirken
und ihm sozialer Ausdruck und Bedeutung verliehen von Symbolen und Zeichen, die zwischen und kommu‐
kann. Wir befreien uns nicht selbst,
wird. nizieren, uns konstruieren und von uns beständig re‐
wir umgarnen uns mit unzähligen und
produziert werden.
Unsere Radikalität kann hier nicht enden. Wir behaup‐ noch ausgefeilteren und machtvolle‐
ten weiter, dass der historische Beweis erbracht wer‐ Demzufolge funktioniert der Apparat von Gender zy‐ ren Normen. Jede bildet ein neues
den kann, dass Gender auf diese Art und Weise klisch: Ebenso wie wir durch ihn konstituiert werden, Glied in der Kette.
funktioniert. Die Arbeit vieler dekolonialer Feminist:in‐ wird er durch unsere täglichen Handlungen, Rituale,
Diese Terminologie zu gebrauchen ist
nen war richtungsweisen darin zu zeigen, wie westli‐ Normen und Performances reproduziert. Es ist diese
nicht übertrieben, die Gewalt von
che Genderkategorien indigenen Gesellschaften Erkenntnis, die die Manifestation einer Bewegung ge‐
Gender kann nicht überschätzt wer‐
gewaltsam auferlegt wurden und wie das eine voll‐ gen diesen Kreislauf möglich macht. Eine solche Be‐
den. Jede ermordete trans Frau, jedes
ständige linguistische und diskursive Veränderung be‐ wegung muss die zutiefst durchdringende und um sich
zwangsoperierte intersexuelle Kind,
wirkt hat. Der Kolinialismus schuf neue greifende Natur dieses Apparates verstehen. Die Nor‐
jedes niedergeschlagene queere Kind
Genderkategorien und mit ihnen neue gewaltsame mierung naturalisiert, vereinnahmt und subsumiert Wi‐
ist ein Opfer von Gender. Die Abwei‐
Möglichkeiten ein bestimmtes Set vergeschlechtlichter derstand auf heimtückische Art und Weise.
chung von der Norm wird immer be‐
Normen zu verfestigen. Die wahrnehmbaren und kultu‐
An diesem Punkt mag es verlockend sein, sich einer straft. Auch wenn Gender
rellen Aspekte von Maskulinität und Feminität haben
bestimmten liberalen Politik der Expansion zu bedie‐ Abweichungen vereinnahmt, werden
sich über die Jahrhunderte verändert. Es gibt kein sta‐
nen. Zahllose Theoretiker:innen und Aktivist:innen sie dennoch bestraft. Erweiterungen
tisches Gender.
sind dem Irrtum erlegen, dass unsere Erfahrungen der der Normen sind eine Ausweitung
Das Ganze hat eine praktische Bedeutung. Die Frage transgender Verkörperung eine Bedrohung für den Pro‐ von Abweichungen, sie sind eine Er‐
des Humanismus vs. Antihumanismus ist die Frage auf zess der Normierung, den Gender darstellt, sein könn‐ weiterung der Wege, auf denen wir
der die Debatte zwischen dem libreralen Feminismus te. Wir haben den Vorschlag vernommen, dass von einem diskursiven Ideal abwei‐
und der nihilistischen Genderbeseitigung aufbauen nichtbinäre Identität, trans Identität und queere Identi‐ chen können. Unendliche Genderi‐
wird. tät in der Lage wären, eine Subversion von Gender zu dentitäten schaffen undendliche
erzeugen. Das ist nicht der Fall. neue Räume für Abweichung, die ge‐
Die:der liberale Feminist:in sagt „Ich bin eine Frau“ waltsam bestraft werden. Gender
und dadurch ist sie:er spirituell, ontologisch, metaphy‐ Indem wir uns innerhalb der identitären Bezeichnun‐ muss Abweichungen bestrafen, des‐
sisch, genetisch oder in jeder anderen Form des „es‐ gen des nicht-binären verorten finden wir uns immer halb muss Gender verschwinden.
sentiellen“ eine Frau. wieder in den Gefilden von Gender gefangen. Identität
in der Ablehnung von Geschlechterbinarität anzuneh‐ Und daher halten wir eine Ab‐
Die:der Gender Nihilist:in sagt „Ich bin eine Frau“ und men bedeutet immer noch, die Binarität als Referenz‐ schaffung von Gender für notwendig.
meint, das sie:er sich innerhalb einer Matrix der punkt zu wählen. Durch den Widerstand gegen sie Wenn alle unsere Versuche bei positi‐
Macht, die sie:ihn als solche konstituiert, an einer be‐ rekonstruiert eine:r nur den normativen Status des Bi‐ ven Projekten der Erweiterung zu
stimmten Stelle befindet. nären. Normen wurden bereits durch Widerspruch be‐ kurz griffen und uns nur in neue Fal‐
gründet, sie legten die Grundlagen und Sprachen, len gelockt haben, müssen wir auf ei‐
Der:die liberale Feminist:in ist sich der Arten, auf die
durch die Widerspruch ausgedrückt werden kann. nen anderen Ansatz zurückgreifen.
die Macht Gender konstruiert nicht bewusst und klam‐
Nicht nur, dass unser verbaler Einspruch findet in der Dass die Erweiterung von Gender ge‐
mert sich daher an Gender als Mittel, um sich in den
Sprache von Gender statt, auch die Aktionen, die wir scheitert ist, impliziert nicht, dass ei‐
Augen der Macht zu legitimieren. Sie:er vertraut dar‐
unternehmen um Gender durch unsere Kleidung und ne Verringerung unseren Zwecken
auf, zu versuchen, verschiedene Wissenssysteme (ge‐
unser Verhalten zu untergraben sind selbst nur subver‐ dienen würde. Ein solcher Impuls ist
netische Wissenschaft, Methaphysische Behauptungen
siv durch ihren Verweis auf die Norm. zutiefst reaktionär und muss beseitigt
über den Geist, kantianische Ontologie) zu nutzen, um
werden.
der Macht zu beweisen, dass sie:er darin funktionieren Wenn eine Identitätspolitik nichtbinärer Identität uns
kann. nicht befreien kann, verspricht uns auch eine queere Die reaktionären radikalen Femi‐
oder trans Identitätspolitik keine Hoffnung. Beide tre‐ nist*innen sehen die Abschaffung von
Die:der Gender Nihilist:in, die:der Gender Abolitio‐
ten in die gleich Falle, auf die Norm zu verweisen, in‐ Gender als eine solche Verringerung.
nist:in betrachtet das System von Gender selbst und
dem sie versuchen Gender anders zu „machen“. Sie sind der Meinung, dass wir Gen‐
sieht die Gewalt in seinem Kern. Wir sagen Nein zu ei‐
Solche Politiken basieren auf der Logik von Identitäten, der abschaffen müssten, damit Ge‐
ner positiven Wahrnehmung von Gender. Wir wollen es
die selbst ein Produkt moderner und gegenwärtiger schlecht [sex] (die physischen
tot sehen. Wir wissen, dass jedes Bittstellen an die
Diskurse der Macht sind. Wie wir bereits ausführlich Charakteristika des Körpers) eine be‐
derzeitigen Konstellationen der Macht immer eine libe‐
gezeigt haben, kann es keine beständige Identität ge‐ ständige materielle Basis, aufgrund
rale Falle ist. Wir verweigern uns, uns selbst zu legiti‐
ben, auf die wir uns beziehen können. Folglich ist jeder derer wir gruppiert werden könnten,
mieren.
Rekurs auf eine revolutionäre oder emanzipatorische bilden könne. Wir lehnen das von
Es ist wichtig, dass das verstanden wird. Antihumanis‐ Identität nur ein Rekurs auf einen bestimmten Diskurs. ganzem Herzen ab. Geschlecht [sex]
mus verleugnet nicht die gelebten Erfahrungen vieler In diesem Fall ist dieser Diskurs Gender. an sich basiert auf diskursiven Eintei‐
unserer trans Geschwister, die Gender seit jungen Jah‐ lungen, denen durch die Medizin Au‐
Das bedeutet nicht, dass diejenigen, die sich als trans,
ren erfahren haben. Vielmehr würdigen wir, dass eine torität verliehen wird und die
queer oder nichtbinär identifizieren, für Gender ver‐
solche Erfahrung von Gender immer bereits durch die gewaltsam den Körpern intersexuel‐
antwortlich wären. Das ist der Fehler des traditionellen
Bedingungen der Macht bestimmt war. Wir betrachten ler Individuen auferlegt werden. Wir
radikalen feministischen Ansatzes. Wir lehnen solche
unsere eigenen Erfahrungen in unserer Kindheit. Wir schreien diese Gewalt nieder.
Behauptungen ab, da sie bloß diejenigen angreifen,
sehen, dass wir sogar mit der regelwidrigen Aussage
die am meisten unter Gender leiden. Selbst wenn die Nein, eine Rückkehr zu einem einfa‐
„Wir sind Frauen“, womit wird die Kategorie, die die
Abweichung von der Norm diese stets begründet und cheren und geringeren Verständnis
Macht unseren Körpern auferlegt hatte, zurückwiesen,
neutralisiert wird, wird sie verdammt noch mal immer von Gender (selbst wenn es schein‐
die Sprache des Genders sprachen. Wir verwiesen auf
noch bestraft. Der queere, der trans, der nichtbinäre bar auf einer materiellen Basis be‐
einen Begriff von „Frau“, der nicht in uns als beständi‐
Körper ist immer noch massiver Gewalt ausgesetzt. ruht) genügt nicht. Es ist die
ge Wahrheit existiert, sondern wir verwiesen auf die
Unsere Geschwister und Genoss*innen um uns herum ursprüngliche, äußerst normative Ein‐
Diskurse, durch die wir konstituiert wurden.
werden noch immer ermordet, leben in Armut und im teilung von Körpern gegen die wir
Dadurch bestätigen wir, dass es kein wahres Selbst Schatten. Wir verraten sie nicht, denn das würde be‐ uns wenden. Weder die Verrringe‐
gibt, dass dem Diskurs, den Begegnungen mit ande‐ deuten uns selbst zu verraten. Stattdessen rufen wir rung, noch die Erweiterung kann uns
ren, der Vermittlung des Symbolischen voraus geht. zu einer ehrlichen Auseinandersetzung mit den Gren‐ helfen. Unser einziger Pfad ist die
Wir sind Produkte der Macht, also was sollen wir tun? zen unserer Politik auf und wünschen uns einen neuen Zerstörung.
Wir beenden unsere Erkundung des Antihumanismus Weg vorwärts.
mit der Rückkehr zu den Worten von Butler: RADIKALE NEGATIVITÄT
Mit dieser Einstellung sind es nicht nur bestimmte
„Meine Handlungsfähigkeit besteht nicht darin, diesen Konstellationen von Identitätspolitik, die wir bekämp‐ Im Herzen unserer Abschaffung von
Umstand meiner Konstitution zu leugnen. Wenn ich ir‐ fen wollen, sondern das Bedürfnis nach Identität im Gender steht eine Negativität. Wir
gendeine Handlungsfähigkeit besitze, wird sie mir Allgemeinen. Wir behaupten, dass die immer erweiter‐ streben nicht danach Gender zu be‐
durch die Tatsache eröffnet, dass ich durch eine sozia‐ te Liste persönlich präferierter Pronomen, die zuneh‐ seitigen, damit wir zu einem wahren
le Welt, die ich nie gewählt habe, konstituiert werde. menden und immer ausgefeilteren Labels für Selbst zurückkehren können; Ein sol‐
Dass meine Handlungsmöglichkeit von Paradoxen zer‐ verschiedene Ausdrucksweisen von Sexualität und ches Selbst gibt es nicht. Es ist nicht
klüftet wird bedeutet nicht, dass sie unmöglich ist. Es Gender und der Versuch, neue identitäre Kategorien so, dass die Abschaffung von Gender
bedeutet nur, dass die Bedingung ihrer Möglichkeit pa‐ vielseitiger zu schaffen, die Anstrengung nicht wert uns befreien würde als wahres oder
radox ist.“ sind. unverfälschtes Selbst zu existieren,
frei von bestimmten Normen. Eine
Nachdem wir erkannt haben, dass Identität keine
Wahrheit, sondern eine soziale und diskursive Kon‐ Fortsetzung auf Seite 3
2
Fortsetzung von Seite 2 "Gender Nihilismus" über anzustellen, was eine Zukunft bereithalten mag BERICHT ÜBER 16 MONATE HAFT IN
und was wir in dieser Zukunft sein mögen. Eine Zu‐ DEUTSCHLAND
solche Schlussfolgerung stünde im Widerspruch zu
rückweisung von Bedeutung, eine Zurückweisung von
der Gesamtheit unserer Antihumanistischen Ansprü‐
bekannten Möglichkeiten, eine Zurückweisung des
che. Daher müssen wir einen Sprung ins Nichts wa‐ Loïc wurde im August 2018 wegen
Seins selbst. Nihilismus. Das ist unsere Haltung und
gen. seiner angeblichen Beteiligung an
Methode.
den G20-Krawallen in Hamburg im
Hier bedarf es eines Moments leuchtender Klarheit. Beständige Kritik positiver Genderpolitik ist demnach Jahr 2017 verhaftet und nach 16 Mo‐
Wenn das, was wir sind ein Produkt der Diskurse der ein Anfangspunkt, aber einer der mit Vorsicht genos‐ naten U-Haft in Deutschland wurde
Macht sind und wir danach streben, diese Diskurse zu sen werden muss. Denn wenn wir ihre eigenen Unter‐ vor kurzem der Haftbefehl vorläufig
beseitigen und zu zerstören, gehen wir das größtmög‐ mauerungen zugunsten einer Alternative kritisieren, aufgehoben. Sein Prozess, der vor
liche Risiko ein. Wir tauchen ins Unbekannte ein. Die fallen wir nur wieder der neutralisierenden Macht der mehr als einem Jahr begann, dauert
Begriffe, Symbole, Ideen und Realitäten, durch die wir Normierung zum Opfer. Daher beantworten wir die an. Es folgt hier seine erste öffentli‐
geformt und erschaffen wurden, werden in Flammen Forderung nach einer klar definierten Alternative und che Stellungnahme seit seiner Inhaf‐
aufgehen und wir können weder wissen, noch vorher‐ nach einem Program von Aktionen, die getan werden tierung.
sagen, was wir sein werden, wenn wir auf der anderen
müssten mit einem resoluten „Nein“. Die Tage der Ma‐
Seite wierder auftauchen. Wie findet man nach einem Jahr und
nifeste und Tribünen sind vorbei. Die Negation aller
vier Monaten Gefangenschaft die
Das ist der Grund, warum wir uns eine Einstellung ra‐ Dinge, uns eingeschlossen ist das einzige Mittel durch richtigen Worte? Wie verbindet man
dikaler Negativität zu Eigen machen müssen. Alle vor‐ das wir jemals in der Lage sein werden, irgendetwas die Gefängnisrealität mit der Außen‐
herigen Versuche einer positiven und erweiternden zu erreichen. welt und reißt die Mauer, die sie
Gender-Politik ließen uns scheitern. Wir müssen aufhö‐ Dieser Text wurde aus dem Englischen übersetzt. Ori‐ trennt nieder? Im Gefängnis ver‐
ren darüber zu mutmaßen, wie Befreiung oder Eman‐ ginaltitel: Gender Nihilism. An Anti-Manifesto. aus schwand ich, ich hörte auf, an mich
zipation aussehen wird, da diese Ideen selbst auf einer What is Gender Nihilism? A Reader. selbst zu denken. Ich habe mich ent‐
Idee eines Selbst gründen, das einer Prüfung nicht leert, um nicht zu leiden. Ich ver‐
standhält, einer Idee, die die längste Zeit dazu gedient schloss mich - auch gegenüber
ANMERKUNGEN
hat, unseren Horizont zu beschränken. Nur die pure meinen Erinnerungen - demgegen‐
Ablehnung, die Abkehr von jeder Form erkennbarer [1] Es mag widersprüchlich wirken, gängige Formen ei‐ über, was jenseits dieser Mauern ge‐
oder verständlicher Zukunft können uns überhaupt die ner gendersensiblen Sprache in der Übersetzung die‐ schieht, um mich auf dieses neue
Möglichkeit einer Zukunft bieten. ses Textes zu reproduzieren. Da die deutsche Sprache Leben mit den anderen Häftlingen zu
im Gegensatz zum Englischen jedoch keine „ge‐ konzentrieren. Dies war einer der
Auch wenn das ein großes Risiko ist, ist es ein notwen‐
schlechtsneutralen“ Bezeichnungen für viele Begriffe Gründe, warum ich wenig Kraft hatte,
diges. Indem wir ins Unbekannte springen tauchen wir
kennt und die Reproduktion des generischen Maskulin‐ auf die vielen Briefe, die ich erhielt,
in die Gewässer des Unverstehbaren ein. Diese Ge‐
ums so ziemlich das Gegenteil dessen wäre, was in zu antworten. Heute merke ich, dass
wässer bergen ihre Gefahren und es besteht die reale
diesem Text vermittelt werden soll, habe ich mich da‐ ich nicht mehr viel fühle, dass ich kei‐
Möglichkeit des Verlusts des Selbst. Die Begriffe, durch
zu entschieden, eine leichte Abwandlung einer gängi‐ ne Leidenschaft mehr habe (außer
die wir uns gegenseitig verstehen, könnten aufgelöst
gen Variante gendersensibler Sprache zu verwenden für Schnee). Es gibt eine Lücke, ich
werden. Aber es gibt keinen anderen Weg aus diesem
und Stern bzw. Unterstrich durch einen Doppelpunkt bin mit meinen Gedanken woanders.
Dilemma. Wir werden täglich von einem Prozess der
zu ersetzen [Anm. d. Übers.]. Eine neue Zeitvorstellung lebt in mir,
Normierung angegriffen, der uns als abweichend co‐
ich hatte Momente der Kontemplati‐
diert. Wenn wir uns nicht in der Bewegung der Negati‐
on, der Stille, der Abwesenheit.
vität verlieren, werden wir vom status quo zerstört.
Wir haben nur eine Option, scheiß auf die Risiken. Der Prozess wurde immer wieder ver‐
schoben, im April sollte er nun aber
Dies erfasst die Zwickmühle in der wir uns derzeit be‐
zum Ende kommen. Die Haftentlas‐
finden genau. Während das Risiko der Aneignung von
sung unter Auflagen am 18. Dezem‐
Negativität hoch ist, wissen wir, dass uns die Alternati‐
ber kam unerwartet: Wenige Wochen
ve zerstören wird. Wenn wir uns in dem Prozess selbst
zuvor hatte der Staatsanwalt ange‐
verlieren, haben wir blos das selbe Schicksal erlitten,
kündigt, dass er gegen einen solchen
dass wir andernfalls sowieso erleiden. Daher verwei‐
Beschluss Einspruch einlegen würde.
gern wir mit unbekümmerter Hingabe Theorien dar‐
Ich erwartete bestenfalls zwei Stun‐
den, bevor ich wieder ins Gefängnis
zurückkehren müsste […]. Ich hatte
überlegt, dass ich bis zur endgültigen
Fortsetzung von Seite 1 "Gegen Recht(s) und Ge‐ Vielleicht ist genau das die Perspektive dieser Men‐ Entscheidung besser mal in der Zelle
setz!!!" schen, nämlich mit und durch den Staat die autoritä‐ bleibe, denn wenn man für zwei
ren Ideologien von Faschist*innen anzugreifen, Stunden rauskommt, riskiert man
liest mensch in dem Flyer, sei „wegen Fahrerflucht,
vielleicht ist es für sie auch nur gerade oportun, sich nicht nur durchzudrehen, sondern
Diebstahl , Verleumdung, übler Nachrede sowie wegen
diese Perspektive einzuverleiben, weil sie sich damit auch wieder im Gebäude A zu lan‐
des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz rechts‐
größere Erfolgschancen dabei einräumen, die Nazis in den.
kräftig verurteilt“ und werde „sogar vom sonst auf
der Öffentlichkeit zu delegitimieren. Für mich ist das
dem rechten Auge blinden Bayrischen Landesamt für
einerlei! Für mich gilt: Diese Handlung, diese (unein‐ GEBÄUDE A
Verfassungsschutz beobachtet und seit 2018 im bayri‐
geschränkt) positive Bezugnahme auf den Staat ist für
schen Verfassungsschutzbericht namentlich erwähnt.“ Dieses Gebäude ist für Neuankömm‐
mich das Gegenteil einer antifaschistischen Perspekti‐
In ähnlicher Manier wird auch von Rick Wegner berich‐ linge, hier muss man 23 Stunden am
ve! Nicht dass ich hier in den „ANTIFA = Faschist*in‐
tet, dass er „verurteilter Mörder“ sei und „15 Jahre im Tag in den Zellen bleiben. Es ist ein
nen“ Chor der politischen Rechten einstimmen
Gefängnis wegen zwei bewaffneten Raubüberfällen dunkler Ort, wo die Insassen durch‐
möchte. Für mich ist ein solches Vorgehen schlicht au‐
und eines vorsätzlichen Mordes“ verbracht habe. What drehen, schreien und gegen die Wän‐
toritär. Statt sich eigene Wege einer Kritik und Kon‐
the Fuck?! de schlagen - ich war vier Monate
frontation faschistischer Ideologien und Akteur*innen
dort. Während des ersten Monats
Ich frage mich wirklich, was die Menschen, die diesen zu überlegen, wird hier argumentativ auf den Staat zu‐
nach meiner Auslieferung aus Frank‐
Flyer verfasst haben, sich dabei gedacht haben! Die rückgegriffen. Auf jene Machtinstrumente (Justiz, Ver‐
reich hatte ich genau nur die Klei‐
Verfasser*innen haben sich nicht einmal die Mühe ge‐ fassungsschutz), die von den Herrschenden eingesetzt
dung, die ich bei meiner Ankunft
macht, die konkreten Hintergründe für die den Verur‐ werden, um ihre Herrschaft zu erhalten. Das sind übri‐
trug. Es war unmöglich, meine Sa‐
teilungen dieser Nazis zugrundeliegenden Taten gens weitestgehend die selben Instrumente, die auch
chen zurück zu bekommen, obwohl
darzulegen, geschweige denn warum sie diese Verur‐ faschistische Staaten einsetz(t)en, um ihre Ziele zu er‐
sie zur gleichen Zeit ankamen.
teilungen für irgendwie relevant hinsichtlich ihres An‐ reichen.
liegens halten. Dem Repressionsapparat des Staates In diesem Gebäude gibt es zwei ge‐
Für mich kann kein Staat dieser Welt ein Verbündeter
wird auf diese Art und Weise uneingeschränkte Autori‐ meinsame Duschen pro Woche, um
im Kampf gegen Faschist*innen sein. Ein autoritäres
tät – nicht dass ich eine eingeschränkte Autorität ir‐ 6.45 Uhr. Dort habe ich meine Unter‐
Prinzip gegen ein anderes austauschen? Das klingt für
gendwie besser fände – eingeräumt. Die Tatsache, hose gewaschen und dann meine
mich nach einer Rechtfertigung für eigene autoritäre
dass ein Mensch von einem Gericht des Staates verur‐ Kleidung wieder übergezogen, weil
Sehnsüchte!
teilt wurde, scheint für die Verfasser*innen in diesem ich sie erst auf dem Heizkörper mei‐
Fall also völlig undifferenziert dazu geeignet zu sein, Auf dass wir alle Staaten einreißen! ner Zelle trocknen konnte. In diesem
zu beweisen, dass dieser Mensch ein „schlechter Gebäude schubsen und schreien ei‐
Mensch“ ist, den es anzugreifen gilt. Es wird sich hier nen die Wärter an, wenn du bei der
also nicht nur einverstanden mit staatlicher Repressi‐ Essenausgabe die unsichtbare Linie
on erklärt – weil sie offenbar im Sinne der Verfas‐ zwischen deiner Zelle und dem Korri‐
ser*innen dieses Flyers wirkt –, sondern diese wird dor überschreitest. Der 1-stündige
sogar zu einem Hauptargument gegen eine Person. Hofgang ist der einzige Moment am
Wozu sich die Mühe machen, detailliert darzulegen, Tag zum Durchatmen - in einer Zelle,
warum mensch die Positionen von Chris Ares scheiße die weniger als zwei Meter breit und
findet, ist doch viel einfacher die Autorität des Verfas‐ vier Meter lang ist. In diesem Gebäu‐
sungsschutzes zu nutzen – und sich damit auch des‐ de sitzen hauptsächlich Ausländer,
sen Perspektive, der solche „Outings“ übrigens als deren Straftat sein soll, keine gülti‐
„Linksextremismus“ ebenfalls verurteilt, einzuverlei‐ gen Papiere zu haben, kleine Drogen-
ben.
Fortsetzung auf Seite 4
3
Fortsetzung von Seite 3 "16 Monate Haft" nach Führung, Globalisierung, Klassifizierung - eure zu 5 Jahren gehört, und kürzlich ha‐
Persönlichkeit, Identität, Kreativität, Einzigartigkeit, gelte es 3,5 Jahre Gefängnis für eine
händler oder Leute, die des Diebstahls beschuldigt
muss dabei in irgendeine Schublade passen. […] in Nancy (3) verurteilte Person. Der‐
werden. Ich sah, wie die Wärter einen im Ausland ge‐
weil wird ein Polizist zu einer zwei‐
borenen Häftling verprügelten, der nach dem Hofgang Letzten November, also fast ein Jahr nach Beginn die‐
monatigen Bewährungsstrafe
einfach nur ein Buch aus der Zelle nebenan holen ses Prozesses, bot ich an, eine Erklärung abzugeben,
verurteilt, weil er einen Pflasterstein
wollte. Ich habe ausgiebige lange, hasserfüllte Blicke unter der Bedingung, dass diese dann auch öffentlich
auf ungeschützte Leute geworfen
von Wärtern auf die rassisierten Häftlinge gesehen. gehört werden kann. Die Richterin sagte zunächst,
hat. Er kann im Dienst verbleiben,
dass dies wohl möglich wäre, änderte dann aber ihre
Die meisten Ausländer, die ich auf einem Hofgang im keine Eintragung ins Vorstrafenregis‐
Meinung, wahrscheinlich wegen dem Ausschluss der
Gebäude A kennen gelernt habe, definieren die Wärter ter. Wer aber einen Pflasterstein auf
Öffentlichkeit in dem Verfahren. Deshalb habe ich bis
als Nazis. Es gab mir ein merkwürdiges Gefühl, das die Leute mit Helm und Schild wirft,
zu diesem Zeitpunkt, trotz fast fünfzig Tagen Anhörun‐
heute zu hören, da ich ja weiß, dass die Nazis in dem‐ bekommt mehrere Jahre Gefängnis.
gen, noch keine Erklärung abgegeben. Die letzten
selben Gefängnis vor weniger als einem Jahrhundert Ist das Gerechtigkeit? Das Gefängnis
müssen am Ende des Prozesses für die Öffentlichkeit
mehrere hundert Menschen getötet hatten. ist Wahnsinn, es zu akzeptieren, ist
zugänglich sein. Seit meiner Entlassung aus dem Ge‐
Wahnsinn. Vorverurteilungen sind ein
fängnis am 18. Dezember haben mir Leute gesagt,
Wahnsinn, die undifferenziert Leid
DER ELBCHAUSSEE - PROZESS ODER DIE KONSTRUIER‐ dass dies ein schönes Weihnachtsgeschenk gewesen
erzeugen. […]
TE KOMPLIZENSCHAFT sei. Das Problem ist, dass das Geschenk ein Jahr zu
Der Prozess ist etwas Besonderes. 99% der Anklage‐ spät kommt, ich habe bereits ein Weihnachten im Ge‐
AN DIE, DIE KÄMPFEN
punkte haben nichts mit den Angeklagten selber zu fängnis verbracht. […]
tun. Der Vorwurf bezieht sich auf einen Schaden von Nach der eigenen Erfahrung wegge‐
mehr als 1 Million Euro. Der Staatsanwalt versucht da‐ GEISTIGE FREIHEIT AUF BEWÄHRUNG schlossen zu sein, fühle ich mich mit
bei, eine sehr weit gefasste Vision der Komplizen‐ denen solidarisch, die noch immer
Hier bin ich also, draußen und „frei“, mich zu äußern.
schaft zu konstruieren und durchzusetzen, bis zu dem eingesperrt sind. Deshalb möchte ich
Aber diese Freiheit ist auch nur rein theoretisch und an
Punkt, dass er diese sogar über die vermeintliche An‐ meine Solidarität ausdrücken und
Bedingungen geknüpft. Es mangelt nicht an Lust oder
wesenheit der Angeklagten hinaus erweitern möchte. wünsche allen viel Kraft, die in
an Dingen, die ich zu sagen hätte, aber angesichts
Konkret: Stellt euch vor, jemand verbrennt 50 Meter Frankreich infolge der Demonstratio‐
dessen, was das Gericht von mir erwartet und der Risi‐
entfernt ein Auto - Ihr seid demzufolge dann verant‐ nen nun inhaftiert sind […]
ken, die noch immer auf mir lasten, ist es illusorisch zu
wortlich für den Schaden. Aber das ist war erst der An‐
glauben, dass ich mich „frei ausdrücken“ könnte. Auch Möge jede und jeder Gefangene die
fang! Nun stellt Euch vor, ihr habt eine Demonstration
in diesem Bereich ist meine wiedergewonnene Freiheit Erfahrungen im Gefängnis bezeugen,
bereits verlassen und 10 Minuten später wird ein Mo‐
sehr relativ. damit wir so schnell wie möglich die‐
lotow-Cocktail geworfen und obwohl ihr schon ganz
se schrecklichen Mauern, die Leid sä‐
woanders seid, werdet ihr dafür zur Verantwortung ge‐ Meine Sicht der Welt hat sich jedoch nicht geändert.
en, niederreißen können. Diese
zogen. Seit 16 Monaten abgetrennt, ist es besonders scho‐
Mauern, die wir nur hinnehmen, weil
ckierend, von der Repression gegen die Demonstratio‐
Es gibt viele Probleme in diesem Prozess, im Gefäng‐ wir in die Augen derer, die dort ein‐
nen in Frankreich (gegen die Gelbwesten und andere)
nis, in der Polizei, im Kapitalismus, im Staat und seiner gesperrt sind, nicht reinschauen kön‐
zu erfahren. Es gibt mittlerweile schon fast tausend
Welt. Diese verschiedenen Themen haben unter ande‐ nen.
Gefängnisstrafen. Ich habe von Verurteilungen von bis
rem folgende fauligen Gemeinsamkeiten: Den Durst
NACHRICHTEN AUS ALLER WELT TERMINE
ARCHIV VON LINKSUNTEN INDYMEDIA VERÖFFENT‐ findet ihr hier: https://linksunten.soligruppe.org/
DO., 23.01. OFFENER MITTAGSTISCH
LICHT
Das Archiv ist statisch. Es bietet keine Möglichkei‐ DER SOLIKÜCHE MÜNCHEN
«The resistance is global… a trans-pacific collaborati‐ ten der Interaktion, Postings oder ähnlichem und so
10:15-14:30 Uhr // Ligsalzstraße 8
on has brought this web site into existence.» wird es auch bleiben.
so begann der erste Eintrag auf seattle.indymedia.org Das statische Archiv der Seite ist auch als Download SA., 25.01. DISKUSSION: DAS PATRI‐
am 24. Nobvember 1999. Mit der Gründung des Indy‐ in Form von Zipdateien verfügbar. Die Links zu den ARCHAT ABFACKELN. HERRSCHAFTS‐
media Netzwerkes haben wir die Berichterstattung Dateien findet ihr auf der Startseite des Archivs (htt‐ FEINDLICHE PERSPEKTIVEN AUF
und Öffentlichkeitsarbeit unserer Aktionen und Protes‐ ps://linksunten.archive.indymedia.org/). Ladet es her‐ GESCHLECHT UND SEXUALITÄT
te in unsere eigenen Hände genommen. Die Anti-Glo‐ unter, teilt es und erstellt Mirrors der Seite. WIR sind
19 Uhr // Anarchistische Bibliothek
balisierungsbewegung hat mit Indymedia die Mög- ALLE verantwortlich für unsere Geschichte.
Frevel
lichkeit einer anderen, solidarischen und empowern‐
den "Globalisierung" gezeigt. [BERLIN] KEINE FREUNDE, KEINE HELFER: GDP BE‐ Vorstellungen von Geschlecht und
Sexualität bestimmen unsere Identi‐
SUCHT
«Harte Zeiten erfordern unabhängige Medien...»
tät ab der Geburt. Wie gewaltvoll die‐
Die GdP [Gewerkschaft der Polizei] liefert mehr als
se Vorstellungen sind, zeigt sich
so beschrieben es die Initiator*innen von linksun‐
genug gute Gründe für einen Besuch. Deswegen
immer dann, wenn mensch sich nicht
ten.indymedia.org zur Gründung ihrer Plattform. 20
haben wir den Schweinen diese Nacht [vom 14. auf
an die Regeln des einer*m zugewie‐
Jahre nach der Gründung von Indymedia und über 10
den 15. Januar] in der Tiefgarage der GdP
senen Geschlechts hält. Geschlecht
Jahre nach der Gründung von linksunten.indyme‐
(Kurfürstenstraße 112, Berlin-Tiergarten) ihr Auto mit
und Sexualität werden aber auch ge‐
dia.org wollen wir diese Worte aufgreifen und die Soli‐
ihren Propagandamaterialien demoliert. Dazu haben
nutzt, um Herrschaft zu legitimieren
darität erneut entfachen.
wir die Karre tiefergelegt, die Scheiben des Autos
und eine bestimmte Hierarchie auf‐
Am 25. August 2017, wenige Wochen nach kraftvollen eingeschlagen und den Innenraum mit stinkender rechtzuerhalten. Lasst uns anhand
Protesten gegen den G20 in Hamburg im Juli 2017 Flüssigkeit und einem Feuerlöscher aufgefüllt. Ihre der Broschüre "Das Patriarchat abfa‐
schlugen Sicherheitsbehörden und Politik zurück und politische Einflussnahme zielt zu guten Teilen darauf ckeln. Herrschaftsfeindliche Texte
verboten mit linksunten.indymedia.org eine unserer ab, oft unter Rückgriff auf stumpfen Rassismus, die rund um Geschlecht, Sex und Sexua‐
wichtigsten Platformen des Austauschs und der Dis‐ Schläger in Uniform zu Opfern zu erklären und einen lität" gemeinsam über herrschafts‐
kussion. Mit dem Abschalten der Seite gingen auch 10 reaktionären law-and-order Diskurs zu befördern. […] feindliche Analysen zu Geschlecht
Jahre Bewegungsgeschichte verloren... Oder auch Zusammengefasst ist die GdP genau das, was von und Sexualität diskutieren und insbe‐
nicht. Indymedia hieß immer, selbst zu entscheiden ob einer Organisation zu erwarten ist, die sich fast sondere einen Fokus darauf legen,
etwas veröffentlicht wird oder auch nicht. Darum ent‐ ausschließlich aus Polizist*innen zusammensetzt: ein welche Formen des Angriffs wir wäh‐
scheiden WIR uns jetzt, diese 10 Jahre Bewegunsge‐ von Nazis durchsetzter, rassistischer Scheißverein. len können und gegen wen wir unse‐
schichte wieder zugänglich zu machen. Kein Staat und re Wut richten wollen und können.
keine Polizei kann uns daran hindern. Das Internet ver‐ [TÜBINGEN] #NOPOLGBW: BAUSCHAUM FÜR DIE GRÜ‐ Die Broschüre liegt in der Bibliothek
gisst nicht. NEN aus.
Wir haben heute das vollständige Archiv von linksun‐ Am späten Abend des 15.01.2020 haben wir das
ten.indymedia.org unter der Adresse https://links Tübinger Parteibüro der Grünen besucht und deren
unten.archive.indymedia.org/ veröffentlicht. Aus dem Briefkasten mit Bauschaum gefüllt, womit er
ÖFFNUNGSZEITEN DER ANARCHISTI‐
Tor-Netzwerk erreicht ihr das Archiv direkt über folgen‐ vorübergehend nicht benutzbar ist. Wir hoffen sie
SCHEN BIBLIOTHEK FREVEL
de Onion-Adresse: http://xrlvebokxn22g6x5gmq3cp7rs werden dadurch in den nächsten Tagen, wenn sie
v3ar5zpirzyqlc4kshwpfnpl2zucdqd.onion/ morgens versuchen ihre Post zu holen, daran erinnert, Dienstag, 17 bis 21 Uhr
was für einer Scheiße sie mit dem neuen Polizeigesetz Samstag, 15 bis 19 Uhr
Die einzigen Archive der Bewegungen haben die Be‐
für Baden-Württemberg zugestimmt haben. Natürlich
wegungen selbst hervorgebracht und niemand wird Zenettistraße 27 (Hinterhof)
wundern wir uns nicht über das Verhalten der Grünen
unsere Geschichte erzählen, wenn wir es nicht selbst
und gehen auch nicht davon aus, dass weniger zuendlumpen.noblogs.org
tun. Ein paar Dinge möchten wir klarstellen:
repressive Polizeigesetze uns ein gutes Leben
ermöglichen würden, denn das kann es nur ohne
Wir haben keinerlei Verbindung zu den Menschen,
Polizei, Staat und Patriarchat geben. Schickt eure eigenen Beiträge,
die linksunten.indymedia.org ursprünglich betrieben
Leser*innenbriefe, Termine und
haben. Wir sind einfach ein paar Aktivist*innen, denen
Trotzdem denken wir, dass es nicht schadet, den Entdeckungen an
es wichtig ist, diese Seite als Archiv zugänglich zu ma‐
Feind*innen der Freiheit ab und an einen kleinen
chen. Informationen zu den anstehenden Verfahren Denkzettel zu verpassen. [email protected]
V.i.S.d.P.: Klaus Doch, Mühsamstraße 1312, München. E.i.S.
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