Table Of ContentWas ist Philosophie im Mittelalter?
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Miscellanea Mediaevalia
Veröffentlichungen des Thomas-Instituts
der Universität zu Köln
Herausgegeben von Jan A. Aertsen
Band 26
Was ist Philosophie im Mittelalter?
Walter de Gruyter · Berlin · New York
1998
Was ist Philosophie im Mittelalter?
A
Qu'est-ce que la philosophie au Moyen Age?
What is Philosophy in the Middle Ages?
Akten des X. Internationalen Kongresses für
mittelalterliche Philosophie der Société Internationale
/
pour l'Etude de la Philosophie Médiévale
25. bis 30. August 1997 in Erfurt
Herausgegeben
von Jan A. Aertsen und Andreas Speer
Für den Druck besorgt von Andreas Speer
Walter de Gruyter · Berlin · New York
1998
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Was ist Philosophie im Mittelalter? : Akten des X. Internationalen
Kongresses für Mittelalterliche Philosophie der Société Internationale
pour l'Etude de la Philosophie Médiévale, 25. bis 30. August 1997
in Erfurt = Qu'est-ce que la philosophie au moyen âge? / hrsg. von
Jan A. Aertsen und Andreas Speer. - Berlin ; New York : de Gruyter,
1998
(Miscellanea mediaevalia ; Bd. 26)
ISBN 3-11-016264-4
ISSN 0544-4128
© Copyright 1998 by Walter de Gruyter GmbH & Co., D-10785 Berlin
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Stadtansicht des mittelalterlichen Erfurt nach der Schedeischen Weltchronik von 1493.
Vorwort
Der vorliegende 26. Band der Miscellanea Mediaevalia ist einem besonderen
Anlaß gewidmet und steht doch zugleich in einer bestimmten Tradition: Er
enthält die Kongreßakten des X. Internationalen Kongresses für Mittelalterli-
che Philosophie der Société Internationale pour l'Étude de la Philosophie Médiévale
(S.I.E.P.M.), der vom 25. bis 30. August 1997 in Erfurt stattfand. Es war nach
Köln, wo im Jahre 1961 der zweite, und nach Bonn, wo 1977 der sechste
Internationale Kongreß der S.I.E.P.M. stattfand, der dritte Weltkongreß für
mittelalterliche Philosophie in Deutschland — so darf man angesichts der in
Erfurt versammelten Teilnehmerzahl wohl mit einigem Recht sagen —, und
wie die Erfurter Kongreßakten, so haben auch die Akten des Kölner und
des Bonner Kongresses als Band 2 und Band 13 Aufnahme in die Miscellanea
Mediaevalia gefunden1.
Hinter dieser Kontinuität verbirgt sich jedoch mit dem Ende der Teilung
Europas und insbesondere Deutschlands ein Ereignis von historischer Trag-
weite, das dem Erfurter Kongreß ein besonderes Gepräge verliehen hat. Als
nämlich der Vorstand der Société Internationale pour l'Étude de la Philosophie Médié-
vale im April 1994 in Cambridge beschloß, den X. Internationalen Kongreß
für Mittelalterliche Philosophie im Jahre 1997 nach Erfurt zu vergeben, so
geschah dies noch unter dem Eindruck jener politischen Ereignisse in Mittel-
und Osteuropa, die nach den oft unbeschreiblichen Schwierigkeiten vergan-
gener Jahrzehnte bis dahin oftmals verschlossene Möglichkeiten des gedankli-
chen und persönlichen Austausches eröffneten. Mit der Wahl des Tagungsor-
tes sollte erklärtermaßen ein Zeichen in Richtung auf die mittel- und osteuro-
päischen Länder gesetzt werden. Mit Erfurt wurde zudem eine „mittelalterli-
che" Stadt ausgewählt, deren Bedeutung für das Geistesleben insbesondere
in Mitteleuropa im Übergang vom Spätmittelalter zum Zeitalter des Huma-
nismus und der Reformation nicht eigens hervorgehoben zu werden braucht.
Planung, Vorbereitung und Gestaltung des X. Internationalen Kongresses
für Mittelalterliche Philosophie lagen in den Händen des Thomas-Instituts
der Universität zu Köln, unterstützt durch jene Erfurter Institutionen, mit
denen bereits seit vielen Jahren enge Kontakte bestanden. So wurde auf
1 Paul Wilpert (ed.), Metaphysik im Mittelalter (Vorträge des II. Internationalen Kongresses
für Mittelalterlicher Philosophie, Köln, 31. August - 6. September 1961), Berlin 1963
(Miscellanea Mediaevalia 2). Wolfgang Kluxen (ed.), Sprache und Erkenntnis im Mittel-
alter (Akten des VI. Internationalen Kongresses für Mittelalterliche Philosophie, Bonn,
29. August - 3. September 1977), Berlin-New York 1981 (Miscellanea Mediaevalia 13).
Vili Vorwort
einem gemeinsam veranstalteten internationalen Forschungssymposion zur
Bibliotheca Amploniana im April 1993, das als Band 23 der Miscellanea Me-
diaevalia veröffentlicht worden ist2, erstmals über die Möglichkeit gespro-
chen, den X. Internationalen Kongreß für Mittelalterliche Philosophie der
S.I.E.P.M. nach Erfurt zu vergeben. An dieser Stelle besonders zu nennen
sind das Philosophisch-Theologische Studium Erfurt, in dessen Räumen der
Hauptteil der Nachmittagssektionen stattfand, die Akademie gemeinnütziger
Wissenschaften zu Erfurt, die Universität Erfurt, die Abteilung wissenschaft-
licher Sondersammlungen der Stadt- und Regionalbibliothek Erfurt, welche
die Bibliotheca Amploniana beherbergt, deren Schätze den Teilnehmern des
Kongresses in ungewöhnlicher Großzügigkeit zugänglich gemacht wurden,
und ganz besonders das Augustinerkloster zu Erfurt, wo die Plenarsitzungen
stattfanden und das allen Kongreßteilnehmern als stimmungsvolles Tagungs-
zentrum unvergeßlich bleiben wird.
Das Rahmenthema, unter dem sich die Teilnehmer des X. Internationalen
Kongresses für Mittelalterliche Philosophie versammelten, lautete: „Qu'est-ce
que la philosophie au Moyen Age? — What is Philosophy in the Middle Ages? — Was
ist Philosophie im Mittelalter?" Allein die Zahl von mehr als 600 Philosophen,
deren besonderes Interesse dem Mittelalter gilt, aus über 40 Ländern — dar-
unter eine namhafte Zahl aus den Ländern Mittel- und Osteuropas — sowie
die große Anzahl von annähernd 350 Vortragenden zeigen, wie sehr das
Generalthema des zehnten Weltkongresses offenkundig den Nerv der philo-
sophischen Mediävistik getroffen hat. Denn wie die Veranstalter bereits im
ersten Rundbrief festgestellt hatten, sind seit dem ersten internationalen Kon-
greß der Société Internationale pour l'Étude de la Philosophie Médiévale im Jahre 1958
in Leuven in der Erforschung der mittelalterlichen Philosophie ein beträchtli-
cher Wandel und bemerkenswerte Verschiebungen festzustellen, die gleicher-
maßen durch die Verfügbarkeit neuen Quellenmaterials, durch neue Konzep-
tionen hinsichtlich des Verständnisses von Philosophie im Mittelalter und
durch den Einfluß neuer historiographischer Schemata angestoßen worden
sind. Was nämlich Philosophie im Mittelalter ist, darüber sind zahlreiche De-
batten entbrannt, die das Selbstverständnis und die Bedeutung des Gegen-
standes ebenso betreffen wie die unterschiedlichen Formen einer wissen-
schaftlichen Annäherung.
Ausgehend von einer kritischen Bestandsaufnahme der gegenwärtigen
Lage philosophischer Mediävistik sollte auf dem Erfurter Kongreß die Frage,
was Philosophie im Mittelalter ist, erneut aufgegriffen und am Ausgang eines
Jahrhunderts nach den vordringlichen Forschungsfeldern gefragt werden.
Hiervon gibt das Programm des Kongresses, das aus 6 Plenarsitzungen, 94
Sektionen und 8 Kommissionen bestand, beredt Zeugnis. Das Rahmenthema
2 Andreas Speer (ed.), Die Bibliotheca Amploniana. Ihre Bedeutung im Spannungsfeld von
Aristotelismus, Nominalismus und Humanismus, Berlin-New York 1995 (Miscellanea
Mediaevalia 23).
Vorwort IX
•wie auch die Grundlinien des Kongresses mit Blick auf die Plenarsitzungen,
die Sektionen und die Kommissionen wurden in enger Absprache mit dem
Vorstand der Société Internationale pour l'Étude de la Philosophie Médiévale festge-
legt. Dem Vorstand der S.I.E.P.M. und insbesondere dem damaligen Präsi-
denten Prof. Dr. Albert Zimmermann gilt daher der Dank der beiden Her-
ausgeber, die als Präsidenten des Programmkomitees und Organisations-
komitees fungierten, für die hierbei erfahrene kollegiale Zusammenarbeit und
Unterstützung. Daß die Akten des X. Internationalen Kongresses für Mittel-
alterliche Philosophie pünktlich zum 40. Jahrestag der Gründung der Société
Internationale pour l'Étude de la Philosophie Médiévale erscheinen können, ist den
Herausgebern daher eine besondere Freude.
Die hiermit vorgelegten Kongreßakten beabsichtigen keine integrale Do-
kumentation des Erfurter Kongresses. Daß dies nicht möglich ist, ergibt sich
bereits aus der genannten Anzahl von rund 350 Vorträgen. Verwiesen sei
daher auf den als Band 4 der Acta Academiae Scientiarum der Erfurter Akademie
veröffentlichten Kongreß-Reader, der eine umfassende Dokumentation des
Programms des zehnten Weltkongresses in Form von Kurzfassungen darbie-
tet3. Des weiteren sei auf das Bulletin de Philosophie Médiévale 39 (1997) hinge-
wiesen, das neben Berichten über die Vorstandssitzungen und die Mitglieder-
versammlung (Assemblée Générale) auch die Berichte über die Arbeit der
Kommissionen enthält, die gleichfalls nicht in den vorliegenden Kongreßak-
ten abgedruckt werden konnten. Darüber hinaus wird man sicherlich zahlrei-
che Beiträge, die in diesem Band nicht berücksichtigt werden konnten, in
einer der internationalen Zeitschriften nachlesen können, die für Themen aus
dem Bereich der mittelalterlichen Philosophie offenstehen — auch dies eine
Weise, die von Erfurt ausgehende Diskussion weiterzuführen. Allen jeden-
falls, die durch ihre Referate zum Gelingen des X. Internationalen Kongres-
ses für Mittelalterliche Philosophie beigetragen und die nun für die Kongreß-
akten ihr Manuskript zur Verfügung gestellt haben, sei an dieser Stelle recht
herzlich gedankt.
Im ersten Teil der Kongreßakten finden sich, wie üblich, die Plenarvor-
träge. Weil ein Plenarvortrag trotz mehrfacher Bemühungen der Herausgeber
nicht für die Drucklegung eingereicht wurde, werden die Beiträge der ersten
und sechsten Plenarsitzung unter dem Titel „Der mittelalterliche Beitrag zur
Philosophie" zusammengefaßt. Die übrigen Plenarsitzungen folgen der Ord-
nung des Erfurter Kongresses: „Die Bedeutung der Verurteilung von 1277
für den Status der Philosophie" - „Mittelalterliche Philosophie und das Mit-
3 Jan A. Aertsen / A. Speer (eds.), Qu'est-ce la philosophie au Moyen Âge? — What is
Philosophy in the Middle Ages? - Was ist Philosophie im Mittelalter? Der 10. Internationale
Kongreß für mittelalterliche Philosophie vom 25. bis 30. August 1997 in Erfurt in Kurz-
fassungen. Acta Academiae Scientiarum 4, Erfurt 1997.
Ferner A. Speer, Qu'est-ce que la philosophie au Moyen Age? Bilan philosophique du di-
xième congrès international de philosophie médiévale tenu à Erfurt du 25 au 30 août 1997,
in: Recherches de Théologie et Philosophie médiévales LXV, 1 (1998), 133-146.
χ Vorwort
telalter" — „Mittelalterliche Philosophie und Transzendentales Denken" —
„Philosophie in der arabischen und in der jüdischen Kultur im Mittelalter".
Ausgehend von den Verurteilungen von 1277, die wie kaum ein anderes
Ereignis in der philosophischen Mediävistik der letzten Jahrzehnte zum Prüf-
stein für das Selbstverständnis der Philosophie im Mittelalter geworden sind,
wird die mittelalterliche Philosophie als historisches Projekt angesprochen,
das in der Vielfalt der mittelalterlichen Kulturräume unterschiedliche Formen
des philosophischen Selbstverständnisses hervorbringt. So stellt sich nicht
zuletzt die Frage nach den Möglichkeiten einer systematischen Integration
der verschiedenartigen Einflüsse mit Blick auf die geforderte Selbstbegrün-
dung der Philosophie; eine der maßgeblichen Antworten kann in der Hin-
wendung zum transzendentalen Denken erblickt werden.
Jede Auswahl, die getroffen werden muß, ist anfechtbar. Das gilt insbeson-
dere für die Auswahl der Beiträge aus den Sektionen. Sie erfordert daher von
den Herausgebern eine Begründung. Die für die Kongreßakten ausgewählten
Beiträge aus den Sektionen wurden zu 13 Themenschwerpunkten zusam-
mengefaßt mit der Absicht, eine Antwort auf die im Kongreßthema gestellte
Frage zu finden. Wo möglich, wurde eine Rückbindung an die in den Plenar-
sitzungen diskutierten Schwerpunkte des Kongresses versucht. Diese werden
in den folgenden Themen jedoch weiter differenziert, ergänzt und ausgear-
beitet:
1. Uberlieferung und Geschichtlichkeit
2. Die Verurteilungen von 1277 und ihre Folgen
3. Begriff und Status der Philosophie
4. Philosophie und transzendentales Denken
5. Philosophie und Theologie
6. Philosophie oder Theologie: Meister Eckhart und Nicolaus Cusanus
7. Wissenschaftstheorie und Naturphilosophie
8. Philosophie in Erfurt — Logik
9. Arabische Philosophie
10. Jüdische Philosophie
11. Byzantinische Philosophie
12. Die Frage nach dem menschlichen Glück
13. Praktische Philosophie
Die Problematik der Überlieferung und Geschichtlichkeit führt zur Frage
nach dem Begriff und Status der Philosophie. Hierbei erweist sich erneut die
Grundlegungsproblematik als interesseleitend, wie sie historisch im Konzept
der Metaphysik formuliert worden ist. Eine besondere Bedeutung kommt
in diesem Zusammenhang der eigentümlichen Frontstellung der Philosophie
gegenüber der Theologie zu. Das besondere Interesse an dieser Frage kann
wohl mit Recht zu den besonders signifikanten Ergebnissen des Erfurter
Kongresses gerechnet werden. Die Debatte um die Unterscheidung und
Zuordnung einer allein auf Vernunft gründenden Prinzipienreflexion gegen-