Table Of ContentHans Bohrmann . Otfried J arren
Gabriele Melischek . Josef Seethaler (Hrsg.)
Wahlen und Politikvermittlung
durch Massenmedien
Hans Bohrmann . Otfried J arren
Gabriele Melischek . Josef Seethaler (Hrsg.)
Wahlen und
Politikvermittlung
durch Massenmedien
Westdeutscher Verlag
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Ein Titeldatensatz fur diese Publikation ist bei
Der Deutschen Bibliothek erhaltlich
Gedruckt mit Unterstiitzung des Vereins der Freunde der
Osterreichischen Akademie der Wissenschaften.
Aile Rechte vorbehalten
© Westdeutscher Verlag GmbH, Wiesbaden, 2000
Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der
Fachverlagsgruppe BerteismannSpringer.
Das Werk einschlieBlich aller semer Teile ist urheberrechtlich
geschtitzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urhe
berrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und
strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfaltigungen, Ubersetzun
gen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung
in elektronischen Systemen.
www.westdeutschervlg.de
Hochste inhaltliche und technische Qualitat unserer Produkte ist unser Ziel. Bei der
Produktion und Verbreitung unserer Bucher wollen wir die Umwelt schonen: Dieses
Buch ist auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Die EinschweiB
folie besteht aus Polyathylen und damit aus organischen Grundstoffen, die weder bei der
Herstellung noch bei der Verbrennung Schadstoffe freisetzen.
U mschlaggestaltung: Horst Dieter Burkle, Darmstadt
ISBN-13: 978-3-531-13304-1 e-ISBN-13: 978-3-322-89002-3
DOl: 10.1007/ 978-3-322-89002-3
Inhalt
Vorwort
Hans Bohrmann, Otfried Jarren,
Gabriele Melischek und Josef Seethaler ......................................................... 9
Zur Einfiihrung
Ulrich Sarcinelli
Politikvermittlung und Wahlen - Sonderfall oder Normalitat des
politischen Prozesses? Essayistische Anmerkungen und Anregungen
ftir die Forschung ................................ .................................... ......................... 19
Ulrich Saxer
Massenmedien als Wahlkommunikatoren in langerfristiger Perspektive:
Ein Forschungstiberblick ........ .............. .............. ............................................. 31
Politikvermittlung in der Wahlkommunikation
Fritz Plasser
"Amerikanisierung" der Wahlkommunikation in Westeuropa:
Diskussions- und Forschungsstand ............ .................................. .................... 49
Klaus SchOn bach und Holli A. Semetko
"Gnadenlos professionell": Journalisten und die aktuelle Medien-
berichterstattung in Bundestagswahlkampfen 1976-1998 ............................... 69
6 Inhalt
Jiirgen Wilke
Kanzler-Kandidaten in der Wahlkamptberichterstattung 1949-1994:
Skizze eines Forschungsprojekts .......................... ........................................... 79
Friedrich Forsterling
Wahlen aus der Perspektive der Attributionstheorie:
Forschungsergebnisse, Versuchsplane und Analyseperspektiven ................... 91
Hans-Jorg Stiehler
"Nach der Wahl ist vor der Wahl": Interpretationen als Gegenstand
der Medienforschung ....................................................................................... 105
Gabriele Melischek und Josef Seethaler
Sieger und Verlierer in der Nachwahlberichterstattung
der Berliner Tagespresse 1928-1932 ............................................................... 121
Politikvermittlnng nnd Politikresonanz
Martin Liepach
Publizistische Wahlempfehlungen und das Wahlverhalten der
judischen Bev6lkerung in den Reichstagswahlen 1932 ................................... 159
Manfred Knoche
Politikvermittlung und Wahlkampfkommunikation zu den GRUNEN
in Deutschland (1983-1990): Der Einsatz eines Mehrmethodendesigns
fur die Langzeitanalyse .................................................................................... 175
Claude Longchamp
Themenhierarchisierung und Klimaerzeugung: Uberlegungen zur
Bedeutung des "agenda setting"-Ansatzes fUr die Analyse und
Gestaltung von politischen Kampagnen am Beispiel der
schweizerischen Nationalratswahlen 1983-1995 ............................................. 191
Helmut Scherer
Wiihlt das Panel anders? .................................................................................. 213
Kai Arzheimer, Markus Klein und Jiirgen W. Falter
Lasst sich die Total-Design-Method auch auf Panelbefragungen
anwenden? Ein Projektbericht ......................................................................... 235
Inhalt 7
Wahlkommunikation und politisch-sozialer Wandel
Kurt Imhofund Patrik Ettinger
Die Kommunikationsereignisse Wahlen und Abstimmungen als
Indikatoren sozialen Wandels: Das Beispiel der Schweiz im
Zeitraum von 1910 bis 1995 ............................................................................ 251
Christina Holtz-Bacha und Eva-Maria Lessinger
Wahlwerbung als Indikator politisch-kuiturellen Wandels:
Erfahrungen aus einer Langzeituntersuchung ................................................. 273
Rudolf StOber
Wahlen, Politikvermittlung und politisches Klima im Deutschen
Kaiserreich: Verscharfung der Gegensatze oder professionellere
Selbstdarstellung der Politik? .......................................................................... 281
Hartmut Wej3ler
Deutungswandel im Mediendiskurs: Ansatze zu einer Prozessanalyse
der Tiefenstruktur von 6ffentlicher Kommunikation ...................................... 307
Verzeichnis der AutorInnen ............................................................................ 325
Vorwort
Nichts ist so gut erforscht wie die Wahlkommunikation - heiSt es mit Blick auf
die gesamte politische Kommunikationsforschung aus publizistik- und kommu
nikationswissenschaftlicher Perspektive. Wahlkommunikation wird von der Pu
blizistik- und Kommunikationswissenschaft iiberbewertet, liest man in Beitra
gen von Politologen. Und Methodenexperten wiederum kritisieren die Schlicht
heit der Designs und Auswertungsmethoden bei vielen Wahlstudien und Wahl
kampfanalysen. Und generell wird die Orientierung auf aktuelles Material kriti
siert: die historische Tiefenscharfe fehle, sodass viele Erklarungen doch letztlich
unzureichend bleiben.
Der vorliegende Band spiegelt die zahlreichen Dilemmata der Wahl for
schung: Geschichte, Politikwissenschaft, Psychologie, Soziologie sowie Publi
zistik- und Kommunikationswissenschaft setzen sich mit Wahlen und Wahl
kampfen aus hochst unterschiedlichen Perspektiven, mit unterschiedlichen Fra
gestellungen und auf Basis unterschiedlicher Methoden auseinander. Die Viel
fait gibt kein einheitliches, geschlossenes Bild, macht aber auf die jeweiligen
Erkliirungsstarken von Ansatzen und Methoden aufmerksam. Ein ebenso kom
plexer wie folgenreicher politischer Prozess wie Wahlen lasst sich nun einmal
nicht einfach erklaren - selbst wenn man ihn nur als Einzelereignis begreift.
Akteure, Konstellationen und historische Erfahrungen, also situative Faktoren
wie Entwicklungspfade, bestimmen Veri auf und Ergebnis von Wahlkampfen
gleichermaBen. Allen Unkenrufen von der ,,Amerikanisierung" oder der Labili
sierung politischer Strukturen zum Trotz, weisen auch heute Wahlverlaufe ein
hohes MaS an Berechenbarkeit auf, konnen Verlaufe und Ergebnisse durchaus
schliissig erkliirt werden. Das aber zumeist erst dann, wenn mit geniigend zeit
lichem Abstand auf die Entwicklungen gesehen wird. Die ad hoc-Erklarungen
wie auch die immer zahlreicher werdenden Einzel(fall)studien leiden, so zeigen
Beitrage auch in diesem Band, zu sehr unter den jeweils laufenden "Interpreta
tionsschlachten". Und die beginnen spatestens mit dem SchlieSen der Wahl-
10 Hans Bohnnann, Otfried Jarren, Gabriele Melischek und Josef Seethaler
lokale und der VerOffentlichung der ersten Trends und Hochrechnungen. Unser
aller Bild, auch das Bild der Wissenschaft, von Wahlen wird vielfach durch den
Ersteindruck und die Interpretationsangebote beteiligter und interessierter Krei
se gepragt. Auch wenn Politiker, Demoskopen und Medienakteure mit derarti
gen schnellen Erklarungen oft auch die Rechtfertigung fUr ihr (meist teures) Da
sein bieten, gewinnt doch die Wahl ihre eigentliche Bedeutung erst in diesem
gesellschaftlichen, vor allem massenmedialen Interpretationsprozess. Die nach
ste Wahl findet schlieBlich alsbald statt, yom permanenten Wahlkampf wird ge
sprochen.
Politiker, Demoskopen, Polit-Berater und Medien profitieren gemeinsam
yom "Event Wahl", wenngleich in unterschiedlicher Weise und in unterschied
lichen Wahrungen. Aber sie aile haben ein Interesse an Deutungen, die ihnen
Vorteile verschaffen sollen. Ein Vorgang, der auch die Wissenschaft nicht un
beeindruckt lasst, wird sie doch urn Analyse und Bewertung nachgefragt, kann
sie sich - endlich - als praxisrelevant beweisen. Freilich greift manche Analyse
dann zu kurz. Die wissenschaftliche Distanz fehlt vielfach, auch weil die
grundlagenorientierte Wissenschaft an diesem Deutungsgeschaft nicht beteiligt
ist. Die sozialwissenschaftliche Wahlforschung ist auf die Daten zumeist kom
merzieller Unternehmen angewiesen, die vor, wahrend und nach den Wahlen
eifrig Daten fUr ihre Kunden sammeln und verbreiten (lassen). Doch was da
alles erfragt und erhoben wird, das hat mit wissenschaftlichen Fragestellungen
zumeist nur noch wenig zu tun und lasst sich deshalb fUr wissenschaftliche
Zwecke eigentlich auch gar nicht heranziehen. Doch mangels eigener empiri
scher Moglichkeiten, denn solide empirische Erhebungen wie beispielsweise
Panel-Befragungen, sind aufwendig und kostenintensiv, wird vielfach auf Mate
rial aus der kommerziellen Forschung zurtickgegriffen. Es mangelt also tatsach
lich, trotz der Zahlenflut, an serios gewonnenen Daten fUr theoriegeleitete Inter
pretationen. So nimmt es nicht wunder, dass erst mit Distanz und einigem zeit
lich Abstand Wahlen hinreichend interpretiert werden konnen.
Die Beitrage im Band machen deutlich, dass vor allem Longitudinalstudien
sinnvoll und erkenntnisreich sind, denn erst tiber langere Zeitraume zeigen sich
Veranderungen bei politischen Akteuren, bei einzelnen sozialen Gruppen im
Wahlverhaiten, im Mediensystem oder in der Medienberichterstattung. Und aus
der Betrachtung des Wandels von und in Wahl spots lasst sich, als Langzeitstu
die angelegt, auch viel tiber den sozialen Wandel und tiber das veranderte Poli
tikverstandnis in einer Gesellschaft ablesen. Andererseits lassen sich gerade
Wahlkiimpfe nicht begreifen ohne den Blick auf die politische Kuitur, auf politi
sche Strukturen, Akteure, deren Strategien und Handlungen zu werfen. Doch
wie lasst sich das ,,Mikro-Makro-Puzzle" (Max Kaase) legen?
Vorwort 11
Allein der Blick in die Medien reicht nicht aus. Strukturen und Akteurshan
deln bestimmen die Entscheidungen der Wahlbtirger mit, denn sie nehmen Poli
tik nun nicht allein tiber Medien und schon gar nicht allein nur zu Wahlzeiten
oder aufgrund von Werbespots wahr. Zweifellos hat die Politikvermittlung tiber
Medien an Bedeutung gewonnen und zweifelsohne sind auch Wahlen ohne die
modernen Massenmedien nicht zu denken, aber sich bei Analysen allein auf
Medieninhalte zu konzentrieren, ware verktirzt. Und dann stellt sich die Frage,
we1che Inhalte eigentlich zu betrachten sind - nur die vermeintlich politischen,
die wir in Nachrichtensendungen, auf Inlands- oder Auslandsseiten vorfinden?
Seit langerem gilt, dass Politik und Politikvermittlung sich nicht allein tiber die
politischen Inhalte vollzieht, sondern auch tiber Unterhaltungsangebote. Es ist
schon eigentiimlich: Zwar wird die groBe Bedeutung von Unterhaltungssendun
gen oder Talkshows fUr die Politikvermittlung betont und tiber die Politiker
auftritte auch offentlich gesprochen und gestritten, aber zugleich fehlt es bei
spielsweise an inhaltsanalytischen Studien zu diesen Genres. Und dass, obwohl
Unterhaltungssendungen und Talkshows mehr BtirgerInnen erreichen als politi
sche Magazine. Zudem ist die starke Orientierung auf Printmedien auffallig,
obwohl immer starker die besondere Bedeutung der Bildmedien, vor allem des
Fernsehens, betont wird. Dabei spielen wahl die leichtere Zuganglichkeit der
Printmedien einerseits und die aufgrund des hohen Aufwands notwendig selek
tive Dokumentation audiovisueller Medienprodukte andererseits, die retrospek
tiv nur bestimmte Untersuchungsdesigns zulasst, eine entscheidende Rolle -
ganz abgesehen von den hoheren methodischen Anforderungen, vor die eine
Analyse von Film- und Fernsehbildern gestellt ist.
In den Beitragen des Bandes wird viel tiber Professionalisierung der Wahl
kampfkommunikation geschrieben, es werden dafUr Beispiele gegeben und fUr
die Annahme gute Argumente ins Feld gefUhrt. Dabei darf allerdings nicht tiber
sehen werden, dass der Ressourcenaufwand fUr Wahlen in den letzten Jahr
zehnten in allen westlichen Demokratien erheblich gestiegen ist. Daraus re
sultieren Probleme der Parteien- und Wahlkampffinanzierung, aber auch Pro
bleme der demokratischen Chancengleichheit. Die offenkundige Okonomisie
rung von Medien und Politik - wahrlich kein neuartiges Problem, aber ein sich
wahl (wieder) verscharfendes - hat ftir den demokratischen Wettbewerb in
Wahlen, aber auch fUr die politische Kommunikation Foigen. Der Bonus der
Regierenden ist einer davon, zweifellos kein unwichtiger. Diese Entwicklungen
werden im vorliegenden Band auch angesprochen, wenngleich sie zumeist
nicht im Mittelpunkt empirischer Analysen stehen. Die Befassung mit Struktur
fragen, eine starkere Orientierung der Forschung auf die Meso- und Makro
Ebene, und auch eine Intensivierung historischer Aspekte scheint geboten, wenn
12 Hans Bohnnann, Otfried Jarren, Gabriele Melischek und Josef Seethaler
denn auch die an Wahlfragen interessierten Sozialwissenschaften sich profes
sionalisieren wollen.
Mit dem vorliegenden Band wird der Versuch unternommen, die Vielfalt an
Ansiitzen und Methoden in der Wahlforschung darzustellen. Die Unterschied
lichkeit solI anregen, auch tiber die Notwendigkeit einer verstiirkten Zusammen
arbeit innerhalb des Forschungsbereichs der politischen Kommunikation gene
rell sowohl zwischen den Disziplinen als auch zwischen den mit unterschied
lichen Methoden der empirischen Sozialforschung arbeitenden Wissenschaft
lerInnen nachzudenken. Wenn ein AnstoB dazu geHinge, ware viel erreicht.
Diesen Diskurs zu untersttitzen war auch die Leitlinie fUr die Anordnung der
Beitrage, die bewusst die tibliche Trennung zwischen den strikt gegenwartsori
entierten Sozialwissenschaften und historisch fragenden Wissenschaften ver
meidet und gegenstandsbezogen unterschiedliche Disziplinen zu Wort kommen
lasst. Auch wenn in einzelnen Beitragen mehrere Ebenen einbezogen sind, wur
den sie schwerpunktmaBig urn drei zentrale Fragestellungen gruppiert: den Fra
gen nach der Qualitat der Politikvermittlung durch Massenmedien in der Wahl
kommunikation, nach ihrer moglichen Resonanz und inwiefern sie als Indikator
politisch-sozialen Wandels gelten kann.
Nach den die Diskussion eroffnenden EinfUhrungen aus politik- und kom
munikationswissenschaftlicher Perspektive (Ulrich Sarcinelli und Ulrich Saxer)
stehen am Beginn des ersten Abschnitts zwei Beitrage, die zentrale Aspekte
der Wahlkampfkommunikation erneut aus der Sicht dieser Disziplinen unter
suchen. So prtift Fritz Plasser anhand von Indikatoren, die er aus einer Charak
terisierung der politischen Kommunikationspraxis in den USA gewinnt, die
Relevanz des Konzepts "Amerikanisierung" fUr westeuropaische Wahlkampfe,
wahrend Klaus Schonbach und Holli A. Semetko aus einer Zusammenschau von
Forschungsergebnissen zu den Bundestagswahlen 1976-1998 die mit der jour
nalistischen Professionalitat begrtindete These von der Geltung eines Sichtbar
keitsbonus in der Wahlkampfberichterstattung ableiten, der in der Regel der Re
gierung ntitzt und nur dann der Opposition zugute kommt, wenn sie schon frtih
die Chance eines Wahl sieges als Nachrichtenfaktor anzubieten hat. Auf eine
langfristige Uberprtifung der von Thomas E. Patterson in seinem Buchtitel "Out
of Order" zugespitzten Thesen der Veranderungen bzw. Verzerrungen in der
Wahlkampfberichterstattung der letzten lahrzehnte zielt schlieBlich das von ltir
gen Wilke vorgestellte Design einer systematischen Inhaltsanalyse der Bericht
erstattung tiber Kanzler-Kandidaten in den fUhrenden deutschen Tageszeitungen
1949-1994.
Der zweite Schwerpunkt dieses Abschnitts konzentriert sich primiir auf die
massenmedial vermittelten Interpretationen des Wahlergebnisses, die in letzter