Table Of ContentMARIANNE WIFSTRAND SCHIEBE
VERGIL UND DIE TRADITION VON DEN
RÖMISCHEN URKÖNIGEN
HERMES
ZEITSCHRIFT FÜR KLASSISCHE PHILOLOGIE
EINZELSCHRIFTEN
HERAUSGEGEBEN VON
JÜRGEN BLÄNSDORF
JOCHEN BLEICKEN
WOLFGANG KULLMANN
HEFT76
FRANZ STEINER VERLAG STUTTGART
1997
MARIANNE WIFSTRAND SCHIEBE
VERGIL
UND DIE
TRADITION VON
• •
DEN ROMISCHEN
••
URKONIGEN
FRANZ STEINER VERLAG STUTTGART
1997
HERMES-EINZELSCHRIFTEN (ISSN 0341-0064)
Redaktion:
Prof. Dr. J0RGENB LÄNSDORAFm, Römerberg lc, D-55270 Essenheim
(verantwortlich für Latinistik)
Prof. Dr. JOCHENB LEICKENH,u mboldtallee 21, D-37073 Göttingen
(verantwortlich für Alte Geschichte)
Prof. Dr. WOLFGANKGU LLMANNBa, yemstr. 6, D-79100 Freiburg
(verantwortlich für Gräzistik)
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Jährlich 3-6 Bände verschiedenen Umfanges
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Die Deutsche Bibliothek -CIP-Einheitsaufnahme
[Hermes/ Einzelschriften]
Hermes : Zeitschrift für klassische Philologie. Einzelschriften.
- Stuttgart : Steiner.
Früher Schriftenreihe. -Nebent.: Hermes-Einzelschriften
Reihe Einzelschriften zu: Hermes
NE: Hermes-Einzelschriften
H. 76. Wifstrand Schiebe, Marianne: Vergil und die Tradition
von den römischen Urkönigen. - 1997
Wifstrand Schiebe, Marianne::
Vergil und die Tradition von den römischen Urkönigen /
Marianne Wifstrand Schiebe. - Stuttgart : Steiner, 1997
(Hermes ; H. 76)
ISBN 3-515-07019-2
0
ISO 9706
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auf saure~re1em, alterungsbeständigen Papier. © 1997 by Franz Steiner Verlag Wiesbaden
Gi:t1bH,_ SitzS tuttgart. Druck: Druckerei Peter Proff, Eurasburg.
Pnnted m Germany
VORWORT
Die vorliegende Arbeit ist im wesentlichen das Ergebnis eines zweijährigen Pro
jekts, das vom Schwedischen Forschungsrat für Geistes- und Gesell
schaftsw is senschaf ten finanziert wurde (Hum anis tisk-S am h ällsv eten
s k apliga Forskningsradet; 1992-1994). Dank der Arbeitsruhe, die mir wäh
rend der Projektzeit durch die ungewohnte finanzielle Sicherheit zuteil wurde,
konnte ich mich der Forschung vollzeitlich widmen und so die Untersuchung, die
ich schon seit Jahren als dringend empfand, ohne Unterbrechung zu Ende führen.
Der Forschungsrat hat auch dankenswerterweise die Druckkosten mitgetragen.
Entscheidende Vorarbeiten wurden während meiner Zeit als Gastwissenschaft
lerin an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 1991 geleistet. Die
freundliche Aufnahme im dortigen Seminar für Klassische Philologie, die wissen
schaftliche Diskussion und der fortwährende Kontakt mit dem Seminar, insbeson
dere mit Frau Prof. Dr. Antonie Wlosok, haben sowohl Konzeption wie Durch
führung der Arbeit höchst wesentlich gefördert. Der Aufenthalt wurde durch ein
Reisestipendium der Universität Uppsala (Sederholms fond) sowie ein Gastwissen
schaftlerstipendium der Johannes-Gutenberg-Universität ermöglicht.
Zwei schwedischen Gelehrten bin ich zu Dank verpflichtet. Herr Prof. Dr. Len
nart Ryden hat mich mit wertvollen Kommentaren zu den Abschnitten 5.2. und 5.3.
unterstützt. Zur numismatischen Thematik des Abschnitts 3.2.1.1. konnte ich mich
mit Herrn FK Harald Nilsson beraten.
Den Herausgebern der Hermes-Einzelschriften, den Herren Professoren Bläns
dorf, Bleicken und Kullman, danke ich für die Aufnahme dieser Arbeit in die Reihe
sowie für wertvolle Hinweise. Herrn Professor Blänsdorf sei besonders gedankt
für seinen unermüdlichen Beistand bei der Herstellung der Druckvorlage.
Uppsala im Dezember 1996 Marianne Wifstrand Schiebe
INHALTSVERZEICHNIS
EINFÜHRUNG ............................................................................. 9
1. DIE SATURNSAGE DER AENEIS - ÜBERLIEFERUNG UND
NEUERUNG .............................................................................. 14
1.1. Sinn und Zweck der Saturnsage der Aeneis ................................. 14
1.2. Vermeintliche Vorbilder in früherer Tradition ............................... 19
1.2.1. Saturn König Italiens bei republikanischen Historikern?
Das Zeugnis der frühchristlichen Autoren .................................... 19
1.2.2. Saturn König Italiens bei republikanischen Historikern? -
Gegenargumente ................................................................. 24
1.2.3. Das Problem der Sacra historia des Ennius ........................... 28
1.3. Von Dichtung zu Geschichte: die Problematik der Umwandlung der
Saturnsage ............................................................................. 33
2. ZU DEN FRÜHEREN SATURNTRADITIONEN ................................ 39
2.1. Vergils Georgica 2,536ff. und die bodenständige Saturntradition ........ 39
2.1.1. Saturn bei Varro rust. 3,1,5 ............................................ 41
2.1.2. Saturn bei Dionysios von Halikarnaß 1,36 ........................... 45
2.2. ,,Kronos im Westen" ........................................................... 46
2.3. Die Saturnia-Tradition .......................................................... 51
2.3.1. Der besondere Charakter der vorvergilischen Saturnia-
Tradition: Dionysios von Halikarnaß 1,34 ........ ·. ........................... 52
2.3.1.1. Die übrigen Zeugnisse der vorvergilischen Saturnia-
Tradition .......................................................................... 57
2.3.2. Spuren der vorvergilischen Saturnia-Tradition in einigen
weiteren Texten .................................................................. 65
2.3.3. Abschließende Bemerkungen zur Saturnia-Tradition ................ 72
2.4. Rückblick auf Kapitel 2 ........................................................ 73
2.5. Anhang: Der Janus der Aeneis im Verhältnis zur früheren Tradi-
tion ....................................................................................... 73
3. DIE HISTORISIERUNG DER SATURNSAGE DER AENEIS ................ 77
3.1. Hintergrund: Die Distinktion zwischen höheren und „geworde-
nen" Göttern. Der Begriff Euhemerismus ......................................... 77
3.1.1. Saturn und die allegorische Deutung der höheren Götter ........... 80
3 .2. Der Prozeß der Historisierung ................................................. 83
3.2.1. C. Iulius Hyginus und die Historisierung der Saturnsage .......... 86
3.2.1.1. Das Verhältnis zwischen Janus und Saturn bei Hygin ............ 95
3.2.2. Pompeius Trogus und die Historisierung Saturns .................. 109
4. ZUR REZEPTION UND ENTWICKLUNG DER HISTORISIERTEN
URGESCHICHTE DER AENEIS ..................................................... 115
4.1. Die Urkönige bei Sueton? ..................................................... 115
4.2. Origo gentis Romanae ......................................................... 119
4.3. Servius ........................................................................... 131
4.4. Die christlichen Autoren: Vorbemerkungen ................................. 139
4.4.1. Tertullian ................................................................. 140
4.4.2. Minucius ................................................................. 144
4.4.3. Lactanz ................................................................... 148
4.4.4. Schlußfolgerungen ...................................................... 151
5. DIE LAURENTISCHE KÖNIGSREIHE .......................................... 153
5.1. Das Verhältnis der längeren und der kürzeren Königsreihe zuein-
ander ................................................................................... 156
5.2. Der zeitliche Ansatz des regnum Laurentum ................................ 159
5.3. Die Königsreihe in der christlichen Chronistik des Ostens ................ 161
6. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK ..................................... 165
6.1. Zusammenfassung ............................................................. 165
6.2. Ausblick ins Mittelalter ........................................................ 166
LITERATUR .............................................................................. 169
PERSONEN- UND SACHREGISTER ............................................... 177
STELLENREGISTER ................................................................... 182
EINFÜHRUNG
Griechische Autoren interessierten sich mindestens seit dem 5. vorchristlichen
Jahrhundert für die älteste Geschichte Italiens. Sie stellten sich gerne vor, daß Ita
lien in frühester Zeit von wiederholten Einwandererwellen aus Griechenland be
siedelt worden sei. Die frühen römischen Historiker sind ihnen offensichtlich
teilweise darin gefolgt, und auch Varro hat z. B. die älteste Geschichte Italiens im
Lichte solcher Theorien betrachtet 1. Die vorliegende Untersuchung berührt jedoch
diese Traditionen nur mittelbar. Im Zentrum des Interesses steht statt dessen eine
andere Fassung, die in wechselnder Form in mehreren erhaltenen lateinischen Tex
ten der Kaiserzeit vorliegt und die im Gegensatz zu den gerade genannten Vorstel
lungen sich primär und spezifisch auf Rom selbst und seine nächste Umgebung
konzentriert. Nach dieser Fassung hat in der frühesten Zeit entweder Saturn allein
oder Janus, zunächst allein und dann neben Saturn, an der Stätte des späteren Rom
geherrscht. Einige Texte verfolgen die Geschichte weiter und stellen einen An
schluß an die Aeneassage her: nach Saturn sei Picus an die Herrschaft gelangt; ihm
sei Faunus gefolgt und diesem wiederum Latinus. In die Zeit des Latinus wurde be
kanntlich die Einwanderung der Trojaner unter Aeneas verlegt.
Das Ziel dieser Arbeit besteht darin, den Hintergründen und der Entwicklung
der Tradition von den römischen Urkönigen Saturn, Janus usw. nachzugehen.
Einen besonderen Schwerpunkt bildet die Frage, wie ihr wichtigstes Element, die
Herrschaft Saturns, sich zu dem reichen Schatz von Vorstellungen über Kronos
und Saturn im allgemeinen und zur Saturnsage der Aeneis im besonderen verhält.
Eine monographische Gesamtdarstellung der Thematik wurde m. W. bisher nicht
unternommen. Die einzelnen Stellen sind selbstverständlich vielfach in den ver
schiedensten Zusammenhängen mehr oder weniger eingehend behandelt worden,
und auch Einzelaspekte sind immer wieder Gegenstand der Diskussion gewesen.
Sie standen aber weniger oft im Mittelpunkt des Interesses, sondern wurden in der
Regel mehr zufällig und nebenbei besprochen, etwa an den diesbezüglichen Stellen
der kommentierten Ausgaben oder in Untersuchungen zu den betreffenden Auto
ren2. Gerade die zusammenhängende Perspektive läßt jedoch Muster erkennen, die
bei der Betrachtung einzelner Textbelege versteckt bleiben. Im folgenden wird sich
herausstellen, daß die Tradition von den römischen Urkönigen weit weniger ein
heitlich, weit weniger statisch ist, als normalerweise vorausgesetzt wird, und, was
besonders wichtig ist, daß sie keineswegs so alt und so verbreitet gewesen ist, wie
es nach den einschlägigen Stellen der modernen Literatur den Anschein hat.
Die Terminologie hat mir einige Schwierigkeiten bereitet. Ich bin mir bewußt,
daß das Wort „Urgeschichte", das ich im folgenden wiederholt verwenden werde,
1 S. dazu unten S. 85 (mit Fußn. 35).
2 Eine Ausnahme bildet der ausführliche Artikel von BRELICH 1976 (erste Auflage 1955), der
fast schon eine kleine Monographie ausmacht.
10 Einführung
nicht ideal ist, da es falsche Vorstellungen erwecken könnte. Ich habe jedoch kein
besseres gefunden. Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei hier von vornherein
klargemacht, daß ich den Begriff lediglich als Bezeichnung für eine Vorstellung von
der allerältesten Zeit, wie auch immer verstanden, verwende. Er kann sich also
durchaus auf einen Stoff beziehen, der noch primär als Sage empfunden wird, und
besagt nicht, daß eine historische Sichtweise zugrundeliegt. Begriffe wie „Sagen
geschichte" oder „mythische Geschichte" würden als übergeordneter Begriff nicht
zutreffen. Zwar erscheint von unserem heutigen Standpunkt aus der hier behandelte
Stoff gewiß durchgehend als Sagengeschichte, aber nicht wie er uns erscheint,
sondern ausschließlich, wie er den antiken Menschen vorgekommen ist, soll das
Thema der Untersuchung sein, und von ihrem Standpunkt aus träfe eine solche
Gesamtbenennung nicht zu. Eins meiner Hauptanliegen besteht geradezu darin, zu
verfolgen, wie ein bestimmter „Sagenstoff' seinen legendären Charakter einbüßte
und stattdessen als getreues Bild der historischen Vergangenheit verstanden wurde.
Die Texte, die im folgenden besprochen werden sollen, verteilen sich grob
gesehen auf zwei Zweige, deren Unterscheidung für das Verständnis der Entste
hung und der Entwicklung unserer Tradition von größter Bedeutung ist. Den einen
Zweig werde ich im folgenden den mythisierenden nennen, während ich den
anderen als den historisierenden bezeichne. Diese Begriffe stehen ausschließlich
für eine jeweils charakteristische Sichtweise; das Wort „mythisierend" darf nicht so
verstanden werden, als enthielte es zugleich eine Aussage über die Herkunft oder
das Alter der so bezeichneten Vorstellung oder gar über das Wesen oder die Funk
tion von Mythen im allgemeinen. Es weist lediglich auf den Umstand hin, daß nach
dem Standpunkt der betreffenden Texte die ewigen Götter leibhaftig und sichtbar
auf Erden auftreten können. Unter solchen Umständen besteht also die Möglichkeit,
daß ein Gott (etwa Kronos/Saturn) als König über Menschen herrscht. Dem
gegenüber umfaßt der historisierende Zweig Texte, die ein solches leibhaftiges Auf
treten ewiger Götter unter den Menschen nicht zulassen, dafür aber den betreffen
den Gott für einen ursprünglichen Menschen halten, der dann nach seinem Tod zu
den Göttern aufsteigt oder von den Menschen als Gott betrachtet wird. Wo
Kronos/Saturn hier als König auf Erden auftritt, handelt es sich somit um einen
menschlichen, auf Erden geborenen König.
Die Diskussion geht mit Notwendigkeit von der Aeneis aus. Ich hoffe und
glaube, daß meine Untersuchung deutlich an den Tag legt, daß die Tradition von
den römischen Urkönigen und ihren Taten, so wie wir sie kennen, in der Aeneis
ihren Ausgangspunkt hat und ohne diese in vorliegender Form gar nicht denkbar
wäre. Erst auf diesem Hintergrund werden die kaiserzeitlichen Behandlungen der
römischen Urgeschichte voll verständlich.
Den ersten Anstoß zur Auseinandersetzung mit dem Stoff gab mir die Arbeit an
meiner Dissertation (1981). Bei der Analyse des Themas Goldene Zeit bei Vergil
(ebenda Kap. 2) ging mir auf, daß die Information, die die wissenschaftliche Lite
ratur i~ allgemeinen zu den mit Saturn und der goldenen Zeit verknüpften Traditio
nen gibt, und der tatsächliche Inhalt der einschlägigen antiken Texte so schlecht
miteinander in Einklang stehen, daß eine kritische Gesamtmusterung des Textma
terials erforderlich ist, um die wahren Verhältnisse aufzudecken. Besonders auf-