Table Of ContentIm August 2002 stellte Peter Hartz die Ergebnisse der nach ihm benannten Kommission der Jürgen Klute, Sandra Kotlenga (Hg.)
Öffentlichkeit vor. Zielsetzung des Sammelbandes ist es, nach einem halben Jahrzehnt der Planung
und Umsetzung der Hartz-Reformen sowohl Bilanz zu ziehen als auch alternative Perspektiven in
Sozial- und Arbeitsmarktpolitik
die Diskussion zu bringen.
Die in diesem Band versammelten Beiträge beleuchten zum einen die politisch-normativen
Grundlagen und Implikationen der Hartz-Reformen, zum anderen die konkreten Folgen des damit nach Hartz
verbundenen Abbaus sozialer Rechte. Der Fokus dieser Bilanz reicht dabei über die materiellen
und arbeitsmarktpolitischen Implikationen hinaus und umfasst Bereiche gesellschaftlichen
Lebens, die unter der Zielperspektive der „Aktivierung“ eine immer stärkere Indienstnahme seitens Fünf Jahre Hartzreformen:
der Arbeitsmarktpolitik erfahren. In einem zweiten Teil des Sammelbands werden alternative
sozialstaatliche, wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Konzepte sowie konkrete Ansätze ihrer Bestandsaufnahme - Analysen - Perspektiven
Umsetzung vorgestellt.
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ISBN: 978-3-940344-33-5 Universitätsdrucke Göttingen Universitätsdrucke Göttingen
Jürgen Klute, Sandra Kotlenga (Hg.)
Sozial- und Arbeitsmarktpolitik nach Hartz
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erschienen in der Reihe der Universitätsdrucke
im Universitätsverlag Göttingen 2008
Jürgen Klute, Sandra Kotlenga (Hg.)
Sozial- und
Arbeitsmarktpolitik
nach Hartz
Fünf Jahre Hartzreformen :
Bestandsaufnahme- Analysen-
Perspektiven
Universitätsverlag Göttingen
2008
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über
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Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung
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Satz und Layout: Sandra Kotlenga
Umschlaggestaltung: Margo Bargheer
© 2008 Universitätsverlag Göttingen
http://univerlag.uni-goettingen.de
ISBN: 978-3-940344-33-5
Inhaltsverzeichnis
Einleitung...............................................................................................................................7
Teil I: Bestandsaufnahme und Analysen
Gerhard Bäcker: SGB II: Grundlagen und Bestandsaufnahme....................................20
Andrej Holm: Wohnungspolitische Auswirkungen der Hartz-IV-Gesetzgebung....43
Karsten Schuldt: Aktive Arbeitsmarktpolitik nach den Hartz-Gesetzen.....................61
Brigitte Sellach: Monitoring zu den Wirkungen von SGB II auf
Frauenhausbewohnerinnen und Frauenhäuser............................................................74
Sandra Kotlenga: Auswirkungen der Hartz-Reformen auf den Dritten Sektor........100
Christoph Butterwegge: Peter Hartz und historische Parallelen zu seiner
Reformpolitik – ein Rückblick auf die Weimarer Republik......................................122
Sabine Berghahn: Die „Bedarfsgemeinschaft“ gemäß SGB II: Überwindung oder
Verfestigung des männlichen Ernährermodells?........................................................143
Jürgen Klute: Die Zukunft der Arbeit und ihre Destruktion durch die Hartz-
Reformen..........................................................................................................................169
Teil II: Perspektiven
Katja Kipping: Und weil der Mensch ein Mensch ist… – Zur Debatte um das
bedingungslose Grundeinkommen...............................................................................179
Gisela Notz: Ist Grundeinkommen eine Alternative zur aktuellen Sozial- und
Arbeitsmarktpolitik?........................................................................................................187
Daniel Kreutz: „Bedingungsloses Grundeinkommen“ – Kritik eines Mythos und
Alternativen......................................................................................................................200
Matthias Möhring-Hesse: Die Zukunft der Sozialpolitik: Demokratischer
Sozialstaat.........................................................................................................................208
Elisabeth Voß: Wirtschaftliche Selbsthilfe gegen Armut und Ausgrenzung?..........218
Niklas Forreiter: Modernisierung und Autonomie – Potentiale
sozialer Sicherung jenseits der neuen Sozialpolitik....................................................243
Einleitung
Am 16. August 2002 stellte Peter Hartz die Arbeitsergebnisse der nach ihm be-
nannten Kommission im Französischen Dom zu Berlin der Öffentlichkeit vor.
Gut ein halbes Jahrzehnt später war ein guter Zeitpunkt, eine Zwischenbilanz über
die Auswirkungen der so genannten Hartz-Reformen zu ziehen, aber auch alterna-
tive Perspektiven in die Diskussion zu bringen.
Damals hatte Peter Hartz den Ruf, als verantwortlicher Personalmanager VW
zu einem „atmenden Unternehmen“ gemacht zu haben. Verschwiegen wurde und
wird dabei, wie es ihm gelungen war, Arbeitsplätze bei VW und vor allem auch in
Wolfsburg zu sichern. Einerseits hatte er eine hohe Flexibilisierung im Unterneh-
men und damit einher gehende Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen für
die Beschäftigten durchgesetzt. Andererseits hatte er dafür gesorgt, dass viele Zu-
lieferer von VW ihren Standort nach Wolfsburg verlegten. Dies sicherte zwar Ar-
beitsplätze in Wolfsburg und führte teilweise auch zu neuen Stellen. Vergessen
wird in dieser angeblichen Erfolgsstory aber, dass diese an den ehemaligen Stand-
orten der Zulieferer vernichtet worden sind. Statt einer Neuschaffung gab es also
nur eine Verlagerung von Arbeitsplätzen.
Wer sich diese von Peter Hartz bei VW durchgesetzten Prozesse genauer an-
schaute, konnte schon 2002 erkennen, dass er weniger ein „atmendes Unterneh-
men“ schuf als vielmehr ein „flexibles Unternehmen“. Die Lasten dieser Flexibili-
tät hatten die Zulieferer, die Beschäftigten und nicht zuletzt die sozialen Siche-
rungssystem und insofern die Gesellschaft zu tragen (vgl. Rügemer 2006, S. 69ff).
Allerdings muss man Peter Hartz zugestehen, dass es ihm gelungen ist, diese Pro-
zesse als sozialverträglich darzustellen und „sein“ Unternehmen mit dem Image zu
versehen, im Unterschied zu manch anderen großen Unternehmen kein Arbeits-
platzvernichter zu sein. Werner Rügemer resümiert dazu in seinem Buch (ebd., S.
72): „‚Bei VW‘ und bei ‚Agenda 2010‘ lautet das Prinzip: Die Arbeiterelite darf ei-
nige Privilegien behalten, indem sie Kürzungen bei denen befürwortet, die ohnehin
8 Jürgen Klute/Sandra Kotlenga
weniger verdienen oder arbeitslos sind.“ Das entspricht der Empfehlung, die die
Sozialwissenschaftler, Regierungsberater und Mitglieder der Arbeitsgruppe „Ben-
chmarking“ des von der rot-grünen Bundesregierung initiierten Bündnisses für Ar-
beit Rolf Heinze und Wolfgang Streeck in ihrem Artikel „An Arbeit fehlt es nicht“
bereits 1999 formuliert haben:
„In der Tat gibt es keinen Grund, warum qualifizierte Berufsarbeit, Flächenta-
rif, Kündigungsschutz usw. nicht weiterhin, bei zeitgerechter Entwicklung, den
industriellen Kernsektor prägen sollten – auch wenn dieser, wie selbst in Deutsch-
land nicht anders möglich, immer kleiner werden wird. Was das industrielle Be-
schäftigungsmodell allerdings nicht mehr beanspruchen kann, ist seine universelle
Geltung für die Gesellschaft als Ganze. Versuche, es dem wachsenden Dienstleis-
tungssektor aufzuzwingen, schaden nicht nur der Beschäftigung, sondern stoßen
zunehmend auf politischen Widerstand.“ (Heinze/Streeck 1999, S. 41)
Eine weitere schon damals zu stellende Frage war, ob sich die Methoden eines
(angeblich) „atmenden Unternehmens“ auf eine Gesellschaft anwenden lassen. Ein
Unternehmen ist in einen gesellschaftlichen Kontext – bestehend aus ver-
schiedenen Teilsystemen u.a. sozialer Regulative – eingebettet: Frühverrentungen,
öffentlich finanzierte Umschulungen, Arbeitslosenversicherung etc. Unternehmen
greifen im Rahmen ihrer Reorganisations- und Rationalisierungsprozesse exzessiv
auf diese Instrumente zurück. Auch das, was Peter Hartz als „Atmen“ eines Unter-
nehmens bezeichnet hat, hat soziale Regulative zur Voraussetzung. Eine Übertra-
gung einer solchen Unternehmensstrategie auf die Gesamtgesellschaft ist also inso-
fern problematisch, als dass sie die Übertragung der Strategie eines Teilsystems, die
das Gesamtsystem zur Voraussetzung hat, auf das übergeordnete Gesamtsystem
bedeutet. Das Problem besteht darin, dass eine Gesellschaft nicht auf eine ihr ü-
bergeordnete Struktur zurückgreifen kann, wie ein Unternehmen es macht, wenn
es auf gesellschaftlich organisierte Sicherungssysteme zurückgreift. Die Gestaltung
des einen Teilsystems hat somit zwangsläufig Konsequenzen für die anderen ge-
sellschaftlichen Teilsysteme.
So hat der mit den Hartz-Reformen durchgesetzte Workfareansatz und der
damit verbundene Wegfall jeglicher Zumutbarkeitsgrenzen bei der Aufnahme einer
Beschäftigung nicht nur Auswirkungen auf das Regulierungsregime der „Nicht-
Erwerbstätigkeit“, sondern auch auf das Beschäftigungssystem: Von den Hartz-
Reformen sind demnach nicht nur Erwerbslose betroffen – als unmittelbares Ziel
der Angriffe auf soziale Rechte –, sondern auch die (noch oder wieder) Beschäftig-
ten. So war ein zentrales Ergebnis einer jüngeren Betriebsbefragung durch das
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, dass „das Prinzip des Förderns
und Forderns [...] nach Ansicht der Betriebe zumindest bei einem Teil der Bewer-
ber zu Verhaltensänderungen geführt [hat].“ In dem Kurzbericht ist zu den einzel-
nen Ergebnissen dieser Befragung zu lesen:
„Betriebe beobachteten seitdem [seit den Hartz-Reformen, Anm. der AutorIn-
nen], dass sich Bewerber häufiger als früher auch um inadäquate Arbeitsplätze be-
mühen: Gemessen an den Anforderungen der Stelle waren sie öfter unter- oder
überqualifiziert. [...] Etwa jeder fünfte Betrieb gab an, dass die Konzessionsbereit-