Table Of ContentFORSCHUNGSBERICHT DES LANDES NORD RHEIN -WESTF ALEN
Nr. 2979 / Fachgruppe Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
Herausgegeben vorn Minister fUr Wissenschaft und Forschung
Prof. Dr. Klaus R. Allerbeck
FakulHit fUr Soziologie der
Universitat Bielefeld
Politische Ungleichheit
Ein Acht-Nationen-Vergleich
Westdeutscher Verlag 1980
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Allerbeck, Klaus R.:
Politische Ungleichheit : e. Acht-Nationen
Vergleich / Klaus R. Allerbeck. - Opladen :
Westdeutscher Verlag, 1980.
(Forschungsberichte des Landes Nordrhein
Westfalen ; Nr. 2979 : Fachgruppe Wirt
schafts- u. Sozialwiss.)
ISBN-13: 978-3-531-02979-5 e-ISBN-13: 978-3-322-88706-1
DOl: 10.1007/978-3-322-88706-1
© 1980 by Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
Gesamtherstellung: Westdeutscher Verlag
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INHALT
Vorbemerkung
1. Einleitung: Politische Gleichheit
2. Dimensionen politI scher Partizipation 10
3. Soziale Schicht im internationalen 24
Vergleich
4. "Politische Ungleichheit" im interna 15
tionalen Bereich
5. Die Partizipationsdisparitaten in den
Ach t UindRrn
6. Ursachen politischer Ungleichheit 5':1
7. Die politische ReprasentativitKt der
Aktivisten
8. Zusammenfassung 78
Literatur
Anhang 87
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Vorbemerkung
Systematische internationale Vergleiche mittels reprasen
tativer Umfragen bieten gegenwartig vielleicht die erf'olg
versprechendsten Aussichten, zu gehaltvolleren empirisch
gesicherten makrosoziologischen Aussagen zu gelangen. Die
enormen Komplikationen gegenliber Ublicher Umfrageanalyse,
die ein solches Projekt mit sich bringt, haben mich von
dieser Uberzeugung nicht abbringen konnen. In der Darstel
lung habe ich versucht, die vielen Irrwege und Komplika
tionen, die zu empirischer Forschung unvermeidlich gehoren,
nicht noch dem Leser zu zumuten, sondern vor allem die
Hauptlinie der Analyse nachzuzeichnen.
Solche internationalen Vergleiche sind nur mit der Hilfe
und aktiven Kooperation vieler Kollegen moglich. Deswegen
mochte ich neben meinen deutschen Kollegen Max Kaase und
Hans-Dieter Klingemann vor allem den Kollegen in den sieben
anderen Landern flir die Zusammenarbeit im "Octopus"-Projekt
danken, welches diese Datensammlung moglich machte.
Die Datenanalyse des hier berio.hteten Projekts wurde vor
allem auf der TR 440 des Hochschulrechenzentrums der Uni
versitat Bielefeld durchgeflihrt. Die Herren Dipl.Soz.
Friedrich Harting und Hans-Rainer Stork leisteten die schwie
rige EDV-Arbeit mit einem sehr komplexen Datensatz und ana
lytischen Verfahren, welche oft an die Grenzen der Kapazitat
der verfligbaren Software gingen. Christiane Harting-Pott zeich
nete die graphischen Darstellungen. Maria Wieken-Mayser und
das Zentralarchiv flir empirische Sozialforschung waren bei der
Bereitstellung der Daten, der Fehlersuche und -korrektur hi If
reich. Last but not least danke ich Frau Maria Freye flir die
Erstellung der Druckvorlage.
FUr die verbale Darstellung der Ergebnisse bin ich allein ver
antwortlich. Aber diese ist nur die Spitze des Eisbergs; der
viel grol3ere "Rest" ist Ergebnis auch der Arbeit von vielen
anderen. Von der Verantwortung fUr all~allige Fehler, die
trotz aller Vorsichtsmal3regeln wohl nicht auszuschliel3en sind,
mochte ich sie aIle freilich freisprechen; wie immer so auch
hier geht die Verantwortung hierflir zu Lasten des Verfassers.
Bielefeld, im .Juli 1980 Klaus R. Allerbeck
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1. Einleitung: Politische Gleichheit
Die Gleichheit der politischen Teilhaberechte aller voll
jahrigen BUrger ist ein gemeinsames Merkmal.der modernen
Auffassungen von Demokratie. Der Vorwurf, die Gleichheit
der Teilhaberechte sei nicht realisiert, ist zugleich ein
regelmaBig auftretender Topos der Kritik an den bisher
bestehenden Staatsformen demokratischer Art. Der reprasen
tativen Form der Demokratie wird oft zum Vorwurf gemacht,
sie sei faktisch nur eine oligarchische Parteieliten-Macht
ausUbung mit demokratischer Scheinlegitimation; umgekehrt
wei sen Kritiker der Vorstellungen von direkter Demokratie
gern darauf hin, daB diejenigen, die in so verfaBten Ge
meinwesen tatsachlich partizipieren, alles andere als re
prasentativ fUr die Gesamtheit der BUrger seien. Eine Fort
setzung dieser Debatte zwischen reprasentativer und parti
zipativer Demokratie-Auffassung ist hier nicht beabsichtigt;
diese Debatte kann ohnehin schon kleinere Bibliotheken fUI
len. Das Ziel dieser Arbeit ist es vielmehr, einen eigenen
empirischen Beitrag zu einem einzigen Punkt dieser Debatte
zu leisten, in der oft empirische und normative Argumente
durcheinander gehen. Um dies zu tun, sucht die Arbeit eine
einfache Frage moglichst einfach zu beantworten: wie groB
sind die Abweichungen Yom Ideal der gleichen politischen
Beteiligung aller BUrger in modernen demokratisch verfaBten
Staaten?
Diese Frage klingt einfach genug, und dennoch ist es schwie
rig, sie zu beantworten. Die Schwierigkeiten ergeben sich
schon daraus, daB die Begriffe, die in der Frage vorkommen,
zwar verstandlich sind, aber ganz unzureichend geklart. Wenn
wir die GroBe der Abweichungen empirischer Gesellschaften
von einem als ideal definierten Zustand bestimmen wollen,
mUssen wir diesen Idealzustand prazis bestimmt haben und im
stande sein, Abweichungen zu messen; um sie Zll messen, beno
tigen wir hinTeichend geklarte Begriffe und ihnen entspre
chende MeBinstrumente. Diese Voraussetzungen sind nicht von
vornherein gegeben; es ist unsere Aufgabe, sie wenigstens
naherungsweise zu schaffen und diese Prazisierung jedenfalls
fUr die Zwecke dieser Arbeit zu leisten. Dies mag den An
schein erwecken, wir machten uns die Aufgabe so unnotig
schwer, oder saben Schwierigkeiten, die bisher anscheinend
nicht existierten. Abweichungen Yom Ideal gleicher politi
scher Beteiligung machten immerhin den Kern zahlreicher po
litischer Auseinandersetzungen des letzten Jahrhunderts aus.
Die Abschaffung von Wahlprivilegien von Bildung und Besitz,
des Dreiklassenwahlrechts, von der Forderung "one man - one
vote" bis zur Forderung des Frauenstimmrechts, der Kampf
gegen "literacy tests" als Voraussetzung der Wahlerregistrie
rung in den USA - immer ging es um die Forderung nach Gleich
heit, und immer erschien dies Ideal klar und deutlich genug.
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Warum 5011 es dann nicht hinreichend pdi.zis sein, um fUr
international vergleichende Sozialforschung unmittelbar
tauglich zu sein, ware eine naheliegende Frage.
Die Antwort ergibt sich daraus, daB die typische Situation
solcher Auseinandersetzungen eine andere ist als die, vor
der ein vergleichender Sozialforseher steht. 1m Mittelpunkt
der Konflikte um gleiche politische Teilhaberechte standen
rechtlich normierte Zugangsbeschrankungen; wer bestimmte
Merkmale nicht aufwies, war nicht berechtigt an Wahlen und/
oder Abstimmungen teilzunehmen. Ungleichheit war rechtlich
normiert; die Abschaffung dieser rechtlich normierten Un
gleichheit von Personengruppen wurde in solchen Auseinander
setzungen mit dem Ideal der Gleichheit praktisch gleichge
setzt. In so definierten Situationen ist die Alltagsbegriff
lichkeit klar genug und zur Verstandigung vollig ausreichend.
Der vergleichende Sozialforscher steht vor einer anderen
Situation. In den Gesellschaften, um die es hier geht, gibt
es rechtlich normierte Beschrankungen der politischen Teil
habe flir die normalen, volljahrigen Btirger so gut wie nicht.
Faktisch gibt es z.T. drastische Unterschiede der Nutzung
der politischen Teilhaberechte. DaB Manner in ihrer Nutzung
aktiver sind als Frauen, ist ebenso bekannt wie die Tatsache,
dal3 Oberschichtangehorige sie oft besser nutzen als Unter
schichtangehorige. Dal3 aktivistische Minderheiten, oft mit
extrernen Standpunkten, sie rnehr nutzen als die sog. "schwei
gende Mehrheit", wird in politischen Auseinandersetzungen
nicht selten behauptet. DaB es Ungleichheit gibt, ist weder
Uberraschend noch strittig. Aber wie grol3 ihr AusmaB wirklich
ist, ist unbekannt; ob sich dieses Mal3 an Ungleichheit inter
national unterscheidet, und wie stark, wissen wir aufgrund
derartiger Aussagen auch nicht. Urn Ungleichheit. zu messen,
liegt ein Blick in Richtung der Disziplin nahe, welche - auf
anderem Gebiet - UngleichheitsmaBe entwickelt hat.
Die quantitative Bestimmung von Ungleichheit ist seit .Jahr
zehnten Gegenstand okonomisch-statistischer Forschung. FUr
die Messung unterschiedlicher Grade von Ungleichheit gibt es
dort Verfahren, welche sich im Prinzip auch i'tir unsere Fra
gestellung eignen konnten. Eine Voraussetzung dafUr ist, dal3
wir Uber ein MaB fUr polltische Partizipation verfligen. Ver
fligten wir tiber ein derartiges MaG, konnten wir im Prinzip
so etwas wie Lorenz-Kurven oder Gi rri-Indizes poll ti scher Un
gleichheit berechnen, so wie okonomische Statistiker derar
tige Kurven und Indizes fUr Einkommens- oder Vermogensver
teilungen bestimmen konnen. Diese naheliegende Operationali
sierung wUrde fUr unsere Frage aber nicht angemessen sein,
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weil aie den wesentliehen Aspekt politiseher Ungleiehheit
nieht bertieksiehtigt. Der schliehte Tatbestand untersehied
lieher politiseher Aktivitat versehiedener Mensehen ist eher
trivial; es ist nieht sonderlieh aufregend, daO dAr eine
mehr, der andere weniger sieh an Politik beteiligt; rUr re
prasentative Demokratien ist dies rUr sleh bare Selbst.ver
standliehkeit. Nieht trivial und wesentlieh interessanter
ist politisehe Ungleiehheit dagegen dann, wenn aie sieh auf
untersehiedliehe Kategorien von Personen bezieht.
Deswegen werden wir Verfahren zu benutzen haben, wel.ehe
nieht einzelne Personen, sondern Kategorien von Personen
miteinander hinsichtlieh ihrer politischen Beteiligung ver
gleiehen. Politische Ungleiehheit wird so ermittelt, indem
die Beziehungen zwischen diesen Kategorien und dem MaO po
litischer Beteiligung erfal3t werden. 1m 1dealfall volli.ger
Gleichheit waren diese Beziehungen Null; je starker dagegen
die Beziehung, desto groOer die Abweiehung vom Gleichheits
ideal. So ist es moglich, zur Messung von Ungieichheit MaO
zahlen zu verwenden, die aich in der Sozialfors~hung bereits
bewahrt haben. 1hre Verwendung im internationalen Vergleich
macht allerdings einige weitere Uberlegungen erforderlich.
Es versteht sich, daO wir ein Man politischer Partizipation
benotigen. Es gibt in der Literatur zahlreiche Arbeiten,
die sich auch mit der Messung politischer Partizipation be
schaftigen; aber es gibt kein allgemein akzeptiertes vorlie
gendes MaO, das wir hier ohne weiteres benutzen konnten. Ins
besondere die Dimensionalitat politischer Heteiligung ist
strittig. Wir wenden uns dieser Frage im 2. Kapitel zu, wo
wir die Streitpunkte diskutieren, unsere Analysestrategie
entwickeln und die hieraus entstandenen MaDe vorstelJ.en.
Ebenso benotigen wir Mane unserer "unabhangigen Variabl.en",
m.a.W. der Kategorien von Personen, von denen wir pben
sprachen. FUr solche Kategorien wie Alter oder Geschlecht
ist dies unproblematisch; die Kategorien sind vorhanden und
offensichtlich. Flir eine so wichtige Variable wi e aozi ale
Schicht gilt dies nicht. Mit der Literatur, die Uber den ein
zig richtigen Begrifr sozialer Schicht strejtet, lassen sirh
zahlreiche Regale fUllen; ein VerCahren, mit dem sLeh sozin
Ie Schicht 1m internationalen Vergleich messen lliDt, folgt
daraus nicht. In Kapitel J diskutiercn wir das Problem im
e1nzelnen, entwickeln ein zum internationalHn Ver~leieh taug
liches ~laD und Uberpriifen seine Eigensehaften. nas Pr'oblelTl
rUr den Vergleich geeigneter ~aUzahlen wlrd im ~. Kapitel
behandeJt. Mit diescn Vorarbeiten wird as dann lTIoglirh, die
Eingangsfrage zu beantworten. Dies gesrhipht in hapitrl ~,
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in dem die Ungleichheit von sozialen Schichten, Geschlech
tern und Altersgruppen in den aeht Landern untersucht wlrd.
Die Ursachen besonders der politischeu Ungleichheit ver
schiedener sozialer Schichten sucht das sechste Kapitel zu
ergrtinden; dabei geht es vor allem urn die Frage, wodureh
das unterschiedliche AusmaO von Ungleichheit in verschiede
nen Landern zu erklaren ist.
Von nicht geringerer Bedeutung ist die Frage, wie reprasen
tativ die politischen Aktivisten hinsichtlich ihrer politi
schen Orientierungen ftir die Bevolkerung insgesamt sind.
Treffen Behauptungen zu, die von einer "sehweigenden Mehr
heit" sprechen, die sieh in ihren Orientierungen drastiseh
von der demgegentiber sehr hor- und sichtbaren aktiven Min
derheit unterscheide. Diese Frage wird in Kapitel 7 naher
betrachtet.
Das SchluOkapitel 8 faOt die Hauptergebnisse zusammen; es
vergleicht sie mit den Ergebnissen einer anderen internatio
nal vergleichenden Untersuehung auf diesem Gebiet, die jtingst
vorgelegt wurde (Verba,Nie und Kim 1978). Diese Untersuehung
hatte - zu einem frUheren Zeitpunkt, teils in denselben,
teils in anderen Landern - den Zusammenhang sozialer Schieh
tung und politischer Partizipation zum Gegenstand. Dabei be
schrankte sie sich auf konventionelle Partizipatiollsformen.
Hier ist diese Untersuchung bewuOt so angelegt, daO sie in
ihren Ergebnissen mit der von Verba, Nie und Kim (1978) di
rekt vergleichbar ist; nur dur~lc~Replikition kann
festgestellt werden, ob Ergebnisse tatsaehlieh aueh reprodu
zierbar sind. Der Fortschritt der Wissenschaft kann nur durch
Kumulation erreieht werden; Kumulation und vollige Originali
tat sehlieOen sieh gegenseitig aus. tiber die Replikation
jener Untersuehung hinaus stellt die hier vorgelegte Studie
eine Erganzung fur den Bereich der nicht-konventionellen
Partizipation dar, welche hier systematisch in die so struk
turierten Fragestellungen einbezogen wurden; auch die Ergeb
nisse zur politischen Reprasentativitat der Aktivisten sind
im international vergleiehenden MaBstab ohne direktes Vorbild.
Damit ist der wesentliche Inhalt dieses Forschungsberichts in
seiner Struktur skizziert; auch die Begrenzungen sind offenzu
legen. Es wird hier darauf verzichtet, die demokratietheore
tischen Implikationen der Befunde im einzelnen herauszuarbei
ten, Der Charakter der vorliegenden Studie bedarf fur denje
nigen Leser vielleicht einer Erlauterung, der mit der ubli
chen Form von Beriehten tiber einzelne Untersuchungen empiri
scher Sozialforschung vertraut ist. Hiervon unterscheidet sich
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dieser Forschungsbericht vor allem durch seinen Charakter als
internationale vergleichende Studie offensichtlich. Es mag
ntitzlich sein, genauer zu erlautern, worin dieser Unterschied
besteht.
Wesentlicher Teil der heute tiblichen Sozialforschungsberichte
ist das Auffinden, Interpretieren oder Spezifizieren von Be
hiehungen zwischen Variablen, wobei meistens eine einzelne
Untersuchung die Grundlage ist. Die Absicht dabei ist durchaus,
tiber die raum-zeitliche Begrenzung einer sol chen Studie hinaus
zu generalisieren. Der Spielraum der Interpretation ist dabei
groB. Pointiert brachte diesen Sachverhalt Stinrohcombe mit
der Formulierung zum Ausdruck, der Soziologe, dem zu einer
Korrelation nicht wenigstens drei Erklarungen einfielen, mage
den Beruf wechseln.
Eine international vergleichende Untersuchung hat demgegen
tiber nicht den gleichen Interpretationsspielraum. Zwar ware
es maglich, eine Vielzahl von in den einzelnen LKndern je
unterschiedlichen Beziehungen aufzufinden (und dies ist uns
z.B. in den Analysen, auf die Kapitel 7 nur kurz anspielt,
aufs reichhaltigste gelungen), aber dies wlirde in den meisten
Fallen jede generalisierende Deutung entweder enorm kompli
ziert oder schlicht unmoglich machen. So beschaftigt sich die
se Untersuchung nicht mit der Frage, ob zwischen irgendwelchen
Variablen Beziehungen bestehen, sondern damit, die internatio
nalen Unterschiede und Ahnlichkeiten der Starke der Beziehun
gen bestimmter Variablen zu ermitteln und zu deuten. Deswegen
mag die Darstellung im folgenden verglichen mit liblicher
Meinungsforschung im nationalen Rahmen eher karg wirken. Es
scheint, als ergabe sich in diesem Vergleich konventioneller
Umfrageanalyse und internationaler Vergleiche eine eigentlim
liche Umkehr des Verhaltnisses von verfligbaren Daten und ver
baler Deutung. Wabrend flir erstere Datenknappheit und verba
ler Reichtum typisch zu sein scheinen, ist flir letztere Da
tenflille und verbale Knappheit charakteristisch, jedenfalls,
wenn sie zahlreiche Lander in den Vergleich einbezieht. Im
Zwei-Lander-Vergleich ist der Interpretationsspielraum beacht
lich; mit zunehmendem Umfang des Vergleichs scheint dieser zu
schrumpfen. Es ware interessant, in Verfolgung dieser Gedan
ken den Beziehungen zwischen Datencharakteristika und Deutungs
spielraum nachzugehen; aber von unserem eigentlichen Thema
wlirde dies eher wegflihren. Stattdessen 5011 hier in einem aus
flihrlichen Zitat der Befund eines Zwei-Lander-Vergleichs zu
sammengefaBt werden. Die Quintessenz des Vergleichs zwischen
den USA und Norwegen (Rokkan und Campbell 1960) In der For
mulierung von Rokkan (1978) lautete: "Das Neue an dleser Ana
lyse war das Ergebnis, daG es flir die organisatorische Akti
vitat in der Politik keine ebensolchen einheitlichen lJnter-
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schiede zwischen den einzelnen Schichten gibt. Bei Verwen
dung eines einfachen Partizipations-Index, der auf der Mit
gliedschaft in Parteien, dem Besuch von Versammlungen und
der Mitarbeit in Wahlkampfen beruhte, stell ten wir keine
konsistenten Unterschiede zwischen den .Schichten in Norwe
gen, aber ausgeprii.gte und konsistente Unterschiede i,n den
USA fest. Um den Gegensatz zwischen den beiden Staaten zu
erklii.ren, stell ten wir unsere Interpretation auf die fUr
den BUrger als Wii.hler und als potentiellen Beteiligten an
Parteiaktivitii.ten bestehenden Alternativen ab: im einen
Fall ein klassisch-betontes, "status-polarisiertes" Partei
system; im anderen Fall mangelnde Korrespondenz der Tren
nungslinien im sozio-okonomischen Bereich mit denen der po
litischen Konflikte. Um dies weiter zu klaren, gingen wir
zu einem "Makro-Mikro-Mikro"-Vergleich dritter Ordnung
Uber. Wir stellten in beiden Systemen eine Rangordnung
der Parteien nach dem Anteil der Arbeiter unter ihren Wah
lern auf und fanden dabei heraus, daO der Klassencharakter
der Parteien eine unterschiedliche Rekrutierung der aktiv
an der politischen Arbeit Beteiligten bedingt. In der Nor
wegischen Arbeiterpartei waren die Arbeiter mit hoherer
Wahrscheinlichkeit aktiv als die Wii.hler aUs der Mittelschicht.
In der mehr heterogenen Demokratischen Partei in den USA er
gab sich eine entgegengesetzte Tendenz: der Grad der Betei
ligung war fUr die Arbeiter etwas geringer als fUr die Wah
ler aus der Mittelschicht. Die ausgepragtesten Statusunter
scheidungen wurden bezUglich der Beteiligung innerhalb der
Parteien mit dem niedrigsten Anteil von Wahlern aus der
Arbeiterklasse festgestellt: der Oppositionsparteien in Nor
wegen und der Republikanischen Partei in den USA. Dies kann
nattirlich nicht als schltissiger Beweis angesehen werden,
weil sich die Unterschiede bei diesen Querschnittsuntersu
chungen im Rahmen der Gesamtgesellschaft ergaben und daher
noch der Uberprtifung nach Gemeindekategorien bedlirfen. Immer
hin legen die Ergebnisse wichtige Hypothesen flir weiterge
hende vergleichende Untersuchungen nahe: sie betonen die Be
deutung der Sammlung von Daten tiber den Charakter der poli
tischen Alternativen, die sich dem Arbeiter bieten, tiber die
ihm zur Verfligung stehenden Moglichkeiten zum Erwerb von
Erfahrungen und zum Eintiben von organisatorischen Fertigkei
ten, und tiber die Kanale der Rekrutierung aus klassenbeding
ten Vereinigungen wie den Gewerkschaften in politischen Par
teien."
Dieser Be fund , seine Deutung und Weiterflihrung u.a. durch
Rokkan (1962) haben die Fragestellung dieser Untersuchung
wesentlich beeinfluOt. Die Rokkansche Zusammenfassung, die
hier zitiert ist, gibt einen guten Ausgangspunkt fUr unseren
Bericht tiber die Ergebnisse eines groOer angelegten interna
tionalen Vergleichs ab, aie vermittelt auch besser als ab-