Table Of ContentVolker Schneider · Frank Janning
Philip Leifeld · Thomas Malang (Hrsg.)
Politiknetzwerke
Volker Schneider
Frank Janning
Philip Leifeld
Thomas Malang (Hrsg.)
Politiknetzwerke
Modelle, Anwendungen
und Visualisierungen
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1. Auflage 2009
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© VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
Lektorat: Frank Schindler
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Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg
Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in the Netherlands
ISBN 978-3-531-16401-4
Inhaltsverzeichnis
1 Die Analyse politischer Netzwerke: Konturen eines expandierenden For-
schungsfeldes 7
Volker Schneider
I Theoretische und methodische Grundlagen 29
2 Netzwerkbilder:PolitiknetzwerkeinMetaphern,ModellenundVisualisie-
rungen 31
Ulrik Brandes und Volker Schneider
3 Diskursnetzwerkanalyse.U¨berlegungenzurTheoriebildungundMethodik 59
Frank Janning, Philip Leifeld, Thomas Malang und Volker Schneider
4 Eine Ko-Zitationsanalyse der quantitativen Netzwerkanalysen in der Po-
litikwissenschaft 93
Philip Leifeld
5 Zur Validit¨at in der Netzwerkanalyse 115
Nicolas Marschall
II Netzwerke in ¨offentlichen Politiken 137
6 U¨berzeugungssysteme,DiskursnetzwerkeundpolitischeKommunikation:
EinzweiterBlickaufdiedeutscheChemikalienkontrolleder1980erJahre 139
Volker Schneider und Philip Leifeld
7 Zwischen Hierarchie, Pluralismus und Netzwerk: Die Beziehungen zwi-
schen Regierung und Verwaltung am Beispiel der amerikanischen Ge-
sundheitspolitik 159
Verena Halbherr
8 Gut beraten? Das interorganisationale Netzwerk um die innovationspoli-
tischen Beratungsgremien der Bundesregierung 177
Matthias Orlowski
III Netzwerke im politischen Prozess 199
6
9 Wirtschaftsverb¨ande zwischen Kooperation und Wettbewerb: Ein Ver-
gleich deutscher, britischer und spanischer Verbands¨okologien im I&K-
Sektor 201
Achim Lang
10 Zwei Logiken kollektiven Handelns? Empirische U¨berpru¨fung der Theorie
sozialer Klassen anhand organisatorischen Handelns 225
Thomas Malang
11 Wirtschaftsverb¨ande in der US-amerikanischen Chemieindustrie: Private
Interessenregierungen in pluralistischem Umfeld? 245
Hans-J¨org Schmedes
12 Koordination und Selbstregulierung in Japan. Netzwerke zwischen Wirt-
schaftsverb¨anden im intersektoralen Vergleich 271
Andreas Schaumayer
13 Die Machtstruktur kommunaler Entscheidungstr¨ager – Eine Netzwerk-
analyse 285
Anna Katharina Ohm
IV Netzwerke in politischen und sozialen Institutionen 305
14 Sinnvoll oder skandal¨os? Personelle Verflechtungen von Parlament und
Wirtschaft durch die Nebent¨atigkeiten der Abgeordneten. Eine Netz-
werkanalyse 307
Markus Gaugler
15 Personelle Verflechtungen zwischen Unternehmensverb¨anden und dem
Deutschen Bundestag: Analyse eines bipartiten Netzwerkes 325
Martin Schmid
16 Wissenstransfernetzwerke. Eine netzwerkanalytische Bewertung der Ef-
fektivit¨at von intraorganisationalen Wissenstransfernetzwerken 353
Melanie Nagel
V Anhang 369
A Glossar der Politiknetzwerkanalyse 371
Philip Leifeld und Thomas Malang
B Die Untersuchung von Diskursnetzwerken mit dem Discourse Network
Analyzer (DNA) 391
Philip Leifeld
Autorenverzeichnis 405
Kapitel 1
Die Analyse politischer Netzwerke: Konturen
eines expandierenden Forschungsfeldes
Volker Schneider
1.1 Einleitung
Die Analyse von Politiknetzwerken ist eine politikwissenschaftliche Forschungsrich-
tung, die in den letzten 20 Jahren entstanden ist und sich durch spezifische analyti-
sche Konzepte und Theorien, aber auch durch bestimmte Methoden und Forschungs-
ans¨atze auszeichnet. Eine aktuelle U¨bersichtsbibliographie und eine bibliometrische
Analysezeigen,dassweitmehralstausendSchriften–Bu¨cherundArtikel–indiesem
Bereich publiziert worden sind (Schneider et al. 2007).
Netzwerkstrukturen auf allen politischen Ebenen und in vielen Politikfeldern sind
identifiziert und analysiert worden – von der Kommunalpolitik bis zur Weltpolitik,
von der Agrarpolitik bis zur Zollpolitik. Ein Abflauen des Interesses ist noch nicht
auszumachen. Der Publikationsstrom fließt weiter und macht es immer schwieriger,
die zunehmende Differenzierung und Ver¨astelung der Debatte zu u¨berschauen. Selbst
den vielen U¨bersichtsartikeln, die bislang zu diesem Thema ver¨offentlicht worden
sind, ist es nicht gelungen, mit der stu¨rmischen Entwicklung Schritt zu halten. Ei-
ne u¨bergreifende geistige Landkarte“ der hierbei verwendeten Theorieans¨atze und
”
Konzepte oder gar eine Synthese empirischer Befunde steht noch aus.
Dieser Band versucht insofern zur Systematisierung dieser Forschungsrichtung bei-
zutragen, als in ihm zum einen die Vielfalt von Herangehensweisen demonstriert
wird,zumanderendieverschiedenenEbenenundBereichederAnalyseherausgestellt
werden. In den insgesamt 16 Kapiteln werden Studien vorgestellt, die im Rahmen
vonForschungsvorhaben,DissertationenundDiplomarbeitenamFachbereichPolitik-
und Verwaltungswissenschaft der Universit¨at Konstanz entstanden sind. Das breite
Themenspektrum impliziert einen umfassenden Politiknetzwerkbegriff, der nicht nur
Aspekte ¨offentlicher Politik (public policies), sondern auch Politik im Sinne von In-
teressenkonflikt (politics) und institutionellen Ordnungen (polity) umfasst. Fu¨r viele
derhierpr¨asentiertenAnalysensindeigeneDatenerhobenworden,dieunterjeunter-
schiedlichentheoretischenundmethodischenGesichtspunktenanalysiertwerden.Eine
Gruppe befasst sich mit theoretisch-konzeptionellen und methodischen Systematisie-
rungsversuchen.AnderewendenverschiedeneKonzepteundMethodenaufspezifische
empirischeUntersuchungsgegenst¨andeanundzeigendabeisehreindru¨cklich,dassdie-
8 Volker Schneider
ses Analyseinstrument fu¨r die Untersuchung ¨offentlicher Politiken genauso fruchtbar
sein kann wie fu¨r das Verst¨andnis von Vernetzung zwischen Staat, Verb¨anden und
anderen Lobbying-Akteuren. Selbst fu¨r die Erforschung organisatorischer Beziehun-
gen, die fu¨r das Verst¨andnis moderner Organisationsgesellschaften so entscheidend
sind, ist Netzwerkanalyse hervorragend geeignet. Schließlich wird in zwei Beitr¨agen
demonstriert,wiedasstrukturanalytischePotentialderNetzwerkanalyseauchbeider
UntersuchungvonkognitivenStrukturenundU¨berzeugungssystemengenutztwerden
kann.
In Einleitungen wie dieser wird oft versucht, ein Forschungsfeld als Landkarte
”
im großen Maßstab“ zu skizzieren, in der verschiedene Forschungsorientierungen und
Schulenverortetwerden.VieleU¨bersichtenzumThemaPolitiknetzwerkehabenhierzu
schonwertvolleBeitr¨agegeleistet.IndenfolgendenAbschnittenwirddahernichtver-
sucht,eineweitereSpezialkartezuzeichnen,sondernausdenvorliegendenU¨bersichten
eine Synthese von Perspektiven zu gewinnen. Viele Reviews sind sowohl selektiv in
BezugaufdietheoretischenOrientierungenalsauchinBezugaufdieverwendetenMe-
thoden.ManchekonzentrierensichnuraufbestimmteUntersuchungsformen,manche
sogar nur auf bestimmte nationale Ans¨atze und Traditionen. Die meisten sind eher
konzeptionellorientiert,einigeversuchenjedochgeneralisierungsf¨ahigeempirischeBe-
funde dieser Forschungsrichtung herauszudestillieren (Raab und Kenis 2007; Schnei-
der2006;AdamundKriesi2007).EineZusammenschauvonU¨bersichtenzieltdeshalb
darauf,dieunterschiedlichenPerspektivenineinerMetau¨bersichtzusammenzutragen.
Metau¨bersichten sind neben systematischen Reviews und Metaanalysen eine spe-
zifische Forschungsstrategie, mit der versucht wird, das sich zunehmend spezialisie-
rendeWissenindenverschiedenenWissenschaftsbereichenm¨oglichstsystematischzu
u¨berschauen. Mittels einer kontrollierten Auswahl von wissenschaftlichen Publikatio-
nen und einer an expliziten Kriterien orientierten Synthese von Forschungsresultaten
soll der Stand der Forschung in einem bestimmten Gebiet in einer zumindest in-
tersubjektiv u¨berpru¨fbaren Form dargestellt werden. Hauptziel ist, die theoretischen
undmethodischenOrientierungenineinerForschungsrichtungzustrukturieren.Inbe-
stimmtenBereichenderPolicy-ForschunghatdiesesVorgehenbereitswichtigeDienste
geleistet(Littelletal.2008).DerSynthetisierungsgradsolcherAnalysenh¨angtjedoch
davonab,wieformalisiertundstandardisiertdiejeweiligenForschungsbefundeberich-
tetwerden.BeiMetaanalysenistdieseStandardisierungzweifellosamh¨ochsten.Dort
wirdversucht,selbstheterogeneWissensbest¨andeeinesGebietesmitstatistischenVer-
fahren vergleichbar zu machen. Auf diese Weise erwartet man, langfristig zu einem
kumulativen Wissensfortschritt zu gelangen. Gering ist die Formalisierung eher bei
narrativenoderinterpretativenU¨bersichten,indenenWissensbest¨andemeistintuitiv
oder zumindest nach einer nicht explizierten Systematik referiert werden. Ein mittle-
res Formalisierungsniveau haben systematische U¨bersichten, in denen zumindest das
Auswahlverfahren der referierten Artikel sowie Bewertungskriterien klar spezifiziert
werden.
Bei systematischen Reviews wie auch bei Metaanalysen ist man bestrebt, grund-
legende wissenschaftliche Standards wie Nachvollzieh- und U¨berpru¨fbarkeit auch auf
dieStrukturierung von Wissensbest¨anden anzuwenden. EinesystematischeU¨bersicht
u¨ber die neusten Entwicklungen in diesem Forschungsgebiet, die diese Kriterien auch
Einleitung 9
nur ann¨ahernd erfu¨llt, wu¨rde den Rahmen dieser Einleitung sprengen. Trotzdem
soll im Folgenden zumindest eine systematische Zusammenstellung unterschiedlicher
Theorieans¨atze, Forschungsorientierungen und Methoden anvisiert werden. Hierbei
sollen das Auswahlverfahren der U¨bersichtsartikel sowie die Vergleichsdimensionen
der verschiedenen U¨bersichtsartikel klar expliziert werden. Das Ziel dieser Einleitung
istdaherweniger,dieReviewsselbstzuklassifizieren,alsaufderGrundlageihrerInte-
grationzueinersystematischenZusammenstellungvonBegriffsdefinitionen,Theorien
undMethodeninderPolitiknetzwerkanalysezugelangen.HierbeiwirdindreiSchrit-
ten vorgegangen: In einem ersten Zugang wird die Auswahl der U¨bersichtsartikel
begru¨ndet. Anschließend werden die Vergleichsdimensionen expliziert, die in der sys-
tematischen Vergleichsanalyse der U¨bersichten verwendet werden. Schließlich wer-
den die verschiedenen Gegenstandsdefinitionen, Theorien und Methoden, die in den
U¨berblicksartikeln thematisiert werden, m¨oglichst systematisch zusammengetragen.
Gleichzeitig werden auch die verschiedenen Beitr¨age dieses Sammelbandes in diese
Systematik eingeordnet.
1.2 Politiknetzwerk-U¨bersichten und ihre Dimensionen
DerersteSchrittumfasstdieIdentifikationvonPublikationen,dieinihrerHauptfunk-
tioneineDarstellungdesbetreffendenForschungsfeldesanstrebenoderalsNebenpro-
duktandererZiele(z.B.TheoriebildungoderempirischeAnalyse)zumindestpartielle
U¨bersichtenenthalten.1ZudenerstgenanntenReviewsz¨ahlenArtikelinHandbu¨chern
(John 2001; Raab und Kenis 2007; Rhodes 2006), Lehrbu¨chern (Windhoff-H´eritier
1993; Knill 2000; Schneider 2008), U¨bersichten und Einleitungen in Sammelb¨anden
(Kenis und Schneider 1991; Marin und Mayntz 1991; Klijn 1997; Marsh 1998; Baum-
garten und Lahusen 2006; Adam und Kriesi 2007; Lang und Leifeld 2008) und nicht
zuletzt auch spezifische U¨berblicksartikel in wissenschaftlichen Zeitschriften (Jordan
undSchubert1992;Dowding1995;B¨orzel1998;Thatcher1998).ZurzweitenGruppe
z¨ahlen Publikationen, die weniger eine systematische Darstellung des Forschungsfel-
des anstreben als auf spezifische theoretische, methodische oder empirische Aspekte
fokussieren und hierbei zumindest partiell diese neue Forschungsrichtung darstellen
(Atkinson und Coleman 1989; Rhodes 1990; van Waarden 1992; Pappi 1993; Scharpf
1994; Mayntz 1996; Peters 1998; Carlsson 2000).
MiteinersolchenzitationsbasiertenAuswahlkonntenmehralszwanzigU¨bersichts-
artikel identifiziert werden, in denen die Forschungsrichtung der Analyse politischer
1DaszentraleKriteriumzurAufnahmeindiehieruntersuchteZusammenstellungistdieinternatio-
naleSichtbarkeitderPublikationen,gemessenu¨berdurchschnittlichej¨ahrlicheZitationensowohl
in Web of Science (WoS) als auch in Google Scholar (GS). Die Zitation einer Publikation hat
in der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft in WoS ein h¨oheres Prestige als in GS, was
haupts¨achlich durch die exklusivere Datengrundlage von WoS bedingt ist, in der vorrangig Ar-
tikel aus hochwertigen Zeitschriften ausgewertet werden. Ein Nachteil des WoS ist, dass diese
Exklusivit¨at zu einem starken Selektionsbias fu¨hrt. Buchpublikationen und Artikel, die in nich-
tenglischenSprachenver¨offentlichtwerden,werdenhiernurzueinemBruchteilwahrgenommen.
AuchbeiGSgibtesderartigeVerzerrungen,jedochnichtindemMaßewieinWoS.Ausdiesem
Grundistessinnvoll,beiderIdentifikationrelevanterPublikationenbeideDatenbasenkombiniert
zuverwenden.
10 Volker Schneider
Netzwerke mehr oder weniger u¨bergreifend skizziert wird. Diese U¨bersichten werden
im Folgenden verwendet, um ein komposites Bild der Politiknetzwerkanalyse zu er-
stellen. Hierbei werden haupts¨achlich drei Dimensionen untersucht:
• Auf metatheoretischer Ebene ist interessant, wie diese spezifische analytische
Orientierung eingeordnet und wie der Gegenstandsbereich von Politiknetzwer-
ken definiert und spezifiziert wird. Handelt es sich um einen Theorieansatz, um
eine bestimmte Forschungsstrategie oder eher um eine neue methodische Rich-
tung? Fokussiert diese Analyse nur auf den Policy-Aspekt, oder werden alle
Dimensionen des Politikbegriffs erfasst? Wichtig in dieser Dimension ist auch,
welche Konnotation dem Netzwerkbegriff zugewiesen wird.
• Aufschlussreich ist ferner, wie sich die verschiedenen theoretischen Str¨omungen
der Analyse politischer Netzwerke aufgliedern und auf welche Hintergrund-
oder Komplement¨artheorien Bezug genommen wird. Gibt es spezifische Netz-
werktheorien oder eher allgemeine Theorien, die zum Netzwerkdenken an-
schlussf¨ahig sind?
• Auf methodischer Ebene ist schließlich von Interesse, welche Untersuchungsfor-
men,ForschungsdesignsundMethodenunterschiedenwerden.IstNetzwerkana-
lyse selbst eine spezifische Untersuchungsform, oder sind auch viele der allge-
meinen sozialwissenschaftlichen Forschungsstrategien und Designs anwendbar?
In empirischer Hinsicht k¨onnte ein Vergleichskriterium sein, ob und wieweit Befunde
empirischer Netzwerkanalysen bereits generalisierungsf¨ahig sind. Dies wu¨rde aller-
dings voraussetzen, dass bereits Metaanalysen oder qualitative Synthesen vorliegen.
Wie Raab und Kenis (2007) richtig beobachten, ist das Forschungsfeld hier bezu¨glich
der verwendeten Ans¨atze und Verfahren jedoch noch zu heterogen. In den folgenden
Abschnitten konzentriert sich die Metau¨bersicht daher auf das in U¨bersichtsartikeln
pr¨asente Spektrum an Einordnungen, Begriffsdefinitionen, Theorien und Methoden.
1.3 Metatheoretische Einordnungen und
Begriffsdefinitionen
DiezentralenFragenauftheoretischerEbenesindeinerseits,wiediePolitiknetzwerk-
analyse meta- und wissenschaftstheoretisch eingeordnet wird, andererseits auf welche
TheorienundAns¨atzediejeweiligenAnalysenBezugnehmen.Bevoraufdieeinzelnen
Theorien eingegangen wird, ist zun¨achst der wissenschaftslogische Status der Politik-
netzwerkanalyse zu kl¨aren.
In der Frage, worum es bei der Analyse politischer Netzwerke genau geht, unter-
scheiden sich die verschiedenen Perspektiven sehr deutlich:
• Eine allgemeine U¨bereinstimmung besteht darin, dass das Beziehungsnetz“ in
”
derPolitikzun¨achsteineimAlltagswissenleichtzug¨anglicheMetapherdarstellt.
Dieser wird jedoch sehr unterschiedliche Theorief¨ahigkeit bescheinigt (Dowding
1995; Pappi und Henning 1998; Peters 1998).
Einleitung 11
• Der Theoriestatus wird am wenigsten von einigen britischen Autoren bestrit-
ten, die im Politiknetzwerk-Begriff bereits eine eigenst¨andige Theorie angelegt
sehen, die diese Ph¨anomene von anderen Politikstrukturen wie etwa Policy-
Communities abgrenzt (Marsh 1998; Rhodes 2006).
• Aus einer weiteren Perspektive kann der Politiknetzwerkansatz als eine Netz-
”
werktheorie der Politikproduktion im Entstehen“ betrachtet werden, die letzt-
lich aus vielen erfolgreichen Hypothesentests hervorgehen wu¨rde. Die Bestre-
bungen seien bislang jedoch wenig erfolgreich gewesen, und das Theorien-
”
Lagerhaus“ sei eher leer (Raab und Kenis 2007).
• Alternativ hierzu ist Politiknetzwerkanalyse eher ein methodisch orientierter,
theorieunspezifischer analytischer Ansatz, der – je nach Gegenstand und Frage-
stellung – ganz unterschiedliche Theorien integriert und weniger auf eine allge-
meine Netzwerktheorie hinzielt (Lang und Leifeld 2008; Brandes und Schneider
2009).
• Schließlich kann diese Forschungsrichtung als eine bloße Ansammlung quanti-
tativer und qualitativer Verfahren im Sinne einer analytischen Werkzeugkiste“
”
(B¨orzel 1998; Knill 2000) betrachtet werden, die keine bestimmten Theorie-
bezu¨ge implizieren.
Wie die vorausgegangenen Zitationen zeigen, sind alle diese Verortungen in der
U¨bersichtsliteraturvertreten.EinerstesErgebnisdieserZusammenstellungistdaher,
dass die u¨berwiegende Mehrheit der Autoren von keiner allgemeinen Theorie der
Politiknetzwerke spricht und im Gegensatz auf ein Spektrum von Theorien verweist,
auf das netzwerkanalytische Methoden angewandt werden k¨onnen. Insofern ist dieser
Forschungsansatz kein Paradigma“ (Kuhn 1970), als viele Begriffe verwendet wer-
”
den, die gleichzeitig in unterschiedlichen Theorien Verwendung finden. Treffender fu¨r
diesen Zusammenhang ist eher der Begriff der Theoriennetze“ (Stegmu¨ller 1973).
”
Hier existieren zwar jeweils zu einer Theorie geh¨orige Kernbegriffe, neben denen aber
u¨berschneidende Begriffe koexistieren k¨onnen, die ihren spezifischen Sinn je nach
Theoriennetz changieren. Der Begriff Netzwerk im Kontext der Graphentheorie hat
beispielsweise eine andere Bedeutung als der Netzwerkbegriff im Neoinstitutiona-
lismus oder gar in der Sozialkapitaltheorie. W¨ahrend die Graphentheorie ein rein
formal-abstraktes Beschreibungs- und Aussagensystem darstellt, in der alle Konfi-
gurationen von Knoten, die mit Kanten verbunden sind, als Netzwerke betrachtet
werden, ist mit dem neoinstitutionalistischen Netzwerkbegriff eine sehr spezifische
Beziehungskonfiguration verbunden, die z.B. von Markt und Hierarchie abgegrenzt
wird.InderSozialkapitaltheoriewiederumgehteseherumDichteundIntensit¨atvon
Beziehungen und weniger um eine bestimmte Strukturauspr¨agung. Man kann daher
den einfachen Schluss ziehen, dass unterschiedliche Netzwerktheorien auch unter-
schiedlicheNetzwerkbegriffeverwenden.EinenEinblickindieseBedeutungsvarianten
gibt der Beitrag von Brandes und Schneider (2009) in diesem Band.
Beim Politiknetzwerk ergeben sich grundlegende Bedeutungsdimensionen zun¨achst
aus den drei Perspektiven des Politikbegriffs, wie er in der Politikwissenschaft ge-
Description:Quantitative Netzwerkanalyse hat sich innerhalb der letzten drei Jahrzehnte zu einem Standardinstrumentarium der Sozialwissenschaften entwickelt. In der aktuellen Policy-Forschung werden Akteurskonstellationen, Kommunikationsbeziehungen und Einflussstrukturen vor allem auf Organisationsebene untersu