Table Of ContentHeidegger-Jahrbuch13
Heidegger und das Politische
A
VERLAG KARL ALBER
Heidegger-Jahrbuch
Herausgeber:
AlfredDenkerundHolgerZaborowski
MitgliederdeswissenschaftlichenBeirates:
PierreAubenque(Paris) JinXiping(Beijing)
DamirBarbarić(Zagreb) ShunsukeKadowaki†(Tokyo)
RudolfBernet(Leuven) DavidFarrellKrell(Chicago)
WalterBiemel†(Aachen) RudolfA.Makkreel(Atlanta)
StephanieBohlen(Freiburg) Jean-LucMarion(Paris)
ThomasBuchheim(München) HenriMongis(Tours)
HartmutBuchner†(Grassau-Rottau) JosdeMul(Rotterdam)
AdrianGabrielCercel(Bukarest) GüntherNeumann(München)
ChenXiaowen(Beijing) RyôsukeOhashi(Kyôto)
PaulG.Cobben(Tilburg) TheodorusChristiaan
IonCopoeru(Cluj-Napoca) WouterOudemans(Leiden)
Paola-LudovikaCoriando ChanKookPark(Seoul)
(Innsbruck) FrancescPereñaBlasi(Barcelona)
Jean-FrançoisCourtine(Paris) HermanPhilipse(Utrecht)
DanielDahlstrom(Boston) ClaudePiché(Montréal)
FrançoiseDastur(Nizza) OttoPöggeler†(Bochum)
PascalDavid(Brest) ManfredRiedel†(Halle/Saale)
JacquesDerrida†(Paris) JohnSallis(Boston)
MarkusEnders(Freiburg) SunZhouxing(Shanghai)
IstvánM.Fehér(Budapest) JacquesTaminiaux(ChestnutHill)
DanielFerrer(MountPleasant) RainerThurnher(Innsbruck)
GünterFigal(Freiburg) PeterTrawny(Wuppertal)
Hans-HelmuthGander(Freiburg) GianniVattimo(Turin)
JeanGreisch(Paris) Jean-MarieVaysse(Toulouse)
JeanGrondin(Montréal) BenVedder(Nijmegen)
ArnulfHeidegger(Singen) HelmuthVetter(Wien)
BurghardHeidegger(Genf) FrancoVolpi†(Padua)
MarionHeinz(Siegen) AngelXolocotzi(Puebla)
ChristophJamme†(Lüneburg)
Heidegger-Jahrbuch 13
Heidegger
und das Politische
Herausgegeben von
Michael Medzech
Holger Zaborowski
Verlag Karl Alber Baden-Baden
DieDeutscheNationalbibliothekverzeichnetdiesePublikationinder
DeutschenNationalbibliografie;detailliertebibliografischeAngaben
sindimInternetüberhttp://dnb.d-nb.deabrufbar.
Originalausgabe
©VERLAGKARLALBER–einVerlaginderNomosVerlagsgesellschaft,
Baden-Baden2022
AlleRechte,auchdiedesNachdrucksvonAuszügen,
derfotomechanischenWiedergabeundderÜbersetzung,vorbehalten.
Umschlagmotiv:BildarchivMartinHeideggerGesellschafte.V.
Satz:SatzWeise,BadWünnenberg
GesamtverantwortungfürDruckundHerstellungbeider
NomosVerlagsgesellschaftmbH&Co.KG
GedrucktaufalterungsbeständigemPapier(säurefrei)
Printedonacid-freepaper
www.verlag-alber.de
ISBN 978-3-495-45713-9 (Print)
ISBN 978-3-495-99960-8 (ePDF)
ISSN 1612-3166
Inhalt
Interpretationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
MichaelMedzech
Vermessenheit,VermessungundZumessung.
HeideggersBesinnungskriseimUmfeldder1930erJahre
imKontextderSchwarzenHefte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
AlfredDenker
MartinHeideggerunddieFragenachdemPolitischen . . . . . . . . 24
AlexanderS.Duff
TheLanguageofPoliticsinBeingandTime . . . . . . . . . . . . . . 44
AdamKnowles
TracingHeidegger’sFascistAffinities.DesolationandSilence . . . . 63
MatthewSharpe
SpeakingofHeidegger’sSilence.
CriticalResponsestoKnowles’sHeidegger . . . . . . . . . . . . . . . 76
TracyB.Strong
MartinHeideggerandCarlSchmitt.
WhyBecomeaPartyMember? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
BabetteBabich
„ReflexionenausdembeschädigtenLeben“.
ÜberlegungennachHeidegger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
AchimOberst
Heidegger’sOnto-Politics.
AEuropeanPerspectivefromAmerica,
SeenintheLightoftheBlackNotebooks . . . . . . . . . . . . . . . . 132
JoséOrdóñez-García
AnnäherunganeinepolitischeDeutungvonMartinHeideggers
Ontologie.ZudenBegriffen„ontologischeDemokratie“
und„Anarcho-Existenzialismus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
Inhalt
6
ElisabethKessler
MachtundOhnmachtinderGeschichtederMetaphysik.
VersucheinesVergleichszwischenHeideggerundLéonBloy . . . . 159
KatsuyaAkitomi
Schicksal,TragödieundSeinsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
Kurzrezensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
Abstracts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
Heidegger-Jahrbuch13
Interpretationen
9
Vermessenheit, Vermessung und Zumessung.
Heideggers Besinnungskrise im Umfeld der 1930er Jahre
im Kontext der SchwarzenHefte
Von
MichaelMedzech
Minden
In diesem Aufsatz möchte ich einen Zug in Martin Heideggers Denken in
den 1930er Jahren beleuchten, der bisher kaum Eingang in die Rezeption und
InterpretationseinesWerkesundseinesWirkensgefundenhat:HeideggersBe-
zugzumMaß.1IchwerdedabeihinsichtlichdiesesBezugesdieThesevertreten,
dassHeideggersVerstrickungunddieallmählicheEntflechtungvondemgefähr-
lichenFilzdesNationalsozialismuseineFragevonVermessenheitundVermes-
sungeinerZumessungist,dieHeideggerselbstnichtnurbiographischbetroffen
hat, sondern ihm auch zu denken gegeben hat: nämlich die Zeichen seiner Zeit
gemäßzusehenundsichnichtlängeranihnenzuirren.HeideggersRisikowar
es,dassersichanmaßte,eineUniversitätsreformmiteinertotalitärenBewegung
unternehmenzuwollen,undvermeinte,sieselbstunterintellektuelleKontrolle
bringen zu können, obschon sie sich bereits offensichtlich in den 1920ern als
brutaleundunmenschlicheBewegungzudemaskierenbegann.2
Heidegger bezahlt für dieses Paktieren einen hohen Preis: Das Rektorat
nimmt ihm nicht nur die Zeit zu denken, sondern sein Denken selbst droht
bisherigeDifferenzierungenausdenAugenzuverlieren.Safranskischreibt:
DawilljemanddengordischenKnotenderWirklichkeitdurchhauen;danimmtjemand
wütendAbschiedvondenmühsamenSubtilitätendeseigenenSeinsdenkens.EinHunger
1 WernerMarxundCharlesBambachgehörenzudenAusnahmen,dieeineInterpretationzu
HeideggersVerständnisdesMaßeshergestellthaben,allerdingsumfassenihreUntersuchun-
geninbeidenFällennurdiemittlereundspätereSchaffensphasevonHeidegger(vgl.Werner
Marx, Gibt es auf Erden ein Maß? Hamburg 1983; Charles Bambach, Thinking the Poetic
MeasureofJustice.Hölderlin–Heidegger–Celan,NewYork2013).
2 DaraufweistauchHolgerZaborowskihin,wennerbezüglichHeideggerhervorhebt:„Esging
ihmdaherzunächsteinmaleherumKooperationmitdenneuenMachthabern,[…]dienun–
endlich,sowirdHeideggergedachthaben–denpolitischenWillenzurReformaufbrächten,
sichvondenjenigenleitenundführenließen,diewissen,wiedennzureformierenseiund‚was
mitdenUniversitätenzugeschehenhat‘,sodass‚Mißgriffe‘und‚bloße›Maßnahmen‹‘,diezu
keiner substantiellenVerbesserung führen, vermieden werden.“ (Holger Zaborowski, „Eine
Frage von Irre undSchuld?“ Martin Heidegger und derNationalsozialismus, Frankfurt am
Main2010,220).
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MichaelMedzech
10
nachKonkretheitundkompakterWirklichkeitbrichtplötzlichdurch,unddieeinsame
PhilosophiesuchtdasBadinderMenge.EineschlechteZeitfürDifferenzierungen[…].3
DasInteresseaneinerUniversitätsreformwirdHeideggerschließlichdahin
bringen,dassersogarindieNSDAPeintretenwird,dassersichmitdenPartei-
interessen arrangieren wird und nach dem Krieg in den Bereinigungsausschuss
muss,danneinenNervenzusammenbrucherleidetundschließlichbiszuseinem
Tod mit seiner Rolle konfrontiert wird und sich scharfe Fragen gefallen lassen
muss.
DochwennHeideggerumdasRisikowussteoderesdochwenigstensahn-
te, was motiviert dann den Willen zu diesem prekären Gedanken einer Total-
reform der Universität als einer neuen Stätte geistiger Arbeit? Wir behaupten,
HeideggersMotiv zur Universitätsreformist nichtunabhängigvonseiner Kri-
tikeineshomogenisierendenMaßstabsinPhilosophieundWissenschaftzube-
antworten, die aus Heideggers Sicht tendenziell mit dem rechnenden Denken
vonNormierungen,NormenundWertenbeschäftigtsind.DieFolge:Manver-
misst sich am Sein des Menschen selbst vor lauter Werten und Rechnen. Die
VermessenheitHeideggersbestehtnundarin,dasserglaubt,dieseTendenzauf-
haltenzukönnen,undzwarmiteinerReformderUniversität–selbstmitdem
Risiko, dabei auf das falsche Pferd zu setzen und eine Kooperation mit den
Nazis einzugehen. Aus dieser Behauptung ergeben sich einige Fragen: Führt
vielleicht eine Vermessenheit, dieses Vermessen aufhalten bzw. wegreformieren
zu wollen, selbst in ein Vermessen? Und wenn ja, kann dieses Vermessen auf-
grundderVermessenheitHeideggersnochdieMöglichkeitfüreineandereZu-
messungdesDenkensbieten?Kannüberhauptjemaßvollgedachtwerdenoder
müssen wir einsehen, dass das Denken stets riskant genug ist, sich an seinem
jeweiligen geschichtlichen Ort zu vermessen und in eine Vermessenheit abzu-
gleiten?Wiealsoselbstdenken?
DiesenThesenundFragenmöchteichhiernachgehen,dasienichtnuraus
philosophiegeschichtlicher Sicht für den Fall Heidegger interessant sind, son-
dernvonäußersterBrisanzfürdaseigenständigeDenkenselbst–diesganzbe-
sondersineinemvonSpannungengeprägtenfrühen21.Jahrhundert.
Aus diesem motivischen Konnex heraus, ergibt sich folgende Gliederung
des Aufsatzes: Zunächst müssen wir uns fragen, wie wir mit dem heißen Eisen
von Heideggers Handeln und Denken in den 1930er Jahren umgehen sollten,
und zwar nichtzuletzt, umprekäreMissverständnisse zu vermeiden.Zweitens
müssen wir unsererThese entsprechend einenKurzüberblickbieten,der zeigt,
aus welchem Horizont sich Heidegger mit dem Maß auseinandersetzt, so dass
vonihmherHeideggersGedankeeinergeistigenReformderUniversitätmög-
lich wird. Drittens werden wir sehen, wie Heidegger selbst die Frage des Ver-
3 RüdigerSafranski,EinMeisterausDeutschland.HeideggerundseineZeit,9.Aufl.,Frankfurt
amMain2015,262.
Heidegger-Jahrbuch13