Table Of ContentGabriele Sobiech
Grenzüberschreitungen
Gahriele Sohiech
Grenzüberschreitungen
Körperstrategien von Frauen
in modernen Gesellschaften
Westdeutscher Verlag
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Sobiech, Gabriele:
Grenzüberschreitungen: Körperstrategien von Frauen
in modernen Gesellschaften / Gabriele Sobiech. -
Opladen: Westdt. Ver!., 1994
ISBN 978-3-531-12588-6 ISBN 978-3-322-93516-8 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-93516-8
Alle Rechte vorbehalten
© 1994 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann International.
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes
ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt
insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen
und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Umschlaggestaltung: Christine Huth, Wiesbaden
Gedruckt auf säurefreiem Papier
ISBN 978-3-531-12588-6
Vorwort
Diese Arbeit wurde im März 1993 unter dem Titel "Entgrenzungen des Weiblichen -
Körperpolitik und Körperstrategien von Frauen in modemen Gesellschaften am Bei
spiel von Sportstudentinnen" als Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors
der Philosophie vom Fachbereich 5 PhilosophieJPsychologielSportwissenschaft der earl
von OssietVcy Universität Oldenburg angenommen. Das Buch beinhaltet die unwesent
lich gekürzte und überarbeitete Fassung.
Bis zum Abschluß der Arbeit haben mich zahlreiche Menschen unterstützt und ermu
tigt.
Zuallererst ist mein Erstgutachter Prof. Dr. Michael Klein zu nennen, der an einer
zentralen Stelle "la" zu dieser Arbeit gesagt hat. Ich danke ihm vor allem auch für
seine kenntnisreichen Anregungen und qualifizierten Hinweise, die diese Arbeit
gefördert und vorangetrieben haben.
Auch meiner Zweitgutachterin Frau Prof'in Dr. llse Droege-Modelmog möchte ich
meinen Dank aussprechen. Ihr Interesse an meiner Arbeit hat mir notwendige Wege
eröffnet und mich auf diese Weise ermutigt, mein Ziel weiter zu verfolgen.
Dr. Birgit Palzkill und Andrea Bührmann haben mir auf dem langen Weg zu diesem
Buch nicht nur freundschaftlich liebevoll zur Seite gestanden, sondern sie haben
zugleich mit vielfältigen Anregungen, solidarischer Kritik und kompetentem Fachwis
sen meine Wahrnehmungen in vielerlei Hinsicht geschärft und vervollständigt.
Dank schulde ich ebenso Dr. Lotte Rose, die es auf sich genommen hat, in relativ
kurzer Zeit das "Gesamtwerk" sorgfältig und geschult zu lesen. Ihre konstruktive Kritik
hat dazu beigetragen, der Arbeit den letzten "Schliff' zu geben.
Nicht zu vergessen Dipl.-Psych. Gerhard Kirbs, der mich zu gleichen Teilen zärtlich
und kraftvoll begleitet, mit seiner spezifischen Fachkompetenz unterstützt und mir
nicht zuletzt gezeigt hat, daß es auch noch etwas außerhalb der Arbeit geben kann.
Nicht zu vergessen auch die zahlreichen Frauen, Freunde und Freundinnen, die alle auf
ihre Weise ein Stück zur Vervollständigung dieses Buches beigetragen haben.
Mein besonderer Dank gilt jedoch den Frauen, die durch ihr Vertrauen, ihre Offenheit
und durch ihre Bereitschaft, auch über schmerzliche Erfahrungen im Interview zu
sprechen, dieses Buch erst ermöglicht haben. Ihnen und all denjenigen, die ähnliche
Erfahrungen.gemacht, den Mut nicht verloren und den Kampf nicht aufgegeben haben,
sei dieses Buch gewidmet.
Münster, den 22.4.1994
Gabriele Sobiech
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .9
2. Körperpolitik und Disziplinierung: Wandlungsprozesse ......... 16
2.1 Macht-Dispositive ab dem 17. Jahrhundert und ihre Finalisierung:
"männliches" Individuum versus "weibliches" Gattungswesen ....... 16
2.2 Sexualitätsdispositiv im 19. Jahrhundert:
"weibliche" Normalität und hysterische Verweigerung ............ 32
2.3 Die doppelte Disziplinierung des Frauenkörpers:
von der Körpererziehung im 19. bis zum Sport des 20. Jahrhunderts ... 48
2.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ...... 65
3. Moderne Formen der Körperkultur
im kulturellen System der ZweigeschlechtIichkeit . . . . . . . . . . . .. 70
3.1 Vergesellschaftung zwischen Macht und Unterwerfung:
Die Frau als tätiges Subjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
3.2 Sport als Focussierung gesellschaftlicher Körper-Macht-Verhältnisse .. 86
3.3 Geschlechtsspezifische Körper-und Bewegungskarrieren
in modemen Gesellschaften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
3.4 Zusammenfassung .................................. 129
4. Körperdisziplinierung und Körperstrategien von Mädchen
und Frauen am Beispiel von Sportstudentinnen
-Ergebnisse einer Interviewstudie -. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
4.1 Zum Forschungsdesign -Methodologie und Methode. . . . . . . . .... 136
4.1.1 Erkenntnisinteresse, Forschungsansatz und Forschungsprozeß ...... 136
4.1.2 Die Interviews ..................................... 142
4.1.2.1 Die Auswahl der Befragten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
4.1.2.2 Zur Strukturierung der Befragungssituation -das Leitfadeninterview ..... 142
4.1.2.3 Zum Ablauf der Interviews .............................. 145
4.1.2.4 Auswertungsverfahren ................................. 146
4.1.2.5 Die Gruppendiskussion ................................. 149
8 Inhaltsverzeichnis
4.2 Karrieremuster von Sportstudentinnen -Biographische Aspekte ..... 151
4.2.1 Sozialdaten der Interviewpartnerinnen ..................... 151
4.2.2 Sportverein ....................................... 152
4.2.2.1 Einstieg! Motivation .................................. 152
4.2.2.2 Wahl der Sportart! Trainingshäufigkeitl soziales Umfeld ............. 154
4.2.2.3 "Drop-Out" ........................................ 158
4.2.3 Schulsport ........................................ 162
4.2.3.1 Sportliche Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
4.2.3.2 Soziale Beziehungen zu den MitschülerInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
4.2.3.3 Soziale Beziehungen zu den Lehrenden ....................... 175
4.2.4 Sportstudium ...................................... 181
4.2.4.1 Die Entscheidung zum Sportstudium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
4.2.4.2 Die doppelte Disziplinierung in der Sportpraxis:
sportliche Leistung und "weibliche" Körperpräsentation ............. 183
4.2.4.3 Soziale Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
4.3 Die spezifische Körper-und Bewegungsaneignung
von sportlich-aktiven Mädchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
4.3.1 Zur Kindheit: Chancen und Behinderungen der
offenen Raumgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
4.3.2 Zur Pubertät: psycho-und soziosexuelle Entwicklungs-
möglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
4.3.2.1 Menarche und Menstruation .............................. 214
4.3.2.2 Körperveränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
4.3.2.3 Heterosexuelle Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
4.3.2.4 Lesbische Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
4.4 Körperpolitik und Körperstrategien: Die internalisierte
Disziplinierung von Sportstudentinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
4.4.1 Der hierarchische Blick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
4.4.2 Die normierende Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
4.4.2.1 Die politische Institution "Heterosexualität" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
4.4.3 Körperstrategien zwischen den Polaritäten "weiblich" -"männlich" ... 286
4.5 Aspekte der Veränderung .............................. 320
4.5.1 Die Gruppendiskussion ............................... 320
4.5.2 Zusammenfassung und Ausblick ......................... 328
5. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
1. Einleitung
"'Ich, ich', sang sie. Das schönste Wort, seit die Tür verschlossen war.
'Ich lebe', sang sie, 'ich lebe, ich lehehehehebe', sprang über Beete und
Kürbisranken, balancierte auf dem Zaun, hieb eine Gurke in die Stachel
beersträucher, biß einen Strunk an und hüpfte Takt auf dem Brett, mit
dem das Wasserloch abgedeckt war. Da begann die Großmutter mit den
Fäusten gegen die Tür zu trommeln. Laura sprang zurück zur Laube und
sah die Großmutter wüten wie eine gefangene Hummel. Laura ergötzte
der Anblick. Die dumpfen Drohungen und Flüche steigerten ihren
Rausch. Als sie sich sattgesehen und -gehört hatte, schwebte sie wieder
fort. Der Garten erschien jetzt schon riesig. Laura konnte fliegen und
fliegen und kam doch an kein Ende. Die Kürbisse, für die der Großvate.r
hochbeinige Liegen gebaut hatte, waren die Monde der Unendlichkeit. In
solchem Licht konnte Laura sogar auf den großen Birnbaum klettern.
Und sie blieb auch später, als die schöne Stunde vorüber war, dabei, daß
sie im Wipfel des großen Birnbaums gesessen hätte. Keine Schelte
konnte sie zum Widerruf bewegen, keine Ohrfeige." (Irmtraud MORG
NER: Amanda. Ein Hexenroman. Berlin und Weimar 1986. S. 33 f.)
Begrenzungen und Chancen der Entfaltung individueller Körper-, Bewegungs
und Handlungsspielräume ergeben sich in modernen Gesellschaften neben
Klasse und Rasse hauptsächlich aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit. Ob es
sich um den Zugang zu sozialen Räumen handelt, um die Verteilung von ge
sellschaftlichen Ressourcen, Verantwortlichkeiten und Positionen, ob in der
Politik, in der Wissenschaft, immer spielt das Wissen um die Geschlechtszuge
hörigkeit eine zentrale Rolle bei der Verteilung von Privilegien, Ein- und Zuord
nungen, bei Verhaltens- und Umgehensweisen, die für das je ein oder andere
Geschlecht differieren.
Die alltagstheoretische Grundannahme lautet, daß zwei und nur zwei
Geschlechter existieren (Vgl. HAGEMANN-WHlTE 1984, S. 78 ff). Der Exi
stenz von zwei Geschlechtern wird unterstellt, daß sie eindeutig - entweder
"männlich" oder "weiblich" -, naturbedingt - durch die primären und sekundären
Geschlechtsmerkmale - und unveränderbar, nämlich von Geburt an vorgegeben
seien. Den beiden Geschlechtern entsprechend differenzieren sich zwei Arbeits
bereiche aus: dem Mann wird der öffentliche Bereich zugewiesen, ihm wird die
Sorge um das Allgemeinwohl zuteil; trotz der zunehmenden Öffnung der öffent
lichen Sphäre für Frauen obliegt der Frau immer noch allein als Hüterin der
privaten Sphäre die Sorge um das Besondere, um die Familienmitglieder, um
den häuslichen Frieden. Während soziale Statussysteme für Männer eine Viel
zahl an Positionen vorsehen, die mit ihren Beziehungen zu Frauen nichts zu tun
haben, ist die Statuszuordnung für Frauen in der Regel in Relation zum Mann
10 1. Einleitung
bestimmt. Unterstellt wird eine Ergänzung der Arbeitsbereiche, tatsächlich fmdet
jedoch eine Höherbewertung der Subjektpotentiale von Männern statt.
In der feministischen Forschung - die US-amerikanische Frauenforschung
war hier Vorreiterin - wird seit längerem differenziert zwischen biologischem
("sex") und sozialem ("gender") Geschlecht'. Diese Differenzierung dient dazu,
die Biologisierung der Geschlechterdifferenzen und die damit verbundene
Geschlechterhierarchisierung aufzudecken. Angebliche "Naturtatsachen" werden
als "Kulturtatsachen" entlarvt. Das entscheidende Strukturierungsprinzip patriar
chaler Gesellschaften ist das soziale Geschlecht, mit dem all jene Merkmale, die
mit "Weiblichkeit" oder "Männlichkeit" in unserer Gesellschaft assoziiert wer
den, verbunden sind. Die Begriffe sind nicht als bloße Zuordnungskategorie zu
interpretieren, vielmehr rekurriert ihre Verwendung immer auf die polaren
Geschlechtsrollentypisierungen: Emotionalität, Einfühlungsvermögen, Passivität
und Opferbereitschaft u.ä. stehen für die "weibliche" Seite; Autonomie, Aktivi
tät, Durchsetzungsvermögen, Leistungsfähigkeit u.ä. gelten als "männliche"
Eigenschaften.2 Die Kategorien "Frau" und "Mann" sowie "weiblich" und
"männlich" müssen als Symbole in einem sozialen Sinnsystem begriffen werden,
wobei die Geschlechter nicht erst die dazugehörigen Eigenschaften unter Beweis
stellen müssen, um dem einen oder anderen Geschlecht zugeordnet zu werden,
"sondern umgekehrt werden ihnen die Eigenschaften unterstellt und ihr Verhal
ten wird bewertet nach Maßgabe der Geschlechtszugehörigkeit" (dies., S. 80).
Damit sind im "kulturellen System der Zweigeschlechtlichkeit" an Frauen und
Männer spezifische Handlungsaufforderungen gerichtet, die auf die permanente
Inszenierung der Geschlechtszugehörigkeit abzielen. "In dieser permanenten,
interaktiven Herstellung der Geschlechterdifferenz wird eine Tiefenschicht des
Alltagshandelns deutlich, deren fragloses 'Funktionieren' die Voraussetzung für
die Praktizierbarkeit einer zweigeschlechtlichen Konstruktion ist. Daß diese
Differenz in faktisch jeder Lebenslage und Lebenssituation in irgendeiner Form
thematisch bleibt und ihr nicht einfach ein 'Vergessenwerden' droht, dies wird
nur durch das Vorhandensein und Wirken elementarer Ebenen sozialer Inter
aktion verstehbar ( ... )" (GILDEMEISTER 1992, S. 233 0. In diesen sozialen
Interaktionen wird die bestehende soziale Ordnung der Geschlechter reproduziert
und ebenso in historisch neuer Form konstituiert.
1 In neueren Ansätzen wird die Unterscheidung zwischen "sex" und "gender" als Schein
lösung begriffen, da sie auf der Annahme basiert, daß ein Teil der vorfindlichen Geschlech
terdifferenz nach wie vor der Natur zuzuordnen sei. Da es jedoch erkenntnistheoretisch keinen
unmittelbaren Zugang zur "reinen" Natur gibt und auch anthropologisch sich über die
"Natur" des Menschen nicht mehr, aber auch nicht weniger sagen läßt, als daß sie gleich
ursprünglich mit Kultur ist, handelt es sich bei dieser Unterscheidung um einen bloß ver
lagerten Biologismus (Vgl. GILDEMEISTERIWETTERER 1992, S. 205 ff).
2 Da diese Eigenschaftszuschreibungen immer mitgedacht werden, auch wenn es sich um die
bloße Zuordnung zur sozialen Kategorie Geschlecht handelt, werden in dieser Arbeit die
Begriffe "weiblich" und "männlich" nur dann verwandt, wenn diese Zuschreibungen
tatsächlich gemeint sind.
1. Einleitung 11
Dies geschieht in erster Linie über die körperliche Inszenierung - auch
diese wird nicht aufgrund "naturbedingter" Gegebenheiten vollzogen. Vielmehr
gilt, daß die Techniken des Körpereinsatzes und der Körpermodellierung, die
zum Ausdruck gebrachten Trieb- und Bedürfnisstrukturen, insgesamt die all
täglichen physischen Handlungen sozialen Normierungen unterworfen und damit
kulturell überformt sind. Der Körper ist ein "soziales Gebilde", der "die Art und
Weise (steuert), wie der Körper als physisches Gebilde wahrgenommen wird;
andererseits wird in der (durch soziale Kategorien modifizierten) physischen
Wahrnehmung des Körpers eine bestimmte Gesellschaftsauffassung manifest"
(DOUGLAS 1981, S. 99). Der Körper ist immer auch "Austragungsort der
Macht" (FOUCAULT 1986). Im Rahmen einer umfassenden Körperpolitik
reflektieren die Geschlechterverhältnisse zugleich spezifische Körper-Macht
Verhältnisse: das "männliche" Körperkonzept wird zur Normalität erhoben, der
Frauenkörper hingegen erscheint als Abweichung. Feministische Forschungen
haben sich eingehend mit der patriarchalen Zurichtung zum "weiblichen" Körper
beschäftigt. Die Untersuchungen richten sich auf die spezifische somatische
Kultur von Frauen, die gesellschaftlichen Umgehens- und individuellen Ver
arbeitungsweisen von Menstruation, Schwangerschaft, Geburt und Sexualität
sowie auf die geschlechts spezifische Sozialisation mit ihren spezifischen Formen
"weiblicher" Körperdisziplinierung als auch auf Formen sexueller Gewalt gegen
Frauen und auf kulturvergleichende Zurichtungstechniken. Die bevorzugte
Perspektive auf Sexualität, Befindlichkeit, Ästhetik und Gesundheit legt den
Schwerpunkt auf Nah- und Innenaufnahmen des "weiblichen" Körpers, sie bleibt
beschränkt auf einen '''hautengen' Körperraum", kritisiert ROSE (1992, S. 48
ff). Ausgeblendet sind hingegen 'körper-ferne' Aspekte in der feministischen
Frauenforschung, "in denen das Selbst seinen Raum symbolisch über seine
physisch-materiellen Körpergrenzen hinaus ausdehnt und sich in der Welt
verortet" (dies., S. 50). Um diese eng gesteckten Grenzen zu überwinden, soll
die Perspektive auf das "weibliche" Körper-Innen um Aspekte der motorischen
Aktivität und damit der körperdynamischen Aneignung von Außenräumen durch
den Einbezug von Sport und Bewegung in die Selbstkonstitution von Frauen
erweitert werden.
Die herrschende Sportkultur ist in erster Linie von "männlichen" Orientie
rungen wie Leistung, Wettkampf und Konkurrenz sowie dem Streben nach
Erfolg geprägt. Inwieweit die Teilhabe an dieser Kultur Frauen Chancen eröff
net, die gesellschaftlichen Definitionen von "Weiblichkeit" überschreiten zu
können und welche spezifischen Konfliktlagen mit diesen Grenzüberschreitun
gen verbunden sind, sind forschungsleitende Fragestellungen.
Erweiterungen eingeengter Blickrichtungen fmden ebenso statt, wenn bevorzugte
Perspektiven innerhalb feministischer Forschungen die eindimensionale Form
barkeit von Frauen, in denen sie lediglich als Objekte der "Sozialisationsmaschi
nerie" erscheinen, ins Zentrum stellen. Die gesetzten (Macht-)Grenzen für
Frauen innerhalb derjenigen theoretischen Ansätze sollen überschritten werden,
die die focussierte Blickrichtung auf das "Machtmonopol" und die "Unter-
12 1. Einleitung
drückungsmacht" der Männer richten, die Frauen nach ihren Vorstellungen
formen und in ihrem Interesse zum Funktionieren bringen. Daß über Jahrhunder
te hinweg Frauen sich der Macht der Unterdrückung passiv fügten, daß sie jegli
cher Subjektivität enthoben als formbare Knetmasse in den Händen von Män
nern nur Opfer dieser Strukturen waren und sind, widerspricht der sozialen und
individuellen Realität. Wie funktioniert Macht wirklich und wie inkorporieren
Frauen diese Machtverhältnisse? Fruchtbare Ansätze zur Beantwortung dieser
Fragen liefert der französische Philosoph Michel FOUCAULT, für das Begreifen
des Funktionierens von Macht sind seine theoretischen Zugänge unverziehtbar.
FOUCAULT (1977/ 1986) zeigt auf der Ebene lokaler Praktiken, wie der
Körper unmittelbar im Feld des Politischen steht. Die Produktion des modemen
Körpers geschieht durch die "Mikrophysik der Macht", durch die der Körper erst
zur ausnutzbaren Kraft wird, indem er zugleich unterworfener und produktiver
Körper ist. Die Macht ist demnach nicht nur auf negative Mechanismen
zurückzuführen, "die einschränken, verhindern, ausschließen, unterdrücken" ,
vielmehr sind sie "an eine Reihe positiver und nutzbringender Effekte geknüpft
( ... ), welche sie befördern" (ders. 1977, S. 35). Die Verwendung des
FOUCAULTschen Instrumentariums ermöglicht es, auch die Produktivität
patriarchaler Normalisierungsmacht in den Blick zu nehmen. In der kritischen
Auseinandersetzung mit seinem theoretischen Ansatz, in der Erweiterung des
Gegenstandsbereiches um eine feministische Perspektive, in der Übertragung der
FOUCAULTschen Kategorien auf die Lebenswelt von Frauen soll das Funktio
nieren von Körper-Macht-Strategien, die sich auch unabhängig von einem
handelnden "männlichen" Akteur formieren, analysiert werden. Zu einer solchen
oder ähnlichen Vorgehensweise hat FOUCAULT selbst einmal geäußert: "Mein
Diskurs ist selbstverständlich der Diskurs eines Intellektuellen und funktioniert
als solcher in bestehenden Machtnetzen. Aber ein Buch ist dazu da, um Zwek
ken zu dienen, die von dem, der es geschrieben hat, nicht festgesetzt sind. Je
mehr neue, unvorhergesehene Verwendungen möglich sind und wirklich sein
werden, umso zufriedener werde ich sein. Alle meine Bücher, ( ... ), sind, wenn
sie so wollen, kleine Werkzeugkisten. Wenn die Leute sie aufmachen wollen
und diesen oder jenen Satz, diese oder jene Idee oder Analyse als Schraubenzie
her verwenden, um die Machtsysteme kurzzuschließen, zu demontieren oder zu
sprengen, einschließlich derjenigen Machtsysteme, aus denen diese meine
Bücher hervorgegangen sind - nun gut, umso besser" (ders. 1976, S. 53).
Die Intention dieser Arbeit liegt einerseits in der Analyse spezifischer
Disziplinierungsmaßnahmen, die sich auf den Frauenkörper richten und ihn in
besonderer Weise formieren. Andererseits gehen Frauen in diesen Formierungen
nicht auf - in der Aneignung der Körper-, Bewegungs- und Sportkultur liegen
Fluchtpunkte, Brechungen, widerständige Anpassung und spezifische Arran
gements, die die gegebene Körper- und Bewegungsumwelt in einer aktiven
Ausbildung des Selbst reflektiert. Ziel ist die Entlarvung des strategischen
Einsatzes der Disziplinarmacht, das Aufzeigen der Eingrenzungen und produkti
ver Effekte, die durch entsprechende Manöver, Techniken und Taktiken Frauen