Table Of ContentARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR FORSCHUNG
DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN
NATUR-, INGENIEUR- UND GESELLSCHAFTSWISSENSCHAFTEN
143. SITZUNG
AM 7. APRIL 1965
IN DÜSSELDORF
ARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR FORSCHUNG
DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN
NATUR-, INGENJEUR- UND GESELLSCHAFTSWISSENSCHAFTEN
HEFT 161
MAXIMILIAN STEINER
Flüchtige Amine in Pflanzen
HELMUT ZAHN
Über Insulin
HERAUSGEGEBEN
IM AUFTRAGE DES MINISTERPRÄSIDENTEN Dr. FRANZ MEYERS
V00; STAATSSEKRETÄR i. e. R. PROF. Dr. h. c., Dr. E. h. LEO 13RA0;DT
MAXIMILIAN STEINER
Flüchtige Amine in Pflanzen
HELMUT ZAHN
Über Insulin
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
ISBN 978-3-663-03063-8 ISBN 978-3-663-04252-5 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-04252-5
© 1966 by Springer Fachmedien Wiesbaden
Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag, Köln und Opladen 1966.
INHALT
Maximilian Steiner, Bonn
Flüchtige Amine in Pflanzen 7
Diskussions beiträge
Professor Dr. phi!. Lothar Jaenieke,. Professor Dr. phi!. Maximilian
Steiner,. Professor Dr. med. Platon Petrides,. Professor Dr. phi!.
Hermann Ullrieh,. Professor Dr. rer. nato Hans-Giinter Aeh .. . . . . .. 39
Helmut Zahn, Aachen
Über Insulin ............................................... 45
Diskussionsbeiträge
Professor Dr. phi!. Maximilian Steiner,. Professor Dr.-Ing. Helmut
Zahn,. Professor Dr. phi!. Fritz Mieheel,. Professor Dr. rer. nato
Wilhelm Groth,. Professor Dr. phi!. Lothar Jaenieke,. Professor
Dr. med. Franz Grosse-Broekhoff,. Professor Dr. med. Platon Petrides,.
Staatssekretär i. e. R. Professor Dr. h. C., Dr.-Ing. E. h. Leo Brandt 73
Flüchtige Amine in Pflanzen
Von Maximilian Steiner, Bonn
Mein Vortrag will Ihnen über die Ergebnisse von Untersuchungen be
richten, welche gemeinsam mit den Herren Dr. Stein von Kamienski, Dr. T.
Hartmann und Fräulein AI. Cornelsen in den letzten Jahren im Pharmakogno
stischen Institut der Universität Bonn durchgeführt wurden.
Amine als pflanzliche Duftstoffe
Es bereitet keine Schwierigkeiten, Form und Farbe einer Blüte eindeutig
zu beschreiben. Für die Form der Blüte stellt uns die botanische Morpho
logie ein wohlausgebautes Begriffssystem und eine präzise Terminologie
zur Verfügung. In einer Blütenformelläßt sich - wie bei einer chemischen
Formel - mit einigen Buchstaben- und Zahlensymbolen, in einem Blüten
diagramm mit ein paar Strichen schon recht viel Wesentliches über die
Form einer Blüte aussagen.
Für die Kennzeichnung der Blütenfarbe genügen in vielen Fällen die
üblichen Sprachbezeichnungen: hellrot, dunkelrot, zitronegelb, orangegelb,
olivgrün usw. Wer genauer sein will, kann die Farbnummer eines der be
kannten Farbatlanten angeben. Schließlich steht nichts im Wege, das
Remissionsspektrum etwa eines Blütenblattes mit jeder gewünschten Ge
nauigkeit zu ermitteln.
Schwieriger ist die Lage, wenn wir den Duft einer Blüte definieren wollen.
Dabei ist wohl zu beachten, daß der Geruch ebenso wie die Form zur funk
tionsgemäßen Ausgestaltung einer Blüte gehört, ja daß ihm in vielen
Fällen für die Anlockung der bestäubenden Insekten eine größere Bedeu
tung als Farbe und Form zukommt, wie es z. B. Knall bereits 1926 für die
Blütenstände des Aronstabes (Arum) nachgewiesen hat.
Als erster hat wohl der verdiente italienische Blütenbiologe Delpino (1873)
den Versuch unternommen, die Blütendüfte in ein System zu bringen. Er
unterscheidet "odori simpatici" und "odori idiopatici" (angenehme und
unangenehme Düfte), die er nach dem Grade der "simpatia" und "idio
patia" in fünf Klassen gruppiert:
8 Maxirnilian Steiner
Gradi di
simpatia idiopatia
Cl. 1 5/6 1/6 odori suavi }
Cl. 2 4/6 2/6 odori aromatici odori simpatici
Cl. 3 3/6 3/6 odori carpologici
Cl. 4 2/6 4/6 odori graveolenti }
odori idiopatici
Cl. 5 1/6 5/6 odori nauseosi
Die fünfte Klasse der "Ekelgerüche" wird wieder weiter unterteilt:
Cl. 5 odore di lezzo (Fäulnis geruch)
odore saprictino (Geruch nach faulen Fischen)
odore urinoso (Harn-Geruch)
odore stercoreo (Kot-Geruch)
odore mentico
(viverrino) (Viverren-Geruch)
odore cadaverino (Leichen-Geruch)
Es wird also angedeutet, daß manche Blüten, abweichend von der allge
meinen Regel, durch Düfte gekennzeichnet sind, die der Mensch als aus
gesprochen unangenehm empfindet. Seltener als Blüten besitzen übrigens
auch vegetative Pflanzenteile auch solche "odori idiopatici". Ein bekanntes
Beispiel ist die' Stinkmelde (Chenopodium vulvaria). Man findet die Pflanze
zerstreut in wärmeren Gegenden Mitteleuropas, und hier vorzugsweise an
Straßenrändern, an Mauerecken, wo Mensch und Tier für eine gelegentliche
Stickstoffdüngung sorgen. Die ganze Pflanze riecht frisch und trocken
intensiv nach faulen Heringen. Es ist nicht verwunderlich, daß dieses,
vordem auch zu Heilzwecken verwendete Kraut z. T. sehr drastische volks
tümliche Bezeichnungen erhalten hat, die ja im wissenschaftlichen Namen
bereits angedeutet sind.
Man sieht ferner, daß die Blütendüfte bei Delpino lediglich durch den
Vergleich mit anderen "bekannten" Düften gekennzeichnet werden. Einen
Schritt weiter führte Kerner v. Marilaun (1891). In seinem "Pflanzenleben"
versucht er die Blütendüfte chemisch zu klassifizieren:
1. indoloide Düfte
2. aminoide Düfte
3. benzoloide Düfte
4. paraffinoide Düfte
S. terpenoide Düfte
Flüchtige Amine in Pflanzen 9
Für unser Thema ist von Wichtigkeit, daß hier also eine Gruppe von
Blütendüften mit Aminen in Zusammenhang gebracht werden. In der Tat
lagen zur Zeit der Abfassung von Kerners "Pflanzenleben" bereits einige
Angaben über das Vorkommen von Aminen bei Pflanzen vor.
1851 hatte Dessaignes 40 kg Chenopodium vufvaria analysiert und Propylamin
gefunden. 1856 korrigierte er diese Angabe auf Trimethylamin. Die gleiche
Verwechslung - Propylamin statt Trimethylamin - unterlief übrigens auch
Wicke (1852) bei Weißdornblüten und Wittstein (1854) bei den Blüten des
Birnbaums und der Eberesche. 1875 fand Schmidt im Bingelkraut (Mercuria
fis annua) das Methylamin.
Etwa ein halbes Dutzend weiterer Befunde über Aminvorkommen bei
höheren Pflanzen und Pilzen werden in Czapeks "Biochemie der Pflanzen"
(1913) zitiert. Neben den bereits erwähnten Stoffen wird i-Amylamin (für
Tabakblätter und den Mutterkornpilz) angegeben.
Nachweismethoden. Verbreitungflüchtiger Amine iln Pflanzenreich
Für den Nichtchemiker sei erwähnt, daß als Amine Verbindungen be
zeichnet werden, welche sich vom Ammoniak dadurch ableiten, daß ein,
zwei oder drei seiner H-Atome durch einen organischen (Alkyl- oder
Aryl-)Rest ersetzt werden:
Ammoniak primäres sekundäres tertiäres
Amin Amin Amin
Rl, R2, Ra: Alkyl oder Aryl
Die Amine sind basische Verbindungen ; sie können also durch Alkalien
frei gemacht werden. Die niederen Homologen sind flüchtig. Noch n-Decyl
amin geht bei 15minutiger Wasserdampfdestillation zu ca. 90% in die Vor
lage. Alle flüchtigen Amine sind durch einen charakteristischen, unange
nehmen Geruch ausgezeichnet, der an faule Fische erinnert.
Zur Analyse verwendeten die älteren Autoren vorzugsweise die schwer
löslichen Salze der Amine mit Hexachloroplatinsäure H2 Pt C16• Aus dem
Glühverlust der erhaltenen Verbindungen ließ sich das Molekulargewicht
10 Maximilian Steiner
des Amins ermitteln. Die bereits erwähnte, mehrfache Verwechslung von
Propyl- und Trimethylamin ist aus dieser Analysenmethode verständlich.
Die beiden Verbindungen sind isomer: C3H7NH2 und (CHa)aN, also C3H9N.
Zum Mikronachweis erwiesen sich die Doppelsalze mit Gold, Platin und
Palladium als wenig geeignet. Die erhaltenen Kristallprodukte unterschei
den sich nur wenig. Bessere Ergebnisse brachte die Anwendung einiger
bereits aus der Analytik der Alkaloide bekannter Nitrophenole (Klein und
Steiner, 1928; Steiner, 1929; Steiner und Liiffler, 1929; Stein v. Kalllienski,
1957a). Als besonders geeignet erwies sich das 2,4-Dinitro-ot-Naphthol,
dessen Natriumsalz früher als "Martiusgelb" zum Färben von Teigwaren
verwendet wurde. Das freie Phenol reagiert mit freien Aminen unter Bil
dung schwerlöslicher, gut kristallisierender Salze. Diese Kristallprodukte
lassen sich unter dem Polarisationsmikroskop durch Form, Farbe, Dichrois
mus, Auslöschungswinkel, Charakter der Doppelbrechung usw. vorzüglich
unterscheiden. Sie besitzen scharfe, z. T. weit auseinanderliegende Schmelz
punkte(Tab. 1). Beim Erhitzen auf dem Heiztischmikroskop treten durch
Sublimation neue Kristallformen auf, die ebenfalls zur Identifizierung heran
gezogen werden können. Bei Verwendung des "Mikrobechers" lassen sich
sehr kleine Ausgangsmengen - ein Tropfen der durch Destillation gewonne
nen Aminhydrochloride, einzelne Blütenteile, Ausschnitte eines Papier
chromatogramms - gut analysieren. Eine sichere Identifizierung ist im allge
meinen noch mit einer Erfassungsgrenze von etwa 1 !J.g möglich. Schwierig-
Smp. oe
Reagens 125
Ammonium-Salz 174
Methylamin-Salz 166
Dimethylamin-Salz 171
Trimethylamin-Salz 166
Athylamin-Salz 156
n-Propylamin-Salz 156
i-Propylamin-Salz 135 (2. Smp.: 152)
i-Butylamin-Salz 150
i-Amylamin-Salz 156
n-Hexylamin-Salz 150
Tab. 1: Schmelzpunkte von 2,4-Dinitro-oc-Naphtholsalzen
(nach Stein v. Kamienski, 1957a)