Table Of ContentHerausgegeben von
Ernst Baltrusch, Kai Brodersen, Peter Funke,
Stefan Rebenich und Uwe Walter
Herausgegeben von Hans Beck
und Hans-Ulrich Wiemer
Feiern und Erinner n
GESCHICHTSBILDER I M SPIEGE L
ANTIKER FEST E
VA
VerlagAntike
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung,
Düsseldorf.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2009 Verlag Antike e.K., Berlin
Satz Oliver Hihn, Gießen
Einbandgestaltung disegn o visuelle kommunikation, Wuppertal
Druck und Bindung HenkelGmb H Druckerei, Stuttgart
Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier
Printed in Germany
ISBN 978-3-938032-34- 3
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort 7
Hans Beck,/Hans-Uhich Wiemer. Feiern und Erinnern — eine Einleitung 9
Hans Beck. Ephebie - Ritual - Geschichte .
Polisfest und historische Erinnerung im klassischen Griechenland 5 5
Hans-Ukich Wiemer. Neue Feste — neue Geschichtsbilder?
Zur Erinnerungsfunktion städtischer Feste im Hellenismus 8 3
Eene Pfiilschifter. Die Römer auf der Flucht.
Republikanische Feste und Sinnstiftung durch aitiologischen Mythos 10 9
KalfBehrwaük Festkalender der frühen Kaiserzeit als Medien der Erinnerung. 141
Matthäus HeU. Die Jubilarfeiern der römischen Kaiser 16 7
Mischa Meier. Die Abschaffung der venationesäaich Anastasios im J ahi 499
und die ,kosmische' Bedeutung des Hippodroms 20 3
Register 23 3
Über die Herausgeber und Autoren 23 9
Vorwort
Der vorliegende Band geht auf eine Sektion zurück, die von den Herausgebern
auf dem 46. Deutschen Historikerta g in Konstanz im Septembe r 200 6 aus -
gerichtet wurde. In Gang gesetzt wurde das Unternehmen durch eine lebhafte
Diskussion des damaligen Rahmenthemas GeschichtsBilder, die uns rasch dazu
gebracht hat, diese allgemeine Vorgabe auf die Vorstellungs- und Lebenswelt
der einfache n Leute herunterzubrechen . Di e hier versammelten Geschichts -
bilder haben deshalb nur wenig gemeinsam mit der intellektuell-reflexiven Art
und Weise, wie sich ein Thukydides oder Tacitus mit der Vergangenheit und
ihrer soziale n Konstruktio n al s Geschicht e auseinandergesetz t haben . Stat t
dessen werfen sie Licht auf Deutungen und Lesarten von Vergangenheit, die in
breiteren Kreise n zirkulierten : of t nu r al s mündliche Traditione n ode r al s
mimetische Ritual e und kommuniziert zwische n Menschen ohne jede elitäre
Bildung, aber mit erheblicher Präsenzkraft: und nachhaltigen Sinnangeboten .
Der Ausnahmezustan d de s Festes schie n uns besonder s gu t daz u geeignet ,
diese Form von antiken Vergangenheitsbildern einzufangen.
Die Vorträge der Sektion wurden für die Druckfassung überarbeitet; hinzu
kamen die Beiträge von Matthäus Heil und Mischa Meier, die das Thema bis in
die hohe und späte Kaiserzeit hinein verfolgen. Dennoch kann und soll auch
gar nicht der Anspruch erhoben werden, hier ein ganzes Millennium antike r
Festkultur abzudecken. Die Studien sind als Diskussionsbeiträge gedacht, die
den Zusammenhang zwischen Festen und Geschichtsbildern vom klassischen
Griechenland bis in die Spätantike exemplarisch entfalten.
Daß drei Jahre nach der Konstanzer Sektion nun ein Buch vorgelegt wer-
den kann, verdanken die Herausgeber natürlich zuallererst den Kollegen und
Freunden, die sich als Autoren auf das Thema eingelassen haben. Oliver Hihn
hat die Manuskripte auf dem Weg zum Buch mit großer Sorgfalt bearbeitet und
die Druckvorlage fast alleine erstellt. Er und Joanna Ayaita haben die Heraus-
geber auch beim Lesen der Korrekturen nachhaltig unterstützt. Beim Erstellen
des Register s hal f Catherin e MacPherson . Alle n dreie n gilt unse r herzliche r
Dank. Danken möchten wir schließlich auch den Herausgebern der „Studien
zur Alten Geschichte", insbesondere Uwe Walter, die unser Buch in ihre Reihe
aufgenommen un d hilfreich e Hinweise beigesteuert haben, sowie der Gerd a
Henkel Stiftung, die einen namhaften Zuschuß z u den Druckkosten gewähr t
hat.
Montreal/Gießen, Dezember 2009 Hans Beck und Hans-UMch Wiemer
Feiern und Erinnern - eine Einleitung1
Hans Beck/Hans-Ulrich Wiemer
I. Wozu dieser Band?
Erinnerung un d Gedächtni s stehe n sei t geraume r Zei t im Zentru m kultur -
wissenschaftlicher Debatten und werden in ihren vielfaltigen Manifestationen
gerade auch von Historikern eingehend untersucht. Die kollektive Vergegen-
wärtigung vo n Vergangenheit , ihr e medial e Präsentation , sinnstiftend e un d
handlungsleitende Funktion und ihre Verankerung in sozialen Praktiken und
Diskursen, fü r die sic h die Bezeichnung Geschichtskultur eingebürgert hat ,
gehören mittlerweil e zu m Themenkano n alle r historischen Disziplinen , Si e
bilden nach wie vor Kernbereiche aktueller Forschungen. Inzwischen liegt eine
Vielzahl von Studien zur Geschichtskultur in fast allen Epochen und Regionen
der historischen Welt vor, und das Thema findet auch außerhalb der Universi-
tät große Beachtung. Von dem SteEenweit, den es erlangt hat, aber auch von
dem Umfang, den die ihm gewidmeten Forschungen angenommen haben, legt
die Tatsache, daß es mittlerweile auch durch enzyklopädische Zusammenfas -
sungen erschlossen wird,2 ein beredtes Zeugnis ab.
Die in diesem Band versammelten Studien verknüpfen den erinnerungs -
geschichtlichen Ansatz mit einem Themenbereich, der in den 70er und 80e r
Jahren des 20. Jahrhunderts intensiv diskutiert wurde, inzwischen aber wieder
weniger Aufmerksamkeit findet: dem Fest als einer Form sozialen Handelns.
Dieser Verknüpfung liegt die Uberzeugung zugrunde, daß in der griechisch-
römischen Welt wie in allen Gesellschaften, in denen Schriftlichkeit verhältnis-
mäßig gering entwickelt ist,3 ein enger Zusammenhang zwische n Feiern und
Erinnern besteht, weil Feste mit Vorstellungen über eine dem Anspruch nach
für alle verpflichtende Vergangenheit verbunden waren, die im gemeinsamen
Vollzug regelhafter Handlungsfolgen vergegenwärtigt und verinnerlicht wurde.
Das Fest überwand di e Grenzen, die der individuellen Aneignung von Vor-
1 Wi r danke n Ral f Behrwald , Christ a Frateantonio , Ren e Pfeilschifter , Winfried
Speitkamp, Uwe Walter und David Yates für Hinweise und Kritik.
2 Pethes/Ruchat z 2001; Ertt/Nünning 2008.
3 Di e durc h Harn s 198 9 angestoßen e Debatt e übe r Ausma ß und Eigenar t vo n
Schriftlichkeit in der griechisch-römischen Welt kann und muß hier nicht resümiert
werden. Im vorliegenden Zusammenhang genüge der Hinweis, daß der Austausch
von Idee n in alle n antiken Gesellschafte n mcht primär durch Texte vermittel t
wurde.
10 Hans Bec k / Hans-Ulrich Wiemer
Stellungen übe r di e Vergangenhei t durc h di e Struktu r de s Bildungswesen s
gesetzt waren, indem e s breite Schichten beteiligte . Zugleich schu f e s eigen -
tümliche Bedingunge n fü r diese Aneignung, di e durch emotional e Intensitä t
und Konformitätsdruc k gekennzeichne t waren. 4 Di e i m Fes t repräsentiert e
Vergangenheit ist der Kritik entzogen, solange man feiert, und prägt sich gerade
darum besonders tief ein.
Die folgenden Bemerkungen sollen in das Thema Feiern und Erinnern ein-
führen, indem zunächst der wissenschaftsgeschichtliche Kontext skizziert wird:
die Studien zum „sozialen" oder „kulturellen" Gedächtnis einerseits, diejenigen
zur Festkultu r andererseits . Dara n anschließen d sol l de r Zusammenhan g
zwischen Feiern und Erinnern für die griechisch-römische Welt näher betrach-
tet und genauer beschrieben werden.
II. Erinnerung und Gedächtnis in der Forschung
Mit der Hinwendung zum Themenbereich Erinnerun g un d Gedächtni s greift
die Geschichtswissenschaf t Konzept e auf , di e de r französisch e Soziolog e
Maurice Halbwachs, ein Schüler Emile Dürkheims, bereits in den 1920er Jahren
entwickelt hatte . Halbwach s hatt e i n seine r 192 5 publizierte n Untersuchun g
„Les cadres sociaux de la memoire" gegen die in Frankreich damals vorherr-
schende Lehr e de s Philosophe n Henr i Bergso n de n Nachwei s z u führe n
versucht, daß das Gedächtnis kein individuelles, sondern ein soziales Vermögen
sei.5 Zu diesem Zweck untersuchte er die Bedingungen, die dazu fuhren, daß
bestimmte Sinne s Wahrnehmungen erinnert , ander e abe r ausgeblende t ode r
vergessen werden, und gelangte zu dem Ergebnis, daß Erinnerungen stets auf
einen sozialen Rahmen bezogen und daher gruppenspezifisch und gegenwarts-
bezogen seien. Seine These lautete, daß Individuen stets nur das erinnerten, was
für das Kollektiv, dem si e angehören, von Bedeutung ist, weil Erinnerungen
nicht durch selbstreflexive Bewußtseinsakte wiedergefunden oder wachgerufen,
sondern durch aktives Beziehen auf die soziale Umgebung konstituiert würden.
Die Bedeutung von Emotionalität für die Analyse von Ritualen betont programma-
tisch Chanioris 2006; prägnant formuliert ist dieser Aspekt bei Chaniotis 2008, 85:
„Feste waren Ereignisse mi t emotionaler Intensitä t [... ] Wede r Intensität noc h
Emotionalität sind quantifizierbare Begriffe, Althistoriker nehmen sie nur selten in
den Mund. Studiert man aber die antike Religiosität und ihre Dynamik, so kann man
ohne sie nicht auskommen." S. dazu jetzt auch Hans Beck in diesem Band, S. 75-78.
Halbwachs 1925 , Z u Halbwachs ' Gedächtnistheori e vgl . jetz t Assman n 2005 ;
Marcel/MucluelH 2008. Auf ihre philosophischen Schwäche n macht Heinz 196 7
aufmerksam.