Table Of ContentBerichte des Bundesinstituts
für ostwissenschaftliche
und internationale Studien
Die ukrainische Außenwirtschaft
zwischen GUS und Weltwirtschaft
Alexei W. Sekarev
20-1992
Die Meinungen, die in den vom BUNDESINSTITUT FÜR
OSTWISSENSCHAFTLICHE UND INTERNATIONALE STUDIEN
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Inhalt
Seite
Kurzfassung 1
Einführung 5
I. Die Außenwirtschaftsbeziehungen der Ukraine . . .. 6
1.1 Versorgungsgrad und Importbedarf bei
Roh- und Brennstoffen 6
1.2 Warenaustausch mit Rußland und anderen
GUS-Mitgliedsländern 10
1.3 Äquivalenz des russisch-ukrainischen Austauschs:
Variante des Handels nach Weltmarktpreisen 13
1.4 Die Außenwirtschaftsbeziehungen außerhalb des
GUS-Bereichs 19
II. Außenwirtschaftsreform: Ein besonderer ukrainischer
Weg? 23
11.1 Regierungskonzeption für die Wirtschaftsbeziehungen
innerhalb der GUS 23
11.2 Außenwirtschaftskonzeption 24
11.3 Über die Effizienz der vorgeschlagenen Ansätze
im Kontext der internationalen Reformerfahrungen . . 26
III. Suche nach einem Platz in der Weltwirtschaft . . .. 32
111.1 Polemik zwischen der Ukraine und Rußland
wegen des gegenseitigen Warenaustauschs . . . . .. 32
111.2 Gibt es Alternativen zum russischen Erdöl? 35
111.3 Coupons: Verschärfte Isolierung von der GUS . . .. 38
111.4 Streben nach Integration in die internationalen
Wirtschaftsstrukturen 40
Schlußfolgerungen 42
Summary .* 45
März 1992
Der Verfasser dieses Berichts arbeitet gegenwärtig als Stipen
diat der Alexander-von-Humboldt-Stiftung im BlOst.
Übersetzung: Brigitta Godel
•
Alexei W. Sekarev
Die ukrainische Außenwirtschaft zwischen GUS und Weltwirtschaft
Bericht des BlOst Nr. 20/1992
Kurzfassung
Unter den Mitgliedstaaten der GUS nimmt die Ukraine durch ihre
Haltung zu wesentlichen Fragen der wirtschaftlichen und politi
schen Zusammenarbeit eine Sonderstellung ein. Trotz der strate
gischen Abhängigkeit vom Rohstoff- und Energieträgerimport aus
Rußland, zu dem es wegen des schwachen Exportpotentials prak
tisch keine Alternative gibt, strebt die Republik energisch
nach einem Verlassen der Rubelzone.
Wie die Republikführer erklären, liegt der Sinn ihres besonde
ren Wirtschaftskurses darin, dafür zu sorgen, daß sich die
Ukraine gegen die inflationären und preistreibenden Entwicklun
gen, die in der GUS stattfinden, seit in Rußland mit marktwirt
schaftlichen Reformen begonnen wurde, verteidigen kann. Das
hauptsächliche Mittel zum Schutz der ukrainischen Wirtschaft
soll die eigene Währungseinheit Griwna werden, die im Laufe des
Jahres 1992 eingeführt werden soll. In der Ukraine hat es je
doch bis in die jüngste Zeit kein klares wirtschaftspolitisches
Programm zur konsequenten Reform der eigenen Wirtschaft gege
ben.
Trotz ihrer schwachen Exportmöglichkeiten auf Devisenbasis
sucht die Ukraine aktiv nach Partnern für wirtschaftliche Zusam
menarbeit jenseits der Grenzen der GUS. Mit Ländern Europas und
Asiens wurde eine Reihe von Abkommen über die gegenseitige Lie
ferung von Gütern, darunter Erdöl und Erdgas, unterzeichnet.
Aufgrund ihres geringen Umfangs können diese Vereinbarungen je
doch nicht als gleichwertige Alternative zum Handel mit der GUS
dienen. Die wichtigste Voraussetzung für die Erlangung realer
wirtschaftlicher Selbständigkeit ist für die Ukraine eine durch
greifende innere Wirtschaftsreform.
Ergebnisse
1. Von der auseinandergefallenen UdSSR erbte die Ukraine eine
starke Abhängigkeit von den Erdöl-, Erdgas- und Holzlieferun
gen aus Rußland. Seit 1991 reduzierte sich der russisch-ukraini
sche Warenaustausch rasch. Der Hauptgrund war die Sonderstel
lung der Ukraine hinsichtlich der Fragen der Zusammenarbeit in
nerhalb der GUS und ihr Bestreben, sich dem ökonomischen und
politischen "Druck Moskaus" zu entziehen. Eine wichtige Rolle
spielten ebenfalls der gravierende Rückgang des Volumens der
- 2 -
Industrieproduktion in Rußland und seine Unfähigkeit, den Ex
port von Energieträgern auf dem früheren Niveau zu halten. All
dies zwingt die Ukraine zur aktiven Suche nach neuen Außenmärk
ten für den Import von Energieträgern.
2. Die Ukraine wendet sich immer deutlicher ab von dem unter
aktiver Beteiligung von Rußland, Belarus und Kasachstan ge
schaffenen einheitlichen Wirtschaftsraum der GUS. Der Warenaus
tausch mit den ehemaligen Republiken der UdSSR wird früher oder
später unter Verwendung von Weltmarktpreisen erfolgen. Der Über
gang zu Weltmarktpreisen kann die Außenverschuldung der Repu
blik einschneidend erhöhen. Zur Befriedigung des Jahresbedarfs
an Erdöl in Höhe von 70 Mio. t sind ungefähr 9 Mrd. Dollar er
forderlich. Der gegenwärtige Export der Ukraine aber erlaubt
nur einen Import von 40-50% der notwendigen Erdöl- und Erdgas
menge .
3. Das Problem des Ausfuhrpotentials ist eine der Schlüsselfra
gen auf dem Weg der Ukraine zu wirtschaftlicher Selbständig
keit. In der Ukraine gibt es - mit geringen Ausnahmen - keine
konkurrenzfähigen Exportgüter, die zur Grundlage einer aktiven
Außenwirtschaftspolitik werden könnten. Eine stabile internatio
nale Spezialisierung der Ukraine als Quelle des Wirtschafts
wachstums kann sich erst in der Zukunft nach Abschluß des Wirt
schaftsreformprozesses entwickeln. Beim Aufbau des Exportpoten
tials muß dem Hochtechnologie-Maschinenbau, dem Patent- und Li
zenzhandel sowie den Dienstleistungen, einem hochentwickelten
Transportsystem und modernen Kommunikationsmitteln der Vorzug
gegeben werden. Die traditionellen Exportzweige - Metallurgie,
extraktive Industrie, Landwirtschaft - müssen ihre Bedeutung
behalten.
4. Die eigene Geldeinheit der Ukraine, die Griwna, wird voraus
sichtlich im Sommer 1992 eingeführt. Der Handel der Ukraine
mit den GUS-Republiken, vor allem mit Rußland, wird in nächster
Zukunft durch zwischenstaatliche Abkommen über den Warenumsatz
und Zahlungsleistungen mit einer entsprechend lizenzierten Ab
wicklung der Lieferungen organisiert. Bei den Verrechnungen
wird aller Wahrscheinlichkeit nach ein Clearing-System verwen
det, das bereits im Handel der UdSSR mit Finnland erprobt wur
de. Stabilität der gegenseitigen Lieferungen kann nur nach ei
ner schmerzhaften Koordination der Preise und Wechselkurse für
Rubel und Griwna erreicht werden.
5. In der Ukraine gibt es heute kein komplexes marktwirtschaft
liches Reformprogramm. Die Konzeption einer selbständigen
Wirtschaftspolitik, die vom Kabinett Fokin im Herbst 1991 erar
beitet wurde, ist in vielem angesichts der neuen politisch-wirt
schaftlichen Lage in der GUS veraltet. Vor dem Hintergrund
nicht nachlassender Streitigkeiten über den "besonderen" Ent
wicklungsweg der Ukraine werden die marktwirtschaftlichen Umge
staltungen - Privatisierung, Entwicklung einer Marktinfrastruk
tur sowie von Exportzweigen der Industrie, Stimulierung des
- 3 -
Kleinunternehmertums u.a. - äußerst langsam durchgeführt. Die
Regierung greift häufig zu rigiden administrativen Maßnahmen
und hemmt die Selbständigkeit der Betriebe, was sie mit der kri
tischen Lage in der Wirtschaft erklärt. Es besteht die Gefahr,
daß in der Ukraine in der nächsten Zukunft eine administrative
Kommandowirtschaft mit den charakteristischen Defizit- und Ab
schottungsverhältnissen entsteht.
6. Die Ukraine strebt aktiv nach selbständigen Geschäftskontak
ten mit dem Ausland und internationalen Wirtschaftsorganisa
tionen. Erwartet wird die Aufnahme der Republik in den Interna
tionalen Währungsfonds (IWF) sowie in die Europäische Bank für
Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE). Projekte eines Beitritts
der Ukraine in regionale politische Bündnisse - das osteuropäi
sche Dreieck unter der Beteiligung Polens, Ungarns und der
Tschechoslowakei - werden geprüft. Im ökonomischen Bereich je
doch vollzieht sich der Prozeß einer Öffnung der Ukraine lang
sam. Zu seiner Aktivierung sind spürbare Fortschritte bei der
Verwirklichung der marktadäquaten Umgestaltung und Stimulierung
des Unternehmertums erforderlich.
Einführung
Der Status der staatlichen Unabhängigkeit und eine gewisse Span
nung in den Beziehungen zu Rußland stellten die Ukraine vor die
Notwendigkeit der Ausarbeitung einer nationalen Außenwirt
schaftsstrategie. Die Republik erklärte ihr Bestreben nach akti
ver Integration in die internationale Arbeitsteilung, Einfüh
rung einer eigenen Währung, der Griwna, sowie Erlangung ihrer
Konvertibilität und begann mit der beharrlichen Suche nach neu
en Rohstoffquellen und Energieträgern in Drittländern, um ihre
einseitige Abhängigkeit von Moskau zu reduzieren.
Die Schwierigkeit der Herstellung vollständiger ökonomischer
Selbständigkeit wird durch das schwache Exportpotential der
Ukraine bestimmt.1 Der Export in Länder außerhalb des GUS-Be
reichs betrug in den vergangenen Jahren durchschnittlich nur
ungefähr 7% des Bruttosozialprodukts. Die traditionellen Aus
fuhrposten - Eisenerz, Kohle, Metallerzeugnisse, Nahrungsmit
tel - können eine dauerhafte Spezialisierung der Ukraine im
Welthandel prinzipiell nicht garantieren. Die Rückständigkeit
des allgemeinen technischen Niveaus im Maschinenbau sowie der
Verschleiß der Ausrüstungen komplizieren die Produktion konkur
renzfähiger Erzeugnisse und die technische Umrüstung der Wirt
schaft in ernsthafter Weise. Nur einzelne Waren, die in kleinen
Partien ans Ausland geliefert werden (Pulvermaterialien, künst
liche Diamanten, Meßgeräte und andere) können als Grundlage der
zukünftigen Exportbasis betrachtet werden. Gegenwärtig ist ihre
Ausfuhr höchst unbedeutend.
Vgl. M. Sieburger, Die Struktur der Wirtschaft der Ukraine, in: Aktuelle Analysen des BlOst, 54/1991; R. Götz, Die wirt
schaftlichen Außenbeziehungen der Republiken der UdSSR, in: Aktuelle Analysen des BlOst, 9/1991; R. Götz, Gemein
samer Wirtschaftsraum Rußlands und Weißrußlands bedeutet Isolation der Ukraine, in: Aktuelle Analysen des BlOst,
7/1992.
- 6 -
Angesichts der zu großen Schwäche des Exportpotentials für eine
aktive Integration in die Weltwirtschaft wäre die Verknüpfung
zweier Richtungen in der Außenwirtschaftspolitik für die Ukrai
ne optimal: ein rationaler und so breit wie möglich angelegter
Handel mit der GUS, vor allem mit Rußland, mit für die Wirt
schaft strategisch wichtigen Erzeugnissen (Erdöl, Gas, Holzmate
rialien) sowie eine beschleunigte Modernisierung der Exportba
sis unter Hinzuziehung von Auslandskrediten und technischer Hil
fe.
In beiden Fällen erlangt eine entschlossene und konsequente
Marktreform eine Schlüsselbedeutung. In den Beziehungen zur GUS
gibt sie den Betrieben die Möglichkeit zur Gesundung und zur
Aktivierung von Direktbeziehungen mit den Partnern ohne über
flüssige Bevormundung von seiten der zentralen Organe (sowohl
in Kiew als auch in Moskau). Im Verhältnis zur übrigen Welt ver
bessert eine Festigung der Marktbeziehungen das Klima für das
ausländische Unternehmertum und erhöht das internationale Ver
trauen in die Ukraine. Deshalb können nur eine aktive Reform
und eine Absage an die Doktrin der "Stützung auf die eigenen
Kräfte" zur erfolgreichen Entwicklung der unabhängigen Ukraine
beitragen.
I. Die Außenwirtschaftsbeziehungen der Ukraine
I.1 Versorgungsgrad und Importbedarf bei Roh- und Brennstoffen
Nach Angaben des nationalen Wirtschaftsministeriums^ verlassen
mehr als 16% des Sozialprodukts die Grenzen der Ukraine. Die
Exportspezialisierung der Republik im Rahmen der GUS umfaßt fol
gende Waren, deren Exportvolumen 40% ihrer Produktion über-
Urjadovyj Kurjer, 35-36, Kiev, November 1991.