Table Of ContentDIE MARKTUNION - EINE BETRIEBSWIRTSCHAFTLICHE WENDE
REINHOLD HENZLER
Die Marktunion
Eine betriebswirtschaftliche Wende
1958
WESTDEUTSCHER VERLAG' KÖLN UND OPLADEN
ISBN 978-3-322-98137-0 ISBN 978-3-322-98800-3 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-98800-3
© 1958 Westdeutsmer Verlag· Köln und Opladen
Gesamtherstellung : Drudterei Dr. Friedrim Middelhauve GmbH . Opladen
INHALT
Vorbemerkung .................................................. 7
I. Einleitung 9
II. Zweck der supranationalen Marktgestaltung .................... 12
III. Ist der Unionmarkt ein Binnenmarkt? (Charakteristik des Union-
marktes) .................................................. , 13
1. Zollunion ............................................... 13
2. Faktormobilität ........................... . . . . . . . . . . . . . .. 14
3. Währungspolitik und Währungsunion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 16
4. Die Koordinierung der Verkehrspolitik in den Partnermärkten .. 18
5. Steuerdivergenzen und Steuergrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 20
6. Beziehung von Agrarmarkt und Unionmarkt . . . . . . . . . . . . . . .. 22
7. Koordinierung des Wirtschaftsrechts und Konsequenzen. . . . . . .. 24
IV. Einflüsse supranationaler Marktgestaltung auf Betriebswirtschaften,
namentlich auf deren Standort ................................ 26
V. Verhaltensweisen von Betriebswirtschaften ...................... 32
1. Tendenz zur größeren Betriebswirtschaft und zum Zusammenschluß
von Betriebswirtschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 32
2. Betriebswirtschaften in Drittmärkten und Unionmarkt . . . . . . .. 33
3. Verhaltensweisen von zentralverwalteten Drittmärkten . . . . . . . . 37
4. Korrespondierende Maßnahmen von Betriebswirtschaften im
Unionmarkt ............................................ 39
5. Umlenkung des Handelsverkehrs .......................... 40
a) Umlenkung des Handelsverkehrs im Import. . . . . . . . . . . . . . .. 40
b) Umlenkung des Handelsverkehrs im Export. . . . . . . . . . . . . . .. 44
6. Funktionale Integration und Konzentration im Vertrieb und in der
Beschaffung ............................................. 47
a) Funktionskonzentration ohne Verfahrenswechsel ............ 48
b) Funktionskonzentration mit Verfahrenswechsel ............. 48
7. Markttransparenz; Markenartikel .......................... 49
8. Spezielle Verhaltensweisen kleiner und mittlerer Betriebswirt-
schaften . ............................................... 50
6 Inhalt
9. Kartelle als privatwirtschaftliche Marktverhaltensweisen und
supranationale Marktgestaltung ............................ 53
10. Nationale Intervention und Subvention und supranationale Markt-
gestaltung . ................................ . . . . . . . . . . . .. 56
VI. Die Eigenart des Risikos der Betriebswirtschaften bei supranationaler
Marktgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 59
VII. Marktforschung und supranationale Marktgestaltung . . . . . . . . . . . . .. 62
VIII. Innovationen . ............................................. 65
1. Typische Wirkungen der Gestaltung einer Zollunion auf die Be-
triebswirtschaften . ....................................... 65
2. Typische betriebswirtschaftliche Verhaltensweisen (Anpassungen)
und Marktanteil ......................................... 67
VORBEMERKUNG
Werden mehrere Volkswirtschaften oder wesentliche Bereiche dieser zu einer
Marktunion oder zu einem »Gemeinsamen Markt" zusammengeschlossen, so wer
den davon nicht nur alle Unternehmungen und Betriebswirtschaften in diesem
Unionmarkt, sondern auch viele Betriebswirtschaften in Drittmärkten unmittelbar
oder mittelbar betroffen. Aber so tiefgreifend die von einer Marktintegration auf
eine Betriebswirtschaft ausgehenden Einflüsse sein können und soviel Marktanpas
sungsfähigkeit von dieser im konkreten Fall gefordert werden kann, so stellt doch
die Beziehung zwischen supranationaler Marktgestaltung und Betriebswirtschaft
sehr oft nicht ein reines Kausalverhältnis dar. Häufig sind für das Schicksal einer
Betriebswirtschaft, für ihren künftigen Markt, die Güte ihrer Marktpolitik und
ihre gesamte betriebswirtschaftspolitische Aktivität in der Periode der Marktgestal
tung entscheidend. Dabei ist nicht an das »marktbeherrschende Unternehmen", son
dern an die vielen Betriebswirtschaften zu denken, die in den Spannungen zwischen
sich und dem Markt die Chancen betriebs wirtschaftlicher Marktgestaltung erken
nen und sie nützen. Diese wechselseitigen Beziehungen zwischen supranationaler
Marktgestaltung und Betriebswirtschaften und namentlich die Reaktionsweisen
von Unternehmungen, die teils auf deduktivem Wege, teils auf dem Wege der
Analyse von Fakten aus dem Einflußbereich der Europäischen Wirtschafts gemein
schaft zu ermitteln versucht worden sind, stehen im Mittelpunkt dieser Schrift, die
aus einem Vortrag des Verfassers auf der Jahrestagung des Verbandes der Hoch
schullehrer für Betriebswirtschaft e. V. 1958 in Hamburg hervorgegangen ist.
Die in dieser Schrift enthaltenen überlegungen sind von der Vorstellung geleitet,
eine supranationale Marktgestaltung habe die Märkte der Partner zu einem voll
kommenen Binnenmarkt zusammenzufügen. Der Verfasser verkennt nicht, daß in
der Wirklichkeit der Weg zu diesem Ziel nicht nur zielbewußt, sondern aus politi
schen, sozialen und vielen anderen Gründen auch behutsam und mit Geduld beschrit
ten werden muß und daß notwendige Kompromisse wohl immer nur in die Nähe
des Ziels führen werden. Aber solche Fragen, also Fragen des im konkreten Fall und
zu einer bestimmten Zeit politisch Notwendigen, Möglichen und Zweckmäßigen
mußten selbstverständlich in einer mehr grundsätzlichen Studie unberücksichtigt
bleiben.
Hamburg, Oktober 1958 Reinhold H enzler
I. EINLEITUNG
1.
Der im politischen Vokabular der Gegenwart heimische Ausdruck "supranatio
nale Marktgestaltung" soll besagen, daß der Weg, auf dem bestimmte Auslands
märkte immer mehr Inlandsmärkten angeglichen werden sollen, nicht auf Initia
tive von Marktpartnern, sondern auf Initiative von Obrigkeiten beschritten wer
den soll. Es handelt sich somit zunächst um ein aktives Gestalten eines größeren
Marktes, nicht um ein Werden-lassen oder Wachsen-lassen. Diese politische Aktion
veranlaßt ökonomische Reaktionen der Unternehmungen oder der Betriebswirt
schaften, also betriebs wirtschaftliche Verhaltensweisen, die unabhängig davon,
ob sie direkt marktgerichtet sind oder nicht, sowohl nach ihrer Verursachung wie
nach ihrer Wirkung Marktverhaltensweisen in einem weiteren Sinn sind. Dieses
Kausalverhältnis zwischen supranationaler Marktgestaltung als Aktion und den
Reaktionen von Betriebswirtschaften soll zu analysieren versucht werden.
2.
So neu wie der Ausdruck "supranationale Marktgestaltung" ist, so alt ist der
ihm zugrunde liegende Tatbestand; die Geschichte des Handelsverkehrs - Han
deisverkehr als Mittel ökonomischer Integration - ist zu einem guten Teil eine
Geschichte der ökonomischen und politischen Schöpfung größerer Markträume,
und es ist deshalb ganz natürlich, daß wir uns, wenn wir die marktraumgestaltenden
Einflüsse in der Geschichte betrachten wollen, regelmäßig an Nahtstellen von
politischer Geschichte und Wirtschaftsgeschichte befinden.
Gleichwohl bleibt zu sagen, daß sich die Konzeptionen der gegenwärtigen und
der künftigen Marktraumgestaltungen beträchtlich von früheren analogen Vor
gängen unterscheiden. Wenn immer deshalb versucht wird, historische Parallelen zu
ziehen, so enden solche Versuche häufig in einem Vergleich derjenigen Momente, die
in verschiedenen Epochen die Bildung von größeren Markträumen begünstigt oder
gehemmt haben (Marktfreiheiten, Marktgeleit, Münzwesen, Währungen, Zölle und
Abgaben u. a.).
3.
Auch wenn das Thema auf die gegenwärtigen Erscheinungen einer supranatio
nalen Marktgestaltung eingeengt werden soll, so können doch nicht alle gegenwär
tig erkennbaren Tendenzen und Projekte zur Bildung von großen Markträumen
10 Einleitung
berücksichtigt werden, also nicht etwa neben dem Projekt der Europäischen Wirt
schaftsgemeinschaft die Tendenzen zur Bildung eines nordischen, eines ägyptisch
syrischen, eines ibero-amerikanischen und eines japanisch-südostasiatischen Marktes.
Auch in dieser Frage gibt es Interdependenzen oder Kettenreaktionen, etwa derart,
daß zur Abwehr oder Milderung der Folgen, die sich aus dem Zusammenschluß von
Märkten mit komplementären Wirtschaftsstrukturen für andere Länder ergeben
können, diese anderen Länder sich zu einer ökonomischen Union zusammen
schließen können, obwohl sie weitgehend gleichartige Wirtschafts strukturen auf
weisen. Eine supranationale Marktgestaltung bewirkt nicht nur Reaktionen von
Betriebswirtschaften; sie kann auch andere Reaktionen supranationaler Markt
gestaltung auslösen 1.
Konkret gesprochen: Wenn zum Beispiel die Europäische Wirtschaftsgemein
schaft die Bildung eines syrisch-ägyptischen Marktes veranlassen und wenn in die
sem Markt ein Baumwollpool entstehen würde, so könnte sich unter dem Einfluß
eines Monopolpreises der Anbieter auf dem ägyptisch-syrischen Markt die wirt
schaftliche Lage der Importeure und der Weiterverarbeiter in der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft grundlegend verändern. Der internationale Handel mit
Rohstoffen, z. B. mit Zinn, Kautschuk, Tee, Kaffee, Weizen, bietet viele Beispiele
dafür, daß internationale Regierungskomitees als Abreden von Regierungen mit
Kartellcharakter durch Restriktions- und Kontingentierungsmaßnahmen den Welt
handelspreis manipuliert haben.
2
Die Wirkungen, die von solchen sekundären supranationalen Märkten auf die
Betriebswirtschaften des primären Marktraumes ausgehen, können infolge ihrer
Abhängigkeit von künftigen politischen Entscheidungen heute zum großen Teil
noch nicht gesehen werden und sie können deshalb auch nicht als Erwartungen
die betriebswirtschaftlichen Verhaltensweisen mitbestimmen. Wie aus diesen Be
merkungen hervorgeht, soll auch auf die Frage nicht eingegangen werden, ob das
Projekt der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft seinerseits nicht eine Reaktion
auf schon existente Großraummärkte darstellt 8.
1 "In Stockholm betont man, daß es jetzt darauf ankomme, durch die Bildung einer
Zoll- und Wirt,chaftsunion der nordischen Länder eine stärkere Verhandlungsposition
gegenüber der mächtigen Ländergruppe des Gemeinsamen Marktes zu gewinnen." (Neue
Zürcher Zeitung vom 31. Juli 1958.) - Eine für die amerikanische Regierung unter der
Leitung von Nelton RockefeIler durchgeführte Untersuchung warnt vor dem Effekt einer
gemeinsamen sowjetisch-chinesischen Wirtschaftsoffensive in den Entwicklungsländern. In
dem Bericht über die Untersuchung wird zur Abwehr, also als Reaktion, die Bildung eines
gemeinsamen Marktes der westlichen Hemisphäre in den nächsten zehn Jahren gefordert.
2 Das Ziel solcher Absprachen ist nicht immer auf eine Preismanipulation gerichtet; es
kann auch - wie neuerdings in den Verhandlungen zwischen dem nordamerikanischen
Landwirtschaftsdepartement und der argentinischen Getreidejunta - in der Festsetzung
einer gemeinsamen Exportpolitik, in dem speziellen Fall für Mais nach den europäischen
Märkten, bestehen.
3 über den "internationalen Trend zur Großraumwirtschaft" orientiert der Wirtschafts
bericht Nr. 50 der Vereinsbank in Hamburg.
Einleitung 11
4.
Wenn in der folgenden Analyse das Schwergewicht auf die grundsätzliche Seite
des Verhältnisses von supranationaler Marktgestaltung und betriebswirtschaftlichen
Verhaltensweisen gelegt wird und die vertraglich fixierten Details des Römer
Vertrages zurückgestellt werden, so zwingen doch die für die Eingrenzung ge
nannten Gründe, die Untersuchung auf der Basis des sogenannten gemeinsamen
Marktes als Leitbild durchzuführen. Auch die Notwendigkeit, für die Erkenntnis
von Verhaltensweisen von Betriebswirtschaften in dem größeren Marktraume wie
in Drittländern empirische Fakten in beträchtlichem Umfang heranzuziehen, läßt
selbst bei weitgehender Abstraktion die Beschränkung auf die Europäische Wirt
schaftsgemeinschaft als konkreten Hintergrund für geboten erscheinen. Es kann
somit keine erschöpfende Behandlung der mit dem Thema verbundenen Einzelfra
gen gegeben werden. Aus einer umfassenderen, auf empirischen Vorarbeiten durch
geführten Untersuchung werden mehr beispielhaft funktionelle Verhaltensweisen
von Betriebswirtschaften erörtert 4.
4 In übersichtlicher Weise und unter Ausbreitung von vielen Fakten unterrichtet über
die moderne Integrationspolitik das Buch von Karl L. Herczeg, Zukunft der Weltwirt
schaft. Schicksalsfragen der westlichen Welt. Econ-Verlag GmbH., Düsseldorf 1958.
H. ZWECK DER SUPRANATIONALEN MARKTGESTALTUNG
Unsere Betrachtung geht von der Bildung eines gemeinsamen Marktes als einem
Faktum aus und kann somit auf eine Erörterung der Argumente verzichten, die
für die Marktgestaltung vorgebracht werden oder bestimmend gewesen sind. Da
aber zwischen den Gründen für den Zusammenschluß von Märkten und den
Reaktionen der Betriebswirtschaften auf eine Märktekonzentration Zusammen
hänge be~tehen, seien zwei von wissenschaftlicher Seite für die Europäische Wirt
schaftsgemeinschaft vorgebrachte Begründungen angegeben; zunächst eine mehr
negative:
"Die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit zwischen den eutopäischen Rivalen
ergibt sich nicht nur aus einem neu entdeckten Gefühl der Solidarität, sondern
vor allem auch aus der kalten Einsicht in die Realität eines inferioren Potentials" 5;
und eine positive, nämlich der Hinweis darauf, daß die Theorie des internatio
nalen Handels die fundamentale Aussage ergeben habe, daß Freihandel unter ge
wissen Voraussetzungen zum höchstmöglichen Lebensstandard führe. Die Vor
aussetzungen, die gegeben sein müssen, sind a) Vollbeschäftigung ohne über
schußkapazitäten, b) Gleichheit von Preisen und Grenzkosten, c) Vernachlässigung
kurzfristiger Folgen einer Produktionsanpassung und d) Messung des Lebens
standards mit dem Wert der Produktion zu Freihandelspreisen 6.
Die Bedeutung dieser Argumente für die Reaktionen von Betriebswirtschaften
liegt darin, daß aus ihnen Merkmale eines gemeinsamen Marktes und Einflüsse auf
die Verhaltensweisen von Betriebswirtschaften abgeleitet werden können.
6 Rolf Sannwald -Jacques Stohler, Wirtschaftliche Integration, Veröffentlichungen der
List Gesellschaft. Band 8, Basel 1958, Seite 7.
6 Sann'U.'ald-Stohler, a. a. 0., Seite 15. - Hingewiesen sei auch auf Gunnar Myrdal,
Internationale Wirtschaft, Berlin 1958, der auf Seite 75 die höhere Produktivität als Vor
teil engerer wirtschaftlicher Integration, auch als Folge der Ausnutzung der Großbetriebs
vorteile hervorhebt.