Table Of ContentHans-Uwe Otto · Thomas Rauschenbach (Hrsg.)
Die andere Seite der Bildung
Hans-Uwe Otto
Thomas Rauschenbach (Hrsg.)
Die andere Seite
der Bildung
Zum Verhältnis von formellen und
informellen Bildungsprozessen
2. Auflage
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1.Auflage 2004
2.Auflage 2008
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Lektorat:Stefanie Laux
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Umschlaggestaltung:KünkelLopka Medienentwicklung,Heidelberg
Druck und buchbinderische Verarbeitung:Krips b.v.,Meppel
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in the Netherlands
ISBN 978-3-531-15799-3
Vorwort zur 2. Auflage
Als im Herbst 2004 die erste Auflage dieses Buches erschien, befand sich Deutsch-
land noch inmitten der Aufarbeitung des PISA-Schocks. Seitdem ist die Debatte deut-
lich weitergegangen, hat sich vertieft und verbreitert. Während sich zu Beginn die
Diskussion auf Fragen formeller Bildungsprozesse konzentrierte und es deshalb
Anliegen der ersten Auflage des Buches war, die vielfach übersehene „andere Seite
der Bildung“ sichtbar zu machen, sind seitdem eine Vielzahl neuer Beiträge zur
Bedeutung informeller Bildungsprozesse erschienen.
Zuvorderst ist in diesem Zusammenhang der Zwölfte Kinder- und Jugendbericht mit
dem Titel „Bildung, Betreuung und Erziehung vor und neben der Schule“ zu nen-
nen. Mit ihm wurde eine empirisch unterlegte Bildungskonzeption mit bildungs-
politischem Charakter vorgelegt, die über bisherige Engführungen hinausging und
konsequent die informellen Bildungsprozesse einbezog. Auch wenn dieser Bericht
von seinem Auftrag her die Schule als Bildungsakteur nur von außen betrachtete,
wurden dennoch unter anderem die Kooperationsmöglichkeiten zwischen Schule
und außerschulischen Akteuren ins Blickfeld gerückt. Dass eine solche Kooperation
nicht nur konzeptionell möglich ist, sondern tatsächlich in unterschiedlichem Aus-
maß nach und nach realisiert wird, haben nicht zuletzt die ersten Ergebnisse von
StEG – der Studie zur Evaluation der Ganztagsschulen in Deutschland – gezeigt.
Darüber hinaus hat die Debatte über informelle Bildungsprozesse auch dazu geführt,
dass verstärkt über Bildung und das Soziale nachgedacht wird und sich vor allem
die Armutsfrage als Schlüsselkategorie im gesellschaftlichen Diskurs über soziale
Ungleichheiten herauskristallisiert hat. Für alle diese Aktivitäten der letzten Jahre
war der vorliegende Band eine wichtige Grundlage zur Begründung und Formatie-
rung der entsprechenden thematischen Horizonte.
Zugleich zeichnet sich inzwischen deutlicher ab, wohin der Blick in den nächsten
Jahren gerichtet werden muss. Neben der kategorialen Weiterentwicklung der Über-
legungen zu informellen Bildungsprozessen und zu non-formalen Lernorten, gilt es,
auch die kategoriale Umsetzung des Bildungsgedankens im Kontext der eigentli-
chen sozialen und pädagogischen Arbeit in den Blick zu nehmen. Und schließlich
ist es unerlässlich, die empirische Forschung zu diesen Themenbereichen zu stärken,
um auf diese Weise zu zeigen, ob und wie sich die immer wieder unterstellte große
Bedeutung dieser anderen Seite der Bildung beim Kompetenzerwerb von Kindern
und Jugendlichen auch empirisch nachweisen lässt. Um den Horizont dieses For-
schungsschwerpunktes auszuloten, dürfte der vorliegende Band auch in Zukunft eine
wichtige Orientierungsmarke sein.
Bielefeld, Dortmund und München, im Januar 2008
Hans-Uwe Otto
Thomas Rauschenbach
Vorwort
SeiteinigenJahrenwirdinDeutschlandneuundintensivüberFragenderBil-
dung debattiert.DieseDiskussionhatvieleFacetten.Vielfachstehtdabeidie
Suche nach Wegen im Vordergrund, wie sich die schulischen Leistungen so
verbessernlassen,dassdasWissensniveauerkennbargesteigertwerdenkann.
SchließlichhabendieinternationalenVergleichsstudienTIMSSundPISAmit
ihren für Deutschland durchweg negativen Ergebnissen zu einer breiten Ent-
täuschunggeführt,diewirksameGegenmaßnahmennahelegt.DieSchulewird
dahererneutzumAusgangspunktundObjekteinerumfassendenorganisatori-
schenundcurricularenNeuausrichtung,wobeiwieselbstverständlichderUn-
terricht und seine Didaktik nahezu ausnahmslos in den Mittelpunkt der Auf-
merksamkeitrückt,währendimVergleichdazuFragendesschulischenKon-
textes, der Rahmenbedingungen und der strukturellen Dimension eines stark
gegliedertenundhierarchischenSchulsystemsinDeutschlandkauminsBlick-
feldgerückt,nurzögerlichundmitkaumhörbarerStimmeformuliertwerden.
Im Mainstream der aktuellen Auseinandersetzungen überwiegt eine tra-
dierteOrientierungaufLernen,WissenundBildungimSinneleistungsorien-
tierterKomponenten.DamitwirdzugleicheineEngführunginderSachesigna-
lisiert,indemnicht-schulischeBildungsorteundLernwelteninihremweithin
unterschätztenquantitativenundqualitativenAusmaßnichtnurnichtineinen
systematischenZusammenhangzurschulischenSozialisationgesetztwerden,
sondernoftmalsnurauffunktionaleÄquivalentefürBetreuungoderFreizeit-
aktivitäten im Sinne einer kompensatorischen Verortung reduziert werden.
Was fehlt, ist ein Blick auf die andere Seite der Bildung, wie sie sich in den
nicht-schulischenBildungsortenundBildungsmodalitätenimKindes-undJu-
gendalter verdeutlicht.
VordemHintergrundderneuenAnforderungenimKontextrapidergesell-
schaftlicherVeränderungenzeigtsichimmerdeutlicher,wieleichtfertigesist,
weiterhinvon einerderarteindimensionalen Form desLernens und desWis-
senserwerbs auszugehen, ohne dieVielfaltder vor und neben der Schulelie-
gendenBildungspotenzialekomplementäreinzubeziehenundsystematischzu
aktivieren.AlsanalytischeVerzahnung bietetsichindiesemZusammenhang
an, Bildung als ein systematischesVerhältnis von formellen und informellen
Bildungsprozessen zu betrachten, d.h. als eine Differenz im Modus bei einer
ÜbereinstimmungimProzess.AlsformelllassensichBildungsprozessedann
bezeichnen,wennsieinvorbereiteten,mitLernerwartungenverknüpftenLern-
settingszustandekommen.InformelleBildungsprozesseentwickelnsichdem-
gegenüberweitauswenigergeplant,wenigerinKontexten,dieselbstalsdezi-
dierte Lernwelten und Bildungsorte charakterisiert werden können.
6 Vorwort
DievorliegendePublikationwillzurweiterenKlärungderhiermitverbun-
denenFragenebensobeitragenwiezueinemimHorizontderAnforderungen
einermodernenGegenwartsgesellschaftdes21.Jahrhundertsunabdingbar zu
erweiterndenBildungsbegriff,aberauchzueinersystematischenVerknüpfung
der unterschiedlichen Zugänge zu Lernen, Wissen und Kompetenzentwick-
lung.DabeiistindiesemBandderFokussowohlaufdieallgemeinenFormen
derBildungunddesLernensgerichtetalsauchaufdienichtzuvernachlässi-
gende Gruppe der Bildungsbenachteiligten.
GroßeTeilederBeiträgegeheninihremUrsprungzurückaufdie2.Ma-
rienfelder Gespräche des Graduiertenkollegs „Jugendhilfe im Wandel“, das
durchdieDeutscheForschungsgemeinschaftfinanziertundandenUniversitä-
tenBielefeldundDortmunddurchgeführtwird.MöglichgewordenistdieTa-
gungnurdurchdiefinanzielleUnterstützungdesMinisteriumsfürSchule,Ju-
gend und Kinder, Nordrhein-Westfalen, dem an dieser Stelle noch einmal
nachdrücklichgedanktwerdensoll.DerDankgehtaberauchandieAutorin-
nenundAutorenfürdieallseitsguteZusammenarbeitsowieanMatthiasSchil-
lingfürdiehoheProfessionalitätinderHerstellungeinesdruckfertigenManu-
skriptsundanGeorgCleppienfürseineUnterstützungbeiderredaktionellen
Arbeit; auch ihnen sei an dieser Stelle nachdrücklich gedankt. Vielleicht ge-
lingtesmitdiesemBanddenHorizontinderBildungsdebatteeinwenigzuöff-
nen in die anderen Seiten der Bildung.
Bielefeld, Dortmund und München, im Mai 2004
Hans-Uwe Otto
ThomasRauschenbach
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
ThomasRauschenbach/ Hans-Uwe Otto
Die neue Bildungsdebatte.
Chance oder Risiko für die Kinder- und Jugendhilfe? . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
I. Ansätze und Analysen
Klaus-JürgenTillmann
Die homogene Lerngruppe – oder: System jagt Fiktion . . . . . . . . . . . . . . . 33
RolandMerten
Die soziale Seite der Bildung.
Ein sozialpädagogischer Blick auf PISA und PISA-E . . . . . . . . . . . . . . . . 41
Michael Winkler
PISA und die Sozialpädagogik.
Anmerkungen zu einer verkürzt geführten Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
Wolfgang Böttcher
Herausforderungen für ein neues Bildungssystem. Pragmatische
Standards und andere Bedingungen erfolgreicher Bildungsreform . . . . . . 81
Karin Bock
Einwürfe zum Bildungsbegriff.
Fragen für die Kinder- und Jugendhilfeforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
RainerTreptow
Verpasste Chancen, neue Chancen?
Konsequenzen für die Jugendhilfe im Blick auf OECD . . . . . . . . . . . . . . 107
II. Bildungsaufgaben in der Arbeit mit Kindern
LudwigLiegle
Der Bildungsauftrag des Kindergartens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
Hans-GüntherRoßbach
Was und wie sollen Kinder im Kindergarten lernen? . . . . . . . . . . . . . . . . 123
8 Inhalt
SabineAndresen
Bildungstheoretische Überlegungen im Kontext
der Wissensgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
III. Bildungspotenziale in der Jugendarbeit
BenediktSturzenhecker
Zum Bildungsanspruch von Jugendarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
AlbertScherr
Gesellschaftspolitische Bildung – Kernaufgabe oder
Zusatzleistung der Jugendarbeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
Max Fuchs
Kinder- und Jugendkulturarbeit als Bildungsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
ChristianReutlinger
Lebensbewältigung in benachteiligten Quartieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
IsabellDiehm
Ethnizitätund Geschlecht. Grundlagen einer
(sozialpädagogischen) Differenzkonstruktion in der Jugendarbeit . . . . . 195
IV. Diskurse und Perspektiven
Karin Böllert
Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung.
Zur Bildungsidee des 11. Kinder- und Jugendberichts . . . . . . . . . . . . . . 209
HeinzSünker
Bildungspolitik, Bildung und soziale Gerechtigkeit.
PISA und die Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
HansThiersch
Bildung und Soziale Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
ThomasRauschenbach / Hans-Uwe Otto
Die neue Bildungsdebatte
Chance oder Risiko für die Kinder- und Jugendhilfe?
InDeutschlandistnachderVeröffentlichungderPISA-Ergebnisse2001eine
neueBildungsdebatteentbrannt.ZumindestmussmandiesenEindruckgewin-
nen, wenn man die zahllosen Aktivitäten und Verlautbarungen zur Kenntnis
nimmt,dieseitdemrundumdenKindergarten,dieSchule,dieHochschuleoder
umdieberuflicheBildungzubeobachtensind.Diagnostiziertwirdnunalleror-
tenReformbedarf:NeueThemenundInhalte,neueSchwerpunkteundMetho-
den,neueAusbildungskonzepteundStudiengängewerdenangemahntoderbe-
reitsalsneueLösungenangepriesen.AusunterschiedlichstenRichtungenwer-
den,sokanndiesesPhänomenzusammengefasstwerden,Forderungennachei-
nerumfassendenUmgestaltungdesBildungs-undErziehungswesenslaut.Die
Rufe nach grundlegenden Veränderungen sind so vehement wie schon lange
nicht mehr.
PISA (vgl. Baumert u.a. 2001) hat eine, wenn auch in unterschiedlichen
Überlegungen und Interessensabsichten, begründete Debatte forciert und hat
damiterneut–nachden60er-JahrendesletztenJahrhunderts–dieRedevonei-
nerdeutschenBildungskatastropheprovoziert.1Allerdings,dassollteinAnbe-
trachtderteilweisehektischausgelöstenundbisweilenatemlosgeführtenBil-
dungsdebattenschonimBlickbehaltenwerden,wurdeneineganzeReihevon
entsprechenden Expertisen auch schon vor und jenseits von PISA vorgelegt,
wenngleichimAnsatzauchnichtmiteinernurannäherndgleichenWucht,die
nicht zuletzt auf einer Vermischung von international deprimierender Ver-
gleichsleistungendeutscherSchülerundSchülerinnenundeinemErschrecken
über die Zementierung von Sozialisationsbedingungen und schulischer Bil-
dungskarriere zurückzuführen ist.
• SowurdeetwaschonzuBeginnder1990er-Jahre,manerinnertsichkaum
noch,voneinerExperten-KommissioninNRWeinneues„HausdesLer-
nens“vorgeschlagen,mitdemderVisionvoneineranderenSchule,mitder
einer Umgestaltung der traditionellen Schule Ausdruck verliehen werden
sollte (vgl. Bildungskommission NRW 1995).
• EinvoreinigenJahrenimAuftragdesBildungsministeriumsprominentmit
Expertinnen und Experten zusammengesetztes Gremium, das unter dem
Namen „Forum Bildung“ bekannt geworden ist, hat umfangreiche Emp-
fehlungenentwickeltundeinenbreiten,wenngleichdieJugendhilfenahezu
1 Einen Vergleich zu der damaligen Bildungsdebatte zieht Hornstein (2002).
Description:Die Bildungsdebatte in Deutschland setzt sich fort: Gefordert wird eine grundlegende Ver?nderung des Bildungs- und Erziehungswesens. Dabei konzentriert sich die Diskussion - wie nicht anders zu erwarten - schwerpunktm??ig auf die Schule. Vergleichsweise unklar ist bislang geblieben, welche Rolle die