Table Of ContentDER DLTRAMIKROSKOPISCHE BAD
VON HERZ UND KAPILLAREN
Eine elektronenmikroskopische Untcrsuchung
und ihre Auswertung fur die Physiologic
Von
DR. BRUNO KISCH
o. o. Professor emer. der Universitat KClin a. Rhein
Professor an der Yeshiva University, New York, N.Y.
Mit 75 Abbildungen
VERLAG VON DR. DIETRICH STEINKOPFF
DARMSTADT 1957
Alle Rechte vorbehalten
Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form (dUTCh Photokopie, Mikrofilm
oder in anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages repro
duziert werden
ISBN-13: 978-3-642-48472-8 e-ISBN-13: 978-3-642-86178-9
DOl: 10.1007/978-3-642-86178-9
Copyright 1957 by Dr. Dietrich Steinkopff, Darmstadt
Softcover reprint of the hardcover I st edition 1957
Herrn Dr. Gustav j. Martin
Vizeprasidenten und Forschungsdirektor der National
Drug Company, Philadelphia, der den Fortgang der vor
Jiegenden Untersuchungen seit lahren mit dem ver
stiindnisvollsten und stets hilfsbereiten Interesse be
gleitet hat, in freundschaftlicher Hochachtung gewidmet.
Vorwort
Seit fast zehn Jahren hat sich der Verfasser mit elektronenmikrosko
pischen Untersuchungen der Ultrastruktur des Herzens und der GefaBe
befaBt. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind in verschiedenen in
ternationalen wissenschaftlichen Zeitschriften in englischer, franzosischer,
italienischer und deutscher Sprache veroffentlicht worden. Eine kurze Zu
sammenfassung der bis dahin gewonnenen Resultate erschien in Buch
form im Jahre 1951 in New York. Inzwischen sind die Methoden elektro
nenmikroskopischer Untersuchung, die Methoden der Fixierung und Ein
bettung, die Methoden der Verwendung von Plastik als Einbettungsmittel,
und nicht zuletzt die Methoden ultradiinnen Schneidens so stark veran
dert und vervollkommnet worden, daB die in standiger Fortsetzung der
genannten Untersuchungen gegenwartig erzielten Bilder mit den vor
sechs Jahren veroffentlichten kaum mehr zu vergleichen sind. Die in den
letzten Jahren gewonnenen Photographien lassen friiher nicht geahnte
Details erkennen, die Strukturen in einer GroBenordnung von 100 A
(ANGSTROM) und weniger, deutlich unterscheiden lassen.
Dies gibt eine ungeahnte Erweiterung unseres Gesichtsfeldes und ein
neues Verstandnis der Ultrastruktur der Gewebe und ihrer Funktionen.
Der wichtigste Faktor aller Physiologie ist die Erkenntnis der Struktur
der Organe und der Gewebe, deren Funktionen man verstehen will. Be
sonders klar wird dies, wenn man z. B. die ultramikroskopische Struktur
der Kapillaren betrachtet und bedenkt, daB diese Gebilde im Mittelpunkt
unendlich vieler physiologischer und pathologischer Prozesse stehen,
deren Verstandnis ohne Kenntnis der Struktur der Kapillarwand undenk
bar ist.
Die von mir im Jahre 1955 auf Grund elektronenmikroskopischer Unter
suchungen beschriebene spezifische Zellart in den Lungen verschiedenster
Saugetiere ist in ihrem Vorkommen wohl bestatigt worden. Sie weist auf
eine bisher noch nicht bekannte Funktion der Lunge hin, auch wenn diese
Zellen in ihrer physiologischen Bedeutung vorlaufig noch ganz unklar
sind. Beziiglich des Herzens hat die Elektronenmikroskopie die jahrtau
sendealte Frage ge16st oder zumindest der Losung wesentlich naherge
bracht, "wieso der Herzmuskel auch ohne langere Ruhepause ein gantes
Leben lang zu ununterbrochener Arbeit betahigt ist".
Diese wenigen Beispiele machen es verstandlich, daB die Beschaftigung
mit Elektronenmikroskopie den Gedanken nahelegt, daB fiir Physiologie
und Pathologie sowie fiir jeden Zweig der Biologie das Elektronenmikro
skop in der Zukunft die gleiche, unentbehrliche Rolle spielen wird, die
v
Vorwort
das kombinierte Liehtmikroskop fUr die Entwicklung von Physiologie und
Pathologie im neunzehnten lahrhundert gespielt hat.
Das vorliegende Biiehlein sueht auf einem engbegrenzten Gebiete zu
zeigen, was die neue Methode bisher zur Wissenschaft der Kardiologie
beitragen konnte. Die Darstellung stiitzt sich fast ausschlieBlich auf
eigene Untersuchungen, da die eigene Pionierarbeit auf diesem schwie
rigen Gebiete leider noch wenig Mitarbeiter und Gleichstrebende gefun
den hat.
Die technischen Sehwierigkeiten der Elektronenmikroskopie sind auch
heute noch enorm groB, und immer wieder steht die Frage, wie iiberall
in der Histologie im Vordergrund: "Welches sind tatsachliche, natiirliche
Strukturen und welches die Kunstprodukte, die durch technische Mangel
bedingt sind?" Die Gefahr der Kunstprodukte, die unser Urteil tauschen,
darf nicht unterschatzt werden. Andererseits darf aber die Angst vor
Artefakten auch den Fortschritt der Wissenschaft nicht lahmen. Urn ein
Beispiel aus meinem eigenenArbeitsgebiet zu wahlen: Die enormeMenge
von Sarkosomen, die sich im Herzmuskel im Vergleich zum Skelettmuskel
desselben Tieres finden lassen (B. KISCH 1950), konnte kein Artefakt sein,
wenn auch die gewonnenen Bilder des Herzens vor sieben lahren unend
lich viel weniger wahrheitsgetreu waren als die heute gewonnenen. Der
bedeutende Fortschritt in der Kardiologie, diese Sarkosome als einen
lebenswichtigen Bestandteil der Herzmuskelfaser zu erkennen, ist durch
jene schlechten Bilder veranlaBt worden. Die Bedeutung der Sarkosome
fUr die Kardiologie wird freilich heute mit Hilfe technisch viel besserer
Aufnahmen von uns weiter ausgebaut.
Artefakte spielen auch heute noch, sogar in der Lichtmikroskopie. eine
groBe Rolle und histologische Artefakte haben uns seit 150 lahren in der
Histologie zu vielen wichtigen Erkenntnissen verholfen. 1st doch jede
Gewebsfarbung ein Artefakt und jede Fixierung und Einbettung fUhrt zu
Trugbildern.
Ein Beispiel aus der Elektronenmikroskopie ist das folgende: Langere
Formolfixierung, unvorsichtige Plastikeinbettung und andere "FehIer"
fiihren zu einem ultramikroskopischen Zersprengen der Gewebe zu Uik
ken zwischen Organellen und ZerreiBung der Gewebeverbande. Das ist
natiirlich unerwiinscht, und die Technik muB versuchen, solche Fehler zu
vermeiden. Aber nur ein sturer Artefaktophobe wird solche "schlechte
Bilder" als unbrauchbar verwerfen, anstatt zu erkennen, daB gerade diese
Fehler uns ein ultramikroskopisches Zupfverfahren an die Hand gegeben
buben, das uns im Gebiet der Ultramikroskopie im Erkennen feinster Or
ganellen ebenso wichtige Dienste leisten kann, wie die Zupfmethode dem
Lichtmikroskopiker vor hundert lahren geleistet hat. Hier wie iiberal!
braucht der Fortschritt der Wissenschaft beides: Cute Technik und kri
tische Kopfe.
VI Vorwort
Es muB betont werden, daB die vorliegende Arbeit keine abschlieBende
Monographie uber ein wohl erforschtes Arbeitsgebiet ist, sondern viel
mehr eine zusammenfassende Darstellung vorlaufiger Arbeitsergebnisse,
eine Landkarte mit vielen weiBen Flachen noch unerforschter Erdteile,
die als Bilanz dessen aufgefaBt werden soli, was wir schon zu wissen
glauben, und als ein Ansporn und ein Hinweis auf das viel groBere Ge
biet dessen, was wir nicht wissen und das noch der Erforschung harrt.
Dem Verfasser ist es eine angenehme Pflicht, all denen zu danken, die
bei der Durchfiihrung seiner Untersuchungen behilflich gewesen sind.
Vor allem ist das American College of Cardiology (Sitz in New York)
zu nennen, dessen Trustees die hohen Kosten der Anschaffung eines
Elektronenmikroskopes der Firma RCA beschlossen und das Electron
microscopic Research Institute dieses College gegriindet haben mit der
satzungsma13igen Bestimmung, der Erforschung des Kreislaufapparates
und seiner theoretischen und klinischen Probleme zu dienen. In dieser
Art ist das Institut in der Welt bisher einzigartig. Der Verfasser hatte
die Ehre, mit der Leitung des Institutes beauftragt zu werden. Die Raume,
die das Institut beherbergen, sind von der Stadt New York und ihrem
City Hospital auf Wefare-Island (N. Y.) zur VerfUgung gestellt.
Wah rend zweier Jahre hat das National Heart Institute of the National
Institute of Health (Public Health Service) in Washington die Arbeit mit
einem Forschungsstipendium (H-1489R) gefOrdert.
1m laufenden Jahre sind die Untersuchungen des Institutes durch eine
groBzugige Forschungsbeihilfe der pharmazeutischen Firma National
Drug Company in Philadelphia ermoglicht worden, deren Bewilligung
in erster Linie dem weitschauenden Interesse und Verstandnis ihres Vize
prasidenten, Dr. GUSTAV J. MARTIN zu dank en war.
Besonderer Dank gebuhrt auch dem Verlag Brooklyn Medical Press in
New York, der die Verwendung der in der Zeitschrift Experimental Medi
cine and Surgery bereits veroffentlichten Bilder groBzugig gestattet hat,
und nicht zuletzt dem VerI age Dr. DIETRICH STEINKOPFF fUr die prompte
und sorgtaltige Ausfiihrung des Druckes und der Abbildungen.
November 1956.
New York, 845 West End Avenue.
BRUNO KISCH
Inbaltsverzeichnis
Vorwort IV
1. Die Untersuchungsmethode
2. Der allgemeine Aufbau der Muskelfaser 7
3. Das Sarkolemm 9
4. Das Muskelfaserchen (Muskelfibrille, Myofibrille, Myofibril) 13
5. Die Urfiiserchen (Protofibrillen, Protofibrils, Miofilament) 13
6. Die transversale Gliederung der Muskelfaser 16
7. Die mikroskopische Querstreifung 17
8. Die Scheinstreifung (Pseudo striation) der Muskelfibrillen 29
9. Die Sarkosome 38
10. Die Nomenklatur 38
11. Ort, Struktur und Funktion der Sarkosome 39
a) Wo sind die Sarkosome? . 39
b) Form und Struktur der Sarkosome 49
c) Die Funktion der Sarkosome und eine gesetzmiiBige Beziehung
zwischen Sarkosomen und Muskelfunktion 52
12. Membranen und andere Gebilde in der Herzmuskelfaser 62
13. Die Glanzstreifen 68
14. Die Zellkerne . 71
15. Interstitielle oder Zwischenzellen 75
16. Die Endothelzellen 78
17. Die Kapillaren . 80
18. Das Bild der vollig kollabierten Kapillare 95
19. Nachwort 96
Literaturverzeichnis 98
Autorenverzeichnis 105
Sachverzeichnis 106
1. Die Untersuchungsmethode
Einzelheiten tiber das Prinzip und den Aufbau des Elektronenmikro
skopes sollen hier nicht gebracht werden. Den hierfUr interessierten Leser
orientieren die einschlagigen Publikationen uber das Elektronenmikro
skop und seinen Bau. Der Leser, der nur oberflachlich etwas uber die
Methode erfahren will, sei auf das ausgezeichnete, populare Referat von
BODO VON BORR1ES in der Bergmannischen Zeitschrift Gluckauf (1955) und
sein Referat in der Radex-Rundschau (1956) verwiesen.
Grundsatzlich arbeitet, wie bekannt, das Elektronenmikroskop nach
gleichen Prinzipien der Strahlenbrechung wie das Lichtmikroskop, nm
daB es statt eines Lichtstrahls die aus freien Elektronen bestehende Ka
thodenstrahlung verwendet. Diese Idee, an deren Ausbau BODO VON
BORRIES und E. RUSKA hauptsachlich beteiligt waren, hat die ganze wissen
schaftliche Mikroskopie in revolutionarer Weise verandert. Objekte von
bis dahin unsichtbarer GroBenordnung wurden durch sie auf ein Niveau
der unserem Gesichtssinn zuganglichen Umwelt gehoben.
Die Lichtmikroskopie hatte mit ihren besten Mikroskopen die Grenzen
des Sichtbaren bis zu Objekten von etwa 0,25 fJ vorgeschoben. Die ge
nialen mathematisch-physikalischen Studien von ERNST ABBE und seine
systematische Materialerforschung aUer in Lichtmikroskopen verwende
ten lichtbrechenden Materialien haben den Weg zu den Erfolgen gebahnt,
zu denen das kombinierte Lichtmikroskop gefUhrt hat. Der Lichtmikro
skopie ist aber auch bei Verwendung der besten und prazisesten Appa
rate eine Grenze gesteckt, die nicht yom Mikroskop sondern von der
Wellenlange der beirn Mikroskopieren verwendeten Strahlung bedingt
ist. Die Untersuchungen von ABBE und anderen Physikern haben gezeigt,
daB zwei distinkte Partikel nur dann noch als getrennte Objekte erkenn
bar sind und zur Darstellung gebracht werden konnen, wenn ihre Entfer
nung von einander mindestens eine halbe Wellenlange der verwendeten
Strahlung betragt. Darin liegt der Grund, daB der Mikroskopiker fUr
bestimmte Zwecke zum Beispiel statt des weiBen Lichts das kurzwellige,
ultraviolette Licht benutzt, urn dadurch das Auflosungsvermogen seines
Mikroskopes noch etwas zu steigern. Sichtbares Licht hat eine Wellen
liinge von etwa einem halben Mikron und dadurch ist bedingt, daB die
ublichen Lichtmikroskope auf eine VergroBerungsmoglichkeit von h6ch
stens etwa 1500X beschrankt sind.
Anders ist es mit den mikroskopischen Moglichkeiten, wenn man statt
der sichtbaren Lichtstrahlen Kathodenstrahlen verwendet. Die von einem
zur GlUhhitze erwarmten Metall ausstrahlenden Elektronen konnen in
elektrischem Feld zu einer Anode mit hoher Geschwindigkeit ausgesandt
werden. Nach v. BORRIES erreicht der Strom solcher von der Gluhkathode
zur Anode getriebenen Elektronen bei Verwendung von 80 000 Volt etwa
K i s c h, Herz und KapiHaren
2 Die Unlersuchungsmelhode
Abb. 1. AuBenansicht des Universal Electron Microscops der Firma RCA in New
York, Modell AMU-2E. Samtliche hier veroffentlichten Bilder sind mit dieser
Mikroskoptype hergestellt worden.
die halbe Lichtgeschwindigkeit. Elektronen sind die leichtesten uns bis
her bekannten K6rperchen. Die Wellenlange dieser Korpuskularstrah
lung betragt nur einen winzigen Teil (nach v. BORRIES 1/100000) der Wellen
lange des sichtbaren Lichtes.