Table Of ContentMateusz Stachura · Agathe Bienfait · Gert Albert
Steffen Sigmund (Hrsg.)
Der Sinn der Institutionen
Studien zum Weber-Paradigma
Herausgegeben von
Gert Albert
Agathe Bienfait
Steffen Sigmund
Mateusz Stachura
Mit der Reihe „Studien zum Weber-Paradigma“ soll ein Ort für solche Publikationen geschaffen
werden,die sich in Interpretationen,theoretischen Weiterentwicklungen und empirischen
Studien mit dem Werk Max Webers auseinandersetzen.Die Bezugnahme auf das Webersche
Forschungsprogramm schließt dessen kritische Diskussion durch Vertreter anderer theore-
tischer Positionen mit ein.Institutionentheoretische Fortführungen,ethische und sozialonto-
logische Fragen im Gefolge Weberscher Unterscheidungen wie auch neue oder alte Verbin-
dungen Weberianischer Theorie mit philosophischen Strömungen werden diskutiert.Die
„Studien zum Weber-Paradigma“ sind einem undogmatischen und innovativen Umgang mit
dem Weberschen Erbe verpflichtet.
Mateusz Stachura
Agathe Bienfait · Gert Albert
Steffen Sigmund (Hrsg.)
Der Sinn
der Institutionen
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1.Auflage 2009
Alle Rechte vorbehalten
© VSVerlag für Sozialwissenschaften | GWVFachverlage GmbH,Wiesbaden 2009
Lektorat:Katrin Emmerich / Tilmann Ziegenhain
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Umschlaggestaltung:KünkelLopka Medienentwicklung,Heidelberg
Umschlagbild:Max Weber-Arbeitsstelle,Bayerische Akademie der Wissenschaften München
Druck und buchbinderische Verarbeitung:Krips b.v.,Meppel
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in the Netherlands
ISBN 978-3-531-15818-1
Inhalt
Mateusz Stachura, Agathe Bienfait,
Gert Albert, Steffen Sigmund
Vorwort.................................................................................................................7
Mateusz Stachura
Einleitung
Der Standort weberianischer Institutionentheorie
im Raum konkurrierender Forschungsprogramme...............................................8
I. Grundzüge weberianischer Institutionentheorie
Thomas Schwinn
Institutionenanalyse und Makrosoziologie nach Max Weber.............................43
Ulrich Bachmann
Die Institutionalisierung rationaler Handlungsorientierungen............................70
Jens Greve
Nicht intendierte Effekte, Transformationslogik
und Institutionen.................................................................................................90
Hans G. Nutzinger
Institutionen verstehen: Zur Integration von ökonomischer
und soziologischer Betrachtungsweise.............................................................125
Christian Etzrodt
Interaktionen und Institutionen bei Weber und Esser. Von
Idealtypen zu einer spieltheoretischen Analyse und zurück.............................155
6 Inhalt
II. Ordnung und Wandel
Mateusz Stachura
Kreativität und Anpassung – Wandel religiöser Institutionen
in Max Webers Studie über das antike Judentum.............................................179
Wolfgang Schluchter
Der Kapitalismus als eine universalgeschichtliche Erscheinung.
Max Webers institutionenbezogene Analyse....................................................209
Antje Gimmler
Max Weber und der Wohlfahrtsstaat................................................................236
III. Institutionen und Organisationen
Joachim Renn
Bürokratie zwischen „traditioneller Rationalität“ und
„rationaler Tradition“. Max Weber, Preußen und die
Rationalität soziologischer Rationalitätstypen..................................................255
Agathe Bienfait
Amtscharisma und Amtsethos. Das Zusammenspiel
von Personalisierung und Versachlichung........................................................287
Vorwort
Mateusz Stachura, Agathe Bienfait,
Gert Albert, Steffen Sigmund
Institutionen sind ein zentraler Gegenstand der gesellschaftlichen Wirklichkeit.
Erst in Institutionen gerinnen und verfestigen sich die ansonsten flüchtigen Ideen
und Intentionen der gesellschaftlichen Subjekte zu einer stabilen Realität, die die
Handlungen der Akteure einerseits begrenzt, andererseits erst ermöglicht. Institu-
tionen sind das Skelett jeder Gesellschaft und als solches von immensem sozio-
logischen Interesse.
Insofern ist es nur konsequent, wenn wir uns in diesem nunmehr vierten
Band unserer Reihe „Aspekte des Weber-Paradigmas“ auf Institutionen und ihre
sozialwissenschaftlichen Erklärung konzentrieren. M. Rainer Lepsius, dem der
vorangegangene Band als Festschrift gewidmet wurde, hat in seinem Werk im-
mer wieder auf die Vorteile der Weber’schen Herangehensweise für ein unver-
kürztes Verständnis von Institutionen hingewiesen, das weder einseitig normativ
noch rein funktionalistisch orientiert ist. Wir schließen in diesem Band an seine
Vorarbeiten und Weichenstellung an, in der Absicht, mit und durch Weber den
„Sinn der Institutionen“ zu erfassen.
Wie immer ist auch dieser Band nur durch die engagierte Unterstützung vie-
ler Hände und Köpfe entstanden. Deshalb möchten wir an dieser Stelle Lydia
Ponier und Hannelore Chaluppa unseren ganz besonderen Dank aussprechen.
Ihre Tatkraft, ihre Geduld und ihr Sachverstand waren unverzichtbar für die
Endredaktion dieses Buches.
Einleitung
Der Standort weberianischer Institutionentheorie im
Raum konkurrierender Forschungsprogramme
Mateusz Stachura
In Institutionen wollte Emile Durkheim den Gegenstand der soziologischen Ana-
lyse sehen (Durkheim 2002: 100). Sicherlich ist diese Gegenstandsbestimmung
zu eng angelegt; selbst für Durkheims eigene Untersuchungen trifft sie nicht zu.
Doch sie vermittelt eine richtige Einschätzung der Relevanz, die Institutionen für
die soziologische Analyse, insbesondere für das Forschungsprogramm einer
verstehenden und erklärenden Soziologie, besitzen. Eine gültige Erklärung sozia-
len Handelns setzt neben Annahmen über Gründe, Motive, Zwecke, Restriktio-
nen oder Opportunitäten auch Annahmen über Institutionen zwingend voraus.
Ohne Kenntnis der Handlungsregeln lässt sich schlicht kein soziales Handeln
erklären.
Im soziologischen Diskurs hatte der Institutionenbegriff jedoch nicht immer
Konjunktur. Bei den „Klassikern“, insbesondere bei Weber und Durkheim, steht
ein normativ-präskriptiver Institutionenbegriff im Vordergrund. Dieser Begriff
wurde von Parsons rezipiert, er verlor aber an Bedeutung nach dem Scheitern
von dessen Großprojekt. Nur in einer reduzierten Form tauchte er wieder auf: Im
ökonomischen Forschungsprogramm wurden Institutionen auf ein instrumentel-
les Moment reduziert, während im organisationssoziologischen Neuen Institutio-
nalismus eine kognitive Reduktion vorgenommen wurde. Der „klassische“ Insti-
tutionenbegriff schien überholt zu sein. Doch in den letzten zwei Dekaden haben
sich die Anzeichen gemehrt, dass ein theoretisches und praktisches Interesse an
einem gehaltvollen, weder instrumentell noch kognitiv reduzierten Institutionen-
begriff wieder gestiegen ist.1 Diesem Interesse kommen die in diesem Band
1 Damit sind nicht nur die unterschiedlichen Bemühungen um eine normative Erweiterung des öko-
nomischen Modells (Baurmann 1996; Esser 2000b; 2003; Held/Nutzinger 1999; Ostrom 1992; 2005;
Vanberg 1994a; 1997), sondern auch Arbeiten, die an Durkheim (Beckert 1997; 1999; Dallinger
2007), an Weber (Bienfait 2006; Gimmler 1998; Lepsius 1990; Lepsius 1993; Lepsius 2007) oder an
Gehlen anschließen (Göhler 1994, 1997; Rehberg 1994). Eine gewisse Affinität zu diesen Positionen
hat auch ein Ansatz, der in der Politikwissenschaft unter dem Namen des „historischen Institutiona-
lismus“ kursiert und das Verhältnis zwischen Ideen und Institutionen in den Mittelpunkt der Instituti-
onenanalyse stellt (Béland 2005; Blyth 2002; Goodin 1996; Hall/Taylor 1996; Katznelson/Weingast
2005; Shi 2006).
Einleitung 9
gesammelten Aufsätze zu einer weberianischen Theorie der Institutionen entge-
gen.
Die Bezeichnung „weberianisch“ hat dabei eine doppelte Abgrenzungsfunk-
tion. Zum einen markiert sie die Grenzlinie zwischen dem originären Werk von
Max Weber und dem Theoriegebäude, das zwar auf der Weber’schen Grundlage
errichtet, aber im Wesentlichen jedoch in der Auseinandersetzung mit den aktu-
ellen theoretischen Positionen entwickelt wurde. Zum anderen markiert sie den
wissenschaftstheoretischen Unterschied zwischen einem Forschungsprogramm
und konkreten theoretischen Modellen. Die Bezeichnung „weberianische Institu-
tionentheorie“ meint also nicht mehr und nicht weniger, als dass die in diesem
Band gesammelten Aufsätze von bestimmten Kernannahmen ausgehen, ohne im
theoretischen Detail übereinstimmen zu müssen.
Welche Kernannahmen nun dem weberianischen Ansatz zugrunde gelegt
werden und in welchem Verhältnis diese zu Annahmen konkurrierender Institu-
tionentheorien stehen, wird im Folgenden zu bestimmen versucht. Der Zweck
dieser Ausführungen besteht jedoch weder in der Präsentation des aktuellen
Forschungsstandes noch in einer geschichtlichen Narration institutionentheoreti-
scher Analysen, sondern ausschließlich in der Kontrastierung theoretischer For-
schungsprogramme. Als idealtypische Konkurrenten der weberianischen Institu-
tionentheorie werden auf der einen Seite die Neue Institutionenökonomik, im
Folgenden einfach „Institutionenökonomik“ oder „ökonomischer Ansatz“ ge-
nannt (Richter/Furubotn 2003), auf der anderen Seite der organisationssoziologi-
sche Neue Institutionalismus herangezogen (Hasse/Krücken 2005). Als Leitfa-
den wird ein Begriffsraster von Regel-, Geltungs-, Motivations- und Sanktions-
aspekten des institutionellen Handelns gewählt. Die Begründung für die Wahl
des handlungstheoretischen Instrumentariums liefert das Forschungsprogramm
selbst; eine theoretische Auskunft über den Begriff der Institution zu geben,
heißt, diesen zu den beiden anderen Grundkomponenten des Forschungspro-
gramms, nämlich des Handelns und der Kultur in Beziehung zu setzen. Der
Explikation der handlungstheoretischen Grundlagen folgen dann speziellere
Themen des Wandels der Institutionen, der Rationalität, der sozialen Ordnungs-
bildung und dem Verhältnis von Institutionen und Organisationen.
1 Regelaspekt
Hartmut Esser hat Institutionen prägnant als „Regeln mit Geltung“ definiert
(Esser 2003: 47). Doch unter „Regeln“ verstehen die unterschiedlichen Instituti-
onentheorien jeweils etwas anderes. Ein weitgehender Konsens herrscht lediglich
bei der Abgrenzung der normativen Regeln von faktischen Regelmäßigkeiten
(oder in der philosophischen Terminologie: der praktischen von den theoreti-
10 Mateusz Stachura
schen Regeln, Tugendhat 1993: 42). Die theoretischen Regeln beschreiben den
faktischen Ablauf des Geschehens, während praktische Regeln ein bestimmtes
Verhalten oder einen Zustand fordern.
„Mit dem Satz: ‚meine Verdauung ist geregelt’ sagt jemand zunächst nur die einfa-
che ‚Naturtatsache’ aus: sie vollzieht sich in bestimmter zeitlicher Abfolge.“ (Weber
1988a: 328)
Wenn ein Gastroenterologe hingegen von Patienten die Einhaltung bestimmter
Regeln, etwa Ernährungsregeln, fordert, dann bezieht er sich gerade nicht auf
eine faktische Regelmäßigkeit, sondern auf ein normatives Ideal. Die Verdauung
ist eben nicht regelmäßig und daher soll sie geregelt werden. Der Unterschied
zwischen theoretischen und praktischen Regeln kommt am deutlichsten in der
Situation des „Mismatch“ zwischen Regeln und Wirklichkeit zum Ausdruck.
Eine Abweichung von der theoretischen Regel bedeutet, dass die Regel „unwahr
ist und gegebenenfalls als Beschreibung des Verhaltens aufgegeben oder modifi-
ziert werden muss“ (Liptow 2004: 89). Eine Abweichung von der normativen
Regel bedeutet nicht, dass die Regel, sondern dass das Verhalten falsch ist und
aufgegeben werden muss. In dem einen Fall muss sich die Regel der Wirklich-
keit anpassen, in dem anderen Fall wird die Wirklichkeit der Regel angepasst. Es
geht hier also um die Frage der Anpassungsrichtung (direction of fit) zwischen
Regeln und Wirklichkeit (Searle 1982: 19). Unter den Institutionentheoretikern
scheint es nun einen Konsensus zu geben, dass mit Institutionen keine theoreti-
schen, sondern praktische Regeln, keine Beschreibungen des Gegebenen, son-
dern Forderung des Gesollten gemeint werden können.
Doch damit hören die Gemeinsamkeiten auf. Denn unter praktischen oder
normativen Regeln kann wiederum etwas sehr Unterschiedliches gemeint sein.
In der Literatur wird generell zwischen instrumentellen, präskriptiven und kon-
stitutiven Regeln unterschieden. Die instrumentellen Regeln (bei Max Weber
„Zweck-Maximen“ genannt) haben folgende Form: „Wenn du p willst, dann
solltest du q tun“ (Weber 1988a: 334; Elster 1989: 98). Es sind zwei Merkmale,
die die instrumentellen von den sonstigen Regeln unterscheiden: subjektiver
Zweck und Zweck-Mittel-Relation. Ohne einen subjektiven Zweck wird eine
instrumentelle Regel nicht angewandt. Dies ist bei den präskriptiven Regeln (bei
Max Weber „Norm-Maximen“ genannt) anders. Eine präskriptive Regel hat die
Form „du sollst q tun“ oder „wenn die Bedingung p vorliegt, dann sollst du q
tun“. Nicht der subjektive Zweck, sondern die objektive Bedingung p entscheidet
über die Anwendung einer präskriptiven Regel. Obwohl die Formulierung „wenn
p, dann sollst du q tun“ an instrumentelle Regeln erinnert, ist sie doch streng
davon zu unterscheiden. Der Grund dafür liegt darin, dass die Relation zwischen