Der römische Mob: Soziale Konflikte in der späten Republik

288 Pages·1991·8.183 MB·German

by  Wolfgang Will

WOLFGANG WILL
DER RÖMISCHE MOB
Soziale Konflikte in der späten Republik
WISSENSCHAFTLICHE BUCHGESELLSCHAFT
DARMSTADT

Einbandbild: Nicolaus Poussin: Die Eroberung Jerusalems durch Titus,
Kunsthistorisches Museum, Wien, GG 1556 (Ausschnitt).

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Will, Wolfgang:
Der rómische Mob: soziale Konflikte in der spáten
Republik / Wolfgang Will. - Darmstadt: Wiss.

Buchges., 1991
(WB-Forum; Bd. 62)
ISBN 3-534-80129-6
NE: GT

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€ 1991 by Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt
Gedruckt auf sáurefreiem und alterungsbestándigem Werkdruckpapier
Satz: Fotosatz Janß, Pfungstadt
Druck und Einband: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt
Printed in Germany
Schrift: Linotype Times, 9.5/11
ISBN 3-534-80129-6

INHALT
Einleitung . . . . . . . . . . . . ..... . 1
SPOR . . . . . . . . . 2 2 2 . 4 4 νι νὸν 5
Concordia omnium . . 5
Nobiles und Senatoren S. 5 - Ritter und publicani 5. 8- Ex oriente
luxus S. 13 - Res publica corrupta S. 19
Plebs urbana. . 26
Plebs und populus S. 26 - Volkszählung s. 28 - Lohn und Arbeit
S. 29 - Wohnung und Miete S. 31 - Volksversammlungen S. 35 -
Getreide S. 39 — Kollegien S. 41
P. Clodius Pulcher und die ples urbana . . . . . . . 47
Prolog . . . MC LS 47
Der lange Abschied vom | Patriziat e. 48
Die Anfänge S. 48 - Bona Dea 5. 52 - Adoption s. Sg - Exkurs
über bärtige Jünglinge S. 62
Die fünfziger Jahre . . . 66
Optimates und populares S. 67 — Das Gesetzwerk des Clodius
S. 70 - Die Januargesetze S. 71 - Provocatio und libertas S. 74
- Ein Imperium für Cato S. 79 - Biedermann und Brandstifter
S. 82 - Cicero redivivus S. 84 - Hungerpolitik S. 85 - Wahlen und
Prozesse S. 87 - Gratwanderung S. 89 - Das vorletzte Kapitel
5,92
Via Appia. Der Weg zur Diktatur des Pompeius . . . 93
Zwei Tage im Januar S. 93 - Mord oder Totschlag S. 98 - Hinter-
männer und -gründe S. 100 - Pompeius und Milo S. 102 - Pompeius
und Caesar S. 103 - Pompeius sine collega S. 105 - Der Prozeß
S. 106 - Dem Rubicon entgegen S. 110 - Epilog S. 111
Sprache und Herrschaft . . . . . . . . . . . . 112
Ciceronis lingua. . . . . . . . . . . . . . 112
Hexensabbath S. 112 — Gewaltteilung S. 121 - Die drei Tode des
Senators C. Vibienus S. 127
Plebs und Princeps . . 0. . 130
Die letzten Gefechte S. 130 - Augustus Circaeus s. 136
Der rómische Mob 147
Anmerkungen 149
Anhang
Zeittafel 197
Chronologie 59-56 v. Chr. 199
Chronologie 52 v. Chr. . 203
Ausgewählte Quellen 206
. Wohnverhältnisse in Rom . 206
. Begräbnisse 206
Luxus 206
Plebs urbana . 207
. Tagesablauf eines Senators 208
Concordia ordinum . 209
Pflichten des Hausherrn 209
Sklavenverpflegung . 209
Sklavenbehandlung . 210
. Bona-Dea-Affäre 210
. Milo und Clodius 211
. Catull und Caesar ZEND 212
. Kollegienverbot und Compitalicische Spiele . 212
. „Entführung“ des Tigranes 213
. Ermordung des Clodius 213
Glossar . 215
Maße und Münzen . 229
Karte: Das Forum Romanum in der spáten Republik 230
Antike Autoren und Übersetzungen 231
Quellen und ihre Abkürzungen . 240
VI
Literatur- und Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . 245
Personenverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . 259
Register . . . . . . . . . . . . . . ... 273
1. Personen. . . . . . . . . . . . . . . . 273
2.Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . 277
VII

EINLEITUNG
Geschichte ist die Lüge, auf die sich die Historiker
geeinigt haben. NAPOLEON
Wenn Benjamin davon sprach, die Geschichte sei bis-
lang vom Standpunkt des Siegers geschrieben wor-
den und müsse von dem der Besiegten aus geschrie-
ben werden, so wäre dem hinzuzufügen, daß zwar
Erkenntnis die unselige Geradlinigkeit der Folge von
Sieg und Niederlage darzustellen hat, zugleich aber
dem sich zuwenden muf, was in solche Dynamik
nicht einging, am Wege liegen blieb - gewissermaßen
den Abfallstoffen und blinden Stellen, die der Dia-
lektik entronnen sind. Es ist das Wesen des Besieg-
ten, in seiner Ohnmacht unwesentlich, abseitig, skur-
ril zu erscheinen. TH. W. ADORNO
Wann immer das niedere Volk schlechtes Leben mehr fürchtete als
staatliche Restriktionen, sahen die Verfügenden und ihre Historiker
zumeist den Mob tumultieren. Da sie nur ungenau definierten, was
unter Mob zu verstehen sei, lief sich mit diesem Begriff bequem nach
jeder Masse schlagen, die sich bewegte: Er assoziierte Gewalt,
Schrecken, Aggressivitát, und das genügte. Obgleich mit einem latei-
nischen Namen belegt, trat das vulgus mobile als Begriff erst spát auf,
im „vorindustriellen“ England. Zu Mob verkürzt, stellt sich die „wan-
kelmütige oder aufgewiegelte Volksmenge" einer Reihe von Histori-
kern, Soziologen oder Sozialpsychologen „als ideenlose Masse ohne
ehrenhafte eigene Motive, als ‘passives’ Instrument äußerer Kräfte —
"Demagogen' oder ‘Ausländer’ -, getrieben von Beutegelüsten, Pro-
fitgier, Blutdurst oder auch nur dem Bedürfnis, einen verborgenen
kriminellen Instinkt auszuleben“, dar. Der um „Neutralität“ bemühte
Lexikograph sieht im Mob „eine soziale Massengruppierung mit sehr
geringem oder fehlendem Organisationsgrad, in der eine triebent-
hemmte, aggressive, zumeist zerstórerisch wirkende Verhaltenspo-
tenz vorherrscht".
Wo Althistoriker das Phánomen des Mob in der rómischen Repu-
blik zu erkennen glaubten, sahen sie es ausschließlich in Zusammen-
rottungen der plebs, obwohl Mob per Definition keineswegs auf eine
bestimmte soziale Klasse einzuengen ist und sich der Mob, der Tibe-
rius Gracchus und seine Anhánger zu Tode knüppelte, aus ehrenwer-
ten Senatoren unter der Führung des obersten Priesters rekrutierte.!
Namentlich die plebs der ausgehenden Republik wurde zur Ziel-
scheibe einer zum Teil eifernden Kritik, in welcher die meist synonym
gebrauchten Begriffe Mob, Póbeloder Gesindel die Argumenta-
tion ersetzten. Nur allzu leicht lassen sich freilich aus der Suada ge-
gen die römischen Unterschichten soziale und politische Gegenwarts-
ängste destillieren. Schon zu Beginn des 20. Jh. wußte Robert von
Pöhlmann von einem faulenzenden und schmarotzenden Pöbel zu be-
richten, dessen Begehrlichkeit eine Politik der irrationalen Almosen-
wirtschaft erst recht großziehe; von Massen, die jedem politischen
Abenteurer, der ihre Eigenart verstünde und zu nutzen wisse, nach-
liefen und dem sich Tausende von Fäusten zur Verfügung stellten, um
sich zu Plünderungen und Mord bewaffnen zu lassen; schließlich gar
von der Vaterlandslosigkeit des Proletariers der sterbenden Republik,
der mit Gewalt hole, was ihm die bestehende Gesellschaftsordnung
versage. Wilhelm Hoffmann meinte 1938 eine unverantwortliche, ras-
sisch verkommene plebs ausmachen zu können, die ohne Berufsethos
lediglich aus eigennützigen Interessen die Forderung nach Geltung
stelle, korrigierte sich aber, nur 1000 Jahre später, in seinem RE-Arti-
kel von 1951: Die späte plebs sei ein Haufen von Gesindel, das zwar
unter einem Führer noch vorübergehende Erfolge habe erringen kön-
nen, für die Entscheidung der wirklich großen Fragen aber immer
unwichtiger geworden sei. In der Einschätzung der plebs urbana doku-
mentiert sich ein seltenes Einverständnis der idealistischen und mate-
rialistischen Geschichtsauffassung. Vom politischen Absentismus der
rómischen plebs und der groDen Rolle lumpenproletarischer Ele-
mente schrieb N. A. Maschkin, vom vielköpfigen Drohnentum, das
sich im großen Versorgungshaus und Vergnügungslokal Rom gütlich
tue, E. Kornemann. Wo S.L. Uttschenko konstatierte, die plebs
stelle keinen ernstzunehmenden Faktor dar und könne ignoriert wer-
den, sekundierte ihm Chr. Meier, die plebs urbana habe keine eigene
Dynamik besessen, sie sei lediglich ein gefügiges Werkzeug gewesen,
einmal gerufen, habe man sie auch leicht wieder loswerden, im Arse-
nal populärer Politik abstellen kónnen.?
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